Freitag, 26. April 2024

Mallediva

Vor ein paar Wochen habe ich eine Freundin, die Anwältin ist, in eine für sie ungewohnte Situation gebracht. Nämlich ins Schwitzen mittels eines peinlichen Verhörs. Seit vielen Jahren ist es ein Running Gag bei uns, dass sie „immer“, wenn ich mich bei ihr melde, auf den Malediven weilt – was so freilich nicht richtig ist, aber dennoch eine Wahl, die ich nicht nachvollziehen kann. „Was MACHST du da zur Hölle vier Wochen lang, da ist doch NICHTS?“ hab ich gesottert und sie spruch: „Ich setze mich, schau stundenlang aufs Meer und freue mich.“ Ich solle das doch mal ausprobieren, die meditative Wirkung sei nicht zu unterschätzen, man sei im Anschluss sehr befreit und gut durchlüftet und überhaupt ganz leicht. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, blickte schweigend auf eine Pfütze am Wegesrand, versuchte vergeblich, eine meditative Wirkung zu erspüren – und buchte eine Reise, die, wie wir wissen, an sowohl Berg als auch Meer führte, wobei seltsamerweise zweiteres bei den Menschen hinlänglich Verzückung auslöst. „Sauge die Wärme, die Sonne, das Licht in dich auf und lass es in dir leuchten“, wünschte man zum Abschied, und: „Höre dem Meer zu, das mache ich am liebsten. Es kommt so sehr rum, das Meer, deshalb erzählt es ja so viel, wenn man ihm zuhört.“ Rumkommen, erzählen, zuhören – das fand ich gut, und so wollte ich folgsam sein und das mal ausprobieren. Ich setzte mich ans Meer, fror jämmerlich und hörte mich im Kältesturm kaum selbst klagen. Ich setzte mich ans Meer, fror weiter und hörte „Heeeeeeyiii Leute, und jetzt noch lecker Sprizzidrinkidrinki??“ Ich setzte mich ans Meer, versuchte, den unglaublichen Angstschweiß, den man bekommt, wenn man zwei Stunden als Beifahrerin dem Schicksal ausgeliefert ist und siebzehntausend Fahrradfahrer auf 50 cm breiten Serpentinenstraßen mit Gegenverkehr überholt, trocknen zu lassen, aß kalte Pommes, denn der Rest war aus, und hörte „Solangde Salz inna Tasche hast, haste Jeld im Haus. Dat hat schon dat Jerti imma jesacht!“ und „Schau mal Mausi, was ich uns noch zum Schnurpseln eingepackt hab!“ Ich setzte mich ans Meer, hörte ein Flugzeug sowie den sicheren Tod drei Meter über mir und lernte, dass auch Wasserlöschflugzeugpiloten den tiefen Anflug erstmal üben müssen. Ich setzte mich ans Meer, vergrub mich statt ins Buch tief in allen Handtüchern und hörte „DANIEL! GABRIEL! HÖRT SOFORT AUF, MIT SAND ZU WERFEN! KOMMT SOFORT ZURÜCK! AUS DEM WASSER, HAB ICH GESAGT! GABRIEL, HÖR AUF DEINEN BRUDER ZU SCHLAGEN! RUNTER VON DEM BAUM, DANIEL! TOUT DE SUITE!“ Dann ging ich auf den Berg. Ich lief und hörte: nichts. Ein bisschen Tschilp, ein bisschen Mäh. Ein bisschen Dingdong, ein bisschen Flatterbrummelsummserum. So leicht, so luftig. So meditativ. Ich spinn? Ist ok. Lieber Mallediva als Malediven. 

Freitag, 19. April 2024

Decidophobie

 Menschen fliegen in den Urlaub. Ich nicht. Das heißt: Ich schon, aber mich findet man hinterher nicht an der Playa del Sol oder auf der Animationsbühne beim launigen Karaoke-Abend, sondern in einer TV-Dokumentation über verwahrloste Hängengebliebene, die in einer Grotte hausen oder solche, die verstört durch die Straßen der Cité wandern und sich allabendlich ihren Unterschlupf aus vergessenen Handtüchern knüpfen. Nicht lustig? Find ich auch. „Wie sehr zur Hölle kann sich ein einzelner Mensch denn bitte anstellen?“ schütteln nicht nur Freunde und Familie den Kopf über mich, sondern ich selbst gleich mit, nachdem ich mir eine psychopathologische Entscheidungsunfähigkeit diagnostiziert habe. Eine glückliche Fügung hat ergeben, dass sich in meinem gefüllten Kalendarium nämlich diese Woche ein Zeitfenster geöffnet hat. Selbstverständlich bin ich sogleich hineingesprungen, weil man muss die Feste feiern, wie sie fallen, und die Urlaubsmöglichkeiten auch. Dummerweise hab ich mich für einen Ort entschieden, an dem die ganze Welt schon mehrfach, ich hingegen noch nie war. Darum hab ich jetzt plötzlich zwei Bedürfnisse: eins zur Er- und eins zur Nachholung, und beide werden nicht besser davon, dass mir Menschen (jeder schon mal dort gewesen!) gutgemeinte Tipps geben und mich mit Ratschlägen überhäufen einschließlich dem ausgesprochen netten Herren in der Reiseführer-Abteilung eines Buchgeschäftes (vielen Dank nochmal). „ICH KANN MICH EINFACH NICHT ENTSCHEIDEN!!“ weine ich seit Tagen in Telefone, Tastaturen und Gesichter hinein und halt mich selbst dabei kaum aus. „Was kann denn daran so schwer sein?“, sagen sie, „willst du Strand, Berge oder Kultur?“ – „ALLES!“, schrei ich und weine weiter. Das vorläufige Ergebnis der Beratungen lautet darum wie folgt: Ich möchte in den Osten, den Norden, den Süden sowie den Westen und dann natürlich auch das Landesinnere der Insel besuchen. Ich möchte weißen Sandstrand sowie wildes Gebirge, um gleichzeitig wandern und aber auch mal die Seele ins Wasser baumeln lassen zu können. Darüber hinaus möchte ich sowohl abends meine Ruhe in Abgeschiedenheit und Isolation, zugleich aber unbedingt auch das quirlige Gewusel der Hauptstadt, um mich aus meinem Infinity-Pool mit Meerblick bei Bedarf ins kulturelle Treiben zu werfen, um mit indigniertem Blick Sauftouristen links liegen zu lassen und stattdessen sophisticated Kultur zu goutieren, was aber natürlich noch viel besser dort geht, wo der Tourist erst gar nicht hinkommt, es dort nur leider weder Meerblick noch „Ich kümmere mich um gar nichts“-Hotels mit Strandfrühstück gibt. Mit 57 geöffneten Tabs von Anbietern habe ich mittlerweile Bad geputzt, die Wohnung sowie den Keller entstaubt und Sperrmüll weggebracht. Wo das hinführt? Keiner weiß. Ich auch nicht.

