Freitag, 30. September 2016

Herbstsommer

Ja sag einmal, hab ich nicht unlängst gesagt, so, jetzt Sommerausendebasta? Und dann prompt so aufgewacht am nächsten Tag und alle so yeah geil, Superregen, Supergrau, Superluft, Superherbst! Schnell alle Fenster aufgerissen, die böse Sommerluft rausgescheucht und die schöne kalte Herbstluft hinein, durch den ganzen Palast gerannt, Sommerschlappen weg, Matschstiefel her, Kleidchen weg, Rollis raus, Leinenkaftan in den Schrank, Daunenweste stattdessen raus. Sämtliche Bücher vom Kanon bestellt, vorsichtshalber doppelt als in Papier und dann noch für in digital, sowie große Listen „To do: Filme und Serien“ nicht nur angelegt, sondern direkt Sicherheitskopien besorgt. Melone aus dem Kühlschrank gerissen, mit Kürbis ersetzt, Weißweinvorrat durch Glühwein und Grillbesteck durch das für Rumtopferstellung. So. Und dann gleich noch große, stolze Regenausflüge machen, bis die Outdoorjacke trieft und die Latschen sowieso, damit man einen Grund hat, sofort diese süüüßen Gummistiefelettelchen zu kaufen, die man eh schon dauernd haben wollte, und dann heim mit der Beute und aaaaah endlich hinauf aufs Kanapee und Decke bis zur Nase und Glotze zum Vorschein archäologisiert und geh mir weg mit dem Prosecco, ich möchte Tee. War das eine schöne Zeit! So für halt ungefähr siebeneinhalb Stunden. In den folgenden 168 Stunden alles noch schlimmer als vorher, weil Altweibersommerstress weil jetzt, wo der Herbst einmal kräftig ans Türl geklopft hat, natürlich unter keinen Umständen akzeptabel, nicht jede einzelne Sonnensekunde in irgendeiner Form ausnutzen. Mutmaßlich haben der Sommer und der Herbst da noch eine Rechnung offen gehabt. Du Herbst, kannst nicht mal kurz dich aufmandeln und dein Servus reinhauen, wird der Sommer gesagt haben, weil irgendwie glaub ich haben die Leute jetzt ein bisschen die Schnauze voll gehabt von mir zuletzt, hab ichs scheints übertrieben mit der Afrikahitze, und mit so einem schlechten Gefühl mag ich jetzt dann doch nicht in den Urlaub gehen, verstehst, das verträgt mein sensibles Gemüt dann wieder nicht. Hat der Herbst seinem Kumpel auf die Schulter gefrotztelt und ja freilich, mach ich eh. Jetzt sitzt der Sommer wieder zufrieden umeinander und denkt sich, so, denkt er sich, ihr werdet’s schon sehen, was ihr davon habt, wenn ich dann wirklich fort bin. Aber weißt was, lieber Sommer? Da tun wir jetzt ganz dankbar und demütig, also rein vornerum, versteht sich, weil hintenrum wissen wir eh: Spätestens an Weihnachten sitzen wir ganz ohne deine Hilfe wieder vergnügt bei 20 Grad im Sonnengarten. 

