Freitag, 26. Dezember 2014

Tarnmützen

Der Feiertagskalender bringt den wohligen Umstand mit sich, dass ich das ganze Endzeitbohei dieses Jahres entspannt retrospektiv betrachten kann, anstatt mich in Unheilsprophezeiungen und Wettervorhersagen ergehen zu müssen. Während also alle Hamster dieser Stadt die Regale heimsuchen, um die Höhlen und Tresore mit über mehrere Wochen hinforthelfenden Vorräten zu befüllen, weil man weiß ja, dass über so ein, zwei Feiertage in einem Dritte-Welt-Land wie dem unseren gern mal eine Hungersnot droht und man vor Übergriffen des befeindeten Auslands wie beispielsweise der Schweiz nie gefeit ist, lehne ich mich also zurück und registriere nicht ohne eine gewisse emotionale Regung, dass ähnlich der Lebensmittel aus den Regalen etwas aus dem Straßenbild verschwunden ist, das mir in den vergangenen Wochen große Hilfe geleistet hat. Nämlich – ja, wie sag ich’s diplomatisch? Vielleicht so: „Dank der lustigen Blinkerentierweihnachtsmützen erkenne ich Vollidioten schon aus großer Entfernung“?

Was dem Münchner der billig-pappene Seppelhut, das ist dem Nürnberger jedwede Kopfbedeckung, die ausdrucksseitig an Weihnachtsthematik erinnert, inhaltsseitig (nämlich innerhalb des Schädels, auf dem sie sich befindet), daran, dass es viele Menschen gibt, die auch „Familie Nullinger“ auf Antenne Bayern zum Schießen komisch finden, sich edel in „Camp David“ hüllen und „Shades of Grey“ als „gutes Buch“ bezeichnen, ohne dabei rot zu werden. Muss ich nicht verstehen. Muss ich aber auch nicht aufstehen und applaudieren. Aber ähnlich dem innigen Wunsch, es möge im Sommer ein Gatter vom Hauptbahnhof hinab gen Norden führen, das gleichsam eines Almabtriebs die ganzen JGA-Rindviecher direkt aus der Gräfenbergbahn hinein führt in ein Etablissement, in dem sie geduldet bis erwünscht sind, erwächst in mir das Bedürfnis, solches für die Menschen zu institutionalisieren, deren Identität zum Ausdruck gebracht werden soll mittels: blinkenden Rentiergeweihen, singenden Nikolausmützen und, besonders schön, einer an Drähten schwebenden Lametta- Gloriole.

Dabei ist der einzige Nimbus, der sie umgibt, der der Ballermann-Kultur. Um diese aus Adventszeit betrachtet zu entzerren, würde ich fürderhin vorschlagen, ganzjährig entsprechenden Kopfschmuck zu etablieren, was ja auch nur gut sein kann für die Wirtschaft. So ließe sich das Gaudi-Hirn an Ostern vielleicht großflächig unter einem Kunstgrasnest verbergen, zu Pfingsten unter Ochsenköpfen oder einer antennenartigen Baumkonstruktion mit wehenden Bändern, im Sommer umschlingen Bratwurstschnecken das muntere Haupt und im Herbst wird freilich ein Kürbis darübergestülpt. Folgerichtig wünsche ich mir für Silvester Raketen-Kronen mit langer Zündschnur, mittels derer man die Spaßgesellschaft im Vorbeigehen auf eine heitere Reise schicken kann.

Freitag, 19. Dezember 2014

Gute-Laune-Feen

Ich bin ja, man darf es ruhig so sagen, von Haus aus ein eher übellauniger Mensch. Nebst verschiedenster Szenarien des Alltags, in denen dieser Charakterzug nach außen drängt, tut er das insbesondere, sobald ich mich umgeben sehe von einschlägigen Anthropomorphen, die zuweilen den Weg zu kreuzen sich tunlichst nicht vermeiden lässt. Und je dichter bewandert der öffentliche Raum, umso größer die Gefahr eines Aufeinandertreffens. Gemeint sind all die Gute-Laune-Feen, die dieser Tage unsere schöne Stadt – und mutmaßlich auch sehr viele, wenn nicht gar: alle anderen – geballtermaßen heimsuchen. Gute-Laune-Feen zeichnen sich, wie soll es anders sein, durch ein sprühend‘ Maß an strahlender Freundlichkeit aus, durch selbstlose Hilfsbereitschaft, durch liebevolle Rücksichtname und derlei weitere Redundanzen, die unser Zusammenleben angeblich angelegentlich gestalten. Und da hat die Gute-Laune-Fee im beschaulichen Advent freilich Hochkonjunktur. Hölzern schwebt sie durch die Gegend, eifrig danach trachtend, andere Seelen mit lamettaglitzernder Glückseligkeit zu überschütten und einen Moment innehalten zu lassen im emsigen Treiben der Vorweihnachtszeit. 

