Donnerstag, 24. Dezember 2015

Ich hab 'ne Zitrone auf'm Kopf ...

„Dieses Gebaren“, versuchte man milde eine List, „ist einem Familienoberhaupt nicht würdig.“ „DAS IST MIR EGAL!“ schrie ich mit einer Stimme, die nicht minder blutete als mein Herz, erhob mich vom Boden, auf dem ich mich zuvor minutenlang in waidwundem Schmerz gewälzt hatte, und rückte die Zitrone zurecht, die ich versuchsweise auf dem Kopf trug, seitdem ich, als im diesjährigen Weihnachtsländermenürennen die Wahl ein- weil lautstimmig auf eben jenen südasiatischen Staat gefallen war, in Erfahrung gebracht hatte, dass in christlichen indischen Familien das Oberhaupt eine solche Frucht symbolisch überreicht bekäme, zum Zeichen der Verehrung. Würdevoll zog ich literweise Rotz, das Elixier des Seelenleides, nach oben, und rief aus: „Dann mach ich das eben ganz alleine!“ „Dann“, sprach das Familienoberhaupt a. D., „machst du das eben ganz alleine.“

Zuvor hatte eben jene Person, die vielleicht nicht ganz zu Unrecht neuerdings den Titelappendix „a. D.“ trägt, verkündet, es gäbe in diesem Jahr keinen Weihnachtsbaum. Wegen langgenugnurfürdieKinder, wegen nadeltdochnurallesvoll, wegen wersolldenndasallesschleppen und wegen ausPrinzipVerweigerung. Und wegen Boshaftigkeit: „Willst du mir sagen, du möchtest unter dem Baum liegen und mit der Krippen spielen?“ Nein, freilich will ich das nicht, UND SELBST WENN! Zog ich also los, weil selbst ist der Spätadoleszente, und stellte mich der Mission Christbaumkauf. Dachte, das kann doch nicht so schwer sein, dachte ich, und wurde eines besseren belehrt. „Halt nich so einen großen“, war das einzig zu erfüllende Kriterium. Darüber, dass es da aber noch 17 weitere gibt, von denen Existenz ich nicht mal ahnte, klärte mich der Christbaumverkaufsmann episch und mit großer Geduld dann auf.

Der eine sei grüner, dafür auch stachliger, weswegen gut für Katzenhalter, der eine dufte, nadle dafür schneller, und welche Art von Halterung ich besäße, denn entsprechend müsse der Stamm präpariert werden, und so weiter und so fort. „Das wird jetzt schon so passen“, beschloss ich forsch, „und wenn nicht, dann kommen Sie halt wieder“, versicherte der Baumbeauftragte und schmiss wenig zärtlich meine Beute in den Kofferraum, auf dass ich sie in die Familienzentrale verbrächte. Mit konquistadorischem Stolz verkündete ich die frohe Botschaft – und sehe mich seitdem größter Häme ausgesetzt: Man habe den Baum auf der Terrasse kaum gefunden. Ob ich es verantworten könne, ein Christbaumbaby so früh seiner Baumschule zu entreißen. Woher man jetzt auf die Schnelle noch Puppenschmuck bekommen solle? Dass das Junge unter der Lichterkette doch ersticken werde. Ob ich den Baum als Tischdeko gedacht hätte?

Mir als frischgebackenem Würdenträger macht das freilich nichts! Ich poliere meine Zitrone und denke mir: die Familie vereint – in Häme zwar, aber was soll’s, diese Last schultere ich gern. Weil so muss das doch sein, an Weihnachten. Also vereint. In diesem Sinne wünsche ich allen [passendes Adjektiv bitte hier einfügen] Weihnachten inklusive Wochenende mit viel Freude, Freunden, Gesundheit, Glück, einer tapferen Peristaltik und einer Partyauswahl, die dermaßen groß ist, dass ich gar nicht erst anfange, Highlights rauszupopeln. Hauptsache: Liebe!

Freitag, 18. Dezember 2015

Geschenkmeinnicht

Also das mit dieser Weihnachtsschenkerei. Das läuft bei mir seit Jahrzehnten nach dem gleichen Muster ab: Ich referiere circa 364 Tage im Jahr landauf, landab, dass ich diesen punktuell erzwungenen Konsum- und Zwangsbeglückungszwang für völlig daneben halte und es für sehr viel erstrebens- und wünschenswerter halte, sich lieber so unterm Jahr hier und da mal eine Freude zu bereiten, wenn grad eine in Sichtweite kommt. Gleichzeitig verweigere ich die Erstellung eigener Wunschzettel, seitdem ich aus dem Alter raus bin, in dem man die gesamte Spielwarenabteilung des XY-Katalogs ausschneiden und feinsäuberlich auf ein zehnseitiges Wunschbuch aufkleben muss in dem festen Glauben, nicht mehr leben zu können, wenn nicht mindestens die Hälfte des Abgebildeten hernach unterm Weihnachtsbaum drapiert darauf wartet, vom Christkindglöckchenklingeln zur Entpackung freigegeben zu werden, und erzähle unermüdlich die Mär vom Ich, das alles hat, nichts braucht, das Geld lieber in eine Spendenquittung investiert sähe und Hauptsache, wir sehen uns alle an Weihnachten und haben uns lieb. Hab ich Mär gesagt? Oh. Naja also.

Um ehrlich zu sein … gibt es da vielleicht noch eine andere Medaillenseite. Die sieht so aus, dass ich in sehrpostinfantilem und deswegen völlig unverschuldetem Verhalten mir nichts sehnlicher wünsche als einen Riesenhaufen glitzerbeschleifter Päckchen egalwelchenInhaltsHauptsacheichkannwasauspacken und mein inneres Kind bitter enttäuscht ist, wenn meinen monatelangen Referaten stattgegeben worden und der Gaben- zu einem Spendenquittungstisch umfunktioniert worden ist. Einerseits. Andererseits befällt mich ab dem ungefähr 21. Dezember das dringende Bedürfnis, selbst zu beschenken. Ich renne also in höchster Panik durch Innenstädte und Einkaufszentren, um zumindest für den engsten Kreis glitzerbeschleifte Päckchen egalwelchenInhaltsHauptsachediekönnenwasauspacken zu ergattern. Diese Panikkäufe gehen dann in 99% aller Fälle so aus, dass ich nichts für andere gefunden, dafür aber mich selbst reich beschenkt habe und mit der Situation befriedet heimkehre.

Ich bekomm ja schließlich auch nichts. So geht das also seit Jahren. Jetzt jedoch ist irgendwas passiert. War ich in der Stadt. Nicht nur einmal, sondern mehrfach, nicht nur der hiesigen, sondern auch in anderen, und wollte nichts sehnlicher, als mich zu beschenken. Handtaschen wollt ich, Schuhe, Schmuck, was man halt so braucht. „Ich hab große Lust, Geld für mich auszugeben!“, hatte ich ausgerufen und war losgezogen. Und jetzt steh ich da mit der Beute und bin höchst irritiert. Mehr noch: bestürzt. Nichts, nämlich, hab ich für mich erlegt. Rein gar nichts. Dafür einen Riesenhaufen Geschenke für nachgerade Hinz und Kunz! Ich weiß gar nicht, was das soll. Wohl aber, dass die Niederschrift dieser spannenden Gegebenheit eine Unruhe in meinem sozialen Umfeld auszulösen intendiert ist. Wenn ich Geschenke habe, panikt man jetzt hoffentlich, dann müssen sie wohl auch. Und schawupps hab ich wieder alles richtig gemacht. Keine Bange, meine Lieben: Ihr habt noch fast ne Woche.

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Advent, Advent, ein Flüchtling brennt

Ach, was haben wir nicht gelacht neulich, bei der „Anstalt“, bei der Talkrunde. Der dumme Nazi, es werden immer mehr, wohin nur mit denen, wie soll Deutschland damit fertig werden, haben wir ja aber schon mal geschafft, damals als der Ossi die Republik erstürmte, barfuß und mit nichts am Leib als eine Bananenschale, jetzt ist er integriert, der Ossi, und schreit am lautesten, als Nazi. Wie undankbar. Wie empörend, schüttelt der Bildungs- oder wenigstens Wohlstandsbürger des, sagen wir mal, östlichen Speckgürtels das Haupt und nimmt einen tiefen, doch gar nicht so schlechten Schluck vom Beaujolais.

Man hat jetzt aber auch nicht weiter Zeit, man muss doch nächstenlieben. Advent ist, Zeit der Barmherzigkeit, Zeit der Spenden, die alten Schuhe von Opa, die schon ewig im Weg stehen, hat man schon in den Kleidercontainer geworfen, eine mottenlöchrige, doch warme Jacke auch, wird schon an die richtigen Stellen kommen, ist ja kalt jetzt, und die armen Schweine da in ihren Zelten, schlimm, wirklich schlimm, und das Fernsehen, das mag man gar nicht mehr anmachen, immer diese Bilder, dieses Elend, wie soll man sich da konzentrieren auf die wirklich wichtigen Dinge, Weihnachtsmenüsitzordnung beispielsweise, oder ob Oma nicht vielleicht an Heilig Abend doch besser in der Demenzstation bleiben sollte, das tut der ja auch nicht gut, mit dem Ortswechsel. Ins Theater, da kann man hingehen, toll wie diese Kabarettisten mit der Krise umgehen, was haben wir gelacht, auf dem Heimweg im sitzbeheizten Q7.

Und Recht haben sie, Mensch, dieser Pöbel da auf der Straße immer, was sind denn das für Leute? Ossis, alles Ossis, Arbeiter, Pack. Wie undankbar. Fünf Euro für UNICEF, Spendenquittungen kann man von der Steuer absetzen, man kann ja schließlich nicht allen helfen, und nachher bin ich mit Brigitte verabredet bei Nespresso, ach, der George, der ist schon so einer. Aber wirklich schlimm, das alles. Da braucht man schon mal seine Ruhe, das muss man doch verstehen. Bayern 1 spielt „Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all“, das ist schön. Aber irgendwo muss doch mal Schluss sein. 35 Kinder, das Elend vorm Haus haben, jeden Tag sehen, wo soll denn das hinführen, wenn ich im Problembezirk wohnen wollte, würde ich das tun, und plötzlich brennen nicht nur die Mülltonnen sondern auch der SUV, ganz sicher, die haben doch alle einen Hau, das müssen die ja wohl über kurz oder lang mal rauslassen.

Schreiben wir also einen Brief, wenn schon kein Bürgerentscheid ausgelobt worden ist von der Stadt. „Neben einer eventuellen Einschränkung der Lebensqualität und Ruhe […], Gefährdung der Sicherheitslage etc. werden wir durch sinkende Grundstückspreise teilenteignet.“ Das muss man doch mal sagen dürfen, da ist man doch noch kein Nazi. Minderjährig und unbegleitet? Dafür gibt es Lager, da sollen die hin, da sind sie unter sich, ist ja auch nur gut für diese Syrer oder Afrikaner, Schwarze halt. Hauptsache, die verstehen das mit unseren christlichen Werten. Advent, Advent, ein Flüchtling brennt, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Krampus vor der Tür.

Wochenende? Keine Zeit. Muss deutsche Krippe aufbauen. Ein Ochse und ein Esel. Auch hübsch.

Freitag, 4. Dezember 2015

Zeitfensterregel

„Glühwein ist ein alkoholisches Heißgetränk, das in Mitteleuropa traditionell in der Adventszeit, häufig auf Weihnachtsmärkten getrunken wird.“ (Wikipedia, 2.12.15, 9.48 Uhr [die weltallerbeste Uhrzeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, übrigens. Mir ist jetzt schon ganz blümerant]). So weit, so gut. Ich persönlich würde den interaktiven Enzyklopädie-Eintrag nach einer aufopferungsvollen Feldrecherche jedoch wie folgt bearbeiten: „[…] auf Weihnachtsmärkten häufig getrunken wird.“ Insbesondere auf dem hiesigen, weltallerschönsten. „Wer alles hat, der braucht nichts geschenkt“, sprach das Christkind unlängst und wie immer vom Balkon zum Volke herab, und wenn man sich dann da so umschaut, in der Stadt aus Holz und Tuch, erkennt man schnell: Das lässt sich der an- und umsässige Händler nicht zweimal sagen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt die herrliche Ausschankzeit! Was zum Tresen umgebaut werden kann, wird zum Tresen umgebaut. Eisdielen, Steakhäuser, Bäckereien, Optiker, Apotheken – sie alle wissen, was der geneigte Glühmarktbesucher wirklich will. Strohsterne, Fußbettschuhe? Pah! Her mit dem Gesöff, das zu 90 Prozent aus Zucker, zu 50 Prozent aus Gewürzmischung und 17 Prozent aus Alkohol besteht! Da nimmt es doch kaum Wunder, dass hier und da Beschwerden laut werden, es fehle nun aber wirklich die adäquate musikalische Untermalung auf diesem fränkischen Zuballermann, wosnjezzhieriparti? Haben wir hier nicht, weiß der Heimatpflichtverbundene zu bestellen, und nippt distinguiert am Heidelbeer. Weiß aber etwas anderes zu beherzigen: die Glühweinzeitfensterregel. Die hat er sich in mühsamer Forschung erarbeitet, im Zuge derer er jährlich Investitionen getätigt hat im Gegenwert eines Kleinwagens. Eines vollgetankten. Die Glühweinzeitfensterregel besagt: Du hast exakt zwei Minuten, in denen Glühwein genießbar ist. Zu Beginn nämlich verbrennt man sich veritabel die Gosch. Also warten.

