Freitag, 27. November 2015

Südostfränkisch

„Ich habe euch […] gezeigt, dass man […] sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus […]: Geben ist seliger als nehmen.“ Wird sie jetzt plötzlich religiös, die Wasmeierin? Reicht es nicht, dass sich dieses Wochenende das protestantische Nürnberg wieder ins alljährliche Gold-und-Puttenwunderland verwandelt? Ja doch, freilich reicht das, ich will natürlich auf was ganz anderes hinaus: auf die guten alten Übersetzungsfehler in der Bibel nämlich. So wie es in der Apostelgeschichte 20,35 LUT des Neuen Testaments geschrieben steht, kann es nämlich gar nicht heißen. Sondern: „Gieben ist seliger als Nimmen.“ Stimmt nicht? Dacht ich auch immer, werde aber tagtäglich eines Besseren belehrt. Der Pöbel um mich herum versucht mich eine andere Sprache zu lehren als die, von der ich meinte, sie in weitestgehend korrekter Art und Weise zu beherrschen.

Sagt „Ich gib dir nachher noch Bescheid“. Sagt „Ich nimm dich später mit“. Und das mit großer Beharrlichkeit. Schlussfolgere ich also: Der Infinitiv muss „gieben“ und „nimmen“ heißen. Oder auch nicht, denn schließlich erscheint dieses Wort an anderer Stelle als doch wieder unregelmäßig konjugiert: „Nehm bitte den Müll mit runter!“ oder „Geb mir schnell mal deine Nummer!“ stürzen mich in große germanistische Verwirrung. Damit nicht genug sehe ich mich mit dem Umstand konfrontiert, dass es noch so viele Wörter mehr gibt, die eigentlich ganz anders lauten als von mir vermutet. „Dürf ich schon mal ein Stück von dem Kuchen essen?“ lässt mich nicht minder beschämt zusammenzucken als ein „Ich stirb gleich vor Hunger“ oder „Sterb gefälligst!“ Zu Beginn meiner vermeintlich gutgemenschten missionarischen Tätigkeiten hatte ich versucht, dieser Unflat Einhalt zu gebieten. Beispielsweise so: „Der Imperativ von ‚sterben‘ wird mit ‚i‘ gebildet.“

Das Ergebnis ist nun, dass besagte Menschen, artig, wie sie sind, analog zu arbeiten pflegen: „Sterbi gefälligst!“ Gut, ich mein, die Liste unregelmäßiger Verben in diesem Deutsch, die ist eine lange, da kann man schon mal durcheinander kommen. Es häuft sich jedoch ein Durcheinander signifikant im Mittelfränkischen Raum – der gleichnamige Dialekt übrigens hat nichts mit der hiesigen Region zu tun, sondern mit der westmitteldeutschen. Richtig heißt das: (Süd)Ostfränkisch! – das mich trotz Sozialisation in selbiger zur Verzweiflung treibt. Und in Verwirrung stürzt. Muss es jetzt heißen: „Liest die Glosse!“ oder „Lesi die Glosse!“ oder gar „Ließ die Glosse!“? Ist mir Grunde genommen aber auch egal – Hauptsache, ich versteh mich selbst, und das ist ja auch nicht immer gegeben. Womit wir wieder beim Geben wären. Und beim Nehmen. Äh, Nimmen.

Freitag, 20. November 2015

Ausmistpsychologie

Ich falalallalafühl mich 15 Kilo leichter. Ein wunderbarer Zustand, der hoffentlich noch ein bisschen anhält. „Ja genau, jetzt, wo das mit der Adventsfresserei kommt, haha!“? Ja nö, kein Problem, die kann ruhig kommen, ich bin losgelöst von Raum und Gans. Mein Aggregatszustand hat andere Ursachen als pulvrig-weltliche. Nämlich: Ich habe ausgemistet. Eine Tätigkeit, die ich nicht als zwingend nötig, aber längst überfällig bezeichnet haben würdete. Auslösendes Moment hierfür war ein Projekt, im Zuge dessen ich angewiesen war, mein Wohnzimmer zu fotografieren, auf dass ein Wohnpsychologe in diesem lese wie im Kaffeesatz und Schlüsse auf meine Person ziehe. Das Ergebnis der Unternehmung war gleichsam positiv wie frappierend. Einerseits konnte ich der horoskopesquen Analyse meiner selbst wohlwollend zustimmen („Einen höheren Bildungsabschluss mit ausgeprägtem Anspruch besitzt sie selbst und erwartet das aber auch vom Gegenüber“). Andererseits erschrak ich, als ich des Gesamtprojektergebnisses ansichtig wurde. 

