Freitag, 24. November 2017

Tag der Enttäuschung

Es gibt so Tage. In deren Verlauf man von Minute zu Minute weiter schrumpft, bis man am Ende ein so kleiner Haufen Elend ist, dass man sich nichts sehnlicher wünscht, als dass der Tag bittebitte nur endlich vorbei sein möge. Diese Tage kommen mit relativer Häufigkeit im November vor, was erstens naheliegend ist und zweitens insofern äußerst günstig, als so ein Novembertag doch vergleichsweise frühzeitig vorbei geht, was man immer dann merkt, wenn man sich bei finsterster Dunkelheit im fertigen Abenddress, bestehend aus einem flauschigen Strampelanzug, Fleecesocken und Privatfrisur auf der Couch für die Tagesschau einfindet, um dann festzustellen, dass es eigentlich erst 17 Uhr und bei genauer Betrachtung eigentlich noch gar nicht wirklich zu spät für Erledigungen und gesellschaftliche Betätigungen ist. Es stellt sich alsgleich eine Enttäuschung ein, und damit endet der Tag, wie er sich gestaltet hat: enttäuschend. Morgens sieht man dabei zu, wie sich die Frühstücksleinsamen den gleichen eigenwilligen Weg suchen wie später die ölige Salatsoße: statt ins vorgesehene Gefäß hinein nämlich lieber daneben, vorzugsweise in mit Lappen schwer zugängliche Regionen wie Arbeitsplattenritzen. Man stellt fest, dass die Gangschaltung des Fahrrads eingefroren ist, verpasst den Bus, darf im nächsten Knaben beim Dönerfrühstück beiwohnen. Im Büro gibt’s statt Schwarzem oder Grünem Tee nur Kaminzauber und Vanilla Cheesecake, aus dem daraus resultierenden nervösen Jucken auf der Oberlippe entwickelt sich ein Mordsherpes, denn die Rettungssalbe liegt daheim. Dass Schuhekaufen immer eine gute Idee ist, stellt sich spätestens dann heraus, wenn man statt zehn Minuten Weg 45 Minuten Stau hinter sich gebracht hat und dann auch die dritte Verkäuferin erklärt, es gebe dieses eine Wunschmodell wirklich in allen Farben des Regenbogens, nur nicht der gewünschten, und die nächste, dass es urplötzlich beim fünften Mal leider nicht mehr geht, ein bestimmtes Teil ohne Quittung zu reklamieren und durch ein neues zu ersetzen. Eine Email teilt mit, dass die heißersehnte Taschenbestellung sich erneut in der Lieferung verspätet, vor der Haustür haben Elefanten defäkiert, beim Bäcker gibt es nur noch Dinge mit Rosinen, der Mediathekfilm darf erst ab 22 Uhr angeschaut werden, und im fortfolgenden scheint die einzige Rettung darin zu liegen, endlich Omas Sauerkrautsuppe zu kochen. Um viel Aufwand später zu erkennen, dass die Maßeinheit „1 Glas“ für Weinbrand in der Spezifizierung vielleicht noch verbesserungswürdig wäre. Immerhin: Mit einem winzigkleinen Schwips trägt sich so ein Tag der Enttäuschungen gleich viel wohliger zu Grabe. Also Bette. Da bleib ich am besten auch gleich, weil schließlich ist dieses Wochenende eh schon wieder alles sehr traurig. 

