Freitag, 25. März 2022

Covid gegen Goliath

 O Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund! Ach was Seele – Körper würde mir voll und ganz reichen, ich bin da gar nicht so anspruchsvoll. Aber Körper wär knorke! Weil sagen wir mal so: Also ganz arg vielleicht könnt ihr eure Zapfanlagen wieder einstecken, denn es ist nicht erforderlich, mich als den letzten unverwundbaren Menschen auf Erden irgendwo in einer geheimen Anlage für den Notfall zu konservieren. Ecce homo! Oder wie der Lateiner sagt: Memento mori – auch du bist sterblich! Dafür war ausnahmsweise nicht notwendig, mir auf meinem goldenen Schlachtwagen hinterherzulaufen und mich zwischen Seifenblasen und Lorbeerkranz vom Größenwahn abzuhalten wie sonst üblich in der Geschichte, sondern es hat gereicht, dass die Strafe justamente auf den Fuß folgte und mich ab Donnerstag erst ein juckender Hals („sicher nur der Heuschnupfen“), am Freitag lautes Niesen („dieser Heuschnupfen!“) und am Samstag ein blutroter Strich auf einem Teststaberl begrüßt haben. Was mir eine große Schwäche eingebracht, meinem Umfeld aber kaum mehr als eine höfliche Kenntnisnahme abgerungen hat. Komisch auch. Wir erinnern uns, heute vor zwei Jahren: „AB EINER INZIDENZ VON 35 MACHEN WIR DEN LADEN DICHT, KEINER VERLÄSST MEHR DEN UMKREIS VON 10 KILOMETERN, BLEIBT GEFÄLLIGST DAHEIM!! Heute: „Haha witzig, bald müssen sie oben an der Tagesschau noch einen Streifen Bildschirm ankleben um die Inzidenz komplett zu zeigen, machen wir morgen Ausflug?“ – „Nee kann mir Benzin grad nicht leisten.“ Hauptsache Freedom-Day, den ich lieber gern künftig als D-Day bezeichnen würde: Tag der Durchseuchung. Nur gut, dass der Onkel Lauterbach und der Onkel Drosten (uns) auf den Booster gesetzt haben! Der Himmel weiß, wie’s sonst hier zugehen würde, aber das können wir ja demnächst alle die 15 Millionen Menschen aus Afrika fragen, wenn sie von außen schüchtern ans Fenster vom Deli klopfen und sagen, dass sie doch auch nur gern ein bisschen was zu essen gehabt hätten. Aber hey – lasst euch den Appetit nicht verderben, das geht auch vorbei. So wie dieser mein Corona-Kampf auch, den ich vorerst verloren habe. Wir kennen das aus der Bibel: Bei Covid gegen Goliath hat auch am End der Kleinere gewonnen. Häng ich also daheim, eingesperrt in eine auf Schuhkartongröße zusammengeschrumpften Wohnung, zwischen mir und dem sich zu einer pulsierenden … Naja. Wie’s dem Mann geht? Also naja: Ich weiß nicht genau, ich hab ihn seit einer Woche nicht mehr gesehen, der ist ja jetzt im Keller. Ob ich ihn hochholen sollte?

