Freitag, 10. Dezember 2021

Krampus fugit

 Time flies oder: Krampus fugit, wie der Lateiner sagt. Mit seinen alpakafellwarmgefütterten Siebenzeilenstiefeln schreitet der Advent als alljährlich eiligste Jahreszeit dahin, so dass du ihn eigentlich „Adrennt“ nennen solltest, hab ich mir überlegt und dabei genüsslich an einem walnussgroßen Stück Butter gelutscht, das jemand mit einer Tasse Puderzucker vermengt, mit Zimt und Mandelkern bestäubt und „Plätzchen“ genannt hat – eine Verniedlichungsform, die in mir sogleich die rosane Idee erweckt, es müsse irgendwo auf der Welt dann wohl auch „Plätze“ geben. Wie die dann wohl aussehen? Swimmingpoolgroße Matten zuckerwattesamtigweichen Konditorenglücks, süße Putten reiten auf knusprigen Einhörnern, jauchzende Kipferl wälzen sich in der Bourbonvanille, die Knusperknäuschenhexe verteilt mit der Suppenkelle lachend Marmelade auf spitzbübisch zwinkernde Sterne … So geht’s da vermutlich zu, aber nein! Wir müssen ja hier sitzen in Lebkuchenhausen und zuschauen, wie’s draußen grau und grantig wird und Anflüge von Winterwonderland geschwind zu einem tristen Elend zusammenschmurgeln, wie es ein stinknormaler Regen niemals schaffen tät, weil der verklumpt wenigstens nicht zu apokalyptischen Unheilshaufen voller schwarzmodrigem Laub und Hundezeugs, die verzweifelte Eltern mit Karotten und Schals dekorieren und „Olaf“ nennen. Oh, da müssen wir jetzt künftig achtgeben, weil schließlich heißt die Bundeskanzlerin jetzt so. Naja, jedenfalls irgendwo in diesem Spannungsfeld zwischen Plätzchen und Tristesse haben sich me, myself and I auf ihre Kernkompetenz besonnen, denn Achtsamkeit, Resilienz und Selfcare sind dieser Tage wieder wichtiger denn je, um unbeschadet durch den Adrennt zu kommen und nicht an Heilig Abend den MichlausLönneberga zu geben und mit dem Kopf in der Suppenschüssel „Last Christmas!!“ zu weinen und anschließend in der Notaufnahme zu enden. Die haben da grad weiß Gott anderes zu tun. Meine Kernkompetenz, die mich durch die Tage trägt und ihnen einen Sinn verleiht: Dinge kaufen und dann wieder zurückgeben. Natürlich nicht im Internet, das wäre zu einfach, sondern vor Ort. Beispiel Baumarkt: Gehe hinein, um eine Schraube zu kaufen. Passiere Gardinenabteilung, entwickele spontanen Wunsch nach dekorativer Veränderung. Verlasse Baumarkt mit acht Armen voller Zubehör. Bemerke daheim erst dimensionalen, dann geschmacklichen Irrtum. Verbitte dir spöttische Kommentare zu „Kopflosigkeit“ oder „Sprunghaftigkeit“, nenne es „impulsiv, kreativ und entwickelnd“. Bringe alles wieder zurück, freue dich über Geldgeschenk. Nenne dich „Der Nikolauser“ und biete deine Dienste auf dem Querdenkerschwarzmarkt an. Werde reich. Baue Plätzchenwunderland. Wälze dich mit den Kipferln im Bourbon. Liebe das Leben. Alles wird gut. 