Freitag, 17. November 2017

Drei Affen

Am Sonntag wird im Volk endlich mal getrauert. Der ein oder andere mag jetzt die alljährliche Platte der Beschneidung der persönlichen Freiheit durch garstiges Tanzverbot auflegen, doch seien all jene an dieser Stelle daran erinnert, dass man vergleichsweise selten mitbekommt, dass jemand sich an einem Ostermontag, Tag der Arbeit oder zweiten Weihnachtsfeiertag trotzig auf den Boden wirft und danach verlangt, Kirche und Staat bitteschön voneinander getrennt zu halten. Jetzt also ein stiller Feiertag, hochoffiziell, was mir grade recht kommt, weil das Volk trauert von sich aus nämlich offensichtlich eher wenig. Dabei hat es allen Grund. In den kommenden Woche wird es ausnehmend viel um Ausländer, also Nichtdeutsche gehen. Ein Franzose hat uns schon heimgesucht, die Kinder ihm dankend den Weg erhellt und eifrig die Taschen aufgehalten. Ein Türke wird bald kommen, für die einen im Gewand einer US-amerikanischen Coladose, für die anderen – Österreicher, Bayern, Kroaten, Italiener und viele mehr – in Begleitung des Krampus, der, hoffentlich, dem ein oder anderen gehörig den Hintern versohlen wird. Folgen werden ein Israeli, dessen Existenz zwar nur peripher bedeutend, aber doch nicht ganz unwichtig ist für das lebkuchenglühweinduftende Lichtergeschenkbohei, das unübersehbar grade Anlauf nimmt, sowie gewisse Afrikaner, Perser und Syrer, denen der Bürger hierzulande seltsamerweise nur zu gern die Türe öffnet statt sie zu vertreiben, weil schließlich gehört sich das so, dass dann die Initialen auf dem Türstock prangen, was sollen sonst die Leute denken. Christus segne dieses Haus. Das hat sich auch die AfD gedacht und pünktlich zum Beginn des Ausländerreigens ihren höchsteigenen Liebesbrief verteilt. Der heißt „Deutschland Kurier“, und so wie man erst meint, die „Titanic“ habe expandiert, so schnell darf man feststellen, dass in dem Gratispapier gar nicht mal so viel Witziges versteckt ist. Bis auf die bebilderte Komplettvorstellung der 92 „endlich wieder eine Opposition“-Abgeordneten, die man möglicherweise dereinst noch fürs „Ich bin kein Nazi, aber“-Bingo verwenden möchte. Nun ist es nicht das erste Mal, dass eine Gratiszeitung zweifelhaften Ursprungs und Inhalts einfach so im Postkasten steckt, ohne dass man sie bestellt hätte. Die BILD macht sowas dauernd. Ebenso dauernd jedoch barst die (soziale) Medienlandschaft vor Empörung, Wut und guten Tipps, wie sich dieser scheußlichen Hetzzeitung postwendend zu entledigen sei. Und jetzt? Seit bald acht Wochen warte ich, dass einmal einer aufsteht und sagt: Freunde, jetzt langt’s, jetzt packen wir’s mal an. Stattdessen muss ich dauernd wichtig lesen dass ein jede Frau auch schon einmal von einem Mann anzüglich angeschaut worden ist. Es ist halt einfach, couchlagernd in ein Telefon „Ihr seid nicht das Volk!“ hineinzutippen. Aber langsam muss man vielleicht sagen: Ihr aber anscheinend auch nicht. Sondern die drei Affen, das geht auch mit dem Handy. Wenn das so ist, kann man den Volkstrauertag ja abschaffen. Oder anstatt übers Tanzverbot zu maulen ein bisschen nachzudenken, wie das jetzt eigentlich alles so weitergehen soll. 

Freitag, 10. November 2017

Sparschwein

Wie so oft an einem schönen Donnerstagnachmittag bin ich in maximaler Eile, hab ich doch aus Gründen der Prokrastination dringend meinem Lieblingshobby nachgehen müssen: dem Einkaufen. Um genau zu sein: dem Retournieren, aber das setzt naturgemäß ja einen Einkauf voraus. Beseelt vom Wahnsinnsglücksgefühl, das sich einstellt, nachdem ich Pfandflaschen zurückgegeben habe, streife ich durch die schöne Welt der Nutzlosigkeit und werf mal dies, mal jenes in den Einkaufswagen, wohlwissend, dass ich das meiste davon daheim nicht mehr besitzen, sondern schnellstmöglich wieder zurückgeben möchte. Schuld daran ist wie an so vielem eine Bank, hat die mich doch frühkindlich darauf geprägt, dass es wenig Schöneres gibt, als monatelang zu entsagen, nicht jeden, sondern nur jeden zweiten Tag die sauer erbettelten Taschengeldkröten in Süßkramtüten zu investieren, und stattdessen einmal jährlich mit stolz geschwellter Brust eine Summe unbegreiflicher Höhe aus einem Sparschweinbauch herauszutrümmern, um diese umgehend in ein rotes Buch eintragen zu lassen. Eine Angewohnheit, die ich bis heute beibehalten habe. „Es gäbe möglicherweise auch lukrativere Möglichkeiten der Geldanlage“, lästert eine Freundin gerne, „als Monat für Monat einer Stromgesellschaft Unsummen sinnlos in den Rachen zu werfen“, und palavert dann von Zins und Zinseszins und Dividenden. Wie herzlich egal mir das doch ist, denn ich weiß, dass es kaum Befriedigenderes gibt als die magischen Worte „mithin sind zuviel entrichtet“ sowie die alljahresendliche Ausschüttung meiner persönlichen Gewinnsumme. Wird der Stromanbieter frech und entscheidet eigenmächtig über eine Abschlagssenkung, sehe ich mich und meinen Frieden bedroht und veranlasse umgehend die sofortige Wiedererhöhung desselben. Weiters entledige ich mich tagtäglich aller Münzen ins gute alte Sparschwein hinein und trag das stolz wie anno dazumal auf eine Bank, um schwer gespannt dem Münzrattern zu lauschen und in kindlichen Jubel auszubrechen. So auch also die Retoure, zu der sich der sportliche Ehrgeiz gesellt, von der Rückgabe ausgeschlossene Produkte sehr wohl zurückzugeben. Dieser Wettkampf hat heute eine neue Stufe erklommen, reichte der Warenhändler meines Vertrauens doch zu jedem 10-Euro-Einkauf ein Rubbellos mit Wahnsinnspreisen. Meine Stunde war gekommen: Waren umtauschen UND dabei, todsicher, gewinnen! Nun, was soll ich sagen? Fünf Stunden später hab ich Hausverbot, dafür aber immerhin astrein eine VR-Brille gewonnen. Die restlichen Sachen geb ich dann vielleicht lieber ein andermal zurück. Und trage derweil mein Sparschwein ins Wochenende. „