Freitag, 12. April 2024

Kaffeevollzeitbeschäftigungsautomat

 Manchmal wollen mich Menschen treffen. Dies tun sie auf verschiedene Arten kund, und manchmal muss ich mich zur Räsong und mir in Erinnerung rufen, dass die Art, wie sie das tun, nichts damit zu tun hat, wie gut sie mich kennen oder wie sehr sie mich mögen. Menschen sagen „Später Bierchen?“ oder „Next Mittwoch Chillinger?“ oder „Am Wochenende Ausflug?“ oder „Morgen auch bei der Eröffnung von Dingens?“ Manche sagen aber „Wollen wir uns die Tage mal auf einen Kaffee treffen?“ und dann bin ich oft froh, wenn die Frage schriftlich gestellt worden ist oder wenn überhaupt am Telefon, weil dann sehen die Menschen nicht, wie sich nicht nur mein Gesicht zu einem großen Fragezeichen verzieht, sondern mein ganzer Körper eine Grimasse schneidet. Kaffee. Ist. Mir. Egal. Kaffee ist ein dunkelschwarzes Gebräu, das ich am Morgen mit einem Schuss Milch versehe und dann gegen schlimmen Morgendurst in mich hineinkippe. Ob dieses Gebräu mit Koffein ist oder ohne ist mir egal, ob das Gebräu aus Kaffeebohnen, Röstdinkel oder Berberitzen gebrüht ist, ebenfalls. Entsprechend sind Menschen, die über Crema dozieren und Röstaromen, die Mahlgrade berechnen und Brühtemperatur mir höchst suspekt, und am allersuspektesten sind sie mir, wenn sie plötzlich „Barista“ heißen und Heißgetränke nicht mehr ausschenken können, ohne vorher mit Milchschaum (pfui deifi) stundenlang dadaistische Gemälde turmhoch in Tassen zu kritzeln, so dass man sich mit der Nase durch ein Schaumtier wühlen und anschließend sakrisch den Mund verbrennen muss und dafür hernach fünf Euro zahlen soll, wo es das wesentlich angenehmere Erlebnis doch heut Morgen erst für umgerechnet 53 Pfennig daheim gegeben hat. Also nein, ich möchte mich nicht auf einen Kaffee treffen und dabei von einem ausgefuchsten Betriebswirtschaftler erklärt bekommen, dass das, was ich seit 35 Jahren im Campingurlaub mache, plötzlich nur noch in Kupferkesselchen möglich sein und 17 Euro kosten soll: Heißes Wasser auf Pulver gießen und unten kommt ein Kaffee raus – ein Wunder! Ich hab alles Gerät daheim: French Press (fürs Pulver zwischen den Zähnen), Bialetti (für wenn mal viele Gäste da sind … nicht), Senseo (für weiß ich nicht) sowie die beste aller Filtermaschinen, die so alt ist wie ich und exakt das tut, was ich wünsche. Tat. Denn der Mann hat sich einen Wunsch erfunden und den nun endlich auch erfüllt. Seit kurzem besitzen wir darum keine Küchenarbeitsplatte mehr. Stattdessen einen Vollautomaten, der nicht nur allen Platz, sondern auch meine volle Aufmerksamkeit mehr beansprucht, als es jeder Säugling könnte: Füttere mich! Leere mich! Tränke mich! Reinige mich! schreit er unablässig in mein Tagwerk hinein, doch Hauptsache, der Mann ist selig. Und ich? Hab prophylaktisch Angst vor Fachgesprächen, Ausflügen zu Röstereien und Barista-Seminaren. Da würde ich mich dann gerne treffen. Ihr könnt ja Kaffee trinken.

Freitag, 5. April 2024

Fränkischer Wein

Hosianna, Urbi, Orbi und Allmächt, habemus Schokonest im Garten vergessen!: Ostern ist durchdrungen von allerlei christlich-heiligen Ausrufen. Doch nachdem das Fest der größten Freude nun vorbei ist, können wir uns getrost wieder dem fränkischen Mumpfl-Alltag zuwenden und damit auch den zahlreichen Schönheiten, die er für uns bereithält: Brunzkundl, Rindsbimbl, Gsichtsgrapfm, Zwiderwurzn, Greinmeicherla – nicht nur die Wege des Herrn sind unergründlich, die der fränkischen Schimpfwörter sind es auch, und Zugezogene, Besuchende oder nachlässig sozialisierte Bürgerinnen und Bürger tun sich oftmals schwer, die hinter zugepressten Zähnen hervorgekauten oder aus verkniffen nach unten gezogenen Mundwinkeln gespienen Streicheleinheiten zu verstehen – oder sie gar nachzuformen. So wie mit jeder anderen Fremdsprache auch hilft es ja wenig, zwar die Buchstabenfolge theoretisch mit Sinn befüllt zu wissen, praktisch aber keine Ahnung zu haben, wie die dazugehörigen Laute zustande kommen sollen. Weil selbst für ein dahingeradebrechtes „Schönnösähpa parleh lö frongzäh“ oder „Ei känt not so gut spiehk ze inglisch“ bedarf es wenigstens eines phonetischen Grundverständnisses. Andernfalls kann es passieren, dass du morgen mit zornesrotem Kopf dein impertinentes Gegenüber einmal so richtig bodenständig zurechtweisen willst, dieses jedoch statt vor Furcht zu zucken sich lediglich vor Lachen krümmt. Wie machen wir das jetzt? Ganz einfach: saufen. Wein, bitteschön. Das empfehle ich seit Jahren allen, die die mittelfränkische Sprache lernen wollen. Allem voran steht hier der günstige Nebeneffekt, dass mit jedem feinen Schlückchen eine gewisse Lockerung der Zunge einhergeht, und die brauchen wir nämlichst zur Formung des im Fränkischen unerlässlichen „Prälabialen Waffel-L“s, das wir gemeinsam in einer Aufwärmphase erlernen und mit der Zunge in rascher Abfolge abwechselnd Nasenspitze und seitlichen Amorbogen berühren. Inspirationshilfe: Giraffen beim Fressen beobachten. Um jetzt die lautliche Schönheit des Idioms zu erkunden und später elegant aus dem Effeff an „Brillnschadulln“, „Dischdennisbladdnä“ oder „Rindsbulliong“ zu brillieren, gurgeln wir im Anschluss Rebsorten durch den Mundraum (ggfs. auch außerhalb desselben, s. „L“-Laut). Wichtig ist hierbei, sich möglichst auf südländisches, vorzugsweise italienisches Trinkgut zu fokussieren und ausnahmsweise vom heimischen Erzeugnis Abstand zu nehmen, obgleich ein „Riesling“ für den Anfang schon auch taugt. Gemeinsam rollen, donnern und verschlucken wir uns dann an der unvergleichlichen Ästhetik der Konsonantenfolgen und erlangen so nach kurzer Zeit hervorragende Sprachkompetenz. Und jetzt alle: Mondebuldschano. Binohgridschio. Riodscha. Wallbollidschalla. Brimidifo. Baddolino. Dschiandi … Klappt’s? Dann auf! 