Samstag, 19. März 2022

Der personalisierte Rotbäckchensaft

 Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Süds… Nee Quatsch, anders: Es ist 2026, alle Menschen sind weg, es riecht ranzig. Auch daheim? Ja, meine Viruslast war klein! Na fein, herein, willkommen im Allein! … Ich pirsche durch die leeren Straßen, nur hier und da ein Rascheln vom Wind oder einer dieser Horden wildgewordener Möpse und Pekinesen. Sie stören mich nicht, es ist gut, denn mit der Steinschleuder aus meiner Kadda-Croft-Ausrüstung kann ich mich gegen die verwilderten Schoßhündchen so gut wehren wie gegen die gelegentlichen Angriffe verzweifelter Zombies, die mir hinter Türmen aus Lieferservicetüten und Amazon-Kartons auflauern, um mich zu fangen und in bester Mad-Max’scher Manier anzuzapfen. Denn alles, was sie wollen, ist mein Blut: immun gegen Corona, unbesiegbar in der Welt … Na gut, das ist vielleicht eine etwas dystopische Fantasie, also hysterisch meine ich eigentlich. Aber die gefällt mir allemal besser als die, der ich in den letzten 36 Stunden hilflos ausgeliefert war: zehn Tage Quarantäne, eingesperrt in eine auf Schuhkartongröße zusammengeschrumpfte Wohnung, zwischen mir und dem sich zu einer pulsierenden Erektion aufrichtenden Frühling eine dicke Fensterscheibe, an der ich meine tränende Rotznase plattdrücke und sehnsüchtig darauf hoffe, dass wenigstens eine Taube, eine Schmeißfliege, irgendwas mich besuchen und von meiner Isolationshaft ablenken können ... Seit Monaten warte ich darauf, dass es mich erwischt, dass ich den falschen Schritt beim Corona-Minesweeper gehe, der seidene Faden des über mir sanft schaukelnden Damoklesschwerts nach einem zu heftigen Lacher reißt, die hübsche Schlinge, die ich mir lässig um den Hals gelegt habe, sich plötzlich zuzieht, dem Booster, auf dem ich durch die Wochen reite, doch noch der Saft ausgeht. Um mich herum: alle krank, die Zahlen gehen Bergsteigen und schicken sich an, zum Mond zu kraxeln. Mittendrin: ich, ein strahlender Leuchtturm der Gesundheit, der personalisierte Rotkäppchensekt, nein: Rotbäckchensaft. Spätestens, als nach einem Superspreaderevent die ganze Familie sich höflich winkend in Isolation verabschiedete, war ich mir sicher: Jetzt erwischt’s mich auch, doch das einzige, was mich traf, war fortan ein Schicksal der beständigen Botengänge, Einkäufe und Nahrungslieferungen. „Bitte!“, hab ich gefleht, „Nimm mich jetzt, du böse Seuche! Und nicht wenn alles wieder gesund ist und das Wetter schön!“ Umso größer also der Schreck, als der Mann mir vor zwei Tagen mit Leichenbittermiene einen roten Strich unter die Nase hielt. „JETZT BRAUCH ICH’S AUCH NICHT MEHR!“ bin ich tobend zur Testung geeilt – und siehe da: Ich hab’s auch nicht. Juhu! Nächste Woche erzähl ich mehr. Themen: Trennung leicht gemacht – gemeinsam durch die Quarantäne, und: Corona – ein Männerleben im Keller ist hart, aber möglich.

