Freitag, 17. September 2021

Freizeitgeneral

 Urlaub ist wichtig. Er streichelt die Seele, balsamiert die Nerven, küsst das Chi. Weil der Gesetzgeber das weiß, sorgt er für viele Tage Urlaub im Arbeitnehmerjahr, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Bei Freiberuflern sieht er das nicht so eng, sie geben sich gern mit ein, zwei freien Tagen im Jahr zufrieden und werken auch am Faschingsdienstag, Ostermontag sowie Tag des Herrn. Da unterscheidet sie vom Großmanagement nichts bis auf vielleicht ein, fünf winzige Nullen hintendran am Jahresbrutto. Umso besser und effizienter sind sie jedoch in der Ausführung, weil jede Minute, die sie nicht nutzen, bekommen sie nicht gezahlt und schon gar nicht gedankt, und dementsprechend gestalten sie auch die Zeit größtmöglicher Erholung unter der Parole: Get the most out of it – how to optimize your Urlaub! Für alle, denen jetzt Ehrfurcht wie Neid den Blick verschleiern, habe ich eine kleine Anleitung entworfen, die ich euch wie eine reife Orange zuwerfen und zum beherzten Entsaften ermutigen möchte. 1. Beginne mit den Vorbereitungen möglichst zeitig, binde eine große Anzahl unbescholtener Personen mit ein (vgl. Gefallen, der; Blutsbande, die). Nur in der Gruppe bist du stark und erreichst das große Ziel: maximale Erleichterung über deinen Aufbruch. 2. Plane umsichtig. Um später möglichst keine Scherereien und böse Überraschungen zu erleben, bereite dich im Vorfeld weise vor. Studiere geologische und Wetterkarten, lies Erfahrungsberichte, werde Teil von Facebook- und sonstigen Neigungsgruppen. Wisse, was vielleicht schon einmal passieren hätte können. Sei gewappnet! Merke: Die Freude ist umso größer, wenn du acht verschiedene Regenjacken (leicht, gefüttert, Dauereinsatz, Platzregen, Ganzkörper etc. pp.) zwar im Koffer, doch über Wochen nie im Einsatz hast. 3. Erschöpfe dich! Leere Akkus gilt es vorschriftsmäßig vor der erneuten Befüllung vollständig zu entladen. Befördere dich sorgfältig in einen Zustand kompletter körperlicher wie geistiger Leere. Zeichen für korrektes Vorgehen sind: Verwirrung, Sprachstörungen, Vergesslichkeit, Gereiztheit, Schlaflosigkeit. Empfohlen sei hier die generalstabsmäßige Planung (vgl. 1 & 2). Wenn du mit Kopfschmerzen und Aura im Auto sitzt und nur drei Stunden später als angekündigt startest, weißt du: Du hast alles richtig gemacht. 4. Carpe diem! Du bist nicht zum Spaß so weit gefahren, rumhängen kannst du auch auf dem Kanapee. Erstelle Aktivitätenlisten für eine Woche. Arbeite alles an Tag 1 & 2 ab (z. B.: Fahre mit dem a) Fahrrad zum b) Bergwandern statt mit dem Auto oder Bus. Mach c) Strecke!) Erstelle neue Liste. 5. Plane Bürotag, siehe ihm mit Grausen entgegen. Sei überrascht: Ausschlafen, Sofa aus dem Ärmel schütteln – und dann den ganzen Tag nichts tun!  