Freitag, 3. Dezember 2021

Boucestersauce

 Hallöchen ihr süßen Adventswichtel, ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Booster. Dolly Booster, und ich habe mir für das zweite Adventswochenende extra in der Lingerie-Abteilung eines großen deutschen Discountwarenhändlers ein neues, schickes Boostier gekauft, damit ich später bei meiner Impformationsveranstaltung am Boosterminal für euch gut aussehen kann. Denn es ist zwar momentan leider wirklich nicht alles Lametta, was glänzt. Aber so richtig schlecht auch nicht, weil also beispielsweise bildungspolitisch ganz große Fortschritte: Alpha, Beta, Gamma, Delta und wie das griechische Alphabet halt so weitergeht, das lernst du ja nicht, wenn du nicht grad elitär auf der Humanistenschule sandelst, und zwar haben wir da zuletzt in der Reihenfolge ein bisschen gemogelt, aber so ein Omikron verbreitet doch gleich eine viel kuscheligere Stimmung als sagen wir so ein hingemotztes „EPSILON!“, auch wenn mir da ein schöner Name für eins der nächsten Warnprogramme einfällt: AppSilon. Naja, also Omikron jedenfalls, da sagst du … O sorry, Telefon, da muss ich kurz … „Heeeey Omikron, schön dass du’s bist! Ich hab schon Tee aufgesetzt und extra eingeheizt, gucken wir später zusammen Tagesschau und raten um die Wette, wo du heut schon überall …? Oh, noch so viel zu tun heute, ach schade, aber ja, verstehe, dann … Nach Weihnachten erst wieder, denkst du? Ja du, paha!, also ich weiß auch gar nicht wo die Zeit hin… genau, reicht hinten und vorne nicht vor lauter Aufgaben und Abenteuern, ich kenn das, ich hab gestern auch superaufregend in der … nein nein, nicht in der Theatervorstellung, ich bitte dich, die … macht grad eh keinen Spaß, lieber U-Bahn, genau, außerdem wolltest du doch … Ja Fußball, stimmt, das geht gut, aber ziehst du dich warm an, gell, nicht dass du dich noch verkühlst so wie ich jetzt wegen der zwei Stunden in der Schlange vorm Impfz… Nein, also jetzt lässt du mich vielleicht einmal ausreden, liebes Omikron, ich weiß doch dass du aufgeregt bist, aber ich hab auch was … Was hast du geschafft? Flächendeckend 2G, sagst du? Ja, aber das ist doch keine … Mehr als die Digitalministerin in drei Jahren, jahaha, da hast du recht, guter Witz, darf ich mir den …? Nein, na gut. Aber du, Omikron, kann ich dich vielleicht später nochmal anrufen, weil jetzt ist grad wirklich schlecht, die in der Redaktion warten sch… Sofa, genau. Draufbleiben soll ich und den Platz für dich freihalten? Ja du ähm, ich denk mal drüber n… Nach Weihnachten, jap. Tschüssi!“ Verzeihung, jetzt bin ich wieder bei euch, wo waren wir? Genau, ich mach mir jetzt noch ein Mittagessen, schön mit Boucestershiresauce (sprich: Buustersos) und dann wollt ich noch schnell eine Kolumne schreiben. Thema: „Suggestivwerbung und die Impflation – ist das alles wirklich Zufall?“ 

