Freitag, 22. Februar 2019

Vibrationsmikrophon

Kurz nachdem ich letzte Woche diesen philosophisch-gehaltvollen Text über die Vergänglichkeit allen Seins im Allgemeinen und meiner selbst im Speziellen verfasst hatte, klingelte es an meiner Tür. Dort stand ein Bote ohne Flügelhelm, dafür aber mit einem Paket, das er mir in die Hände und dabei einen Blick zuwarf, den ich nur als „lüstern“ beschreiben kann. Gut, hab ich mir gedacht, ein jeder hat so seinen Fetisch, und der Hermes vielleicht mag gern leiden, wenn man mit verquollenen Augen, Halskrause und Wischmoppfrisur erscheint, ist ja alles möglich heutzutage. Auf dem Siechbett hab ich das Paket dann angeschaut und mich gewundert: Vom einem Druckerzubehör, wie der Absender hieß, hatte ich gar nichts bestellt.  Zu schwach um weiter in Frage zu stellen hab ich freilich erst einmal schwungvoll aufgerissen und ein spannendes Objekt ins gleißende Licht der Infrarotlampe befördert. Das sieht, hab ich mir gedacht, aus wie ein Mikrophon. Sehr schwarz und mit ein bisschen Gold. Oder wie ein … Da hat sich der Nebel geteilt und eine göttliche Hand mir das Eis der Erkenntnis hindurchgereicht, denn, so hab ich mich erinnert, auf so einer Seite im Internet hatte ich im Schmerzdelirium wohl eine Bestellung getätigt. Nämlich war das so, dass also wenn du zum Beispiel einmal kurz ins Google „Rezept leichtes Abendessen Low Carb“ hineinschreibst, dann kriegst du erstens Ergebnisse und zweitens aber wie von Zauberhand in den nächsten Tagen locker übers Internetfenster verteilte Hinweise auf Pizzalieferdienste. Wenn du einmal „Hallux Valgus OP“ eingibst blinkt’s dir wochenlang die neusten Highheels auf den Bildschirm. Ein ausgeklügeltes System, diese Algorithmen, und deswegen war das auch so, dass ich vielleicht in der Woche vorher ein, zweimal rund ums Reizwort „Bandscheibe“ eingetippt hab, und dann denkt sich der Internet proakiv „ja schau, helf ich dir doch“ und dann kriegt man Sachen vorgeschlagen. Eine Sache war das Mikrophon, weil, kann ich mich erinnern, „stufenlos verstellbare Vibrationsthemen für den entspannenden Massagegenuss“, und ich so: supergut, muss ich haben! Was dann genau passiert ist weiß ich nicht mehr, aber abgesehen davon dass der Versandhandel sich beim Absender vertan hat, hat alles prima funktioniert. Sogar hübsche satinglänzende Hüllen haben sie mir dazugeschenkt und so eine komische Gummisache, die sieht ein bisschen so aus wie was man neuerdings statt Frischhaltefolie auf angeschnittenes Gemüse tun kann, Gurkenkondom sag ich deswegen, nur jetzt mit Noppen, ich weiß nicht, was das soll, und Aufkleber mit Herzen und so, ist ja nett und war ja auch Valentinstag. Jetzt muss ich sagen: Das Mikrophon sieht nicht nur sehr gut aus, es vibriert auch ganz vorzüglich. Deswegen hab ich das jetzt immer dabei, das gibt mir ein sicheres Gefühl. Stehst du lang und schwerbepackt in einer Supermarktschlange – nicht so schlimm, die mobile Massage ist mit. Verspannst du dich einmal beim Rekonvaleszenzspaziergang – kein Problem, nach einer kurzen Vibrationseinheit auf der Parkbank ist alles wieder gut. Weil ich so glücklich bin mit dem Gerät hab ich es jetzt auch oft einfach so in der Hand, und so, wie die Leute schauen, denk ich, sie hätten auch gern so eine Sache. Nur neulich, da hab ich in der Straßenbahn gesessen und das Mikrophon auf dem Schoß gehabt, und dann ist es versehentlich angegangen. Die Frau neben mir hat sich dann weggesetzt, ich weiß nicht, man muss doch seinen Neid schon auch einmal im Griff haben können. Nächste Woche zeig ich das dem Orthopäden! 
Jetzt hat auch noch jemand gefragt, ob ich vorhab, mit dem Mikrophon zum Pornofasching zu gehen. Versteh ich alles nich. 