Doch bloß nicht zu lange, denn heute kann es regnen, stürmen oder schnei‘n, er kühlt stets zu schnell ab, deheer Glüühüüwein! Zwei große Schlucke also, dann Tasse leer, dann Hände kalt, dann alles doof, dann schnell nächste Runde. Easy. Eine daran anknüpfende Subregel lautet: Meide den Stiefel! Mal davon abgesehen, dass der unter hygienischen Gesichtspunkten höchst suspekt daherkommt, weil wer bitte spült denn den Schlonz, der da vorne in der Kappe drinhängt, fleißig aus?, verbirgt sich hinter der Schnellabkühlerei noch eine besonders fiese Überraschung. Hat man nämlich das Zweiminutenfenster verpasst, versucht man für gewöhnlich, den ekelkalten Rest möglichst schnell in einem Zug zu eliminieren. Aufgrund der förmlichen Beschaffenheit des Trinkschuhs aber befindet sich in Sohlennähe naturgemäß mehr Weihnachtselixier als in der herkömmlichen Tasse, weswegen der Ungeübte sich geschwind eine Glühweindusche ins Gesicht schüttet. Das sieht halt einfach nicht aus. Nachdem wir das jetzt gelernt haben, husch husch ins Feld und üben! In der nächsten Folge dann: „Lust auf Kopfschmerzen? Glühweinsorten im Test“.

Freitag, 27. November 2015

Südostfränkisch

„Ich habe euch […] gezeigt, dass man […] sich der Schwachen annehmen muss im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus […]: Geben ist seliger als nehmen.“ Wird sie jetzt plötzlich religiös, die Wasmeierin? Reicht es nicht, dass sich dieses Wochenende das protestantische Nürnberg wieder ins alljährliche Gold-und-Puttenwunderland verwandelt? Ja doch, freilich reicht das, ich will natürlich auf was ganz anderes hinaus: auf die guten alten Übersetzungsfehler in der Bibel nämlich. So wie es in der Apostelgeschichte 20,35 LUT des Neuen Testaments geschrieben steht, kann es nämlich gar nicht heißen. Sondern: „Gieben ist seliger als Nimmen.“ Stimmt nicht? Dacht ich auch immer, werde aber tagtäglich eines Besseren belehrt. Der Pöbel um mich herum versucht mich eine andere Sprache zu lehren als die, von der ich meinte, sie in weitestgehend korrekter Art und Weise zu beherrschen.

Sagt „Ich gib dir nachher noch Bescheid“. Sagt „Ich nimm dich später mit“. Und das mit großer Beharrlichkeit. Schlussfolgere ich also: Der Infinitiv muss „gieben“ und „nimmen“ heißen. Oder auch nicht, denn schließlich erscheint dieses Wort an anderer Stelle als doch wieder unregelmäßig konjugiert: „Nehm bitte den Müll mit runter!“ oder „Geb mir schnell mal deine Nummer!“ stürzen mich in große germanistische Verwirrung. Damit nicht genug sehe ich mich mit dem Umstand konfrontiert, dass es noch so viele Wörter mehr gibt, die eigentlich ganz anders lauten als von mir vermutet. „Dürf ich schon mal ein Stück von dem Kuchen essen?“ lässt mich nicht minder beschämt zusammenzucken als ein „Ich stirb gleich vor Hunger“ oder „Sterb gefälligst!“ Zu Beginn meiner vermeintlich gutgemenschten missionarischen Tätigkeiten hatte ich versucht, dieser Unflat Einhalt zu gebieten. Beispielsweise so: „Der Imperativ von ‚sterben‘ wird mit ‚i‘ gebildet.“

Das Ergebnis ist nun, dass besagte Menschen, artig, wie sie sind, analog zu arbeiten pflegen: „Sterbi gefälligst!“ Gut, ich mein, die Liste unregelmäßiger Verben in diesem Deutsch, die ist eine lange, da kann man schon mal durcheinander kommen. Es häuft sich jedoch ein Durcheinander signifikant im Mittelfränkischen Raum – der gleichnamige Dialekt übrigens hat nichts mit der hiesigen Region zu tun, sondern mit der westmitteldeutschen. Richtig heißt das: (Süd)Ostfränkisch! – das mich trotz Sozialisation in selbiger zur Verzweiflung treibt. Und in Verwirrung stürzt. Muss es jetzt heißen: „Liest die Glosse!“ oder „Lesi die Glosse!“ oder gar „Ließ die Glosse!“? Ist mir Grunde genommen aber auch egal – Hauptsache, ich versteh mich selbst, und das ist ja auch nicht immer gegeben. Womit wir wieder beim Geben wären. Und beim Nehmen. Äh, Nimmen.

Freitag, 20. November 2015

Ausmistpsychologie

Ich falalallalafühl mich 15 Kilo leichter. Ein wunderbarer Zustand, der hoffentlich noch ein bisschen anhält. „Ja genau, jetzt, wo das mit der Adventsfresserei kommt, haha!“? Ja nö, kein Problem, die kann ruhig kommen, ich bin losgelöst von Raum und Gans. Mein Aggregatszustand hat andere Ursachen als pulvrig-weltliche. Nämlich: Ich habe ausgemistet. Eine Tätigkeit, die ich nicht als zwingend nötig, aber längst überfällig bezeichnet haben würdete. Auslösendes Moment hierfür war ein Projekt, im Zuge dessen ich angewiesen war, mein Wohnzimmer zu fotografieren, auf dass ein Wohnpsychologe in diesem lese wie im Kaffeesatz und Schlüsse auf meine Person ziehe. Das Ergebnis der Unternehmung war gleichsam positiv wie frappierend. Einerseits konnte ich der horoskopesquen Analyse meiner selbst wohlwollend zustimmen („Einen höheren Bildungsabschluss mit ausgeprägtem Anspruch besitzt sie selbst und erwartet das aber auch vom Gegenüber“). Andererseits erschrak ich, als ich des Gesamtprojektergebnisses ansichtig wurde. 

Nicht nur ich nämlich war da vertreten mit Fotos und Gedöns, sondern noch zwei andere Menschen. Ich sah picobello-aufgeräumte Wohnungen in Symmetrie und Crème, hier und da aufgelockert durch ein Deko-Element, das der Einrichtungs-Oger Tine Wittler nicht schöner hätt drapieren können. Ready for „Schöner Wohnen“. Scrollte man sich also durch die Fotos und dann so BÄM: die Wasmeierein inmitten eines kreischendbunten Sammelsuriums, wimmelbildgleich, nur dass kein Walter drin versteckt war. Jetzt muss ich schon sagen, dass ich mich freilich absichtlich ins denkbar schlimmste Eck gestellt hatte. Jetzt muss ich aber auch sagen, dass mir nicht ganz klar war, WIE schlimm’s da drinnen wirklich ist. Ich bin es gewohnt, dass Menschen, die meine Wohnung erstmals betreten („Die Wohnung ist ihr Nest, ihr Rückzugsbereich und wird jedenfalls in diesem Teil nicht jedem geöffnet.“), große Augen machen. Niemals, höre ich da, hätte man gedacht, dass es bei mir derart bunt zugeht. Um genau zu sein: derart pink. 

Da muss ich sagen: ich auch nicht. Erklären kann ich mir das nur so: In irgendeinem jugendlichen Leichtsinnsanfall scheine ich vor zig Jahren eine späte Tendenz zu jener mädchenhaften Farbe zu erkennen gegeben haben, die mir aus pädagogischen Gründen im entsprechenden Alter zugunsten Latzhosen und Holzspielzeug verwehrt war. Dann fing eins an, mir ein solchfarbiges Trum anzuschleppen, späte Aufarbeitung des frühkindlichen Traumas. Womit ein perpetuummobilöser Prozess in Gang gesetzt wurde: Für alle schien es plötzlich irre praktisch, rosa Kittys zu jedweder Gelegenheit zu schenken, und schon hatte ich die Barbiewelt. Und weil ich mich prinzipiell über alles freue und überall eine Erinnerung dranhängt, wuchs die Sammlung. Beträchtlich. Damit ist jetzt Schluss. Kistenweise Pinkgedöns hab ich entfernt – zugegebenermaßen in den Keller statt den Müll. Aber man weiß ja nie was noch so kommt. Und ihr müsst mir folgen, weil „ […] hat diese Person verlockende, kokketierende und sehr offene Züge.“ Ha! 

Freitag, 13. November 2015

Mantelteile

„Vielleicht“, sprach ich dieser Tage zu mir, „muss die Geschichte von Sankt Martin und seiner ehrenhaften Heldentat nochmal überdacht werden.“ Ich saß am Hauptmarkt. Um mich herum bauten eifrige Menschen wirklich sehr eifrig die Buden des Christkindlesmarkt auf – soweit nichts besonderes, kann man doch den Startschuss zum stadtweiten Glühweinbesäufnis nicht nur sozusagen schon hören, sondern insofern auch sehen, als bereits alles, was im Besitz einer Straßenverkaufstheke ist, diese längst entsprechend plakatiert hat. Während also hier ein Mammuttannenbaum aufgestellt wurde und dort ein Strohstern verteilt, schwitzte auch ich wie der sprichwörtliche Elch. Der leichte Übergangsmantel war mindestens eine Schicht zu viel, der Schal auf jeden Fall, die Sonne schien als gäb’s kein Morgen und spontan stand mit der Sinn nach Strandkorb und Caipirinha. Während ich so vor mich hin sonn(te), fiel mein Blick nach links.
Ich stutzte. „Dem Touristen graut’s aber auch wirklich vor gar nichts“, dacht ich, schließlich stand neben mir eine Reisegruppe unübersehbar militäramerikanischen Ursprungs, von deren Teilnehmern eine Dame in TShirt und Flipflops unterwegs war und die – ja was eigentlich? Klamm werden sie kaum gewesen sein! – Hände an einen Becher drückte, dessen empörende Form zweifelsfrei auf den Inhalt schließen lässt. Jetzt kann man sagen, gut, der Touri, der denkt sich, „wenn ich schon mal hier bin in diesem Irrsinnsweihnachtsnürnberg, dann muss ich jetzt schon auch das trinken, was der Marco Polo mir so vorschreibt“. Dann geht er heim und erzählt allen, dass die spinnen, die Nürnberger, da hat’s 20 Grad und man säuft pappsüßes Heißzeug. Jedoch: In der ausschenkenden Lokalität saßen noch sehr viel mehr Menschen, die dem Gesöff bereits unübersehbar zugesprochen hatten und deutlich hiesiger Abstammung waren.
Da will man dann doch hinfragen, ob’s denn vielleicht irgendwo fehlt im Kopf, aber das will man ja auch gern jedesmal, wenn man am Vapiano vorbeigeht und da wirklich Gäste sitzen sieht. Also der Sankt Martin jedenfalls, oder besser: der Bellzärmäddl, dacht ich mir, der kann ja leicht seinen Mantel teilen, wenn’s da damals genau so global erwärmt war wie heut. Da tät ich auch  meinen Mantel direkt teilen, und wenn dafür die Heiligsprechung winkt, tät ich ihn auch zerschneiden mit meinem Flammenschwert, auch wenn’s mir schon arg bluten würd, das Herz. Möglicherweise aber liegt auch ein Übersetzungsfehler vor, und der Maddin, der hat nicht geteilt gegen Kälte, sondern gegen Hitze, weil Sonnencreme gab‘s da ja wohl eher noch nicht, in diesem 1. Jhdt. n. Chr. Andererseits ist jetzt der Norden Frankreichs auch nicht direkt bekannt für seine tropischen Temperaturen, dafür aber dieses Ungarn, wo er herkam, der Martin. Hat er sich vielleicht vertan in seinem jugendlichen Leichtsinn. Mir auch egal. Ich will keinen Glühwein. Bitte.

Freitag, 6. November 2015

Auserkiesen

Es ist vollbracht! Wir sind wieder Christkind, die neue Lichtgestalt ist gewählt, gesegnet seist du o Herr, Hosianna, ihr Kinderlein kommet, zefix Halleluja! Ich freue mich – wenngleich verhalten, muss ich gestehen, denn wenn ich vorher gewusst hätte, dass die Wahl der Repräsentantin fränkischen Irrglaubens neuerdings unter dem Heiligenschein der Inklusion steht, dann hätte ich mich nämlich endlich auch beworben. So. Noch habe ich die Intention nicht ganz durchschaut, aber es muss wohl ein Motto sein wie „Gut drauf auch ohne Frikativ“ oder „Aktion Realisationsfreiheit“. Find ich gut, herzlichen Glückwunsch, und man hat ja jetzt noch ein paar Tage Zeit und noch dazu ein dankbares Textwerk, um das mit dem „R“ ein bisschen zu üben, ihr HeRRn und Frau’n, bis das ChRistkind zu seinem MaRkte einlädt. Also zurück zu mir und meiner Beleidigtheit darüber, dass ich wieder nicht in die engere Auswahl zur neuen Weihnachtsbarbie berufen worden bin. 