Freitag, 22. März 2024

Frühlingserwachen

 Servus, Grüezi und hallo miteinander, es ist Freitag, der 22. März und wir haben gefälligst überbordend gute Laune, weil obwohl erst seit zwei Tagen offiziell Frühling ist, gab es zwischen Eissturm und Regenguss bestimmt schon, Klimawandel sei Dank, zweimal drei Stunden Frühling, in die wir alles hineinpressen konnten, worauf wir seit Wochen hufescharrend warten: Angrillen, Anradeln, Anwandern, Anzapfen, Ankontemplieren und Ankopul… Naja. Manche von uns haben womöglich auch die Gelegenheit für die schönste aller Frühlingsbeschäftigungen genutzt, nämlich das Anfensterputzen oder Anautowaschanlagenbesuchen und sich hier und da vielleicht über kleine bis mittelgroße, warmbraune Batzerl gewundert, die mal vereinzelt, mal in größerer Häufung auftauchen und sich einer jeden Reinigung aufs Äußerste widersetzen. „Was mag denn das nur sein?“ denkt ihr euch und verliert euch dann sogleich im Anblick der erwachenden Natur, die blüht und ausschlägt und macht und tut, dass es euch im Herzlein juckt und in der Nase auch, haaaaaaaatschiiii!, doch was kümmert uns das, die Welt ist voller Liebe. „O MEIN GOTT schau mal ein MARIENKÄFER!!“ kreischt man glücklich auf und sieht dem Tierchen verzückt dabei zu, wie es müde vom Winter und schwach in den Beinchen vergebens versucht, die zerknitterten Flügel zu spreizen, tänzeln respektvoll um die ersten Ameisenstraße („Wahnsinn, was die tragen können!“) herum, bevor wir ihnen in wenigen Wochen mit Verve und Backpulver den Garaus machen, klauben behutsam niedlich bepelzte Raupen aus der Nachmittagsschorle, tragen Schnecken über die Straße („Ja wo willst du denn hin, du kleine Maus? Na wahrscheinlich in die andere Richtung, dann haste jetzt Pech gehabt.“) und spüren Schmetterlinge im Bauch beim Anblick erster freilebender Artgenossen. Und zu guter Letzt und allervorderst werden wir bewusstlos vor Glück, sobald wir auch nur einer einzigen Biene ersichtig werden. Denn wir wissen: Bienen sind gut. Bienen machen Honig und retten die Welt, sie stechen nicht oder nur wenn man sie sehr ärgert. Und Bienen sind superschlau. Weil die Bienen so superschlau sind, bleiben sie über den Winter ganz artig und eng aneinandergekuschelt in ihrem Nest und warten im Gegensatz zum depperten Menschen, der Schneeschuhwandern geht und friert, dort auf den Frühling. Ist der da und wärmt das Nest, wachen die Bienen auf und begeben sich schnurstracks auf einen „Reinigungsflug“. Und hierzu lesen wir: „Sie koten [im Bienenstock] jedoch nicht ab, da das zum Beispiel die Übertragung von Krankheiten begünstigen würde. So sammelt jede einzelne Biene ihren Kot über die Monate in einer Kotblase, die bis zu 80% des Hinterleibs ausmachen kann. Im Frühjahr verspüren Honigbienen nun das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern, was im Reinigungsflug umgesetzt wird.“ Süß, gell? 

Freitag, 15. März 2024

Apricot Desire

 Was haben weiße Wäsche und ein rotes T-Shirt gemeinsam? Richtig: nichts, und man ist tunlichst darin beraten, dass das auch so bleibt. Bis vor kurzem hätte ich die gleiche Antwort auch auf die Frage „Was haben du und die Farbe Rot gemeinsam?“ gegeben, aber weil Zeiten und Wunder geschehen oder auch irgendein magischer Prozess, den Frauen meiner Sorte zwangsweise durchlaufen und an dessen Ende sie knallfarbene Gewänder, teure Bequemschuhe, flippige Kurzhaarfrisuren und ausgefallenen Signalschmuck tragen, hat sich hier in jüngster Vergangenheit eine Änderung vollzogen. „Es muss mal bisschen Farbe an dich“ hatte ja vergangenen Herbst die Freundin schon gemaßregelt, und der Satz pingpongte im leeren Raum zwischen meinen Ohren hin und her und schwoll bei jedem Aufprall weiter an, bis ich es nicht mehr aushielt und ins Schminkegeschäft lief, wo ich mir unter wie sich dann herausstellte schmeichelhafter Innenbeleuchtung rote Farbe für die Lippen als winziges Zugeständnis zur derzeit favorisierten Natürlichkeit erstand. „Mit dem sauteuren Lippenstift seh ich aus als hätt ich vorhin ordentlich Bolognese gefressen und danach den Waschlappen vergessen“ schrieb ich der Freundin und brauchte ein bisschen, um mich mit dem neuen Jokermund im Spiegel anzufreunden. Rot ist halt auch nicht gleich Rot. „Watermelon Dream“ steht auf dem einen, „Apricot Desire“ auf dem anderen Farbstift, und weil ich selbst eher in Kategorien wie hell-, dunkel- und vielleicht noch knallrot denke, hab ich grad einmal die Farblehre auf- und schnell wieder zugeschlagen, weil dort zu lesen ist, dass es circa 54390 Rots gibt, eins unaussprechlicher als das andere … Animiert vom neuen Gesichtssignal hat jemand anders seine Chance gewittert, meine tiefe Abneigung gegen rote Kleidungsstücke nach über 40 Jahren endlich zu überwinden, und Erbvorschuss in Form von roten teuren Jacken über mich ausgeschüttet wie einst der Wunschbaum Glitzerkleider überm Aschenputtel – nur dass ich kein bisschen am Baum gerüttelt hatte. „Endlich siehst du ein, wie toll Rot zu dir passt, Tochter“, sprach der Baum, stellte sich taub für meine Widerworte und verwandelte mich in eine Christbaumkugel. Derart gebrochen schleppte ich mich also letzte Woche in ein Geschäft und sah mir dabei zu, wie ich ohne Zwang und aus vermeintlich freiem Willen erst ein zartrotweißgestreiftes und schließlich ein weithin leuchtend orangerotes Shirt nicht nur in meinen Besitz überführte, sondern bei nächster Gelegenheit sogar samt Bolognesemund in die Öffentlichkeit trug. Und das Schlimmste: mich dabei pudelwohl fühlte. Bald folgt, ich ahne es, die dicke Holzperlenkette. Und jetzt aber erstmal die Frage: Wie wäscht man rote Kleidung in einem Haushalt voller Weißschwarzgrau? Mit, soviel ist klar, den weißen Sachen lieber nicht.