Freitag, 23. September 2016

Festbierunfall

Manchmal herrscht in so einem Gehirn eine rechte Leere. Spezialleer, wenn am Vorabend eine rechte Völle geherrscht hat, aber die dann weniger im Hirn als eher im Leib, will sagen: Blut, beispielsweise, weil man unvorhergesehen verunglückt ist und das Unglück alkoholischer Natur war. Kann passieren, muss man gar nicht um den heißen Hirnbrei herumreden. Dann ist’s auf einmal ausgezeichnet bunt und disko in so einem Gehirn, und dann am nächsten Tag ist nichts mehr übrig von der bunten Disko, weil die hat man ja nämlich zuvor flächendeckend und mit viel Liebe versehen um sich herum ausgeschüttet. Zum Beispiel, wenn man in so eine Grundigmaxmorlockhochtieffrankenstadionbrezenkolbarena gewallfahrtet ist, also die außenrum sind gewallfahrtet, man selbst ist eher so mitgesaugt worden von der Meute wegen ja puh, der Club, och naja. Und wegen man fällt ja dann eh optisch wegen keine adäquate Tracht auf versucht man sich chamäleonartig zu assimilieren, indem man wie alle anderen dauernd mindestens ein Bier mittelfest umklammert hält. Aber weil man muss ja aus dem 1) manchmal durstig trinken und 2) wegen Jubel- oder besser: Zornesgestik nebenan viel verschüttet bekommen, ist so ein lumpert-gatschiger Plastikbecher dann oft vergleichsweise schnell wieder leer, und wegen Assimilation muss er also geschwind wieder aufgefüllt werden. Aber macht ja nichts, denkt man sich, war ja neulich glaub ich erst wieder groß zu lesen, dass ja eh nur noch quasi Alkoholfreies. Nach dem ersten listigen weil vorpausigen Zwischentoilettieren dann Verlaufen im Block, der in der Zwischenzeit heimlich in A und B unterteilt worden war, den man also unter großer Anteilnahme und Hilfsbereitschaft reihenweise absuchen und dann ebensolchem Gejohle nach nebenan wieder verlassen muss, beschleicht einen dann schon so ein Gefühl von „Ja lustig, dieser Placebo-Effekt mit dem Quasialkoholfreien“, das sich nach darauffolgenden Verbrüderungsmaßnahmen mit Sicherheits- und Bratwurstpersonal sowie Gruppenfotos mit den Fremdmenschen außenrum gewissermaßen verstärkt, bei einer kurzen Überlegung hinsichtlich Flitzer-Chancen Halt macht, sich dann doch lieber in einer Herkunfts- und Bildungsdebatte mit seinen neuen Kumpels am Imbiss ergeht und spätestens in dem Moment, in dem man dem Fahrer des in Superhelden-Pose betretenen Busses gönnerhaft auf die Schulter trommelt und nachdrücklich das Einverständnis zum Losfahren erteilt, obwohl der Fahrplan noch 13 Minuten Wartezeit verkündet, also spätestens dann wandelt sich dieses Gefühl zur unverrückbaren Erkenntnis, nämlich: Das alkoholreduzierte muss heimlich gegen Festbier ausgetauscht worden sein. Und schon ist aus der leeren Spalte eine volle geworden, juhu!

Freitag, 16. September 2016

Endlich Herbst!

Entspannt schloss ich die Augen, lauschte dem Stimmengemurmel um mich herum und ließ mich hinforttragen von der beruhigenden Geräuschkulisse und den sanft ruckelnden Bewegungen des Fließbandes, auf das ich mich ermattet hatte sinken lassen, nachdem ich ein kurzes Erfrischungsbad in der Käsetheke genommen hatte und meinen Jutebeutel befüllt mit frischem Obst und Gemüse, dessen Halbwertszeit bei ungefähr 47 Minuten liegt, als Brutstätte für allerlei Geziefer jedoch bestens geeignet ist, um erst selbiges im schwarzgrauen Bett aufzubahren und mich gleich hinterher, um mit letzter Kraft nach dem Warentrenner zu greifen und mich von ihm hinfortziehen zu lassen, ganz nach Art des Delfinschwimmens, nur ungleich weniger jauchzend.

„Kann nicht“, atmete ich schwer in Richtung der Hochgeschwindigkeitswarenscannerin meines Vertrauens, während ich geschmeidig wie eine Seegurke die Schlange der übrigen Einkäufer überholte, „dieses ‚Sommer‘ bitte endlich vorbei sein?“ – „Ja“, schrie sie mit aller Gewalt in den auf ihr Gesicht gerichteten 800-Watt-Ventilator an, „es reicht jetzt wirklich mal!“ Von soviel Zuspruch beseelt wollte ich grade wieder die Augen schließen, um weitere zwei Meter in einer kurzen Siesta zu verleben, als an mir vorbei erregte Stimmen dümpelten. „Also wirklich!“, empörte es sich, „Wie kann man denn sowas nur sagen? Da soll man doch lieber mal froh sein, dass endlich mal einer ist, also ein Sommer, wo’s doch sonst immer nur so kalt ist bei uns!“ Widerstrebend öffnete ich meine zentnerschweren Lider und blickte in zwei mittelalte Antlitze, so weiß wie der Mozzarella, auf dem mein Haupt ruhte, und so wenig vom Wetter gegerbt wie der Schustersmann, der seit Dekaden im Keller eines Einkaufszentrum sein kellerasseliges Dasein fristet.