Bauernregeln

Weil wir neulich schon festgestellt haben, dass sich langsam aber gewiss die sichere Bank aller Verzweifelten, Schüchternen und Uninspirierten vom Stützbalken sozialer Interaktion (vgl. Smalltalk, der) zu einem Tretminenfeld der thematischen Fettnäpfe entwickelt („Buärgs ist das heiß!“ – „Das hast du jetzt von deiner Internetbestellerei!“ / „Fuckey ich krieg echt hart Depression wegen immer Regen.“ – „Tja, Hauptsache schön Schnitzel, ne!“), möchte ich heute eine Lanze brechen für: das Wetter. Später womöglich auch noch für Funktionskleidung, Wasserhosen und die modische Ästhetik von Müllsäcken, aber, ja, also: später. Das Wetter war dem Menschen nie geheuer, weswegen er sich zeitnah einer List bedient und Götter erfunden hat. Das war praktisch, wenngleich betreuungs- und kostenintensiv, weil wie das so üblich ist bei Mächtigen: von nix kommt nix, und wo wir heute mit Boni und Aufsichtsratsposten arbeiten, gab es früher eben Lamm, gelegentlich auch einmal ein kleines Menschlein zur Bestec… Beschwichtigung. Wetter nass: Opfer. Wetter heiß: Opfer. Wetter kalt: Opfer. Wetter irgendwie normal weil gefriert halt im Winter aber passt mir persönlich grad nicht so gut in den Kram: Opfer. Wir sehen: Das wird teuer, und nachdem sich auch der Ablasshandel als von zweifelhaftem meteorologischem Wert erwiesen hat, griff der Mensch blasphemisch-klug zur Naturwissenschaft. Fortan spazierten Frösche in Gläsern an Leitern auf und ab, zeigten Egel, Spinnen, Schwalben eine Richtung an, doch sehnte sich vornehmlich erstgenanntes Amphib weniger nach göttlichem Wirken als vielmehr irdischem: Fliegen. Und spätestens, als der Galli-Mainini-Test erfunden war, der Frosch nunmehr gleichzeitig Wetter vorhersagen sollte und Schwangerschaften auch, kam es in der Folge zu unklaren Handlungen, verwirrenden Aussagen, Burn-Out und Zwangspensionierung (vgl. Kachelmann, Jörg). Während der gelehrte Mensch also seit Jahrtausenden nach Methoden zur Wetterzähmung trachtet, sind andere einfach bauernschlau und leiten fleißig Regeln ab, die nicht nur orakulös verlässlich sind, sondern auch von poetischer Schönheit. Nämlich allgemein: Wenn im September viele Spinnen kriechen, sie einen harten Winter riechen. Oder: Donnert’s im September noch, wird der Schnee um Weihnacht hoch. Sowie konkret: Ist Regine warm und sonnig, bleibt das Wetter lange wonnig. (7.9.), Regnets am Sankt Gorgons Tag, geht dir Ernt‘ verlorn bis auf den Sack. (9.9.). Weil ich nicht gelehrt bin, wohl aber schlau, habe ich im August gesammelt und beantrage hiermit um Ergänzung der offiziellen Bauernregeln um norisspezifische: Schaust du Filme ohne Dache sitzt du meistens in 'ner Lache!, Tropft dir Wasser von der Hose stell dir vor es wäre Soße! und Trinkst du Biere an 'ner Pfütze trägst du dabei besser Mütze! Damit crasht ihr jede Party! Versprochen!

Freitag, 10. September 2021

Ring of Fire

 Letzte Woche war ich auf einer Waage. Ein, wie ich gestehen muss, eher angstbehafteter Moment: Du weißt, der Tag wird kommen, aber du denkst, wenn du die Augen ganz feste zukneifst, dauert’s noch ganz lange. Du kennst die Regeln und unumstößlichen Gesetze, an die du dich wegen ja beide Augen zugekniffen eher so leidlich gehalten, um genau zu sein: die du als optionaler, wohlgemeinter Vorschlag interpretiert hast und dabei gleichsam stoßbetend wie infantil darauf gehofft, es wird schon alles gutgehen. Ganz genau hast du gewusst, was falsch ist und was richtig, aber dir heiter eingeflüstert, es ist doch nur noch hier ein bisschen und dort auch und nur weil es gestern schon eine klitzekleine Ausnahme gab und morgen auch schon eine in Planung ist heißt das ja noch lange nicht, dass du deswegen heute von der Ausnahme lieber Abstand halten solltest. Dann ist es also soweit: Wiegetag. Und als wär nicht alles eh schon schlimm genug und der Himmel unheilsvoll verdustert, so spielt sich diese hochnotpeinlichste aller Situation nicht einmal daheim im stillen Kämmerlein ab, sondern in aller öffentlicher Augen. Zumindest vierer an der Zahl. Zwei Herren mit strengem Blick sagen: Bitte hier jetzt auf die Waage, und du weißt, jetzt gibt es kein Entrinnen mehr, dafür Fluchen (innerlich), Zittern (äußerlich), Schwitzen (leider auch), und während du noch mit dir schiltst (Das letzte Trum hätt wirklich nicht mehr sein müssen, doch du, elendes Weib, kriegst den Rand ja niemals voll!), senkt sich urplötzlich das kalte Fallbeil des Urteils auf dich herab: „Herzlichen Glückwunsch“, spricht Herr Nr. 1, „zur 100er Zulassung! Jetzt müssen Sie halt leider noch zur Zulassungsstelle und das im KfZ-Schein ändern lassen. Gute Fahrt!“ Tjahaha, die werd ich haben. Nämlich während ihr diese Worte lest und dabei grau und gram dem Tag entgegengrimmt, rumple ich längst fröhlich im mobilen Heim über Stock und Stein. Doch was aussieht wie Urlaub ist in Wahrheit eine Flucht. „Wie jetzt, die Diskos machen auf einmal auf?“ rief ein Freund unlängst entsetzt. Das käme ihm jetzt etwas plötzlich, um nicht zu sagen: ungelegen, schließlich habe man doch bis dahin unbedingt noch streng diätieren und Leibesumfang reduzieren wollen, und zwar nicht allein aus eitlen Gründen, sondern vielmehr pandemischen, erschiene es doch schlicht unmöglich, Abstände vom Umfang eines Hoolahoopreifens zueinander einzuhalten, wenn die eigene Wampe grad so bequem im Ring of Fire Platz gefunden hätte, und man weniger damit zu tun habe, den Reifen mittels Hüftschwung vorm Bodenfall zu bewahren als vielmehr damit, sich nach Ende der Ertüchtigung aus der Gerätschaft wieder rauszuflexen. Macht ihr also schön Diät. Ich mach Urlaub. Und denk dabei garantiert nicht über Gewicht nach.