Freitag, 8. März 2024

Mailbox

 Ich stehe nicht mit supervielen Sachen auf Kriegsfuß. Ok: Parodontoseprophylaxe, unfreundliche Menschen, Steuernachzahlungsanmahnungen – alles nicht schön, aber nichts, was mich wirklich zur weißglühenden Verzweiflung bringt. Ganz anders hingegen meine Mailbox. „Sie haben. Acht. Neue. Nachrichten.“ hat sie mir grade mitgeteilt, und mit Staunen bin ich hinabgestiegen in die Tiefen des digitalen Anrufbeantworters um zu erfahren, wer da eigentlich seit wie lange schon auf einen Rückruf wartet, die Technik aber beschlossen hat, es handele sich nicht um dringliche Angelegenheiten und mich deshalb schlichtweg nicht informiert hat. Irgendwie finde ich das gut: Wenigstens eine, die sich um mein Seelenheil und Stresslevel sorgt, sich denkt „Wenn’s wirklich wichtig war, ruft der Mensch schon nochmal an.“ und basta. Irgendwie aber auch nicht, weil nach vier Wochen löschen sich Nachrichten automatisch, und wenn ich sie nicht zufällig abgehört habe, denkt womöglich irgendwo ein Mensch völlig zu Unrecht, ich würd ihn ignorieren, mich nicht interessieren, nicht lieben – und dass dann vielleicht ein Herzerl bricht, das wär mir ganz und gar nicht recht. Wie’s anders funktionieren kann, hat mir vor ein paar Monaten der Anrufbeantworter meines alten Festnetztelefons gezeigt, das seit Jahren nicht mehr in Benutzung ist und das ich einmal an den Strom steckte, um zu sehen, ob’s denn wohl noch funktionieren würde. Nebst vieler Lichteln blinkte auch das der AB-Station und zeigte rotleuchtend eine Zahl. Nanu, dacht ich, was hat’s denn da noch für alte Nachrichten? Und spielte sie ab. Kurz darauf war ich in Tränen aufgelöst und sicher, dass der AB niemals weggeworfen werden darf, enthält er doch gewissermaßen Botschaften aus einer Zeit, die viel zu lange schon Vergangenheit ist. Jahr für Jahr zum Geburtstag haben meine Großeltern angerufen – auf Festnetz statt dem teuren Handy. Jahr für Jahr haben sie mich darum nicht erreicht, dafür aber unerschütterlich Botschaften hinterlassen, die ich nun eine nach der anderen wiederfand. Stets zu zweit am Telefon formulieren sie ihre Glückwünsche aufs Band, mal singend, mal dichtend. Stets eingeleitet vom liebsten Kosenamen, mit dem der Großvater mich von klein auf zu sich rief und den ich heut noch hören kann als hätt er’s gestern erst gesagt. Und wie mir von Jahr zu Jahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen beschieden wird, so werden von Jahr zu Jahr die Stimmen älter. Schwächer. Die Lieder dünner, die Worte undeutlicher, die Hand zittriger. „Keine. Neuen. Nachrichten“, sagt der AB irgendwann, und ich weiß, dass nichts mehr kommen wird, nie mehr. Zum Geburtstag hör ich mir die alten Nachrichten an. Ob Gottes Segen so noch funktioniert, weiß ich nicht. Der der Großeltern tut es allemal. Gelöscht? Wird hier gar nichts.