Oder: „Niemand will mich auserkiesen“, um dieses zauberhafte Wort auch endlich mal sinnvoll untergebracht zu haben. Dabei bringe ich alle Schlüsselqualifikationen schon mit. Die passende Haarfarbe habe ich bereits, nur hinsichtlich der Frisur und Länge müsste man vielleicht einen Kompromiss machen, aber das ist eh viel sicherer, wegen weniger Entflammbarkeitsrisiko beim Wandern im Kerzenmeer, dafür spart man sich Geld mit der Perücke, das wiederum sinnvoll investiert werden könnte beim Umnähen des Gewandes von Teenager- auf Erwachsenenformat, wenngleich ich mich da auch zur Kostenübernahme anbieten würde. Ich kann von Haus aus ziemlich irre gut grüßen, vom Balkon zum Volke zu sprechen ist mir ein Leichtes, und beim Prrrrrolog wäre ich ebenfalls bereits geübt darin, gleichzeitig zu sprechen und immer beim Stichwort meinen Glühweinbecher zu erheben und dem Volke zuzuprosten. „Ihr Herr’n und Frau’n … Wohlsein! … die ihr einst Kinder wart …“ – läuft. 

Fürderhin rutsche ich 738 repräsentative Termine in 17 Tagen locker auf der linken Hinterbacke ab, erstens wegen Beruf und zweitens wegen neuerdings massiv eingesetzt habender seniler Bettflucht, und dann wäre ich selbst auch noch ein auf dem Silbertablett serviertes Exemplar eines der Hauptprobleme unserer Republik, nämlich dem demographischen Wandel und der damit einhergehenden Überalterung der Gesellschaft. Man kann ja mit Spachtelmasse die die Krähengräben zubetonieren, meinetwegen. Außerdem kann ich je nach Anlass vom Hochdeutschen ins Tiefmittelfränkische wechseln, inklusive prälabialem Waffel-L. So. Jetzt erkennen hoffentlich alle ihren Irrtum, aber nein, jetzt will ich auch nicht mehr, und falls mir jemand mit Nestbeschmutzung kommt und mit der Fackel „Frevel“ in den Himmel malt: Ich wollt mir eh schon längst mal die Westvorstadt genauer anschauen, soll ja ganz schön sein in diesem Fürth. 

Freitag, 30. Oktober 2015

Jadegate

Jetzt ist es passiert. Das Schlimmstvorstellbare ist eingetreten. Das, wovor ich mich seit Jahren fürchte. Das, was ich vor lauter Furcht verdrängt habe. Ich bin mit den Nerven am Ende, ich schlafe schlecht, träume noch schlechter, bin verzweifelt, suche den Dialog. Und weil ich mit euch ja alles teile (#Gesprächstherapie), wende ich mich freilich mit diesem meinem persönlichen Horror auch vertrauensvoll an euch. Es ist da. Mein Jade-Gate! Soll heißen: Mein Haus- und Hof-Lippenstift ist über Nacht aus dem Sortiment genommen worden! Gänzlich unvorbereitet wurde ich mit dieser Schreckensnachricht konfrontiert. Die fünf aus weisem Vorrat gekauften Rotstifte waren urplötzlich verbraucht – mir schleierhaft, wie sowas in nicht mal sechs Monaten passieren kann. 

Ging ich also zum Gesichtseinfärbungszubehöreinzelhandelsunternehmen meines Vertrauens und fand: nichts. Suchte. Wurde nervös. Suchte weiter. Schwitzte leicht. Fand seltsames anderes. Wandte mich an die Gesichtsbemalungszubehörfachangestellte. Erfuhr: aus. Vorbei. Nie wieder! Das, rief ich mit an Panik grenzender Empörung aus, sei vollkommen unverantwortlich! Verboten gehöre sich das! Man könne keinesfalls gestatten, dass ein Unternehmen in silbrig-glänzender Heiligkeit eine Armee an Suchtkranken heranziehe, um diese zu einem nach eigenen Gutdünken gewählten Zeitpunkt auf kalten Entzug zu setzen! Das ist, als würde der Therapeut bei Nacht und Nebel unbekannt verziehen! Oder schlimmer: der Frisör! Am darauffolgenden Abend alpträumte ich. Von Geheimvorräten, von Diebstahl, von Hamsterkäufen. Am darauffolgenden Tag fieberträumte ich. Von Geschäftsführerbriefen, von Online-Petitionen, von Hungerstreik. 

Doch es wird nichts helfen, eine sanftrotglänzende Ära geht zu Ende, und ich kann nichts dagegen tun, dass Menschen beschlossen haben, Frauen hätten künftig ihre Lippen mit mattem Lack zu versiegeln, den sie dann mit glitzerndem Fusselirgendwas bestreichen und sich 24 Stunden darauf vorbereiten sollen, das Zeug mit Wurzelbürste und Scheuermilch wieder aus dem Gesicht zu entfernen, andernfalls eine lebenslange Jokerfratze würdevoll durch die Welt zu tragen. Auf den Boden werfen, mit den Fäustchen trommeln und meinen Schmerz in die Welt hinausweinen möchte ich erst recht, wenn ich darüber nachdenken, dass solch perfider Plan wohl weniger von einem ignoranten Männermenschen geschmiedet worden sein kann als vielmehr von einem durchtriebenen Weibsstück, das ganz genau weiß, was sie da tut, die hinterfotzige Pharisäerin! 

Freitag, 23. Oktober 2015

Frauenschnupfen

Ich kann nicht schreiben. Seit einem gerüttelt Maß an Zeit sitze ich vor meinem Moleskine und starre auf die beigen Seiten, derweil vor meinem inneren Auge dort, wo eigentlich launige Sätze sich zu einer Textarmee formieren sollten, lediglich eine Substanz unappetitlicher Farbe und noch viel weniger ersprießlicher Konsistenz umherwabert. Bewege ich den Kopf, ändert die Substanz prismagleich die Form, und wenn ich lang genug darauf schaue, sehe ich Konturen, die Betten, Teekannen und Gedenksteinen frappierend ähneln. Ich würde hier meine Leidenskunst präsentieren, hätte ich als Arbeitswerkzeug Pinsel statt Typen. Und damit meine ich nicht meine Geschlechtsantagonisten. Ein solcher jedoch blickte mich vor wenigen Tagen an und sprach milde: „Kann es möglicherweise sein, dass du Frauenschnupfen hast?“

Vor Schreck fiel mir das Fieberthermometer aus dem Mund und versank metertief im Wollschal, in den ich mich gehüllt hatte. „Wie bitte?“, erhob ich meine Grabesstimme und verschüttete dabei ein wenig Salbeitee auf dem um mich herum ausgebreiteten Taschentuchteppich, wie man es wagen könne, wollte ich wissen, wo ich doch seit Tagen tapferst und ohne mit der tränenverhangenen Wimper zu zucken, derweil andere längst, und man möge sich gefälligst an der eigenen penatenbekleisterten Nase! Ermattet schmiegte ich mich zuwendungsbedürftig an meine Heizdecke und sehnte mich nach meiner Mama. Wog kurz den Nutzen einer Mamapflege gegen die Kosten einer Papasuppe. Beschloss, alt genug zu sein, um ein Ableben in Abgeschiedenheit zu zelebrieren zu können zu müssen. Startete die nächste Folge Pumuckl.

Während ich mir beherzt das Paket frischer warmer Zwiebeln aufs Ohr drückte, besann ich mich auf meine Pflicht qua Geschlechtszugehörigkeit und befand mich für ausnehmend tapfer. Im Gegensatz zu diesen anderen da beispielsweise hatte ich es nämlich geschafft, eine dieser Goldgruben mit dem großen roten A, um das sich listig eine Schlange windet, zu betreten, und der Alchemistin, die mich händereibend empfing, zwei präzise Wünsche aufzutischen. Traurig schob sie den vorbereiteten Geschenkekorb „1. Hilfe Männerschnupfen“ im Wert von 250 Euro beiseite und griff weisungsgemäß ins Regal, dessen Beschriftung jedes Paläontologen Herz vor seliger Freude hüpfen ließe angesichts der ganzen Rhino- und Bronchosauren, an die er sich erinnert fühlen darf.

Wie auch den Zwiebeltrick bemühe ich lieber Hausmittelchen, die einem so zugetragen werden und bin deswegen zu einem Meisterwerk in ätherischem Öl mutiert, an dem sich die Parfumeure der Welt ihr feines Näschen ausröchen. Eukalyptus (schleimlösend), Ingwer (Dings … wärmefördernd), Knoblauch (wieso das gleich wieder?) und jetzt halt auch noch Zwiebel. Nach meiner Rekonvaleszenz bin ich weitere zwei Wochen nicht gesellschaftsfähig. Aber das soll mich nicht weiter stören, geht’s doch meinen Mitmenschen wenig besser. Falls hier jemand einen roten Faden sucht, so tut er das vergebens, das Prisma schlägt lieber Purzelbäume.

Freitag, 16. Oktober 2015

Fußselfismus

Neues aus der Reihe: juhu Herbst! Nämlich: auf Facebook keine Käsequantenportraits mehr. Diese niederste aller „fotografischen“ Unsitten! Früher so: Ich fahr in Urlaub, am letzten Tag kauf ich 20 Postkarten der billigsten Sorte, rotze auf die den immer gleichen Text von „Essen super, Meer auch, Wetter mittel, Nachbarn nervig“, bei besonders guter Laune verziert mit dem ein oder anderen erquicklichen und aus postvacazioneller Sicht betrachtet vielleicht doch nicht mehr so lustigen Zeichnung, und werfe diese daheim in einen Postkasten, weil vor lauter Aufbruchsstimmung die Karten freilich übersehen worden und erst bei Bezahlung der Brennermaut wieder hervorgekrochen sind. Fünf Wochen später war die Karte dann für gewöhnlich angekommen, und obwohl der Adressat freilich längst mittels epischer Telefonate oder noch epischererer Diavorträge über das Gelingen des Erholungsaufenthalts in Kenntnis gesetzt worden war, erfolgte spätestens jetzt die Bestätigung: Ich war da wirklich, und ich hab an dich gedacht. Heute geht das anders.

Heute muss man, aber das ist freilich längst ein alter Hut, unablässig Selfies schießen, diese Arschgeweihe der Fotografiekunst mit Doppelkinn und Schielaugen, wer kein Selfie vor dem Louvre gemacht hat, der war nicht da. Punkt. Das kommt dann auf Facebook, und alle so „Woaaahboahkraaaaassalterneeeeeeid!“ Kann man schon irgendwie verstehen. Es gibt dann aber noch eine gänzlich andere Unsitte, die ich NICHT verstehen kann, noch nicht mal verstehen WILL, einfach weil sie mich auf penetranteste Art und Weise belästigt und mein persönliches bioästhetisches Empfinden aufs Empfindlichste reizt. Nämlich die, seine nackten Füße zu fotografieren, wo man hängt und steht. Den ganzen Sommer hindurch habe ich mich durch sie hindurchgescrollt: Füße in Pools/ Flüssen/ Meeren, Füße auf Booten/ Terrassen/ Balkonen/ Stränden in den Himmel gereckt.

Wow! Zum einen sind Füße das am ungefähr wenigsten schöne an so einem Menschenleib. Zum anderen sind diese Latschenfotos der größtdenkbare Ausdruck von Mittelmäßigkeit und Feigheit. Ganz offenkundig sehe ich da nämlich jemanden, der nicht die Chuzpe besitzt, einfach nur einen schönen Bergblick abzulichten, ohne sich gegen Verdachtsmomente abzusichern, er habe nur geschickt eine Postkarte abfotografiert, derweil er sich eigentlich im Bielefelder Kohlekeller befände. Zum anderen auch nicht die, im adäquaten Urlaubszustand zu zeigen. Dann wählt man also den Fuß, und das, wo doch so ein Fuß nun in den allermeisten Fällen wirklich nicht … Wobei, vielleicht gilt es gerade das zu honorieren: Seht her, ich werde nie ein Fußmodell werden, das weiß ich ganz genau, aber ich bin im Urlaub und darob derart im Einklang mit mir selbst, dass mir das völlig egal ist. Well … Hab ich wohl wieder mal zu früh krakelt. Entschuldigung.