Samstag, 12. März 2022

Einsicht, Demut, Eierlikör

 Altern ist eine für mich äußerst undurchsichtige Angelegenheit aus Zahlen, Gefühlen und Eierlikör. Vor einigen Wochen durfte ich ein lehrreiches Gespräch mit einem Herren führen, der als japanischer Kulturbotschafter seit vielen Jahren in Deutschland lebt und wirkt und sich in dieser Position nicht nur um Völkerverständigung bemüht (erfolgreich) als auch unversehens mir die vom Zen Buddhismus geprägte japanische Mentalität nahezubringen versuchte (geduldig). Hierbei lernte ich: Der Mensch kommt als fehlerhaftes Wesen voller Leid zur Welt, was unschwer zu erkennen sei am zornigen Geschrei, mit dem Neugeborene uns begrüßen und fortan durch das Leben schreitet im Bestreben, nicht nur die eigene Vergänglichkeit und Makelhaftigkeit zu akzeptieren, sondern auch die der anderen. Was sich sich beispielhaft manifestiere in einer japanischen Entschuldigungsformel, welche frei übersetzt „Ich habe keine Ausrede“ bedeute, also: Ich hab dich zwar angerempelt, bin aber doch auch nur ein Mensch wie du und mache Fehler – bitte vergib mir. Und damit denkbar weit weg ist vom deutschen „Entschuldigung“, das sich anschaulich im typischen Armehochreißens auf deutschen Sportplätzen materialisiert, mit dem Fußballspieler anzeigen, dass sie zwar gerade möglicherweise versehentlich eine Blutgrätsche verübt haben, für den darauffolgenden Gegnersturz jedoch unmöglich verantwortlich sein können, im vogelzeigenden und scheibenwischenden Vorbeilichthupen auf der linken oder alternativ auch Standspur deutscher Autobahnen, das anzeigt „Ich fahre zwar möglicherweise 68 km/h zu schnell und damit 53 schneller als du und hab dich grad geschnitten, aber du müsstest ja auch nur schneller fahren.“ oder die zauberhafte Geste in Supermarktschlangen, bei denen dir die Hinterperson mehrfach liebevoll mit dem Einkaufswagen über die Fersen streichelt und damit nichts anderes sagen will als „Ich hab’s wirklich irre eilig, es tut mir wirklich leid.“ und dem ganzen mit einem weiteren Hieb in die Hacken zärtlich Ausdruck verleiht. Anstatt anstandshalber eine dreifache Pirouette zu drehen und sich somit erdwurmgleich vor dem Angerempelten in den Staub zu werfen, um mit dunkelrotem Schamgesicht um Verzeihung zu flehen, ist das höchste der Gefühle auf hierzuländigem Anstandsparkett ein hingeschnoddertes „Tschullo“, dem meist eine eilige Flucht folgt ... Es sei der Mensch also sein Leben lang danach bestrebt, seine eigene Fehlerhaftigkeit zu korrigieren und die Vergänglichkeit in Balance zu bringen, in Einsicht, Würde und Demut zu altern, auf dass er nach dem Tode das Nirvana und hierin die Erlösung finde. Das mit der Einsicht und Demut hab ich verstanden. Über die Würde – muss ich nachdenken. Am besten mit einem Gläschen Eierlikör.

Freitag, 4. März 2022

Wir halten die Stellung

 Ich habe einen Kollegen aus der Spaßabteilung gefragt, wie er grade mit der Situation umgeht. Ob er lustig sein möchte oder überhaupt kann, ob sich ihm nicht auch alles irgendwie falsch anfühlt und unpassend. Donnerstag letzte Woche noch wollte ich eigentlich schreiben über die Unzumutbarkeit der Situation, inmitten zweier exorbitant lauter Baustellen eingekesselt zu sein, die mich von frühmorgens bis spätabends mit kanonendonnernden Tiefboboboboharbeiten und dem maschinengewehratatatatatatigen Gehacke vieler Presslufthammer behelligen. Zum Nachdenken hatte ich kurz das Radio angemacht und nach fünf Minuten erfahren, dass eine solche Kolumne sich von selbst verbietet. Am selben Tag korrigierte ein anderer Kollege in letzter Minute die metaphorisch gern genutzten „Schützengräben“ aus seinem Musikkulturartikel. Die Verunsicherung ist groß, jeder versucht, sich irgendwie zu verhalten, tun, was man am besten kann, und wenn es nur die Flucht ist innen drinnen. Ich kann gut Sachen nachlesen, und deswegen bin ich in meine Bücher geflohen und habe geschaut, was eigentlich schon in uns drin steckt an Krieg, ohne dass wir’s merken – und was wir darum vielleicht hier und da überdenken könnten. Denn es sind bei Weitem nicht nur die Schützengräben oder das Eingekesselt sein, mit dem es sich die Militärsprache bei uns bequem gemacht hat als hätte es nie was anderes gegeben. 08/15 finden wir heute stinklangweilig und normal, ist aber eigentlich der Name eines deutschen Maschinengewehrs aus dem Ersten Weltkrieg. Etwas „von der Pike auf“ zu lernen bedeutet, mit der einfachsten Lanze als rangniedrigster Dienstgrad die Karriere im Heereswesen zu starten, „jemanden auf Vordermann bringen“, dass der Ausbilder Rekruten so lange drillt, bis sie in Reih und Glied stehen. Wenn man „die Fahne hoch hält“ oder „bei der Stange bleibt“, dann ist hier heut zwar Treue gemeint, ursprünglich aber eine Flagge, die im Gefecht den Kampfeswillen anzeigt. „Unter dem Radar“ bleiben eigentlich Kampfjets unentdeckt, und wenn man „schweres Geschütz auffährt“ und „die Sache in Angriff nimmt“, kann es passieren, dass „im Eifer des Gefechts“ bald „das Pulver verschossen“ ist – im besten Fall, weil man „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“ hat anstatt dass „der Schuss nach hinten los ging“, und wer heute „ins Hintertreffen“ gerät, kann sollte darüber eigentlich lieber froh sein, ist doch die Reservetruppe gemeint, die zwar nicht an der Beute beteiligt wurde, dafür aber auch nicht in den Einsatz kam und Gefahr lief, „torpediert“ zu werden … Die Antwort des eingangs erwähnten Kollegen lautete übrigens: „Irgendwo ist immer ein Elend. Ich versuche lustig zu bleiben. Hoffentlich.“ Wir also „halten die Stellung“. Ob eine „Bombenstimmung“ aufkommt, weiß ich grad nicht genau.