„Ja freilich! So schaut ihr mir aus, als hättet ihr auch seit Wochen nur damit zu tun, noch vor Sonnenaufgang das Haus ins Draußen zu verlassen und erst kurz vor Sonnenaufgang wieder zu betreten. Als könntet ihr euch zwar dunkel erinnern, dass die Staubfänger in eurem Wohnzimmer so ähnlich heißen wie Kanapee und Fernsehgerät, nicht aber, wofür man sie gleich wieder braucht. Als wärt ihr die ersten Monate des Sommers nur damit beschäftigt gewesen, die ‚wenigen schönen Tage‘ zu nutzen um im weiteren Verlauf bis heute ‚die letzten schönen Tage‘. Als müsstet ihr immerzu auf allen das-müssen-wir-ausnutzen-dass-das-Wetter-so-schön-ist-Draußenhochzeiten gleichzeitig tanzen, siebzehn wer-weiß-wann-das-wieder-geht-Grillveranstaltungen pro Woche besuchen, alle Biergärten-und-draußen-sitz-wegen-schön-Örtlichkeiten der Stadt möglichst an einem Abend zu frequentieren. GENAU SO SEHT IHR MIR AUS!!“ Dachte ich, während mich das Fließband unbeirrbar über den Barcodescanner schob und von dort aus in den Einkaufswagen, aus dem ich schweigend meine Münzen nach oben streckte. Und kurz darauf höchst beglückt die Wetteraussichten für ab jetzt dann bald zur Kenntnis nahm. Endlich wieder Herbst, endlich wieder drinnen!

Freitag, 9. September 2016

Gelbwurstradl

Manchmal ist eine Einkehr in einem Fleischereifachverkauf allem veganen Gewese zum Trotz zwingend erforderlich. Nach so einer ausgedehnten körperlichen Betätigung beispielsweise, weil so eine schöne dicke Jagdwurstsemmel, die erfrischt halt einfach nach fünf argen Stunden Gärtnerei mehr als ein kleines Seitanstangerl zum dran Lutschen mit einem Glaserl Haferdrink. Jedenfalls stand ich da also und schäkerte mit der Fleischereifachverkäuferin und unvermittelt greift die zu einem dicken Trum Gelbwurst und sägt einen amtlichen Ranken davon hinab. Sofort hab ich mich gefreut, yeah, Supergelbwurst, so muss das sein, hab ich gedacht und dann dabei zuschauen müssen, wie das Gelbwurstradl über die Theke hinweg an mir vorbei auf den Boden geworfen wird. Schau ich hin. Steht da nicht urplötzlich ein Zwergenmensch im Metzger? Also so ein fünfjähriger laufender Meter? Der strahlt und stopft sich das Radl in beide Backen, dass es nur so knietscht, derweil ich ähnliche Geräusche mit den Zähnen erzeuge. Kinder, tuts in mir, immer nur die blöden Kinder, immer kriegen die alles und dürfen die alles und anstatt das meine wunde Seele mit dem Gelbwurstradl gestreichelt und mein Einkauf belohnt wird, NEIN, da kommt so ein Meter reingestolpert der noch nicht mal einen Auftrag hat im Leben außer der Frau Mama den Rockzipfel einspeicheln, und DER kriegt das Radl dann, ich mein, wozu kriegt man das überhaupt so hineinsozialisiert als Kind mit der Gelbwurst, wenn dann der ganze erwachsene Mensch, und das dauert fei lang, gell, also wenn der dann andauernd nur noch zuschauen muss, wie andere als er selbst die antrainierte Gelbwurst übers Metzgersgatter gereicht bekommt? Aber gut, so ein Kind, das wird eh immer nur noch bevorzugt, damit’s dann später auf Studentenwohnheimdächern stehen und „Mir gehört die Welt“-umeinanderschreien kann in aller Herrgottsfrüh, und im Zoo, da wird der Hubschraubermutterblick ausgefahren, wennst nicht sofort am Aquarium auf die Seite trittst, damit der Nachwuchs seine Rotznasen und Gelbwurstfinger ans Glas schmieren und „FISCHIS!“ plärren kann, derweil der Hubschrauber stolz ist auf die Brut und selig lächelt anstatt zu sagen „Du Dummbatz“, müsst man direkt sagen, „das ist kein Fisch, sondern ein Delfin, das kannst jetzt schon mal wissen mit drei!“ aber nein, da wird bekräftigt und gelobt und ich steh da und hab nix gesehen, gar nix, obwohl ich 17,50 gezahlt hab und nicht einfach im Buggy reingeschmuggelt worden bin, aber das interessiert ja niemanden und … Hab ich mir dann meine Gelbwurst einfach selber gekauft. Und zwar nicht nur ein Radl! Ätsch! 