Nicht nur ich nämlich war da vertreten mit Fotos und Gedöns, sondern noch zwei andere Menschen. Ich sah picobello-aufgeräumte Wohnungen in Symmetrie und Crème, hier und da aufgelockert durch ein Deko-Element, das der Einrichtungs-Oger Tine Wittler nicht schöner hätt drapieren können. Ready for „Schöner Wohnen“. Scrollte man sich also durch die Fotos und dann so BÄM: die Wasmeierein inmitten eines kreischendbunten Sammelsuriums, wimmelbildgleich, nur dass kein Walter drin versteckt war. Jetzt muss ich schon sagen, dass ich mich freilich absichtlich ins denkbar schlimmste Eck gestellt hatte. Jetzt muss ich aber auch sagen, dass mir nicht ganz klar war, WIE schlimm’s da drinnen wirklich ist. Ich bin es gewohnt, dass Menschen, die meine Wohnung erstmals betreten („Die Wohnung ist ihr Nest, ihr Rückzugsbereich und wird jedenfalls in diesem Teil nicht jedem geöffnet.“), große Augen machen. Niemals, höre ich da, hätte man gedacht, dass es bei mir derart bunt zugeht. Um genau zu sein: derart pink. 

Da muss ich sagen: ich auch nicht. Erklären kann ich mir das nur so: In irgendeinem jugendlichen Leichtsinnsanfall scheine ich vor zig Jahren eine späte Tendenz zu jener mädchenhaften Farbe zu erkennen gegeben haben, die mir aus pädagogischen Gründen im entsprechenden Alter zugunsten Latzhosen und Holzspielzeug verwehrt war. Dann fing eins an, mir ein solchfarbiges Trum anzuschleppen, späte Aufarbeitung des frühkindlichen Traumas. Womit ein perpetuummobilöser Prozess in Gang gesetzt wurde: Für alle schien es plötzlich irre praktisch, rosa Kittys zu jedweder Gelegenheit zu schenken, und schon hatte ich die Barbiewelt. Und weil ich mich prinzipiell über alles freue und überall eine Erinnerung dranhängt, wuchs die Sammlung. Beträchtlich. Damit ist jetzt Schluss. Kistenweise Pinkgedöns hab ich entfernt – zugegebenermaßen in den Keller statt den Müll. Aber man weiß ja nie was noch so kommt. Und ihr müsst mir folgen, weil „ […] hat diese Person verlockende, kokketierende und sehr offene Züge.“ Ha! 

Freitag, 13. November 2015

Mantelteile

„Vielleicht“, sprach ich dieser Tage zu mir, „muss die Geschichte von Sankt Martin und seiner ehrenhaften Heldentat nochmal überdacht werden.“ Ich saß am Hauptmarkt. Um mich herum bauten eifrige Menschen wirklich sehr eifrig die Buden des Christkindlesmarkt auf – soweit nichts besonderes, kann man doch den Startschuss zum stadtweiten Glühweinbesäufnis nicht nur sozusagen schon hören, sondern insofern auch sehen, als bereits alles, was im Besitz einer Straßenverkaufstheke ist, diese längst entsprechend plakatiert hat. Während also hier ein Mammuttannenbaum aufgestellt wurde und dort ein Strohstern verteilt, schwitzte auch ich wie der sprichwörtliche Elch. Der leichte Übergangsmantel war mindestens eine Schicht zu viel, der Schal auf jeden Fall, die Sonne schien als gäb’s kein Morgen und spontan stand mit der Sinn nach Strandkorb und Caipirinha. Während ich so vor mich hin sonn(te), fiel mein Blick nach links.
Ich stutzte. „Dem Touristen graut’s aber auch wirklich vor gar nichts“, dacht ich, schließlich stand neben mir eine Reisegruppe unübersehbar militäramerikanischen Ursprungs, von deren Teilnehmern eine Dame in TShirt und Flipflops unterwegs war und die – ja was eigentlich? Klamm werden sie kaum gewesen sein! – Hände an einen Becher drückte, dessen empörende Form zweifelsfrei auf den Inhalt schließen lässt. Jetzt kann man sagen, gut, der Touri, der denkt sich, „wenn ich schon mal hier bin in diesem Irrsinnsweihnachtsnürnberg, dann muss ich jetzt schon auch das trinken, was der Marco Polo mir so vorschreibt“. Dann geht er heim und erzählt allen, dass die spinnen, die Nürnberger, da hat’s 20 Grad und man säuft pappsüßes Heißzeug. Jedoch: In der ausschenkenden Lokalität saßen noch sehr viel mehr Menschen, die dem Gesöff bereits unübersehbar zugesprochen hatten und deutlich hiesiger Abstammung waren.
Da will man dann doch hinfragen, ob’s denn vielleicht irgendwo fehlt im Kopf, aber das will man ja auch gern jedesmal, wenn man am Vapiano vorbeigeht und da wirklich Gäste sitzen sieht. Also der Sankt Martin jedenfalls, oder besser: der Bellzärmäddl, dacht ich mir, der kann ja leicht seinen Mantel teilen, wenn’s da damals genau so global erwärmt war wie heut. Da tät ich auch  meinen Mantel direkt teilen, und wenn dafür die Heiligsprechung winkt, tät ich ihn auch zerschneiden mit meinem Flammenschwert, auch wenn’s mir schon arg bluten würd, das Herz. Möglicherweise aber liegt auch ein Übersetzungsfehler vor, und der Maddin, der hat nicht geteilt gegen Kälte, sondern gegen Hitze, weil Sonnencreme gab‘s da ja wohl eher noch nicht, in diesem 1. Jhdt. n. Chr. Andererseits ist jetzt der Norden Frankreichs auch nicht direkt bekannt für seine tropischen Temperaturen, dafür aber dieses Ungarn, wo er herkam, der Martin. Hat er sich vielleicht vertan in seinem jugendlichen Leichtsinn. Mir auch egal. Ich will keinen Glühwein. Bitte.