Freitag, 9. Oktober 2015

Meedchensport

Es gibt so Fragen, die beantworte ich mit dem größten Vergnügen. „Was möchtest du trinken?“, beispielsweise, „Kann es sein, dass ich dir noch 100 Euro schulde?“ oder „Ich hab VIP-Tickets fürs Take-That-Konzert, möchtest du mitkommen?“ Großartig, natürlich, gerne, ja und einmal alles, bitte. Dann gibt es aber noch solche, denen ich mit weit  weniger Enthusiasmus begegne. Konkret eine solche, die dann bestenfalls auch noch von einem Mann gestellt wird. Die Frage lautet: „Bei welchem Sport warst’n du grade?“ BAH! Es wird nämlich dann stets die selbe Melodei angestimmt. 
Sag ich: „Beim Zumba“. Tönt es von gegenüber: „MUAHAHAHA das ist doch dieses Spackengezappel wo die Weiber immer meinen sie sähen aus wie die junge Jennifer Lopez gell HAHAHAHA!“ Sag ich: „Beim Yoga“. Brüllt es von gegenüber: „MUAHAHA ja genau das ist doch so wie wir im Kindergartenturnen uns immer einfach auf den Boden gelegt und gekichert haben und das hieß dann Sport HAHAHAHAHA!“ Sag ich: „Bei so Kraftdings“. Marodiert es: „MUAHAHAHAAA das kenn ich schon jahaaa achgotterlena und hast du dann auch so nieeeedliche pinke 50-Gramm-Prinzessinnenhanteln in der Hand naja man muss ja schauen wo man bleibt gell!“ Und dann wird sich auf die Schenkel geklopft und gekrümmt vor Lachen und je mehr Blödmänner desto lauter das Gejohle, und dann muss man sich gegenseitig auf die Hühnerbrüste boxen und die krummen Schreibtischrücken und dringend ausmachen dass man sich doch mal im Rudel mit einem Kasten Bier vor’s Fenster und haste nich gesehen ach das wird ein Spaß. Ich sag euch was: Ihr könnt mich alle mal. Oder stellvertretend für alle anderen Ladys: Ihr könnt uns alle mal! 
Die lautesten Gröler sind nämlich immer diejenigen, die es nicht mal schaffen, drei Meter stolperfrei geradeaus zu laufen, geschweige denn in der Lage dazu sind, sich einen links-rechts-Wiegeschritt zu merken, gar nicht zu sprechen davon, ihre Extremitäten über eine Stunde lang zu einer bestimmten Choreographie vorm völligen Verknoten zu bewahren. DAS ist Spackengezappel! Die lautesten Schandmäuler sind diejenigen, die im Leben noch nicht mehr als eine PC-Maus gestemmt haben, die im vergangenen Drittel ihres Lebens mit Verve und Vuvuzela zum Fernsehsportler mutiert sind. Fußballspielen, diese Kindergartenkacke, das kann ja jeder. Diese Yoga-Weiber, sag ich euch, das sind die echt harten Säue! Da sind vier Stunden Ballschubstraining ein Ponyhofausflug dagegen, und ich weiß, wovon ich spreche! Am besten wird sein, ich beantworte die Sportfrage nur noch mit einem lapidaren „Tae Bo“, um das dann direkt mit einem lockere Uppercut zu unterstrichen, kurz mit einem Hook zu garnieren und mit einem entspannten Roundhousekick davon zu tanzen ... 
Am Ende des Tages sind wir doch wieder alle Brüder und Schwestern im Geiste: Trinksport ist auch ein Hobby. 

Freitag, 2. Oktober 2015

Sommer ade

Sommer ade, scheiden tut weh. Gehst du nicht bald nach Haus, treibt dich der Grampus aus … Nun, bei solch einer Drohung hätte ich als guter Katholik freilich auch die Beine in die Hand genommen und wäre gerannt. Jetzt haben wir also den Salat. Schön kalt und knackig. Weil ich damit nicht einverstanden war, bin ich nach Süden geflohen. Weil der Herbst damit nicht einverstanden war, ist er mir kurzerhand gefolgt. Einen Tag lachte er mir listig ins Gesicht, nur um dann die Faust zu ballen und mit einem veritablen rechten Haken zuzuschlagen. Jetzt: kalt. Nass. Weltschmerz. Na wobei, stimmt eigentlich gar nicht, um ganz ehrlich zu sein. Der sozial verständige Mensch wie ich weiß ja schließlich, was sich gehört, und es gehörte sich in den vergangenen Monaten rein gar nicht, auch nur eine einzige Sekunde potentiell draußenaktiven Wetters in einem Drin zu verbringen, wenn man nicht als mindestens lebensbedrohlich krank eingestuft werden wollte. Wollte ich nicht.

War ich also draußen. Jetzt, endlich: reinwärts! Keine lästigen Spontanbalkonpartys mehr, über die man sich aufregen (Nachbarschaft) oder vergnügt-quietschend freuen (eigene) kann. Keine tägliche Auseinandersetzung mit der Bikinifigur (vorhanden nur im Sinne von „Bikini + Figur“) mehr, dafür wohliges Wollbehagen. Kein empörtes Aufschreien beim auch nur ersichtig werden des Wortes „Kino“, dafür große abzuarbeitende Listen, auf denen sich allsämtliche Musst-du-gesehen-haben-Filme sowohl der Blockbuster- als auch der Spartenlandschaft befinden. Kein lästiges Herumhängen mehr auf sämtlichen attraktiven-wie-unattraktiven-scheißegal-Hauptsache-draußen-Plätzen, dafür, und es gluckst in meinem Inneren vor unverschämter Freude: Couch, Decke, Bequemhose, Frisurfreiheit und Make-Up-Revolution.

Ganz zu schweigen vom tagtäglichen Umlackieren sämtlicher verfügbarer Extremitätennägel wegen „Fuß passt nicht zu Hand, dafür Hand hervorragend zu Top, dafür Top nicht zu Lippenstift, dafür der wiederum …“ und so weiter. Vorbei! Rein in die Hüttenschuhe und gut ist. Was mich aber lähmt, ist das Wissen um die nun anstehenden „letzten, also wirklich allerletzten sonnigen Tage des Jahres“. Sonntagmorgen aufwachen, aus dem Fenster linsen und blauen Himmel sehen statt wolkenverhangenem Regengrau – wie schrecklich! Dann muss man doch sofort wieder hinaus, in Zwiebelschichten, damit man sich als wandelndes Wolle-Petry-Gedächtnis-Mal formunschön um den Leib knoten kann. Jedoch: Es wird schön zeitig dunkel, weswegen sich der Outdoorterrorismus weitgehend in Grenzen hält. Wer Zweifel hat an meiner reinwärts-Theorie, der möge sich einfach die Programme der Clubs und Diskos anschauen. Schwalben machen Sommer, vorhergenannte Winter!

Freitag, 25. September 2015

Papageitot!

Viele Geschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Kunden mittels mehr oder weniger geschickt gewählter musikalischer Untermalung in einen transzendenten Zustand versetzen und damit zum Kauf völlig überflüssiger Dinger animieren. Neben dem zumeist lästig-poppigen Getöse, das beispielsweise in Klamottenläden herrscht, findet man in Supermärkten eher die Sparte „Aufzugmusik“.

Spitzenreiter dieser Unsitte ist ein Discounter mit den allseits bekannten Billigalarmfarben Gelb und Rot, der sich gar eines eigenen Radiosenders rühmen kann, was dazu führt, dass der Kunde in seiner Besorgung zuweilen innehalten und ungläubig den Kopf schütteln muss. Dergestalt vom Einkaufsmodus abgelenkt, vergisst er völlig, was er eigentlich besorgen wollte, und kauft wild und kopflos durcheinander, weswegen ich prinzipiell nur mit melonengroßen Baustellenkopfhörern dort einkaufe und mich odyseeisch an meinem Einkaufszettel festklammere.

Neulich gab’s aber eine Episode, die mich derart geläutert hat, dass ich mir schwor, nie wieder über Einkaufsmusizikation zu lästern. Im Feinkost Albrecht also. Eile ich hinein, man hat ja keine Zeit, weiß sehr genau, was ich brauche. Auf dieser inneren Liste befand sich ganz oben „Schlaf und Ruhe“. Doch da hatte ich die Rechnung leider ohne den Dings gemacht. Mit mir gemeinsam nämlich befand sich im Delikatessengeschäft eine Kleinfamilie, deren Spross erstens von großem Weltschmerz erfasst und zweitens sich seines Organs empfindlich bewusst war. Nicht so sehr bewusst war es sich des Begehrs, dem es Ausdruck verleihen wollte. Es tönte, nein brüllte unablässig „PAPAGEITOOOT!“.

Vielleicht hieß es auch „PAPASEITOT!“, aber das ist mir zu morbid. Papageitot also. Um genau zu sein brüllte es so: „PAPAGEITOOT! … schluchz … PAAAPAGEITOOOOT!! … rotz … PAPAGEITOOT! … PAAAAPAAAAGEEEEITOOOOOOOT! … plärr …“ Die Eltern, wie Eltern halt so sind, ließen sich zumindest äußerlich davon nicht weiter beeinträchtigen. Was möchtest du denn, Schatzi, Melonebutterkeksgummibärchenschoki? „PAPAGEITOOOT!“ Nach ungefähr sieben Sekunden hatte mein Nervenkostüm die Konsistenz von Crêpe de Chine (für die Unwissenden unter euch: ein sehr dünner, weich fließender Stoff mit unruhiger Oberfläche). Mehl … PAPAGEITOOOT! … Öl … PAPAGEITOOOT! … Puderzucker … PAPAGEITOOOT! … Axt … PAPAG… ach halt nein, Eier …

So vergeblich ich mich auch bemühte, das Gewese auszublenden, scheiterte ich ebenso im Versuch, abwechselnd Eltern und Rotzgör mit tötenden Blicken über Gemüse- und Saftregale zu versehen. „Kinder sind unsere Zukunft“, referierte der mit Tampons in den Ohren ausgestattete Kassier, „da muss man tolerant sein.“ Ja ja. Sautolerant bin ich, und deshalb schnall ich mir demnächst einen Ghettoblaster auf die Schulter, weil ich bin nämlich auch die Zukunft, und da muss man mich eben lassen. Die nächste Glosse schreib ich dann aus der Anstalt, aber da soll’s ja mitunter auch lustig sein.

Freitag, 18. September 2015

Mein lieber Scholli!

Am Wochenende ist ja wieder dieses Nürnberg.Pop. Und zum fünften Mal werde ich daran erinnert, dass sich bei jeder einzelnen dieser Veranstaltungen hartnäckig das Gerücht hält, es befände sich anlässlich des Festivals ein besonders großer Stargast weil prominenter Musikliebhaber in der Stadt. Ob das in diesem Jahr wieder so ist, weiß ich nicht. Aber weil ich mich jetzt schon so lange mit diesem Gedanken trage, finde ich, es ist Zeit für ein Geständnis. Bei diesem Menschen nämlich handelt es sich um meine erste große Liebe. Ein wunderschöner Mann mit braunen Locken und entzückend schiefen Zähnen, der, wann immer man ihn sah, in unfassbarer Lässigkeit seine stets zu langen Ärmel baumeln ließ, während er seine Kunststückchen vollführte. Ich schlief in dieser Zeit sehr gut, wachte doch über meinem Bett eine Postertapete, zusammengesetzt aus verschiedensten Abbildern all dieses Mannes Schönheit. 

Aus jedem noch so kleinen Schnipselchen an öffentlichem Auftritt füllte ich eine Videokassette(die gibt es heute noch, nur leider nichts mehr zum Abspielen) und verbrachte Stunden damit, ein Album voller Erinnerungen, Fotos und denkwürdigen Äußerungen wie „Hängt die Grünen solange es noch Bäume gibt!“ zu bestücken (das gibt es leider nicht mehr, fiel wohl einer adoleszierenden Ausmistaktion zum Opfer). Ich gönnte ihm mit angestrengtem Edelmut seine Ehe, schließlich bin ich glücklich, wenn du glücklich bist, mein Schatz, feierte seinen Geburtstag in Abwesenheit und bangte mit jeder Verletzung. Wir hatten glückliche Jahre. Bis zu einem denkwürdigen Ereignis: Der Mann und seine Truppe besuchten die Stadt – in meiner Erinnerung aufgrund eines Benefiz zugunsten des Ruhmreichen. Mit im Programm: eine Autogrammstunde! Ich war vorbereitet. Extra für diesen Irrsinnsglückstag hatte ich von meinen geringen finanziellen Mitteln eine supisüße Plüschschnecke erstanden. 