Freitag, 2. September 2016

Kidnapping

„Sagt“, investigierte ich eifrig im vertrauten Urwald, „habt ihr eigentlich nicht ununterbrochen lachen müssen?“ – „Also um ehrlich zu sein“, schüttelte es traurig aus zwei Köpfen, „nein. Eher war es eigentlich so, dass ich mir tagtäglich geschworen habe, nienieniemalswieder mit dir in einen Urlaub zu fahren.“ Nach einem kurzen Moment der Erschütterung – ich mein, das muss man erstmal verkraften, so ein Geständnis – gewann meine Wissbegier Oberhand und ich wollte alles hören. Dass so ein Familienurlaub im kritischen Kindesalter sich keineswegs nach Erholung, sondern in eklektischer Manier nach Entführung anfühlt, daran war meine Erinnerung recht klar. Bitte, man wird gezwungen, gegen seinen ausdrücklich geäußerten Willen mit Menschen, die man kaum kennt und die man meistens abgrundtief verabscheut, weil sie einem ausschließlich das Leben vergällen und nichts gönnen, erst in einem Auto eingesperrt zu sein und dann ungefähr sieben Monate lang an einer zwar unsichtbaren und langen, doch durchaus vorhandenen Leine durch einen Urlaub geführt zu werden, was soll das anderes sein als Entführung? Freiheitsberaubung, wird man schließlich weiterhin gezwungen, durch fremde Landen zu latschen und die Einheimischen durch seine blanke Existenz als Tourist zu belästigen, weil die Entführer müssen sich ja per entsprechender Standardausrüstung (Bauchtaschen, Bequemschuhe, Sonnenschirmhauben) als solche zu erkennen geben, und da hilft auch ein sorgsam eingehaltener Sicherheitsabstand von fünf Metern nichts, denn während man diskret den Blick nach unten gerichtet hält, glotzen die Entführer ja durch glänzende Linsen um jede Ecke, um beim Anblick eines jeden einheimischen Hundstrümmerls laut aufzujauchzen. Wahlweise die Tarnung als desinteressierte Coolness durch wahnwitzige Fragen à la „HAST DU JETZT EIGENTLICH DEINE LATEINSACHEN DABEI?“ auffliegen zu lassen. Ich mein, das ist doch klar, dass man im Anschluss an solche Demütigungen „… und dann den ganzen Tag von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt mit diesem depperten Kapuzenpulli sogar am Strand, und nur mit Leidensmiene mit deinem scheiß Walkman und Tagebuchbriefe schreiben an die Dings, aaah geht’s mir schlecht, aaaah ist das furchtbar, während alle Welt ausschließlich damit beschäftigt war, die ein Mordsfreizeitprogramm zu basteln, Töchterchen!“ Ja, was soll man da noch sagen, außer beschämt zu verstummen und demütig anzubieten, den Altvorderen die Füße zu waschen? Ach so, naja, alternativ auch: Bin ich froh, mich nicht selbst erlebt zu haben!