Freitag, 15. Februar 2019

Verschleiß

Das Unwort des Jahres 2018 war „Anti-Abschiebe-Industrie“ und stammt wie so vieles, das einen an der Abschaffung der Lobotomie zweifeln lässt, aus dem Mund eines Politikers, der als kleines Kind vielleicht einmal in einen schwarzen Weißbiertopf gefallen ist. 2017 war es „Alternative Fakten“, was überraschenderweise seinen Ursprung nicht in Bayern hat, dafür aber in einem Land, von dem es neulich erst hieß „US-Army will künftig auf künstliche Intelligenz setzen“. Eine Entscheidung, wo man angesichts des obersten Befehlshabers nur sagen kann: gratuliere! Dann kommen „Volksverräter“, „Gutmensch“, „Lügenpresse“, „Sozialtourismus“, „Opfer-Abo“ und „Döner-Morde“, und so sehr ich auch weiter und weiter zurückgehe in den Jahren erscheint einfach nicht dasjenige Wort, von dem ich meine, es hat seinen Platz wirklich redlich verdient in dieser Liste: Verschleiß. Verschleiß ist mein persönliches Unwort. Wenn du hörst „Verschleiß“, dann weißt du: Jetzt ist alles zu spät. Aus Ende Äpfel. Totschlagargument. Die Sache ist kaputt, du kannst sie nicht wiederherstellen außer mit einem übermenschlichen Einsatz von Zeit und Geld und du kannst verdammtescheißenocheinmal niemanden dafür verantwortlich machen, niemanden anbrüllen, keinen Filialleiter heranzitieren, Meisterbriefe zerreißen oder mit wehenden Wutfahnen eine Firmenzentrale aufsuchen. Also ich mein: Kannst du schon, aber dann halt mildes Lächeln und Achselzucken und „Verschleiß.“ und schon fällst du Wutballon superschnell in dich zusammen und bleibst zurück als sehr unansehnlicher Haufen Schrumpel. Jetzt hab ich also grad Verschleißwochen. Andere haben Angebotswochen oder Gratiswochen oder Fitnesswochen oder Flitterwochen, ich hab Verschleißwochen. Das fing an mit so einem leichten vorweihnachtlichen Zwicken an der Rückseite, durch das man sich protestantisch hindurchgetapfert hat bis zu einem Vorfall mit Atemnot und Bewegungslosigkeit und dann Medizinalrat und Unwortsvortrag, bei dem ich oftmals so ein diffuses Zucken im Mittelfinger verspürt hab, da muss irgendwas auf einen Nerv gedrückt haben, und Spritzen und Krankengymnastik. So viel dazu, man ist nicht mehr 20 und Kummer gewohnt. Doch damit nicht genug. „Wenn du mich fragst“, hat noch am selben Tag eine zu größtem Mitleid verknitterte Miene zu mir gesprochen und es dabei geschafft, in die Grabesstimme Beerdigungsgeläut zu mischen, „schau, dass du das Ding loswirst.“ – „Aber es ist erst 15 Jahre alt, man wirft doch keine Kinder weg, nur weil sie ein bisschen Ärger machen!“ hab ich gerufen und wild Tränenrotz im Gesicht verschmiert. „Wenn sie 300 000 Kilometer auf dem Buckel haben, schon.“ Denn, so sprach man weiter in der Trauerrede zum Thema Wirtschaftlichkeit, Antriebsmanschette, Achsbruch und Lenkaufhängung: Verschleiß. Wenn ich da einmal kurz aus Versehen das Detoxen vergessen hätt, ich hätt’s mir nicht übelnehmen können. „Sozialverträgliches Frühableben“ war übrigens das Unwort 1998. Damit kann ich mich identifizieren. Immerhin. 