Freitag, 26. November 2021

Das Whiskind lädt zu seinem Markte ein

 In einem Interview mit einer Autorin hat diese Dame mir neulich davon erzählt, dass sie im letzten Jahr eine Geschichte geschrieben hatte vom Christkind und einem Bett, die ihr sehr viel Applaus, doch auch einiges an Buh eingebracht hätte, wegen der Blasphemie und weil das geht doch nicht. „I feel you“ hab ich gesagt und das genau so gemeint, also vollumfänglich. Ich finde die Geschichte ausgesprochen naheliegend, weil schließlich ist das Christkind jetzt auch schon im zweiten Jahr arbeitslos und, siehe Rubrikennamen, was willst du machen, wenn dir einfach schon wieder die Lebensgrundlage entzogen wird: auf dem Kanapee bleiben, richtig, alternativ im Bett, oder naja ich stell mir schon auch gern vor, wie das Christkind beim Jobcenter sitzt und ein bisschen verzweifelt schaut weil der Arbeitsmarkt in dem Berufsfeld eher überschaubar, der Christkindergarten hat geschlossen, und dann soll es widerwillig ankreuzeln, dass es prinzipiell verfügbar ist. Dann hat es die Krone an den Nagel gehängt, gewartet dass ein Jobangebot kommt und in der Zeit nach Lebenssinn gesucht, erst in Hefezöpfen (Unsinn), dann in Bananenbrot (auch) und schließlich in Makramee (um Gottes Willen!), und dann erst einmal die Locken zum Kurzhaarschnitt frisiert weil praktischer, und das Gewand zur Latzhose umgenäht, weil es hat dann einen Kurs zum Wrestlen gegeben und das wollt das Christkind ausprobieren, wegen Frustkanalisation und Weg zur Mitte, auch wenn sein Zwetschgenmännla da ein gewisses Unverständnis geäußert und weiter durchs TV gezappt hat. Zwischendurch Anruf vom Jobcenter, man hätt da was also entweder könnt das Christkind zweimal wöchentlich als Testimonial für ein tolles neues Restaurant mit dem irre freshen Namen „Burg-mas“ in der Fußgängerz… nein? Ah, verstehe, also und dann hat das Christkind, das sich mittlerweile nur noch Chrissy rufen hat lassen eine Stelle beim Servusbetrieb Öffentlicher Raum inne- und auch schnell wieder losgehabt, nachdem es den Hauptmarkt mit Weihnachtssternen, Nelken und Zimtbäumen in Penisform bepflanzen wollte, und sowas macht man hier nicht, also da könnt ja jeder kommen mit seinem Kräutergarten. Dann hat Chrissy im Youtube gelernt, wie man ausm Gerstackervollrath den reinen Alkohol destilliert und daraus was Gutes macht. Der „Whiskind“ ging prima aber dann spätestens als Chrissy im August dabei erwischt worden ist, wie sie sich Schlag 13 Uhr beim Charly IV. huckepack im Kreis hat tragen lassen und dabei gesungen „DAS WHISKIND LÄDT SSU SSEINEM MAAKDE EIN!“ war’s damit auch vorbei weil nicht angemeldet beim Ordnungsamt. Liegt sie jetzt also im Bett, hegt umstürzlerische Gedanken und tät gern irgendwas anzünden. Immerhin: eine Kerze ist jetzt schon erlaubt.

Freitag, 19. November 2021

Ein Funzelmeer zu Martins Ehr'