Freitag, 6. November 2015

Auserkiesen

Es ist vollbracht! Wir sind wieder Christkind, die neue Lichtgestalt ist gewählt, gesegnet seist du o Herr, Hosianna, ihr Kinderlein kommet, zefix Halleluja! Ich freue mich – wenngleich verhalten, muss ich gestehen, denn wenn ich vorher gewusst hätte, dass die Wahl der Repräsentantin fränkischen Irrglaubens neuerdings unter dem Heiligenschein der Inklusion steht, dann hätte ich mich nämlich endlich auch beworben. So. Noch habe ich die Intention nicht ganz durchschaut, aber es muss wohl ein Motto sein wie „Gut drauf auch ohne Frikativ“ oder „Aktion Realisationsfreiheit“. Find ich gut, herzlichen Glückwunsch, und man hat ja jetzt noch ein paar Tage Zeit und noch dazu ein dankbares Textwerk, um das mit dem „R“ ein bisschen zu üben, ihr HeRRn und Frau’n, bis das ChRistkind zu seinem MaRkte einlädt. Also zurück zu mir und meiner Beleidigtheit darüber, dass ich wieder nicht in die engere Auswahl zur neuen Weihnachtsbarbie berufen worden bin. 

Oder: „Niemand will mich auserkiesen“, um dieses zauberhafte Wort auch endlich mal sinnvoll untergebracht zu haben. Dabei bringe ich alle Schlüsselqualifikationen schon mit. Die passende Haarfarbe habe ich bereits, nur hinsichtlich der Frisur und Länge müsste man vielleicht einen Kompromiss machen, aber das ist eh viel sicherer, wegen weniger Entflammbarkeitsrisiko beim Wandern im Kerzenmeer, dafür spart man sich Geld mit der Perücke, das wiederum sinnvoll investiert werden könnte beim Umnähen des Gewandes von Teenager- auf Erwachsenenformat, wenngleich ich mich da auch zur Kostenübernahme anbieten würde. Ich kann von Haus aus ziemlich irre gut grüßen, vom Balkon zum Volke zu sprechen ist mir ein Leichtes, und beim Prrrrrolog wäre ich ebenfalls bereits geübt darin, gleichzeitig zu sprechen und immer beim Stichwort meinen Glühweinbecher zu erheben und dem Volke zuzuprosten. „Ihr Herr’n und Frau’n … Wohlsein! … die ihr einst Kinder wart …“ – läuft. 

Fürderhin rutsche ich 738 repräsentative Termine in 17 Tagen locker auf der linken Hinterbacke ab, erstens wegen Beruf und zweitens wegen neuerdings massiv eingesetzt habender seniler Bettflucht, und dann wäre ich selbst auch noch ein auf dem Silbertablett serviertes Exemplar eines der Hauptprobleme unserer Republik, nämlich dem demographischen Wandel und der damit einhergehenden Überalterung der Gesellschaft. Man kann ja mit Spachtelmasse die die Krähengräben zubetonieren, meinetwegen. Außerdem kann ich je nach Anlass vom Hochdeutschen ins Tiefmittelfränkische wechseln, inklusive prälabialem Waffel-L. So. Jetzt erkennen hoffentlich alle ihren Irrtum, aber nein, jetzt will ich auch nicht mehr, und falls mir jemand mit Nestbeschmutzung kommt und mit der Fackel „Frevel“ in den Himmel malt: Ich wollt mir eh schon längst mal die Westvorstadt genauer anschauen, soll ja ganz schön sein in diesem Fürth.