Gute-Laune-Feen können in vielerlei Gestalt auftreten, gemein ist ihnen bloß, dass demjenigen, dem sie erscheinen, ein Gefühl nachhaltiger Verwunderung beschert ist. Und da sind sie listig, diese Wesen. Formwandeln sich in süße Omis, die Krücken in Hacken schlagen, weil eine Türe ausreichend lange (nämlich 17 Minuten für drei Meter) aufzuhalten versäumt wurde. Bereiten Erlebnisse der dritten Art, indem sie – „Herr Ober, können wir Ihnen vielleicht etwas bringen?“ – Bestellaufforderungen auf kunstschneebedeckte Tischdeko erbrechen. Maßregeln Eltern, die wagen, ihren winzigen Zwergen auch mal einen kurzen Blick aufs Christkind zu ermöglichen, per Fußtritt, sie sind ja jetzt schließlich hier und älter und das Sichtfeld möge bitte kindsfrei bleiben. 

Ergehen sich in stundenlangem Gezeter, weil ein Menschlein am bekanntlich schikanefreien Weihnachtsmarkt einen Tropfen Punsch auf die gute Jacke verliert. Schütteln endlos murrend Köpfe, weil eins, das die Aufnahme in den „Mensa“-Club offenkundig eher nicht nur aus Bescheidenheit abgelehnt hat, zu lang im Portemonnaie kramt. Ellenbogend durch Busse, hupend durch Straßen, bellend durch Gruppen und so weiter und so fort ziehen die Gute-Laune-Feen ihre Kreise, versprühen Glück und Harmonie, Barmherzigkeit und Güte, und wehe dem, der ihnen unaufgefordert ein Lächeln schenkt, dann kommt sie hervor, die Feenrute, auf der steht, es reiche, wenn Nächstenliebe postuliert wird, da muss man sie ja nicht auch noch praktizieren. Macht hoch die Tür, die Tore macht weit! Gute-Laune-Feen müssen leider draußen bleiben. Fröhliche (!) Weihnachten!  

Freitag, 12. Dezember 2014

Schneekugelgestöber

Wort der Woche: Geschenk. An dieser Stelle sollte ich eigentlich aufhören und den restlichen Platz für wahlweise Einkaufslisten oder Flüche zur Verfügung stellen. „Geschenk“, das bedeutet sprachhistorisch die „freiwillige Übertragung des Eigentums, zum Beispiel einer Sache oder einem Recht an einen anderen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.“ In dieser Definition haben sich listig Fallen versteckt. Und zwar so ungefähr in jedem zweiten Wort. Wie man’s dreht und wendet, befinden sich die meisten von uns mutmaßlich derzeit in einer akuten Stresssituation. Weil man halt doch nicht so gut zugehört hat, was der Herzenswunsch der Liebsten war, und dieser elende Zettel mit den Notizen, wo hab ich denn den nur … ? Panisch werden also Dinge auf Verdacht erworben, die später beim Markt der langen G’sichter wieder auftauchen oder diesem Ebay, Ehen zerbrechen, Kinder geben sich zur Adoption frei, Eltern leiten die Enterbung ein.
Als probates Lösungsmittel gilt der Gutschein, und da kann ich nur sagen: jawoll! Es geht doch nichts über ein liebevoll gerolltes Zettelchen vom Elektronikmarkt des Vetrauens, eine mit Instantglitzer versehene Aussicht auf Wellnessbehandlungen jedweder Art oder das heilige Versprechen auf die Durchführung des lang gehegten Wunschausfluges. Dass die meisten dieser Blanko-Schecks erst Jahre später wieder auftauchen und dann ideel oder monetär verfallen sind – sei’s drum. Was zählt, ist die Geste! Das denken sich wohl auch alle eigentlich postadoleszenten Personen, die finden: Ich bastle was! Das hat im Kindergarten auch immer gut funktioniert! Meine Lieblingsgeschichte dazu geht so: Freundin findet in einschlägigem Jungfrauen-Magazin superdupersimple Anleitung für „Schneekugeln – eine süße Idee für Weihnachten“.
Adrett hinter Glas positionierte Minifiguren zeigen Idyll und Seligkeit, zumindest auf dem Foto, nebst der investierten Zeit war viel Liebe in Rund und Glitter, und darum geht’s doch. Weisungsgemäß wurde jedoch erstmal sehr viel Geld hineingetan, weil das Liliput, das kostet halt, aber was tut man nicht alles, um die buckliebe Verwandtschaft zu Tränen zu rühren. Tränen vergoss am Ende vor allem ich. Vor Lachen. Nämlich, als mir mit unverhohlenem Stolz mehrere Glasgefäße präsentiert wurden, in denen samt schlammig-trüber Flüssigkeit ersoffene Minitiere traurig treibend durch die Scheibe glotzten. Das sei, so ähnlich sprach ich huldvoll, das schönste Selbstgebastelte, das ich, ach was!, die ganze Menschheit jemals gesehen hatte! Das ist jetzt locker zehn Jahre her, und trotz eines gewissen Krisencharakters hat uns die Episode nicht entzweit, ganz im Gegenteil. Und darum geht’s doch! Weltfrieden!