Freitag, 3. November 2017

Die große Plage

Es war einmal eine edle Jungfrau, die beging einen schlimmen Fehler: Sie sandte eine Depesche aus. In der war zu lesen, welch garstige Kreaturen Spinnentiere doch seien, und wie viel schöner die Welt wäre ohne das achtbeinige Gezücht. Selbstsüchtig und hochmütig war die edle Jungfrau, und so verbreitete sie die Kunde im ganzen Land, schlug sie an schwarze Bretter und Kirchtore und wollte nichts lieber, als dass die Nachricht einen jeden erreiche. So auch den lieben Gott, der wie immer freitags freudig nach seiner Lieblingslektüre blätterte, wohlwissend, dass er sich von seinem wolkig-weichen Kanapee eh nicht wegbewegen würde. Heute aber sprang er auf. „WAS?“, zürnte der liebe Gott, und die Englein stoben furchtvoll auseinander. „Wie kann sie es wagen, dieses Weib? Jedes meiner Geschöpfe hat seine Existenzberechtigung!“ und der liebe Gott schwor sich, der edlen Jungfrau eine Lektion zu erteilen. Arglos spazierte diese in die Welt, durchwanderte die schöne Schöpfung, zählte Bienchen, pflückte Blümchen, aß Kirschen und las Pilze. „O seht nur, ein Fuchs!“, rief sie aus und verharrte leise, um das scheue Tier nicht zu vertreiben. Das aber ruhte still. „Nanu, du liebes Füchslein, schläfst du wohl?“ schlich die Maid ans Tier heran und verstummte im Schreck. Nicht der sanfte Schlaf war es, der den Fuchs in seiner Umarmung hielt, sondern der Tod, mit dem das Tierchen tanzte und rang, von Zuckungen gebeutelt. Dicke Fliegen umschwirrten den Sterbenden, lauernd sich im Pelz festkrallend, auf dass endlich die Eier hineingelegt werden und die madige Brut sich am Fleische laben könne. Tränenblind stob die Jungfrau davon, zu schwach, um das Tier zu erlösen. Zu dumm, um das Zeichen zu erkennen. Der liebe Gott aber lehnte sich bequem zurück und wartete ab. „Du wirst schon sehen …“ grummelte er in seine Kuschelwolke hinein. Und die Maid sah. Eine Spinne erst, die wurde sorgsam hinaus getragen, eine weitere dann, und noch eine. Dann eine Fliege. Winzigklein, und doch so lästig, und die Maid zerschlug das Vieh und vergaß es. Bald aber kamen immer mehr Fliegen. In der Küche erst, dann in der Kemenate, in der guten Stube und unterm Waschzuber. Bald lag eine Fliege im Honig, bald eine im Wein. Bald fand sich eine unter dem Bettfell, bald kroch eine andere aus einem Buch hervor. „Fliegen, Fliegen, überall Fliegen!“, wunderte sich die Jungfrau und zerquetschte sorgfältig eine nach der anderen. Doch der Strom riss nicht ab. Fortan war die Jungfrau begleitet von Fliegen. Die gingen mit ihr zur Arbeit, die kauften mit ihr Schuhe. Die winkten bald, aus dem Gasthausmahl, bald wechselten sie den Fernsehsender. Und Gott lachte. „Bitte!“, rief die Jungfrau endlich aus. „Wo sind denn all die Spinnen? Ich brauche Spinnen, die sich laben an den Fliegen und fett und rund werden und mich bewahren vor dem Schwarm!“ Und Gott legte schmunzelnd die Füße hoch, schickte Spinnen, und alle waren’s zufrieden. Fortan lebten die edle Jungfrau und die vielbeinigen Tierchen in Eintracht und geteiltem Glück. Ob sich die vielen Füße jedoch auch als von Vorteil beim Bodenwischen herausgestellt hat oder es zu Krawallen am Schuhregal kam, ist bislang nicht überliefert.