Die wollte ich dem Mann schenken als Beweis meiner Liebe und Eignung als zukünftige Gattin (die vorherige hatte kurz zuvor das Weite gesucht, ich befand meine Chancen für nicht schlecht, mich als Nachfolgerin ins Spiel bringen zu können). Je näher ich in der Signier-Schlange nach vorne rückte, desto mehr hyperventilierte, schwitzte, zitterte ich – gleich war es so weit, ich würde meine Liebe gestehen und vor laufenden Kameras den Antrag  bekommen. Schob starr vor Ehrfucht wortlos das Stoffvieh über den Tisch. Musste starr vor Schreck mitansehen, wie der Zukünftige das Vieh mit seiner eddingen Unterschrift versah. Japste „Dieisdochfürdich!“ Hörte „Aber das musst du mir doch sagen!“, was wie Engelschöre in mir erscholl – er hatte mit mir gesprochen! Den restlichen Tag beobachtete ich mit stolz geschwellter Brust, wie der Mann die Schnecke am Finger baumelnd mit sich herumtrug, schoss Fotos und verarbeitet die zu Schlüsselanhängern. Jetzt geht’s mir schon viel besser – nach 25 Jahren. Wenn du dieses Jahr wieder in Nürnberg bist, Mehmet – ich habe dich immer geliebt! 

Freitag, 11. September 2015

Festivaltypen

Man war ja aktuell vergleichsweise viel draußen. Zumindest wenn man ein halbwegs vernünftiger Mensch ist, so wie, öhm, ich. Draußen ist schön, draußen ist gesund, und daheim sterben die Leut‘, wie wir alle wissen. Gewohnt werden kann ab Oktober wieder. Zum Draußensein im Allgemeinen gehört zwingend das Draußensein im Speziellen, nämlich auf Open Air Veranstaltungen jedweder Couleur. Freiluftkino hier, Freiluftsport dort, Freiluftmusik überall. So muss das, so soll das. Was bei all diesen Veranstaltungen, die sich für gewöhnlich durch eine relative Überfülle von bis zu acht Personen pro Quadratdezimeter auszeichnen, nicht fehlen darf, sind charakteristische Menschentypen, ohne die eine jede Draußensache einfach nur halb so schön wär. Typ 1 ist der, der erfahren, vorbereitet und vorausschauend ist. Deswegen trägt der Typ einen Rucksack auf seinem breiten Kreuz, der die Größe eines Kleinwagens nicht unterschreiten sollte. Man weiß ja nie, was kommt: Regen, Sonne, Eiszeit, Wechselunterhose, Butterstullen, Wasser, Bierfässer. Zeug. Dass des Rucksackmenschen Umfang sich damit jedoch rückwärtig verdoppelt, das vergisst er, und so kuschelt er unentwegt mit um- und vor allem hinter ihm Stehenden. Wie fein, mehr Liebe und Nähe für alle! 

Typ 2, das ist derjenige, der sich daheim denkt: Ach schau wie schön, ein Musikfest in der ganzen Innenstadt, da sollen 500 000 Menschen kommen, da will ich auch hin! Und meine Brut, die steck ich in den Kinderwagen, und zwar nehm ich da nicht den Klapperbuggy, sondern den mit der SUV-Gelände-Getränkehalter-Airbag-iPod-Luxusausstattung. Das geht dann schon. Und mei wie praktisch, da kann ich dann unten in die Ladefläche auch noch meinen Hausrat (vgl. Typ 1, der) hineintun. Gesagt getan, und dann wundert sich das Gespann auf einmal: Nanu, so viele Menschen, und niemand macht mir Platz, dabei hab ich doch ein Kind, also wirklich, unerhört, nirgends kommt man durch, das Allerletzte, Kinderhassdeutschland, na warte, euch werd ich’s zeigen und fahr euch in die Hacken! Das geschieht dann mit viel Schwung und wenig Elégance, und mit viel Glück erwischt man einen dieser unverantwortlichen Deppeneltern, die ihr Kind in einer Kraxe oder gar auf den Schultern durch die Feier tragen. 

Typ 3 jedoch ist mir der liebste, zeichnet der sich doch durch besondere Toleranz und Veranstaltungskompetenz aus. Solche findet man beispielsweise direkt an Eingängen sich rasch füllender Konzertgärten. Inwändig. Da, wo dauernd Besucher hinein- und durchmüssen, stellt der Mensch sich breitbeinig hin, schließlich hat er sich jetzt diesen Platz ergattert, und weicht keinen Millimeter, „wo kommen wir denn da hin“, schnaubt er und hasst die Welt. Um seinen Platzhirschstatus zu verteidigen, ist ihm jedes Mittel recht, und da helfen weder sanfte Berührungen mit dem Samthandschuh noch gesäuselte Entschuldigungen mit der Kreidestimme. Nein, auf die wird mit sofortiger Maßregelung verbaler wie handgreiflicher Art reagiert, weil „wo kommen wir denn da hin“. Leider ist das mit den Open Airs jetzt fast vorbei und ich muss mir neue Lieblingsmenschen suchen. 

Freitag, 4. September 2015

Lieschen Müller

Obwohl – nein, WEIL ich kein Einzelkind bin, befinde ich mich in einem steten Zustand drohender potentieller Benachteiligung. Die Anfälle sind gottlob meist von kurzer Dauer. Es gibt aber einen Sachverhalt, der mich Zeit meines Lebens und wachsend tief betrübt: Ich habe keinen superdupercoolen Spitznamen. Einen solchen sucht man sich ja bekanntermaßen nicht aus, sondern er wird einem verliehen, und das ist bei mir nie geschehen. Freilich gibt es die gängige Abkürzung sowie diverse Verhunzungen meines (Nach-)Namens. Das war’s dann aber auch schon. In frühen Kindertagen habe ich versucht, einen der beiden Namen der Protagonistinnen von „Wendy“ als den meinigen durchzusetzen und bin damit, dankedanke, grandios gescheitert, sonst hieße ich jetzt „Bianca“, und als ich meine Fußballerinnenkarriere rein verletzungsbedingt an den Nagel hängen musste, war’s auch mit dem Rufnamen vorbei, den mir der Trainer verliehen hatte. 

Geh ich also spitznamenfrei durch die Welt und weine leise vor mich hin. Mutmaßlich aufgrund dieses herben Schicksals habe ich ein großes Faible für Titulierungen jedweder Art und von für Außenstehende völlig undurchsichtigen Grund entwickelt. Aufgefallen ist mir das erst jetzt wieder, als ein Freund eines der anderen Nichteinzelkinder völlig verwirrt dreinschaute und fragte, wieso um Himmels Willen das Kind so hieße, das ergäbe doch gar keinen Sinn und niemand wisse, woher der Name käme. Ich schon, schließlich habe ich vor 25 Jahren diesen Namen als den fürderhin zu rufenden Auserkoren und damit sowohl einen innerfamiliären Meilenstein gesetzt wie auch meine diesbezügliche Karriere begonnen. 

Seitdem gibt es in meinem Umfeld beispielsweise Wilmas und Petits, Rehe und Bären, Winzis und Vaddis, was stets für Verwirrung sorgt und mich diebisch freut. Ein Spitzname darf nicht gesucht werden, sondern muss zu einem kommen (von mir, im Zweifel), ganz so, wie ich einen gestandenen Familienvater und Freund und Helfer kenne, der seit jeher von seinem Umfeld „Treppe“ gerufen wird aufgrund einer jugendlichen Vorliebe fürs Einschlafen auf einer solchen. Der unerreichte König dieser Disziplin jedoch ist mein Großvater. Beschenkt mit einem Sack voll Töchtern hat der diese mit Spitznamen dekoriert, bei denen meine Augen jedes Mal aufs Neue feucht werden vor Stolz, Freude, Rührung und Neid, und neulich habe ich den ganzen Nornen-Trupp, von dem jede einzelne mit durchwegs wohlklingend-gängigen Vornamen betauft ist, genötigt, zu sammeln und mir zu erklären. Es gibt hierunter: Hotze, Rosa, Kauz, Molto, Nuschko, Donnerwetterzwiebel oder Xaver, und davon noch viel mehr. Und da kann ich nur meinen Hut ziehen und weiter durchs graue Tal der Spitznamenslosigkeit wandern. Immerhin ist nach mir ein berühmter Skifahrer benannt, das hat ja auch nicht jeder.

Freitag, 28. August 2015

Pseudologie

Neulich beim Reklamationsprozess in der Lingerie. Hatte ein Brustgeschirr dabei, das sich nach meinem Dafürhalten etwas zu frühzeitig aus dem Leim zu gehen anschickte. Reicht ja, wenn ich das tue. Jedenfalls ich so: „Blabla kaputt.“ Sie so: „ Blabla Waschmaschine?“ Ich so: „Selbstverständlich.“ Und wollte mir schon beim „Se…“ auf den Mund geschlagen haben. Denn freilich folgte eine streng gerunzelte Stirn mit der Belehrung, man sage seinen Kunden aber eigentlich immer, man dürfe nienienieemals … Zu meinem größten Bedauern kann ich einfach nicht besonders sehr arg gut lügen. Weder zu meinem eigenen Wohl noch dem meiner Mitmenschen. Dabei würde das das Leben so oft so viel einfacher gestalten. Mit Bewunderung und stechendem Neid beobachte ich seit jeher, wie sich um mich herum mit Elegance und ungezuckter Wimper durchs Leben gelogen wird. 

Unvergessen beispielsweise, als sich zwei Mitschülerinnen für das zu ihrem un-halt-ba-ren Bedauern verpasste Mathe-Extemporal wort- und fantasiereich damit entschuldigten, eine sehr, sehr enge Verwandte sei völlig überraschend dem Fährmann überstellt worden. Der Mathe-Mensch wand sich vor Mitgefühl, ich daneben mich vor Scham. Seinen Ursprung dürfte diese Eigenschaft bei einem jungen Mann, auf den ich hier nicht mehr anspielen darf, weil er mir mit Enterbung gedroht hat, und zwar mit dem Argument, es gehe sich nicht an, dass ich Gott und die Welt andauernd in den Irrglauben versetze, ich habe unter einer schweren Kindheit unter einem schweren … äh … strengen Rabenvater gelitten, haben. Als initiales Erlebnis hat sich da eine Episode im Gartencenter eingeschnitten: Der junge Mann und mein noch sehr viel jüngereres Ich waren dort zugange, um von Humus bis Rasenmäher alles zu kaufen, was so ein Balkon eben verkraftet. 

Als Lohn für stundenlanges Ausharren, Nebenherlatschen und mit kindlichem Großmut auf den Erwerb eines Haustiers Verzichten, hatte ich mir mit großem Erfolg ein Überraschungsei erquengelt. Nach Erledigung des Aufs-Fließband-Laden-und-Bezahl-Vorgangs und mit quietschend-sperrenden Einkaufswagenreifen zum Auto Wanderns griff ich mit diebischer Freude ins Kleinkörberl am Wagen, um dort mit irrsinnigem Sparerstolz zu präsentieren, was die Kassiererin übersehen hatte: das Ei. Eine wertvolle Mark gespart, so fand ich, die man direkt in Gummibären umwandeln könnte. Doch es kam anders. „Selbstverständlich, Kind“, hob der Mann an, „gehst du jetzt sofort wieder hinein und bezahlst dieses Ei!“ Ich war entsetzt, weinte, flehte, doch es half nichts. Für den Lapsus, pontifizierte es, würde die arme Frau zur Rechenschaft gezogen und das Fabergé-gleiche Ei von ihrem mageren Lohn abgezogen werden, und das sei moralisch nicht vertretbar. Klar wie Kloßbrühe: daher hab ich den Salat. Besten Dank! 

Freitag, 21. August 2015

Geschweiß

A propos Schwitzen: Auch hier stellt sich wieder einmal heraus, dass der Mensch mitnichten diejenige Krönung weder der Schöpfung noch der Evolutionsbiologie ist, als die er sich selbst gern mit nach Gutsherrenart stolz geschwellter Hühnerbrust hinstellt. Nach Gesichtspunkten vorgenannter Naturwissenschaft freilich ist die Wasserlasserei schon sinnvoll gewesen, brachte die doch einen Pluspunkt bei der Jagd: Während Mammut und Antilope längst japsend am Boden lagen, konnte der fröhlich vor sich hinschweißelnde Homo Erectus lässig zu seiner Beute latschen und die am Hax nach Hause schleifen. Jetzt hält sich das mit der Jagd in unseren Breiten aber zugegebenermaßen in überschaubaren Grenzen, und – nein, die Jagd nach dem besten oder einzigen Platz im Biergarten güldet nicht! Jag ich also mit dem Radl da hin und dann brauch ich eine Stunde zur Akklimatisierung, derweil der Schweiß die Kniekehle hinabrinnt und so unschöne wie verräterische Streifenmale auf dem Oberhemd hinterlässt.

Gut, so ein Pferd, das schwitzt freilich auch, hat aber den unbestreitbaren Vorteil, sich hernach mit Stroh abreiben zu können. Das sieht ja nicht aus, wenn man das so als Mensch macht, im Bus, nachdem man diesem hinterher gesprintet ist. Auch nicht so aussehen tut, den ganzen Sommer über mit den Ohren zu wedeln wie ein Elefant, obgleich das ein oder andere Menschlein durchaus die dazu erforderliche Waschl-Größe sein Eigen nennt. Fürderhin nicht gesellschaftlich akzeptiert ist, sich in jeder sich in den Weg werfenden Pfütze zu wälzen wie ein Vöglein – mal ganz abgesehen davon, dass es mit den Pfützen dieser Tage nicht weit her ist und man dann direkt in die Brunnen steigen müsste, was wiederum die SÖR mutmaßlich nicht nur mit der Augenbraue zucken ließe.