 „Ich geeh mit meiner Lateernö, und meine Laterne mit miir. Zu Hause wäre zwar Wäärmö, doch draußen frie-hie-ren wiir!“ Das Geheimnis einer guten Beziehung ist, dass man die Bedürfnisse des Partners kennt und erfüllt. „KATHAINA moagen is Lateanö kannstu komm?“ – „Was denn für eine Laterne, Schatz?“ – „Na wegen Pelzmäatl!“ – „Ach ja richtig, der unaufgefordert seine Meinung teilt!“ – „Neeein du Dumme, den MANTÖL!“ – „Stimmt, das mit der Meinung waren andere. Und der bringt dann Geschenke?“ – „Neeein du Dumme deawaschonim Kindagatn unhatwas gebacht!“ – „Plätzchen und Lebkuchen?“ – „Neeein Mandaine und Obstigel!“ – „Bitte?“ – „OBSTIGÖL!“ – „Also spinnt jetzt der auch schon ich kenn das nur mit Mett, also …“ – „NEEEIN du Dumme ein FUCHTIGÖL!! Und ich hab schon meine Lateanö nämlich die Mama hat mir eine AKETÖ gebastelt! Kommst du BÜTTÖ?“ Tja, was willst du machen? In meiner Erinnerung geht Laternenumzug so: Kinder haben Scheußlichkeiten aus Glanzpapier, Eltern Punsch. Es gibt Lieder, vielleicht ein Pferd. Gelegentlich brennt etwas, das tritt man aus und schenkt sich nach. Später sind die Eltern laut und lustig, Pferd und Kinder verschwunden, aber egal, die kommen schon wieder wenn ihnen kalt wird, machmaldieluftausdertasse! Wird also witzig, hab ich gedacht. War’s dann auch. Aber anders. 16:45 Anreise zum Treffpunkt, im gleißenden Licht der Rushhour funzeln vereinzelt schwache Lichter, wusste gar nicht, dass es hier Glühwürmchen gibt. 17:05 Aus Glühwürmchen werden -birnchen, manche blinken. 17:08 Kein Punschausschank wegen bösem C, na toll. 17:10 30 Kinder sammeln sich auf der Kirchentreppe, 300 Erwachsene davor. Ein Erzieher nippt an seiner Teekanne, plötzlich Punschgeruch. 17:15 Alle Kinder schreien. Ich dachte, die sollen sing…? Ach so. 17:20 Auf zu Station 2! 17:25 Funzelkinder spreißeln über die Wiese, Eltern jagen hinterher. 17:30 Fang und Beifang wird gesammelt, ein engmaschiger Elternzaun zur Fluchtverhinderung gebildet. 17:33 funzelnde Stimmchen blicken ängstlich ins gleißende Flutlicht der 300 Dokumentarfilmer. 17:34 Vereinzelt blinken Büsche und Mülleimer. 17:40 Auf zu Station 3! 17:41 Siehe Station 2; irgendjemand weint. 17:48 Der Erzieher wringt seine Kanne aus; lächelt irgendwie seltsam. 17:45 Wieso untersuchen alle ihre Schuhsohl… ? O verdammt! Alles Hundeklo! 17:53 Im Gebüsch nippt der Erzieher verstohlen am Flachmann. 17:55 Kind 1 nuckelt am Obstigel, Kind 2 möchte auch. 17:56 Kind 2 möchte doch nicht. 17:57: Kind 2 möchte doch. 17:58 Kind 2 klaut Kind 1 den Obstigel. Kind 1 wehrt sich mit Laternenhieben. 18:00 Kind 2 erbricht sich vor Zorn. Aus dem Gebüsch riecht es nach Schnaps. Über den Kirchenvorplatz wehen Fetzen von Glanzpapier. Rabimmel, rabammel, Rabumm-bumm-bumm.