Freitag, 8. Februar 2019

Handtuch(re)anmination

Neues vom Pubertier! … Moment … Grad muss ich erst einmal geschwind ein bisschen in eine Papiertüte atmen, komm ich doch frisch aus der Höhle des Löwchens. Haha „frisch“. Frische ist das, was aus einem Kompostmülleimer herausduftet, wenn man zuletzt in der Kindeshöhle hat atmen müssen. Warum gehst jetzt du da hinein in das Zimmer, fragt ihr euch, und die ganz braven handlettern mit dem pädagogischen Zeigefinger das Wort „Privatsphäre“ in die Luft vor meinem Gesicht. Und da muss ich sagen, ich tät da nicht freiwillig hineingegangen sein, wenn ich nicht genau wüsste, dass bei der nächsten Eröffnung der Höhlentüre alle Pflanzen im Umkreis von 20 Metern den sofortigen Selbstmord begehen würden, mich eingeschlossen, und deswegen hab ich schnell hineinspurteln müssen und ein Fenster öffnen und wieder hinausspurteln. Aus dem tränenden Augenwinkel hab ich sehen dürfen, dass meine Annahme mit den Pflanzen gar nicht so verkehrt ist, denn während die Amaryllis im Wohnzimmer sich reckt und streckt und meterhohe Fröhlichkeit verkündet, versucht der Art- und Altersgenosse in der Raubtierhöhle sein Bestes, um ja nicht weiter hinauswachsen zu müssen aus dem Mulch, sondern kopfüber auf bessere Zeiten zu warten. Viel Erfolg, sag ich da, und muss beichten, dass ich doch noch einen Handgriff hab erledigen müssen. Denn mitten unter allem, was eine 15-… „FAST 16, EY!“ … pardon, Fastsechzehnjährige so braucht, hab ich ohne genauer hinschauen zu wollen ein schwaches Zucken wahrgenommen. Nanu, denkst du, welche Pausenbrotdose hat denn hier ein Eigenleben entwickelt, und dann hör ichs wimmern: „Hilfe …“ ganz unten unterm Haufen hervor „… hilfe, so hilf mir doch einer!“ Hab ich geschaut und alsgleich erkannt: Hier muss gerettet werden, und mich heldenmütig gleich dem veterinärmedizinischen Landarzt bis zur Schulter mit dem Arm in den Haufen hineingebohrt. Ja, das war auch für mich nicht schön, doch der Einsatz hat sich gelohnt. Denn zu fassen bekommen hab ich einen kleinen grauen Zipfel, der ist dann immer größer geworden und hat sich mir glücklich ans Bein geworfen. Weil das war dann vermutlich so, dass Mademoiselle nach der Körperpflege irgendeinen Denkvorgang ähnlich kompliziert wie der Zitronensäurezyklus vollzogen hat, an dessen Ende stand, dass so ein patschendnasses Handtuch am besten trocknet und lange frisch bleibt, wenn man es kompakt zusammenknüllt und unter meterhoher Textilschicht verbirgt. Ich bin da eher altmodisch und hab darum das Handtuch über einen Stuhl gehängt. Und eine Erkenntnis erlitten: Ich bin meine Mutter. Am liebsten nämlich hätt ich das Handtuch schön aufs Bett ihrer Ladyschaft geschmissen, auf dass es dort ein klammes Klima erzeuge, um ansonsten sämtliche anderen Handtücher in einem Tresor zu verschließen und den zu vergraben, damit das Pubertier so lange im schimmelnden Gatschhandtuch verbleiben muss, bis sich ein Erleuchtungs- und Lerneffekt einstellt. Nicht dass meine Mutter sowas je gemacht hätte. Aber gedacht, bin ich mir sicher, hat sie sich das ziemlich oft. Raus! Unnützes Wissen zum Wochenende: Die Gemeine Stinkmorchel trägt den Namen „Phallus impudicus“; das bedeutet: unzüchtiger Penis.