Im Übermaß vorhanden wären Staubfelder. Macht ja auch der Elefant so, oder Schweine. Stellen wir uns also in so einen Staubdreck und pudern uns sorgfältig ein mit dem Nebeneffekt, uns das Geziefer vom Leib zu klopfen. Haut nur nicht hin wenn man eh schon klatschnassgeschwitzt ist, weil dann gibt’s eine Emulsion und darob Razul für alle – das ist so eine orientalische Spezialsauna, in der man sich erst von Kopf bis Fuß mit Schlämmen einreibt und dann alles abschwitzt. Eine Bevölkerung in Camouflage. Nä! Neben dem raubtierartigen Schwitzen an den Fußballen, was der Mensch eh auch vorzüglich kann, bliebe also nur, bestet zu hecheln. Das wiederum stelle ich mir nicht minder ästhetisch vor als das Ohrenwedeln, hat aber den Nachteil, dass das zu großer Mundtrockenheit und Durst führen dürfte. Wie man’s dreht und wendet: Schwitzen nervt. Zum Glück macht das grad kurz Pause, aber bald gilt wieder: drölfmal am Tag duschen und uns vorsorglich an den Winter erinnern, wo wir uns dann wünschen, doch mal wieder so richtig schwitzen zu dürfen.

Freitag, 14. August 2015

Körpermaschine

Ich sitze am Schreibtisch und versuche, diese Glosse zu schreiben. Daran ist jetzt nichts ungewöhnlich. Jedoch stellt sich als schwierig heraus, irgendwas zu Papier zu bringen, während ich alle Extremitäten weit von mir spreize und außerdem im Schwebesitz á la Raststätten-WC einen Kontakt mit dem Stuhl weitgehend zu vermeiden suche. Unter gar keinen Umständen darf irgendwas mit mir in Berührung kommen, auch nicht ich selbst. Nichtsdestotrotz bin ich schweißgebadet, was sich durch einen kurzen Blick aufs Thermometer und den darauf blinkenden 31,8 Grad leicht erklären lässt. Mitnichten käme es mir in den Sinn, mich über diese Zahl zu beschweren – find ich super, bin ja kein Bauer, und dass demnächst „Low Carb für alle“ ansteht, kann ich prinzipiell und aus rein egoistischen Gründen nur begrüßen. 

Was mich sakrisch stört, ist die Tatsache, dass ich grade eben geduscht habe und keine zwei Minuten später schon wieder klebe wie so ein Fliegenfängerdings, das man aus urigen Landgasthöfen kennt. Einzig den listig am Fenster drapierten Geziefernetzen ist es zu verdanken, dass ich nicht ebenso paniert aussehe. Ich finde Wissenschaft blöd! Man muss sich das mal vorstellen: Da fliegen sie zum Mond, transplantieren alles vom Augapfel bis zum primären Geschlechtsorgan und kennen die Tiefsee bald besser als ihre eigene Mundhöhle, aber was noch kein Mensch erfunden hat, ist eine Körperpflegemaschine. Was mir völlig schleierhaft ist. Ich meine, was da alles an Zeit draufgeht! Den ganzen Tag ist man damit beschäftigt, Körperfunktionen in Schuss und Zaum zu halten. Ein sisyphosales Unterfangen, will doch so ein Körper einfach nicht einsehen, dass er gefälligst nicht schwitzen soll, von wegen! Kaum hat man sich gereinigt, pappt schon wieder alles. Und dann der ganze Rest! 

Besonders im Sommer ist man gerne mal die eine Hälfte des Tages damit beschäftigt, Flüssigkeit in sich hineinzutun, und die andere Hälfte damit, selbige wieder aus sich heraus zu lassen. Ansonsten verbringt man übers laufende Jahr hinweg Stunden und Wochen damit, zum Frisör zu gehen, zu pedi- und zu maniküren, Make-Up, Make-Off, duschenanziehenzähneputzen, duschenausziehenzähneputzen, ein steter Reigen, den man rein aus Gesellschaftskonvention freilich tunlichst zu tanzen hat. Mein Wunsch ans Universum ist eine Maschine wie sie Wallace, der zweibeinige Freund von Gromit, längst hat: Während ich noch selig schlummere, soll die sich über mich drüber stülpen und alle sanitären Vorrichtungen erledigen. Wache ich auf, bin ich onduliert, geschminkt und epiliert. Abends geht das dann retour: hinlegen, einschlafen. Rest macht die Maschine. Dafür sollte man Fördergelder und Preise ausloben! Ich biete mich dann auch als Schirmherrin an. Und schon bleibt mehr Zeit für die wichtigen Dinge: alles, was draußen ist.

Aus Ende Äpfel. Nee: RAUS Ende Äpfel! Und Sternschnuppen gucken!! 

Freitag, 7. August 2015

Patholotät

Neulich war ich, ausnahmsweise mal auf einer Vernissage. Bumberlvoll war’s da, und alle so yeah und wow und hip und yolo und hastenochnemate und alterisdaskrassgeilerscheißhier. Inmitten dieser gesammelten Sachverständigkeit entdeckte ich ein Störelement. Nämlich eine Dame auf so einem Rindenmulchbeetbegrenzungspfostendingsi. Die war gar nicht mal so yolo, und swag auch nicht, sondern eher so doppelt so alt wie die meisten anderen Anwesenden. Das allein zog bereits mein Augenmerk auf sich. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die Pfahlsitzerin bebte, bei noch näherer, dass es sie schier schüttelte, bei allernächster, dass das nicht vor Lachen geschah. Bitterlich schluchzte die Frau inmitten all der Happihappiness, die sich nicht weiter um das Störelement scherte. Ich hab da allerdings so eine Krankheit, die macht, dass ich unter keinen Umständen an einem akuten Elend vorbeigehen kann, ohne mich irgendwie als Helfer anzubiedern, was kurz zuvor erst zu einer unfreiwilligen mehrstündigen seelsorgerischen Streetworker-Sitzung auf offener Straße mit einem mir unbekannten Alkoholikerpärchen geführt hatte. 

Höre ich mich also „Geht’s dir gut? Kann ich dir helfen?“ sagen und will mich gleichzeitig dafür ohrfeigen, weil dem rationalen Teil meines Gehirns sofort ein weiterer Abend Seelsorge statt Kultur schwante. Meinen Begleitern übrigens auch, weswegen die alsgleich augenverdrehend weitereilten. Ich derweil befürchtete schlimmstes: Vater verstorben, Hamster auch, unheilbare Krankheit, Scheidung, WLAN defekt. Solcherart gewappnet erfrug mein Helfersyndrom also gegen meinen Willen roboterartig den herzerreißenden Umstand. „Ich bin …“, schluchzte es hinter der Brille hervor, „also ich habe ... (beb) … ich meine … (schluchz) …“ Jöi, dachte ich mir, den Abend kannste knicken, und schickte mich an, es mir im Rindenmulch bequem zu machen. „Ich bin 47 Jahre alt und eine gestandene Frau, die ihr Leben im Griff hat“, schnäuzte die Dame ins dargebotene Tempo. „Und … jetzt … ist meine … Tochter … verrückt geworden!“ 

Au weh, nicht gut. Es folgte ein von Tränenschauern durchwobener Rapport, der sich sinngemäß um nächtliches Fernbleiben, Unwahrheiten, Alkohol, Nichtabmelden und ähnliches drehte, und so langsam lichtete sich ein Nebel. Während allerlei weitere Beweise für den desolaten Geisteszustand der Tochter erbracht worden, formulierte ich eine listige Frage. Nämlich: „Du, wie alt isn deine Tochter?“ – „FÜNFZEEEEEHEHEHEEEEN!“ Da hätt ich fast gelacht. Reichte der Dame die Tempopackung und einen Schulterklaps und versicherte ihr, es bestünde keinerlei Anlass zu ernsthafter Sorge, das mit der Psychose würde sich so in den kommenden zwei bis vier Jahren legen – grad dass ich ihr nicht die Nummer meiner Frau Mama gegeben hab – und entließ mich in den Abend. Mit diesem Gleichnis möchte ich allen Eigentümern Schwerpubertierender zauberhafte Sommerferien wünschen und diskret das Stichwort „Jugendfreizeit“ ins Feld führen. 

Freitag, 31. Juli 2015

Verkehr(t)

Seit jeher habe ich mich den südlichen Ländern eng verbunden gefühlt – zumindest, was den Verkehr betrifft. Den mit dem Auto. Man fährt sportlich-elegant, statt Blinker oder Bremse gibt es Hupen, fehlende PS werden durch Wahnsinn kompensiert und Verkehrsregeln milde lächelnd der Kopf getätschelt. Das führt gemeinhin erstens zu zügigem Verkehrsfluss, zum anderen zu maximal erhöhter Konzentration, was wiederum eine passiv-aggressive Fahrweise und damit einhergehend ein weitgehend gesenktes Unfallrisiko zur Folge hat. Mag ich. Davon könnte sich der Deutsche als solcher mal einen Ranken abschneiden. Es gibt da primär zwei Verkehrsregeln, die hierzulande als Richtwert angesehen und darob hoheitlich ignoriert werden, was exakt eine Sache zur Folge hat, nämlich Zwangsentschleunigung und Grant. Die eine ist das gerne innerstädtisch zur Anwendung kommende sogenannte Reißverschlussverfahren. 

Ein Reißverschluss, das wissen wir alle, funktioniert so, dass man unten an irgendeinem Dingsi zuppelt, woraufhin die linke Seite der Häkchen nach oben schnalzt und die rechte an Ort und Stelle verbleibt. Dann muss man weinen und nach der Mama rufen und warten, bis die das wieder richtet. Ganz ähnlich funktioniert das auf der Straße, nämlich frei nach dem Motto „Reißverschlussverfahren ist ein IQ Test, den man in der Öffentlichkeit macht“. Gruppe A wechselt drei Kilometer vor dem ersten entsprechenden Schild aus Gründen des vorausschauenden Fahrens auf die korrekte Spur und verfüllt diese engmaschig, um dann Fahrern der vorbeieilenden und einspuren wollenden Gruppe B durch starren Blick und sofortige Schließung qua beherzten Aufrückens auch der kleinsten Lücke unmissverständlich klar zu machen, dass sie ja nur rechtzeitig die korrekte Spur hätten wählen müssen. Hupen, Auffahrunfall, Stau, alles richtig gemacht. Das andere ist das mit dem Rechtsfahrgebot. 

Dass der Deutsche so verinnerlicht zu haben scheint, dass „rechts“ irgendwie gemeinhin nicht so gut ankommt, hält er sich von der bösen Seite gerne fern. Wegen: Omeingott in fünf Kilometern fährt ein LKW und in 17 noch einer da komm ich NIE WIEDER rechtzeitig raus aus diesem Rechts, also bleib ich lieber in der Mitte oder, noch besser, direkt links mit meinen gemütlichen 118 km/h. Und dann kommt ein böser 135er-Raser von mittelinks, jasageinmal müssens die Leut eigentlich immer so eilig haben, ich lass mich nicht hetzen, und außerdem ist hier 120, da wird man ja wohl nochmal schulmeistern dürfen. Eine formidable Lernstrecke für das, was dann passiert, befindet sich beispielsweise auf der A9 so zwischen, sagen wir mal, Ingolstadt und Roth. Da tät der ADAC die Hände überm Kopf zusammenschlagen, tät er da. Praktischerweise beginnen im gelobten Land heute die Sommerferien, und da bietet sich erfahrungsgemäß viel Zeit zum Üben. Und immer schön blinken, dann wird auch nicht geblitzt. 