Freitag, 1. März 2024

Saustall

 Letzte Woche hab ich außerplanmäßig eine Freundin heimgesucht. Nicht so richtig spontan, aber halt auch nicht richtig ausgemacht, sondern so „Du daheim? Dann ich gleich da.“ Das war nötig, denn zuvor hatte ich meinem Wohnwagen einen Kontrollbesuch erstattet, um ihn auf Winterwetterschäden zu inspizieren und dabei entdeckt, dass es sich über den Winter eine Untermieterin bei mir bequem gemacht und mir eine Nachricht aus schwarzen Knödeln und zerfetztem Polsterstoff hinterlassen hatte – Maushalt lässt grüßen. Mein Zorn war groß, sodass ich einen Wald anschreien und hierbei die Freundin um Assistenz bitten wollte. Die sprach: „Klar total gerne, aber bei mir ist üüüü-ber-haupt-nicht aufgeräumt.“ Ein Satz, den man oft hört, noch öfter selber sagt und ihm darob wenig Glauben schenkt. Ich fuhr also hinaus aufs Land, betrat das Eigenheim und war sogleich entzückt, begrüßte mich doch an der Tür nicht nur die Freundin, sondern mit ihr ein veritabler Saustall. „Mei, da schaut’s aber aus“, hab ich klug bemerkt und mir durch Pflanztöpfe und Wäscheberge, Kartonagen und Schuhsammlungen einen Weg zur Küche gebahnt, wo ich vorsichtig und elegant vorbei an Geschirrhaufen und Glastürmen griff – Kitchen Impossible! – und mir ein sauberes Trinkgefäß hervorfischte. „Hab ich doch gesagt!“, rief die Freundin von irgendwoher durch den Saustall, und da hatte ich sie sehr lieb. Denn normal ist das nicht. Normalerweise räumen Menschen blitzartig auf, sobald sich ein Besuch (ich) androht. Selbst in den paar Sekunden, die es dauert, bis die Gästin nach dem Klingeln die Tür geöffnet und die mal mehr, mal wenigeren Meter zur Schwelle überwunden hat, rasen sie auf Feuerkufen durch die Behausung, stopfen Geschirr in die Spüle und Dreckwäsche unters Bett, wedeln im Vorbeirennen mit dem Ärmel den gröbsten Staub vom Mobiliar, brausen mit der linken Hand übers Waschbecken und reißen mit der rechten alle Fenster auf. Betritt der Besuch (ich) dann die Gemächer, empfangen diese ihn picobello und blitzsauber, wohlgestaltet und wohlriechend und in keinster Weise Zeugnis davon ablegend, wie groß das Ausmaß des Chaos‘ noch wenige Minuten zuvor in Wahrheit war. Der Besuch (ich) sagt dann „Ist doch wie immer alles tutti“, und der Mensch murmelt „Ach naja …“ und schließt dabei die Augen nicht wirklich vor Verlegenheit, sondern um nicht dem unterm Bett hervorwinkenden Wäscheberg zurückzuzwinkern. Später geht die Gästin wieder und denkt sich, dass es doch nicht wahr sein kann, dass alle Leute immerzu so blitzsauber wohnen, nur ich selbst hab ständig Saustall, und es überkommt mich eine große Traurigkeit und Trübsal ob der eigenen Lebensunfähigkeit plus Zorn auf den Mitbewohner, der ja mindestens halbschuld ist, vermutlich eher mehr … Die Maus hat das übrigens anders gelöst und von innen den Wohnwagen verriegelt. Jetzt komm ich nicht mehr rein. Auch recht.

Freitag, 23. Februar 2024

Flanking for Immunsystem

 Es gibt zahlreiche wunderbare Elternsprüche, die über Generationen hinweg weitervererbt werden und ihre Aktualität niemals absolut verlieren, sondern sich lediglich die Bedeutsamkeit gemäß des Hermeneutischen Zirkels über den individuellen Verlauf des Lebens hinweg ändert: Der Spruch bleibt der selbe, nur ich versteh ihn je nach zurückgelegtem Lebensweg und dabei angeeigneten Erfahrungen anders. Zu diesen Sprüchen gehört „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, womit Elternpersonen seit mutmaßlich Jahrhunderten ihren Unmut über die Klamottenwahl des Nachwuchses zum Ausdruck bringen und finden, dass extravagantes Beinkleid und Frisur höchstens Mittel karnevalistischen und darob saisonal beschränkten Gebarens sein sollte statt Alltagskleidung. Je nach Alter frustriert einen dieser Satz, um später zu erbosen („Jetzt erst recht!“), woraufhin eine lange Phase folgt, in der man den Ausspruch gänzlich vergisst bis zu exakt dem Tag, an dem man Menschen in badewannenförmigen Gummistiefeln mit Plateau-Absatz und Strasssteinchen nebst Hochwasser-Schlaghose, Puffärmelchen aus Pannesamt und „Wir hatten ja nüscht“-Topffrisur erst auf der Straße und später als Schwarm im einschlägigen Café entdeckt. Dann hört man jemanden verächtlich brummeln „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, um kurz darauf zu erkennen, dass dieser jemand man selbst war, um sich fortan in Schmerzen zu winden und nicht zu wissen, ob diese Schmerzen herrühren von einem schier unerträglichen Maß an Fremdscham, dem gnadenlosen Bewusstsein der eigenen Unmode oder schlicht dem Umstand geschuldet sind, ganz offenbar um 25 Jahre gealtert zu sein und unversehens im genau richtigen Lebensabschnitt gelandet zu sein, um den vormals so verhassten Elternspruch höchstselbst voll Inbrunst vergleichsweise laut auszusprechen. Nach diesem literaturwissenschaftlich-philosophischen Exkurs kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema der Woche, nämlich „Flanking“. „Nicht schon wieder, das ist doch wirklich seit Jahren durchgeömmelt“? Ist es nicht, denn just vergangene Woche habe ich, dem Puls der Zeit stets zuverlässig um einen Herzschlag hinterherjuckelnd, erfahren, was der wahre Grund fürs Eisbein ist. Ich (bis zur Nase verhüllte Daunenraupe, dicker Schal, lange Unterhose, Jeans und gefütterte Stiefel leider ohne Heizsohlen) traf die Freundin, die zum leichten Wollmäntelchen modische Sneaker und eine Hose trug, die den Gesetzen der Physik trotzte und für die man vor 30 Jahren oder so wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingesperrt worden wäre: durch Nähte zusammengehaltene Löcher, mehr Netz als Jeans. Ich: „Sag mal, bist du irr?“ Sie: „Na wieso, das ist gut fürs Immunsystem.“ Da saß ich baff im Eiswind und grüble seitdem. Ein Ergebnis steht bislang noch aus. Entschuldigung!