Freitag, 1. Februar 2019

Detox

Hallo I bims, die Wasmeierin! Ja, so seh ich also aus. Es tut mir leid, sollten Wahn- oder Wunschvorstellungen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, hiermit zerstört sein, aber es war an der Zeit. „Willst du das wirklich machen?“, haben Chefredaktion, Feuilleton und Kantinenmitarbeiter insistiert und wohlfeil besorgte Warnungen angeboten: Der eh schon so belastende Starrummel, jetzt ist dann auch bald wieder vorbei mit Tarnmützenzeit, dauernd diese Nachfragen, erklären soll ich immer was, und dann hat’s doch auch so schon gegeben dass ich lieber mein Klingelschild hätt abschrauben wollen aus Selbstschutzgründen … Ich war ein bisschen gerührt, aber hab abgewinkt, denn ich folge einer höheren Mission! Liebe Mama, lieber Papa, liebe alle, die mich seit Wochen nicht mehr gesehen haben: Hier bin ich! Schneidet das Bildchen aus und tragt es nah am Herzen und wisset: Es wird bald alles wieder gut. Denn der Hintergrund ist der, dass ich seit einigen Wochen an einem wissenschaftlichen Experiment teilnehme. Thema der Untersuchung ist „Wie verändert sich die Psyche eines Menschen, wenn er allem Freudgebenden entsagt und nur noch nach dem Prinzip der höchsten gesundheitlichen Vernunft lebt?“, kurz: Detox. Teilnehmer der Studie ist neben mir noch exakt eine weitere Person, namentlich mein bester Freund, und das ist meine Rettung, denn könnte ich mich mit ihm nicht über die schrecklichen Qualen austauschen und im Leid überbieten, das wir gemeinsam seit Wochen durchleben, ich säße längst in einer Kellerecke und würde mich sanft von Spinnweben umhüllt selbst im Arm wiegen. Meine Familie derweil so: „Mensch, wir wollten seit Monaten mal wieder alle gemeinsam richtig opulent essen gehen, lasst und das doch unbedingt genau jetzt machen, wo du die schlimmsten Entbehrungswochen deines Lebens durchläufst!“ – „Viel Spaß, ich kann nicht.“ – „Wieso, beim Luxuschinesen gibt’s doch auch Huhn und Gemüse?“ – „Ja, aber nicht in ungesalzenen 100-Gramm-Portionen.“ – „Hm. Dann setz dich doch einfach so dazu, is‘ doch schön! Und gut für den Charakter.“ – „…“ Oder kurz und verständnisvoll: „Wie lang dauertn jetzt dein Schmarrn noch?“ Weil ich so viel Unterstützung emotional nicht gut verarbeiten kann und es außerdem erstaunlich ist, wie sehr eine Stadt nach verbotenen Speisen duften kann, habe ich mich komplett zurückgezogen, denn selbst ein harmloser Kinobesuch wird zur Folter, wenn man akkurat den Film erwischt, der neben der Burgerbraterei gezeigt wird, die auch noch ihre Betischung zur Feier meiner Anwesenheit spontan bis kurz vor die Leinwand ausgebaut hat. Nur die Lebensmittelmärkte der Umgebung kennen mich, und so wie sie zu Beginn Anstoß an mir genommen haben, so errege ich dort mittlerweile längst kein Aufsehen mehr, wenn ich dort grau, eingefallen und gebrochen die Gänge auf und ab schleiche, mein Gesicht zwischen die Salatköpfe schmiege wie in den Mutterbusen, stundenlang an Rezeptbüchern lecke und so lang abwechselnd am Bad Reichenhaller und den Zwiebeln rieche, bis mir die Tränen kommen und ich das Salz aus ihnen lecken kann … Geht ihr mal feiern, ich geh weinen. Wobei, so ein bisschen Schweiß …?