Freitag, 24. Juli 2015

Sommerlebkuchen

Vor zwei Wochen war ich seit langem einmal wieder in meiner Eigenschaft als Praktikant der Wissenschaft auf den Straßen unterwegs. Es galt, sich unters touristische Volk zu werfen, um dieses durch geschickte, weil gänzlich unsubtile Fragestellung dazu zu verleiten, sich negativ über die Noris zu äußern. Die Sonne lachte, Nürnberg auch. Mich aus. Nach drei Stunden intensiver Feldforschung hatte ich erstens einen akkuraten Sonnenbrand und zweitens die unumstößliche Bestätigung meiner eigenen heimlichen Überzeugung, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Der Tourist, egal welcher Ethnie, überschlug sich förmlich in Lobgesängen. Allein, das war nicht Ziel der Aufgabe. Ein letztes Mal hob ich an und frug in ein Paar hinein, ob ihm nicht bitte irgendetwas aufgefallen sein, was dem Glanz der Metropole einen blinden Fleck verpassen könnte. Nun, sächselte es mir zu, sie seien ja mit dem Fahrrad hergetourt, und als man so nordwärts die Stadtgrenze passiert habe, da sei ihnen ja dieser Lebkuchengeruch … 

HA!b ich euch!, wollte ich in gehässigen Jubel ausbrechen, doch wurde darin jäh unterbrochen … aufgefallen, und das wäre ja besonders fein gewesen, da habe man direkt mal kurz angehalten, um ordentlich zu inhalieren. „Entschuldigen Sie“, wendete ich mich eilig ab, „mir kam gerade etwas Kotze hoch“, und nestelte an meinem initialbestickten Seidentaschentuch. Nebenan ward in eben diesem Moment von einem lustigen Marktschreier eine Wassermelone entzweit, das war mir wohl bei 30 Grad olfaktorisch ein zu erfrischendes Erlebnis, ich weiß auch nicht. Dieser Lebkuchengeruch. Natürlich hatte das Paar recht. Was kann es schöneres geben, als diesen nelkiggelben Dunst, der sich im höchsten Hochsommer mit dem Smog – den wir hier nicht haben, schon klar, aber so wegen metaphorisch – vereint und in sanfter Duftkorpulenz einem Brautschleier gleich anmutig über die Stadt legt, auf dass der Bewohner frei atmen und sich rechtzeitig auf den baldigen Winter zu freuen beginnen kann! Weil’s ja da eh noch nicht genug, äh, riecht. 

Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, bei 40 Grad im Schatten leichte Düfte wie Gaultier aufzulegen oder solche, die dem eines Vanille-Duftbaums nachempfunden sind, damit jeder andere im Umkreis von 500 Metern flugs das Gefühl bekommt, in eine Plastiktüte zu atmen. Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, mittags schön einen Döner zu speisen, am besten im Bus oder so, dann wird das Mahl nicht so schnell kalt. Weil der Mensch ja findet, es sei für das ganzheitliche Geruchserlebnis förderlich, möglichst viel möglichst organischen Unrat links und rechts und hinter sich zu verstreuen, damit für Fliegen und Amöben auch mal was getan wird. Vor gut zwei Jahren ist es einem findigen Alchemisten gelungen, all diese Eindrücke und freilich noch viel mehr in einen Flacon zu verbannen. Äh Schmarrn, nachzubauen. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit reich geworden ist. Wenn, dann mit Touristen. 

Freitag, 17. Juli 2015

Das Ding mit dem Duden

„Lebenslanges Lernen“ ist ein Konzept, das Menschen dazu befähigen soll, während ihrer ganzen Lebensspanne zu lernen. Quasi. Hab ich gehört. Kann mich damit nicht recht identifizieren, habe schließlich mit dem lästigen Lernen rechtzeitig, will sagen: frühzeitig vor dem Abi aufgehört und den Erfolg dieses Geniestreichs verbrieft in einem staubigen Ordner stehen. Frei nach Pippi Langstrumpf mache ich mir die Welt seitdem widdewiddewie sie mir gefällt, und zwar vorzugsweise die sprachliche. Nun befinde ich mich neuerdings in einer recht ungewohnten Situation. Nämlich der, dass mir, also wirklich, ausgerechnet, ein sprachliches Korrektiv vor die Nase gesetzt worden ist. Derweil andere längst resigniert haben (ich grüße an dieser Stelle meine Oma, meine Redakteure und alle, die mich kennen!), gibt es da plötzlich einen Menschen, der meine eigene Begeisterung über die Flexibilität von Sprache und deren großzügiger Auslegung zu meinen Gunsten aus mir völlig unverständlichen Gründen nicht teilt. Ich mein – grad Deutsch, echt wahr, ich hätte ja auch Englisch lernen können, wenn ich gewollt hätte!

Diejenige aller (mir bekannten, jaja) Sprachen, die so herrlich nach Baukastenprinzip funktioniert, Bestandteile reicht, die man nach Gutdünken zusammenbasteln kann, so dass am Ende ein wunderschönes Wort dabei herauskommt. Das es so vorher nicht gab, mir aber zur Verbildlichung bestimmter Umstände gereicht, für die mir kein anderes Wort einfällt. Man kann das als Faulheit bezeichnen, weil ich könnt ja nach dem passenden Wort suchen. Oder als Ökonomie, weil ich durch die geschwinde Neuerfindung Energie spare, die ich dann für … äh, anderswo halt einsetzen kann. Wer ökonomisch, also faul ist, ist kreativ, und schon wird wieder ein Schuh draus. Auf diese Art purzeln mir Wörter aus dem Baukasten direkt hinein in die Tastatur, und dann stehen da Konstruktionen, deren Sinn sich nach meinem bescheidenen Dafürhalten sofort erschließt – ein Wörterbuch habe ich bislang nicht angelegt, was interessiert mich auch mein Geschwätz von gestern?

Da ich auch so spreche wie ich schreibe, oder umgekehrt, wer weiß das schon, ertönt hier und da mal ein zwischen Verwirrung und Entrüstung schwankendes „Also Katharina, das Wort gibt es doch überhaupt nicht!“, dem ich mit Effet die Standardantwort „Ja doch, jetzt schon, sieht du doch!“ entgegenzwitschere und einen Schluck aus der Pulle nehme. Das neue Korrektiv argumentiert beharrlich anders, nämlich mit den Worten „Also Katharina, das Wort gibt es nicht laut Duden.“ Da muss ich jetzt sagen: Das tut mir aufrichtig leid für ihn. Also für den Duden. Vielleicht sollte ich da mal anheuern. Oder so eine Art Pipeline bauen, von meiner Tastatur direkt in den Duden hinein, und dann wollen wir mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt.

Freitag, 10. Juli 2015

Morgenröte

Besuch letzthin bei älterem Herrn, mit dem ich weitläufig bekannt bin. Tür auf. „Oh, welch bezaubernder Anblick, Sonnenschein! Und diese Urlaubsbräune!“, flötete es italiengegerbt zu mir heraus. „Wie ein Eskimo!“ Ich schenkelklopfte an dem feixenden Senior vorbei ins Haus, um mich auf der anderen Seite im schattigen Nord zusammenzukauern und sanft hin und her zu wiegen. Ich komm nämlich mit der Situation nicht mehr klar. Seitdem ich denken kann, begegnen mir Menschen mit unverhohlenem Neid auf meinen Hautton. Richtiger ist wohl eher „mit schlecht verpacktem Neid“. Daher kommt der nämlich in einem Gewand, das an Kreativität seinesgleichen sucht. Es beginnt im Frühjahr, so im März, wenn ich mich langsam aus dem Rollkragen heraustraue. So schnell schau ich gar nicht, und ich hab Fremdmenschenfinger auf meinem Dekolleté, die darauf herumstupsen und die entstehenden hellen Punkte auf vornehmem Rotschimmer als eindeutiges Zeichen für „Na du warst aber auch schon in der Sonne, he?“ identifizieren. Das ist der Beginn des alljährlichen Reigens meines persönlichen Sommer-Bingos. 

Ob ich Urlaub am Nordpol gemacht habe (10 Punkte), ob ich gestern wohl im Park war (5 Punkte), ob ich nicht langsam mal aus der Sonne gehen sollte (5 Punkte), ob ich nicht vielleicht eher so der helle Typ wäre (20 Punkte) … Bin ich nicht! Ich bin prinzipiell schon eher so der südländische Typ. Halt der südschwedische. Das merkt man schon allein daran, dass ich problemlos stundenlang in einer Mittagssonne liegen kann, bei der jeder weicheirige Italiener längst in den Siestakeller verzogen wäre. Dass meine Noblässe dabei vergleichsweise hurtig den Farbton sinnlicher Klatschmohnfelder annimmt, gründet sich auf der naheliegenden Erklärung „Rot ist mein Braun!“ Dagegen hilft übrigens auch nicht, mich mit LSF 130 in eine weiße Glitschmade zu vercremen. Ich bräune nicht, ich röte, und das ist mir allemal lieber als das Schicksal einer Bekannten, die ebenfalls mit milchweißem Teint gesegnet ist, sich nach dem intensiven Sonnenbad jedoch äußerte, es wundere sie eigentlich nur, dass sie nicht noch mehr ausgeblichen sei. 

Man soll ja schließlich hernach sehen, dass man was getan hat. Dieses Schicksal teile ich mit vielen Menschen, die sich einer steten Diskriminierung ausgesetzt fühlen, die genährt wird vom Neid der tiefbraunverbrannten Erben alter Feldarbeiterdynastien. Ich hingegen, die ich niederbayerischem Bauernadel entspringe, kann auf heller Haut rote Muster kratzen (Dermographismus, eine bislang unentdeckte Kunstrichtung!) und auf rotem, weil gutdurchblutetem weil pumperlgesundem Dekolleté in hell meinen Namen schreiben. Das könnt ihr nicht. Ihr könnt dereinst die Narben eurer Melanome zu Sternbildern verbinden, die ihr vom Nachthimmel abmalt, den ihr sommers zum besten Freund macht, weil ihr euch tagsüber tunlichst im UV-freien Keller vergraben werdet. So! Und jetzt geh ich Haare blondieren und mich dann in die Mittagssonne legen, damit ich am Wochenende meinem Spitznamen „Pommes rot-weiß“ gerecht und all euren neidgeschürten Spitzen salbungsvoll begegnen werde. Vielleicht mal‘ ich mir auch einen Mittelfinger ins Dekolleté. Zur Sonntagmorgenröte hat ja vermutlich auch noch kein Mensch gesagt, dass sie sich doch vielleicht lieber mal einschmieren soll. So!

Freitag, 3. Juli 2015

Dummenkunst

„SYMMETRIE IST DIE KUNST DER DUMMEN!“ schreie ich wild, springe mit Effet auf die Matratze in Eichefurnier und axte mit dem Flammenschwert Kugelleuchten zu Boden und Nachtkästchen entzwei, um anschließend das Landschaftsbild in Brand zu setzen. Schon geht es mir besser. Dass hierwegen drakonische Strafen bis hin zum Hausverbot im Möbelladen drohen, hat der gute Karl Clauss Dietel wohl nicht bedacht. Ich schon, deswegen eskaliere ich nur theoretisch. Leider. Seit jeher werde ich nervös beim Anblick allzu akkurater Wohnarrangements. Werden mir stolz neue Einrichtungen präsentiert, in denen alles lasergenau mittig ausgerichtet ist, überkommt mich das dringende Bedürfnis, hineinzuschlüpfen und einem Möbel einen Stoß zu versetzen, huschhusch, hinaus aus der Symmetrie. 

Es macht mich kirre, wenn Menschen Gegenstände auf Kante ausrichten, parallel die Tischdeko, die mich öde angrient und nachgerade dazu herausfordert, ihr irgendwo eine Unordnung unterzujubeln, und Wandbilder, die mit dem Türrahmen abschließen, bereiten mir Schweißausbrüche. Keine Ahnung, warum das so ist. Kann sein, weil die meisten Menschen eine echte Symmetrie nicht bewerkstelligen können, was zur Folge hat, dass sie immer um Haaresbreite danebenliegen, was mir wiederum die Optik brechen lässt. Diese Symmetriephobie, die macht, dass ich allein beim Anblick eines Mittelscheitels Schüttelfrost erleide, ist jedoch semipermeabel und tritt gerne spontan nach mir weitgehend unerschließbaren Mustern (!) auf. Während ich also in bestimmten Bereichen automatisiert nachdrücklichen Wert auf ein Ungleichgewicht lege (Frisur, Körperschmuck, Dekoration), gibt es andere, in denen ich mich höchstselbst zur Weißglut bringe. Vornehmlich lebensmittelproduzierende Tätigkeiten jedweder Art. 

Ich leide wie ein Hund, bin ich gezwungen, jemandem dabei zuzusehen, wie er achtlos und bar jedes Ausgeglichenheitsgefühls Zutaten auf eine Pizza wirft. Ich möchte gerne jedes Schinkeneckerl abzählen, jede Pepperonischeibe wiegen, jeden Milliliter Soße messen, damit auch ja alles eine rundum ausgewogene Mischung ergibt. Bewirft der Mensch den Teig mit Dingen, muss ich mich zwingen, nicht ständig hineinzugreifen und eine Ordnung herzustellen. Krieg ich einen Kuchen nicht so aufs Blech gezimmert, dass alles gleichmäßig verteilt ist, möchte ich ihn am liebsten entsorgen, und Lasagnebesoßungseinwände wie „Das verteilt sich doch dann im Ofen!“ kann ich unmöglich gelten lassen. Nicht auszudenken, es verteile sich NICHT im Ofen! Das ist freilich nicht fair gegenüber dem Einrichtungshaus als solchem, das schließlich nichts dafür kann, dass es keine Pizza ist. Aber die Rede war ja nicht von Gerechtigkeit, damit hab ich nun wirklich nichts am Hut. 