Freitag, 16. Februar 2024

Die Abwesenheit von Frühling

 Grade eben hat eine Muse mich geküsst. „Schreib was über Frühling“, hauchte sie mir zu, „das geht immer.“ – „Das ist richtig“, sagte ich der Muse und wischte mir den feuchten Schmatz von der Wange, „doch leider ist überhaupt kein Frühling da, sondern nur ein Winter im abscheulichsten Gewand, nämlich dem des Februars – dieser grauslige Monat der herben Enttäuschung.“ Der Februar zertritt die Hoffnung der Menschen auf Wärme und Sonnenlicht unter seinen groben Sohlen und lässt erste verwirrte Insekten das gleiche Schicksal angedeihen. Er kündet von Neubeginn und Lebensfreude, nur um jeden dergestalten Anflug sogleich unter einer gewaltigen Faust zu zermalmen. Der Februar schickt sogenannte „Vorboten“ des Frühlings in die Straßen, nur um sich dann um so diebischer zu freuen, wenn der Mensch nach dem Köder schnappt wie nach den Würsteln an der Schnur – und ins Leere fällt. So ein Mensch saß neulich in einem Straßencafé. Es war noch nicht mal ein Straßencafé, denn das eigentliche anvisierte Straßencafé hatte zu, und so musste man in die Nebenanlokalität ausweichen, aus der unablässig feine Speisen in großen Papiertüten hinausgetragen wurden, ein sogenanntes „Take away“, aber weil der Februar angekündigt hatte, uns mit mehreren Stunden Sonnenschein zu beschenken, mussten wir das Fest feiern wie es fiel und durften nicht wählerisch sein. Aus den mehreren Stunden Sonne wurde dann ein nur wenige Minuten andauerndes Gefunzel aus den Lücken im dunklen Wolkendickicht, aber für ein reflexhaftes Aufsetzen aller Sonnenbrillen und wohlige „Aaaaaahs“ hat es sehr wohl gereicht, außerdem zwei wichtige Nachmittagsschoppen. Es folgten Eisfüße und frühe Kopfschmerzen samt der Frage, ob es das jetzt wirklich gebraucht hat. Aber ja verdammt, das hat es! Man kann ja den Februar ruhig verachten für seine Gemeinheiten, für seine Sonnengrüße, die er hinter sibirischen Winden versteckt. Für seine ollen Schneeglöckchen und Krokusse, mit denen er das schaurige Graubraun der zerwinterten Landschaft tupft, um dann eilig eine vorerst letzte Ladung Schnee und Eis darüberzukippen und „Upsi, ich hab’s gar nicht so gemeint“ zu kichern. Für seine vogelzwitschernden Konzerte und plötzlich hellen Abende, die einen Blick auf eine möglicherweise schöne Welt erhaschen lassen, bevor der Vorhang aus dichten Regenschleiern fällt und alle Hoffnung zunichte machen, man könne in absehbarer Zeit das Haus ohne Schirm und Friesennerz verlassen. Insofern fällt es mir, liebe Muse, ausnehmend schwer, über den Frühling zu schreiben, doch was wohl gehen könnte, wäre die Thematisierung der Abwesenheit desselben. Ich schau mal, was sich machen lässt.

Freitag, 9. Februar 2024

Faschingswolpertinger

 Mir fliegen gleich die Löcher aus dem Käse wenn noch einer sagt „Jetzt gibt‘s Polonaise!“ … Leute Leute, ihr und euer Fasching! Ich will nicht direkt sagen, dass ich damit nichts am Hut habe, aber als ich die Tage in der Abenddämmerung an einer Bushaltestelle vorbeifuhr, an der eine Frau saß, aus deren Kopf weithin sichtbar zwei gefährliche Stangen ragten, habe ich die Bremse reingehauen, um mich nach ihrem Wohlergehen zu erkunden, bereit, erste Hilfe oder wenn nötig auch die letzte Ölung zu leisten. Es war dann nur ein lustiger Kopfreifen mit lustigen Insektenfühlern drauf und die Situation konnte mit einem peinlich berührten Lachen geklärt werden. Aber hey – damit kann doch nun wirklich keiner rechnen, der nicht ursprünglich aus dem Rheinland stammt, im Kindesalter versehentlich Funkenmariechen statt Balletttänzer geworden ist oder zur Strafe für irgendein Vergehen biblischen Ausmaßes neulich dazu gezwungen war, schreckliche, endlose TV-Übertragungen aus Sportvereinsheim oder wie das heißt über sich ergehen zu lassen. Nichts davon trifft auf mich zu. Bin also dieses Jahr bislang karnevalistisch gänzlich unbeleckt durchs Leben gegangen bis zum Insektenvorfall – wobei man ja froh sein muss über dessen vergleichsweise glimpflichen Ausgang, denn scheinbar wäre mir durchaus zuzutrauen, dass ich auf der Straße Panzerknacker-Mimen niederringe oder wegen vermeintlich schwer verunfallter Personen und Zombie-Invasion in der Innstadt einen Polizeigroßeinsatz auslöse. Denn, so hab ich nach reiflicher Überlegung feststellen müssen, befindet sich meine innere Haltung derart extraterrestrisch weit weg von fünfter Jahreszeit und Co, dass ich selbst beim Anblick kreischbunter Teiglinge, wie sie grad in neonblau bis giftgrün die Bäckerauslagen bevölkern, nicht die innere Konfettikanone zünde, sondern mir lediglich ein schwaches „Aha.“ entfährt – Onomatopoesie gewordenes Desinteresse statt heiterem Karnevalsgruß. Hätte ich mich etwas früher mit dem Kindlein unterhalten, so hätte mir dieses womöglich den Horizont früher erhellt: „ISAB SON MEIN TOSTÜÜÜM!“ sprach es vorgestern und führte aus: „TigerlöwepiratUNDprinzessin!“, was ich mir äußerst possierlich vorstelle. Das Beste aus vier Welten, ein kleiner Faschingswolpertinger. Inspiriert hab ich mich sogleich auf die Suche begeben nach einem Wolpertingerkostüm (für mich), was nichts verwertbares zutage gebracht hat, dafür aber einen alten Wunsch, den ich vor vielen Jahren innig gehegt und dann wohl irgendwann ad acta gelegt habe: Besitzerin eines aufblasbaren T-Rex zu sein, auf dem ich fortan durch die Straßen der Stadt reiten kann und Angst und Schrecken verbreiten bzw. friedlich im Straßencafé sitzen und dort versuchen, mit meinen superkurzen Stummelärmchen elegant an meinen Matcha Chai Latte zu kommen. Aha! 