Freitag, 5. Dezember 2014

F43.2

Es ist und bleibt jedes Jahr das gleiche. Ich kann nichts dagegen tun, und wenn ich’s mir recht überlege, bildet sich in letzter Zeit, wohl dem fortschreitenden Alter geschuldet, eine Intensivierung dieser prekären Form des Elends heraus. Ich leide. An einer Anpassungsstörung. Dieser Ausdruck ist wichtig, zeigt er doch, dass es sich um einen Umstand handelt, der schulpsychologisch benannt und anerkannt ist und darob nienichtkeinesfallsvergisses mit einem saloppen „Stell dich mal nicht so an!“ abgetan werden kann. Nach ICD-10, also der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, als „F43.2“ getarnt, ist in der Diagnose zu lesen: „Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalem Ausmaß; Beginn der Symptome innerhalb eines Monats.” Katastrophales Ausmaß also.

Seit dem 26.10. nämlich, und damit dürfte auch der Zeitraum entsprechend abgedeckt sein, befinden wir uns in der vermaledeiten und in jedem Wortsinne verabscheuungswürdigen Winterzeit. Dessen schmerzlich bewusst wurde ich mir soeben, als ich nach mehrstündiger konzentrierter Schreibarbeit erstmals mein müdes Haupt zu Zwecken der Nackendehnung hob und erst nach links streckte, dann nach rechts, und dort sah ich: Schwärze. Düsternis. Von jetzt auf hopp war Nacht geworden, himmelwiediezeitvergeht, du hast aber auch wirklich genug geschafft heute, sprach ich milde zu mir selbst und begann, das Abendprogramm abzuspulen. Hinein in den Flanellschlafanzug, her mit den Kuschelsocken, Teewasser aufgesetzt und dann schnell ab auf die Couch, vielleicht schaffst du’s ja noch zum Sandmännchen oder wenigstens der Tagesschau. Zu meiner größten Verwunderung fand ich jedoch auch nach mehrmaliger, einer wachsenden Verzweiflung geschuldet gewissenhaftem Durchzappung aller Kabelkanäle weder das eine noch das andere, sondern lediglich schwierige Sendungen, die ein erschlagendes Indiz auf die Uhrzeit gaben.

Nanu?, blickte ich aus dem anderen Fenster, aus dessen Richtung deutliche Schneeschippgeräusche an mein Ohr drangen. Die stellten sich heraus als sehr viele Menschen, die auf einem Gerüst balancierend Putz an Wände anbrachten. Die Erkenntnis traf mich doppelt und gleichsam schwer: Es ist Nachmittag, andere Menschen tun Dinge, schlimmstenfalls solche mit Arbeit, und du Tageslichtlemming bist schon wieder auf die Winterzeit hereingefallen. Da jeder Mensch aber weiß: Ist der Joggers erstmal an, so lässt er sich so leicht nicht wieder entfernen, muss ich jetzt leider quasi unverschuldet auf der Couch verbleiben und mich weiter selbst bemitleiden, anstatt Dinge zu tun wie etwa einen Einkauf oder womöglich das andere böse A-Wort. Aber das gute F-Wort, das schaff ich noch. Feiern!