Freitag, 26. Juni 2015

Seniorenwiese

Habe die vergangenen Stunden mit dem intensiven Studium der Religionen der Welt verbracht. Nicht, um Ernährungsgewohnheiten zu erforschen oder die Bestrafung von Versündigung bzw. Entlohnung heiliger Gebotskonformität, nein. Sondern um die mit den Glaubensrichtungen einhergehenden Bekleidungsmöglichkeiten zu sondieren, um im Anschluss die entsprechende Entscheidung fällen zu können, wohin zu konvertieren ich habe, um für den Rest meines Lebens in sakrosankter Legitimität möglichst ganzkörperverschleiert umherwandern zu können. Die zu dieser Überlegung führende Gedankenkette sah in etwa so aus: Wettervorhersage – Sommer – Freibad – Bikini – Shopping – Coaching oder Konvertieren. Letzteres ist glaube ich mit weniger Kosten verbunden. 

Also. Ich weiß wirklich überhaupt nicht, wie irgendein (weiblicher) Mensch ernsthaft in ein Geschäft gehen kann und sich in einer 17 Quadratzentimeter großen und mit weißem OP-Licht ausgeleuchteten Umkleide in einen auf einen holländischen Magermodelleib geschnittenen Bikini gewanden, im Spiegel anschauen und „Ja, geil, des mach ich!“ denken. Und nicht „Ich hab Freibäder und so eh immer schon gehasst, wegen Chlor im Speziellen und Wasser im Allgemeinen, und das mit der Sonne ist auch nicht zeitgemäß wegen Krebs und man sollte wirklich viel mehr Zeit im Keller und wie ging das gleich wieder mit dem Punktesystem von dieser Diätsekte?“ Wenn ich mich so im Freundinnenkreis umhöre, kann das aber auch keine. Sondern sind Badeanzüge wieder schwer en vogue, wegen „Pfeif auf nahtlose Bräune, wenn es doch nahtlose Verhüllung geben kann!“, und meinetwegen kann die verklärte Renaissance der 20er Jahre gern auch in der Bademode wieder Einzug halten – ja, auch männerseitig. Hie und da sieht man an einer Badestatt noch diese tonnigen, kleingeblümten portablen Umkleidekabinen, die man natürlich aus Stolzgründen nicht besitzen darf, insgeheim aber rasengrün vor Neid wird. 

Folgende Überlegungen also: katholische Nonne – monochrom, geht einher mit körperlicher Entsagung und Knien auf Holz; Buddhismus – orange korrespondiert nicht mit meinem Teint, Glatze nicht mit der Frisur; Zeugen Jehovas – anachronistische Gewandung, schweigend Wachttürme verkaufen, nö; Judentum – Schäufele- und Steaksemmelproblematik; Islam – siehe Judentum, dazu das mit dem Alkohol, sticht Vorzüge des Burkinis … Das geht jetzt so lang so weiter, bis ich eine Nischenreligion eines indigenen Amazonastamms gefunden habe, bei dem eh immer alle nackert sind, was entweder Emigration oder multiple Anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Folge hätte. Oder einfach die Weiterführung der weisen Entscheidung, im Freibad nicht auf der Teenager- und Anabalika-, sondern Seniorenwiese zu lagern. 

Freitag, 19. Juni 2015

Akalkulie

In Deutschland gab es 2011 laut einer Studie 7,5 Millionen funktionale Analphabeten. Also Menschen, die, arg kurz gesagt, nicht so lesen und schreiben können, wie sie es hierzulande sollten. Wollte ich wissen, wie viel Prozent das sind. Weil wegen Hochrechnens auf Nürnberg. Hab ich gemacht 80:7,5 und kam auf ein stolzes, doch einleuchtendes Ergebnis von circa 11%. Irgendwas in mir drin erhob zwar Einwand ob des Rechenwegs, doch was kümmerte es mich, in mir drin erhebt ja gern mal irgendwas einen Einwand. Wurde dann korrigiert und auf den rech(t)en Weg gebracht. Am Ergebnis ändert sich zwar nicht viel, wohl aber an der Kollateralerkenntnis: Dyskalkulatoren, also Rechenschwache, werden viel zu wenig beachtet!

Dass diese Anklage einen nicht ganz uneigennützigen Hintersinn hat, könnte sich dem aufmerksamen Leser bereits weiter oben erschlossen haben. Weil: Ich kann’s einfach nicht. So sehr nicht, dass einzelne Personen gerne liebevoll von „Akalkulie“ (i.S.v. „völliges Unvermögen“) sprechen. Das ist natürlich völlig übertrieben. Ich finde nur, dass Zahlen – oder wie ich neuerdings weiß: Ziffern – ausgesprochen unsympathische Teile sind. Und je größer und vielschichtiger sie werden, desto weniger mag ich sie. Die Zahlen, also nicht die Ziffern, weil … Ach, lasst mich doch in Ruh! Jedenfalls war das schon immer so. Ich erinnere mich mit einer Träne der Rührung, wie einst ein gewisser Erziehungsgenötigter Stunden, Wochen und Jahre damit verbracht hat, mir die Grundzüge der Mathematik einzutrichtern. Je abstrakter, desto schlimmer, und das mit dem Bruchrechnen hab ich erst ansatzweise begriffen, als dazu übergegangen wurde, hübsche Gemälde von Torten anzufertigen.

Das hat der Erziehungsgenötigte bis heute beibehalten: Versucht er mir einen simplen mathematischen Sachverhalt (2m² Schreibtisch von 18m² Zimmer sind …?) darzulegen, tut er das erst verbal, um dann nach einem kurzen Blick in mein Mondkalbgesicht wortlos zu Stift und Zettel zu greifen. Gilt es im Freundeskreis eine Abrechnung zu machen, bin ich im „du hast da so viel und ich so viel und sie so viel deswegen musst du ihr so viel und ich dir so viel“ völlig aufgeschmissen und gezwungen, darauf zu vertrauen, von den Liebsten nicht über den Tisch gezogen zu werden – was ihnen wirklich ein leichtes wäre. Je mehr ZifferzahlenlasstmichdochinRuhe in einem Satz vorkommen, desto schneller schaltet mein Gehirn ins Standby und erst wieder ein, wenn das Verhältnis „Buchstaben-Ziffern“ sich zugunsten erstgenannter gewandelt hat. Jetzt könnte man meinen, ich sei ein Crack in puncto „Textaufgaben“, doch das ist 1. weit gefehlt und wird 2. dereinst erläutert, wenn’s hier mal um Betriebsanleitungen und Formulare jedweder Art geht. Mein privater Abakus hat mir übrigens verraten, so rein theorechnerisch wären das für Nürnberg rund 46500 funktionale Analphabeten. Hoffentlich hat der sich da verrechnet …

Freitag, 12. Juni 2015

Ästhetik des Wartens

Neulich hab ich mal ein bisschen gewartet. Weil das Wetter war ja nich so, und das Warten an sich wird gemeinhin völlig unterschätzt, also, dacht ich mir, wartest du mal ein bisschen. Die Erkenntnis dieser kühnen Tat möchte ich direkt vorwegstellen, befinde ich mich damit doch in einer Reihe mit den großen Forschern dieser Zeit. Weil: Der Mensch sollte viel, viel mehr warten. Und zwar dringend ohne sich dabei mit einer dieser neumodischen Erfindungen wie Büchern und dergleichen zu beschäftigen, da verpasst man nämlich alles. Um der Warterei den richtigen Rahmen zu geben, hab ich mir selber die Bedingung verpasst, es müsse sich um solche Örtlichkeiten handeln, die sich eines Schalters und darob oktroyierter Zeitvertändelung erfreuen. Wohin genau ich mich begeben habe, kann ich aus Rufmordgefahrgründen nicht en detail angeben, ebensowenig, ob es sich da um meinen Ruf oder … naja. 

Warten macht zum einen, dass man viele Menschen sieht. Und viele Menschen machen viele lustige Dinge, die sich garantiert nicht im Candy Crush abspielen, und im Quizduell auch nicht. Sitzstehe ich da beispielsweise in so einem Fahrgastunternehmen und gucke und muss laut in mich hineinlachen. Guck ich, wie eine Kindergärtnerin sich als Löwenbändigerin betätigt. Erst verbal. Dann mit Bonbon-Bestechung. Guck ich wieder hin, weil’s plötzlich so still ist. Sitzen alle Welpen schweigend vor einem Bildschirm und glotzen selig Urlaubswerbung. Lernen kann man auch was, nämlich „Beliebtmachen für Profis“ von den Schaltermenschen: „Geschlossen“-Schild auf den Tresen stellen und dann offenkundig gelangweilt mit verschränkten Armen abhängen, während auf der anderen Seite des Gatters die Massen kurz vor der Schlägerei stehen kommt mindestens so gut, wie hinter selbigem Schild lautvergnügt ins Facebook hineinzulachen. 

Ein anderer Ort, an dem sich der gesellschaftliche, wie sag ich’s denn jetzt am besten, also das, was in den Glasflaschen vom naturtrüben Apfelsaft am Ende übrig bleibt, also wo sich das da jedenfalls sammelt, ist ebenfalls ein ersprießlicher Quell an Menscheleien. Abgesehen davon, dass ein Klima herrscht, das den Verdacht nahelegt, das Personal zöge heimlich Tomaten in den Schränken, machen Kinder in Lycra Schlafyoga auf dem Boden und unsichtbare Männer um die Ecke Angst vor TBC, nachdem eine ausschließlich tschechisch sprechende Großfamilie sich für eine Stunde geweigert hatte, das Wort „Dolmetscher“ zu verstehen und ergo eine Schlange Unmut produziert. Highlight: Zwei Prachtexemplare besagten Flaschenbodenbewohners betreten den Raum, um potentiell lange Wartezeiten zu monieren, man hätte ja schließlich sonst nichts zu tun … 

Freitag, 5. Juni 2015

Langeweilestress

„Und wisst ihr, was das schlimmste ist?“ frug einst ein Mensch in eine Runde. „Es hat noch nicht mal richtig angefangen.“ Als Antwort erklang Wolfsgeheul, wenngleich leise, schließlich waren die Angesprochenen in einem nicht minder schweren Zustand völliger Gestrigkeit, ermattet, gezeichnet vom Leben, zumal dem, was man gemeinhin als Freizeit und darob der Entspannung und Rekonvaleszenz förderlich verkennt. Es war Anfang April, und an diesem Sonntagabend baumelte fröhlich-damoklesisch im Frühlingswind der Veranstaltungskalender über der desolaten Gruppe. Man wusste: Die spätwinterliche und jahresanfängliche Schonfrist war vorbei, aber jetzt würden einem die Freizeitangebote wieder um die Ohren tanzen, dompteurgleich mit der Peitsche knallen und einen Stillstand augenbrauenlupfend höchstens dann akzeptieren, wenn der Freizeitler sich auf dem Weg von einem Ding zum anderen auf dem Fahrradlenker schnurrend zu einem Schläfchen zusammenrollt oder es sich ohnmächtig in der nächstbesten Rabatte bequem macht. 

Hartnäckig hält sich das von irgendeinem nichtsnutzigen, vom Smog geblendeten, zu- oder gar nur durchgereisten Molochbewohner in die Welt gesetzte Gerücht, unsre Stadt sei ein Schnarchzapfen, der so derart wenig zu bieten habe, dass nur das Zählen von den Kanal entlangplanschenden Ratten ein gerüttelt Maß an Zerstreuung böte. Aus mir weiterhin schleierhaften Gründen gibt es Menschen, die dieses Gerücht am Leben erhalten, indem sie unreflektiert scheubeklappt nachplappern, was da mal behauptet wurde. Diese Menschen würde ich ganz sehr arg gerne einen Monat, ach was sag ich, ein beliebiges Wochenende zwischen März und Dezember an den fisseligen Kleingeisthaaren durch die Stadt zerren, nachdem ich ihnen die Lider mit Panzertape einmal oben und einmal unten entlang am Schädel fixiert und sie eine Nacht lang fürsorglich vor dem entsprechenden, kommunalwahlzettelgroßen Eventkalender platziert habe und sie anschließend hundertmal in Rot darüber habe schreiben lassen „Es ist nicht alles Volksfest“. 

Witzigerweise stehen diesen Kulturblinden diejenigen gegenüber, die bei allem, was eine möglichst bewegungslose weil lauffreie Erreichbarkeit der eigenen vier Wände, in denen es nun mal am schönsten ist, erschwert, sich als Bürgerwehr formieren und in antiimperialem Chor „Panem et circenses!“ jaulen, aber das sollen die nur machen. Ich für meinen Teil blicke mit einem zu vernachlässigend kleinen Anflug von Furcht um meiner selbst Willen ins kulturelle Jahr hinaus, verspüre einen ebenfalls ignorierbaren Hauch von Panik darüber, wieindreiteufelsnamen ich das alles schaffen soll, was aber buntglucksend von einer strahlenden Vorfreude überlagert wird auf alles, was da jetzt so auf 187km²geboten und zu tun ist, bevor ich mich mit dem Schlag des letzten Inselbierfassöffnens erschöpft auf eine Bahre sinken lassen kann. Zumindest für die paar Wochen, bis dann auf der Kirchenempore dieser blonde Luzifer erscheint.