Freitag, 2. Februar 2024

Zauberer Schrappelschrut

 Woran merken wir, dass gestern wieder „beste Tante der Welt“-Tag war? Richtig, daran, dass im Kopf der vorgenannten (ich) anstelle hintersinniger Bonmots, feiner Alltagsbeobachtungen und dialektischer Essays ein kleiner Affe auf einem Einrad fährt, der bei jeder Pedalumdrehung heftig zwei kleine, doch äußerst laute Schellentrommeln aneinanderschlägt und dabei singt „Das ist der Zauberer Schrappelschrut mit seinem großen Zauberhut …“ Lenk ich mich ab mit einer Tätigkeit, so schweigt der Affe, doch kaum denk ich mir: Der Ohrwurm ist überstanden, jetzt schreibst du mal deine Kolumne, schwingt sich das garstige Tier sogleich auf und zieht schreiend Kreise durch meine Gehirnwindungen. Es ist nicht so dass ich mich darüber weiter wundern würde, denn während andere Autofahrer ihre Wege bestreiten, indem sie unter vollem Einsatz ihres Subwoofers Geschäftstelefonate oder solche mit der Eheperson über noch zu tätigende Lebensmitteleinkäufe führen und mich an der roten Ampel stehend kulinarisch inspirieren („HOLST DU DANN NOCH DIE ZUCCHINI FÜR HEUT ABEND?“ – „ICH DACHTE WIR ESSEN ABENDS KEINEN SALAT MEHR!“ – „NICHT GURKE! ZUCCHINI!!“), hören der Lieblingszwerg und ich auf den Fahrten zwischen unseren großen Abenteuern das feuilletonistisch völlig unterschätzte musikalische Großwerk „1, 2, 3 im Sauseschritt“ von „Detlev Jöcker und seinem Menschenkinderchor“. Und wenn wir besonders gut drauf sind, heizen wir im Auto ordentlich ein, kurbeln die Fenster runter und versuchen, an der roten Ampel lauter zu sein als die Zucchini-Einkäufer: „Sille sulle sap, zille zulle zapp, schnippe schnuppe schnappdiwupp, feise fuse fallerup, baule daule dapp“ ist sowohl vom Informationsgehalt wie auch vom intellektuellen Anspruch her mindestens gleichauf mit den Textzeilen einschlägiger Chart-Stürmer. Ich möchte mich auch gar nicht beschweren über den Ohrwurm. Vielmehr ist es so, dass man dankbar sein muss, das sich nur dieses von außen betrachtet vergleichsweise unauffällige Restl in mir festgesetzt hat. Würde mein restlicher Körper ein ähnliches Verhalten zeigen, ritte ich womöglich immer noch auf einem zum Hexenbesen umfunktionierten Rechen durch die Straße, äße Streuselkuchen um die Wette, muhte, mähte und quakte in allen Tonlagen oder malte mit Straßenkreide Sonnenblumen an Hauswände – was man halt so macht als erwachsene Person ohne dezidierten Erziehungsauftrag. Dass ich das nicht tue, beweist mir, dass ich zwar vollkommen die Kontrolle über diese Kolumne verloren habe, nicht aber über mein Leben, und voraussichtlich später beim Einkaufen (Zucchini!) nicht Gefahr laufe, mich an der Kasse zu Boden zu werfen und so lange zu brüllen, bis mir jemand ein Ü-Ei schenkt. Wobei … Eigentlich find ich den Gedanken gar nicht so schlecht. Schrippel, schrappel, Huckebein – du darfst heut ein Kleinkind sein!

Freitag, 26. Januar 2024

Altpapier

 Wenn mich jemand fragen würde „Auf einer Skala von eins bis zehn: Als wie faul schätzt du dich derzeit selbst ein?“ täte ich folgende Geschichte erzählen: Wie jeder brave Bürger habe ich in meiner Küche eine Müll-S(i)t(u)ation. In preußischer Ordnung stehen verschiedene Behältnisse bereit, mit verschiedenem Müll befüllt und von Zeit zu Zeit in große Tonnen entleert zu werden. Also nenne ich eine Altglassammelstelle mein Eigen sowie eine kleine Kompostieranlage, die wegen Dings erst dann zur grünen Tonne verbracht wird, wenn sie eigenständig dorthin zu laufen droht. Außerdem einen Gelben Sack, der keiner mehr sein darf und deswegen jetzt ein großer Müllbeutel ist. Und dann wär da noch das Altpapier, um dessen Entsorgung sich eine klitzekleine Unsitte eingebürgert hat. Weil es mit Mühen verbunden ist, die Box mit Werbemitteln, Rechnungen und Parteiflyern regelmäßig zu schultern, ein volles Stockwerk nach, zur blauen Tonne und das Ganze wieder retour zu wandern, wird Altpapier seit einiger Zeit klug in Behältnissen gesammelt, die ohnehin auch zum Wegwurf bestimmt sind, z. B. eine Papiertüte. Die Idee ist also: Wenn ich dann einmal das Haus verlass, nehm ich den ganzen Klumpatsch einfach locker untern Arm geklemmt mit hinunter, entledige mich des Altpapiers samt Behältnis und gehe pfeifend meiner Wege, anstatt die schreckliche Tortour des nochmal-Raufgehens zu durchleiden. Nach einem ganz ähnlich ausgeklügelten System funktioniert übrigens auch die Entsorgung des Altglases: Man stelle leeres Marmeladenglas & Co. möglichst störend neben die Wohnungstür, um immer dann, wenn man das Haus verlässt, die Recyclingware mitzunehmen und sie in den nächstgelegenen Container zu entsorgen. So die Theorie. In der Praxis verlässt man (ich) das Haus immer derart auf den letzten Drücker, dass ein einsekündiges Innehalten am Altglascontainer (ich hab es einmal versucht mit elegantem Einwurf im Vorbeilaufen, danach hab ich gehofft dass mich niemand gesehen hat und die Idee eilig begraben) absolut außerhalb des Machbaren liegt. Das gilt vor allem bei der Reise mit dem Fahrrad, wo im Korb – wie praktisch! – viele Gläser auf einmal transportiert und entsorgt werden können. Wenn man dran denkt. Wenn man nicht dran denkt, zum Beispiel, weil man so beschäftigt ist damit, sich ein Thema für eine Kolumne zu überlegen, fährt man gern einmal tagelang leere Honig-, Gurken- oder Weingefäße von A nach B und macht dabei lustige Geräusche … Nach einigen Tagen Thrill (Wie lang wird sie halten?) mit der Papiertüte ist diese soeben unter dem Druck eines winzigen Teebeutelpapierchens geborsten und hat sich auf den Küchenboden entleert. Ich hab mir gedacht „Jetzt ist’s eh auch wurscht“ und hab das nächste Papierl direkt einfach dazugeschmissen … Ob’s die Antwort auf die Frage auch in kurz gibt? Ja: 15.