Mittwoch, 2. März 2022

Sophisticated Edginess

 Nach den Strapazen der letzten Woche hab ich’s mir jetzt mal schön in meinem Kleiderschrank gemütlich gemacht. So nenne ich liebevoll den Raum formerly known as Arbeitszimmer, seitdem ich erkannt habe, in einem nie enden wollenden Teufelsreigen des Wäschewaschens gefangen zu sein und mich frage, wieso eigentlich überhaupt sehr viele Quadratmeter meines Schlafzimmers von einem großen Holzkasten versperrt werden, den ich höchstens einmal die Woche öffne. Das hat ungefähr nichts mit der sophisticated Edginess zu tun, mit der sich Junge früher (und heute?) schmückten. Wir kennen sie alle, und erst neulich durfte ich beim Schlendern durch die schönen Straßen der schönen Noris im schönen Souterrain eines schönen Hauses einen Blick durchs Fenster hinab in eine gar nicht mal so schöne Bude werfen, in der ein Knabe mit ebenso wildem Blick in einen Bildschirm starrte, wie es um ihn herum wild aussah: Auf dem Boden eine Matratze, drum herum Saustall, mittendrin eine Kleiderstange, tresenhohe Comicstapel. Was hier klingt wie der typische Kontrollverlust einer Studentenbude wurde mir früher als Lebenskonzept maximaler Freiheitsliebe verkauft. Die Matratze musste allerdings „Futon“ heißen, die Bücher stammten aus der Grabbelkiste der Phil. Fak., von den Wänden klaffte die Tapete, und inmitten dieses Saustalls thronten Jungakademiker, die Pastis tranken, Wollpullover am Leib trugen und Tabak zwischen den Zähnen und mit bedeutungsschwangerem Blick und großer Geste auf die (wichtig: vom Sozialkaufhaus organisierte) chromblitzende Kleiderstange mit darauf befindlichen acht Teilen zu zeigen und zu sagen „Mehr brauche ich nicht. Mein Leben passt in einen Koffer, ich kann jederzeit abhauen.“ Was sie in den wenigsten Fällen dann auch taten, dieser Sehnsucht aber noch bis ins hohe Alter nachweinen und deswegen „lieber kein Geld für Möbel“ ausgeben, weil man wollte ja noch Südamerika und Interrail. Naja, also bei mir ist das same same, but different, denn ich lebe nicht von der Kleiderstange, sondern vom Wäscheständer, und der steht wie alles andere auch im Arbeitszimmer, damit im Rest der Wohnung die sophisticated Edginess erhalten bleiben kann. Auf diesen Wäscheständer hänge ich einmal in der Woche nasse Kleidung, wo sie dann für drei bis vier Tage verbleibt. Was früher trocknet, kann man schneller wieder anziehen, und so bleibt nur noch wenig, das anschließend weitere drei Tage fein zusammengefaltet im Wäschekorb liegt, um dann von vormals 25 Kleidungsstücken grade mal noch ein paar Socken in den Schrank zu räumen, derweil der Rest wie von Zauberhand schon wieder in der Wäschetonne gelandet ist und das Spiel von neuem beginnt, weil im Schrank zwar 584390 Teile, doch diese keinesfalls tragbar sind. Geht’s noch jemandem so? Bitte sagt ja!