Freitag, 19. Januar 2024

Glatteis

 Ok Leute, ich war echt vorbereitet an diesem 17. Januar. Ich hatte kleine Carepakete mit Streusalz geschnürt, um sie Passanten in misslicher Lage zuzuschussern. War dick eingesalbt mit Gesichtsschutzcreme (die Barriere!), hatte Taue und Seilzüge um meine Schultern geschwungen, um Menschen, Autos und Busse aus dem Stadtgraben zu befördern sowie Kinderwägen und Rollatoren den Burgberg hochzuziehen. Hatte meterweise Schleifpapier (CAMI 12) in den Taschen, um vorbeischlitternde Ledersohlen den notwendigen Grip zu verleihen. Das Abendessen vom Lieferdienst war weise schon am Vorabend bestellt, damit der rechtzeitig losfahren konnte. Es fehlten einzig meine Schneeketten an den Wanderschuhen und: das Jahrhundertglatteis, das mir versprochen war … Vor vielen Jahren war ich mal auf einer Kaffeefahrt. Ok, in Wahrheit war es eine Restalkohol-und-Glühwein-Fahrt, aber das soll nur der Ehrlichkeit halber Erwähnung finden. Mit dem Verlauf des Ausflugs hatte das nämlich nur marginal zu tun. Der Ausflug begann am frühen Vormittag mit einer Person (ich), die sich mit dem Verlassen der Haustür unversehens auf ihren vier Buchstaben wiederfand und aus dieser bequemen Lage heraus einer zweiten Person dabei zusah, wie diese gemächlich, doch unstopable den minimal abschüssigen Gehsteig entlangglitt, unkontrolliert mit den Armen ruderte, dabei zufällig nach einigen Metern einen Ampelmast zu greifen bekam, um welchen sie eilig ihre Extremitäten wickelte und sich verdutzt die Augen rieb ... Da hingen die zwei Eislaufprinzessinnen also, verstanden die Welt nicht mehr, tapsten dann in Pinguinhaltung (Oberkörper voraus) gen U-Bahn und staunten, während eine Freundin, so erfuhr ich später, grade erst zu Hause angekommen war, nachdem sie Stunden zuvor ein Tanzlokal verlassen und den vermeintlich kurzen, doch burgbergversperrten Heimweg nurmehr auf allen Vieren und unter dem Einsatz ihrer Stilettos als Steigeisen bewältigt hatte ... Auf dem Weg zur U-Bahn, den wir nur hangelnd zurücklegen konnten, kreuzten wir querstehende Busse, rückwärts schlitternde Autos und Käfermenschen, und wie genau wir’s damals zum Bahnhof geschafft haben, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Der Ausflug ging in die Annalen ein, was einerseits der weltbeeindruckendsten Eisschicht zu verdanken war, mit der ganz Franken an diesem 6. Januar überzogen war wie mit Fondant, andererseits der vollständigen Abwesenheit irgendeiner Art von letzte Woche bereits angesprochener Outdoor-Ausrüstung, da der Mensch damals noch jung, eitel und ignorant war und sich im Gegensatz zu heute sehr gut mit Indoor-Ausstattung auskannte, nur dass die damals aus Stöckelschuhen, Glitzertäschchen und Lippenstiften bestand anstatt wie heut aus Plüschonesie und portablen Heizdecken. Dahin hab ich mich dann wieder verkrochen. „Wetter“ ist auch nicht mehr das, was es mal war.

Freitag, 12. Januar 2024

Indoor-Ausrüstung

 Der Bayerische Wald und ich. Eine Liebe, die vor einigen Jahren als ironisches Statement geistiger Frühverrentung begann. Während andere in Tirol und dem Wallis herumstapften und die Vorzüge der weiten Bergwelt rühmten, legte ich eine Klopapierrolle auf die Hutablage und fuhr von Heimatsendungen des Bayerischen Rundfunks begleitet gen Osten, um im Anschluss über „genau so schön“, „viel näher“ und „so günstig“ zu referieren, zudem Sprachbarriere hüben wie drüben zwar gleich, doch heimatliche Gefühle zum Waldgebell wegen emotionaler Nähe zum bayerischen, weil familiären Idiom. Dann bin ich da einfach hängengeblieben, was mittlerweile zumindest hinsichtlich der geistigen Frühverrentung nicht mehr weiter auffällt. Dementsprechend habe ich in der ersten Jahreswoche, während der Pöbel noch erdrückt von der Last seiner eigenen Neujahrsvorsätze (oder eines veritablen Katers) daheim brachlag, meine 120 Pferdestärken gesattelt und bin in den geliebten Wald gesaust, um mitsamt allen Geschwistern nebst Kind und Kegeln nicht nur meine Nerven, sondern vor allem auch sämtlich vorhandene Outdoor-Ausrüstung auf eine schwere Probe zu stellen. Das war so nicht geplant. Versprochen waren mir Poolentspannung, Saunagänge und Winterwonderland. Ersterer jedoch fand sich nach langer Suche auf dem Herbergsgelände zusammengefaltet in einer Gartenecke wieder, um dort auf den Einsatz im Sommer zu warten. Zweitere stellte sich als wenig liebevoll und vor allem wenig beheizte Installation im Herbergskeller heraus, und der Genuss von drittens wurde empfindlich gestört von Tief Annelie, das mit vollen Regenbacken über uns zum Stehen kam, um sich dort anhaltend zu entleeren. Die gute Nachricht: Ich weiß jetzt, dass meine Outdoor-Ausrüstung mich für alles von -10° Tiefschnee über orkanartigen Sturm mit Überschwemmung bis horizontalen Starkregen auch über längere Zeit bestens imprägniert und kann mich fortan einem Thema widmen, das nicht minder wichtig, doch bislang schmerzlich vernachlässigt ist: der Indoor-Ausrüstung, zu der es vergleichsweise wenig Literatur, dafür jedoch größten Bedarf gibt. Mögliche zu verhandelnde Sujets könnten hier sein „Hüttenschuh oder Lammfellsocke – dein perfektes Fußklima auf der Couch“, „Die Häutung der Riesenboa – effizient, doch elegant beim Toilettengang trotz Plüsch-Onesie“, „Wärmflasche vs. Zimmerbrand: Wir entdecken Vor- und Nachteile“, „Kinetik Grundkurs I.: Wie viel Wärme erzeuge ich im Liegen?“ oder „Endlich Heimwerken – Fußbodenheizung nachrüsten mit Heizdecken aus dem Discounter“ und „Spieglein, Spieglein: Effektives Isolieren mit Alufolie“. Fröhliches neues Jahr!