Freitag, 12. November 2021

Queen of Commonhealth

 Schönen guten Morgen zusammen! Sollte hier irgendjemand unsinnigerweise gleich geistige Höhenflüge und Bonmots von mir erwarten, kann ich gleichmal zu Beginn enttäuschen, denn in meiner Nase sowie weiten Teilen meines Gehirns befindet sich ausschließlich Rotz, und ich meine ausnahmsweise den mit Taschentuch, Nasenspray und dicker Schicht Penatencreme. Jaa genau, die Herren kennen das Spiel, danke. Sogleich eine Zwischenfrage, die mich sehr beschäftigt: Können Elefanten eigentlich Schnupfen bekommen und wenn ja, wie viel? Wir wollen aber bitte hier nicht über große Zahlen sprechen, von denen hör ich wirklich genug in den letzten Tagen. Viel schöner ist, dass der Sonnenkönig endlich meine prekäre Lage auch erkannt und den K-Fall ausgerufen hat, weil das hab ich nämlich schon letzte Woche gemacht, aber auf mich hört ja keiner. Im K-Fall müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, es gelten andere Regeln. Zum Beispiel gilt, dass man a) nicht mehr morgens duschen muss, sondern mit Fug und Recht den ganzen Tag 1. Schlafanzug, 2. Filzpantoffeln, 3. Mütze tragen darf (die je nach Dauer von a) unterschiedliche Funktionen erfüllt). Weiters besagt der K-Fall, dass es ok ist, vormittags mit Schnuffeltuch und Heißermilchmithonig auf dem Kanapee zu liegen und sehr, sehr laut „Elsa Eiskönigin“ zu schauen, obwohl weit und breit kein Minderjähriger zu sehen ist, sowie sich vom einzigen Menschen, der sich verlässlich immer und in jedem Zustand um dich kümmert und dir alles bringt, was du so dringend brauchst, also: dem DHL-Mann deines Urvertrauens, einen Kassettenrecorder ans Bett stellen zu lassen, denn du weißt: Das einzige, was dir jetzt hilft, sind die Original Pumuckl-MCs mit dem ewig schönen Geräusch einer sich selbst auf Seite B drehenden Tonspur. Dass der Lieblingsbote dann auch noch eine große Kiste teuren Wein unterm Arm hat, den irgendwer im Fieberwahn fälschlicherweise bestellt zu haben scheint – Schwamm drüber. Im K-Fall ist alles erlaubt, schließlich sollt ihr froh sein, dass es nicht der C-Fall ist: Du sollst Gott für alles danken, auch für einen Mittelkranken! Katarrhina, her Pestilency the Queen of Commonhealth, bleibt darum auch brav daheim, weil erstens wegen dem Allgemeinwohl und zweitens will niemand dauernd auf der Straße mit „PFUI DEIFI BLEIB BLOß WEG VON MIR!!!“ angeschrien werden. Jedoch eine Ausnahme tät ich vielleicht machen: Mich heut spätabends um 17 Uhr auf meinem Rekonvaleszenzspaziergang zum Laternenzug schleichen um mich mit meiner leuchtenden Nase unters rabimmelrabammelnde Zwergenvolk zu mischen und es mit meinem blutrotgenießten Auge ein bisschen erschrecken. Lachen ist gesund,  und vielleicht lässt eins ja eine Mandarine fallen. Oder Schokolade. Ich denke, das wäre in Ordnung. Im K-Fall ist alles erlaubt. 

Freitag, 5. November 2021

Umweltbundesamt

 Also. Wenn wir dann jetzt bitte alle unsere Blutpflaster wieder aus dem Gesicht gehobelt und die Vampirzähne vom Gebiss gemeißelt haben, die letzten Brösel weißer Farbe auf dem Kopfkissen verteilt und die letzten Reste Gruselschokolade in den Hosentaschen vergessen und darob als braune Gatsche zweifelhaften Ursprungs in der Waschmaschine wiedergefunden, kurzum, wenn wir uns jetzt alle wieder beruhigt sowie ausreichend über die Zeitumstellung gemosert haben, dann können wir uns jetzt doch bitte endlich einmal mit dieser sehr wichtigen Sache beschäftigen, die mir schon seit drei Wochen auf dem Herzen liegt: Winterreifen! Nee Scherz: Heizen natürlich. Hier scheiden sich die Geister, denn während die einen sich ihr eigenes Tropenhaus zu bauen wissen (Merksatz: Innentemperatur = Außentemperatur x gewünschte Temperatur : [Socken – Kurzärmelig] + Fake-Kamin³), trotzen die anderen der Kälte und sich selbst das Letzte ab (Merksatz: Innentemperatur = Außentemperatur + Anzahl der Fleecejacken : [Sparfuchs x Weichei] – Stolz²). Folgerichtig gibt es bei gegenseitigen Hausbesuchen nurmehr zwei Begrüßungsformeln, die das wohlgesonnene „Schön dich zu sehen!“ fortan ersetzen: „Scheiße isses bei dir kalt!“ und „Um Gottes Willen, hast du a Hitz!“ Das führt zu Unsicherheiten, weil kannst du halt nicht lustig ratschen, wenn du grad in deiner Skifahrkombi samt Strickrollkragen und Wollstrumpfhose zu ersticken drohst, derweil die Besuchte sich in Shorts und Trägertop tropisch angemessen räkelt und auf deine schüchterne Nachfrage versichert, „grade erst gelüftet“ zu haben. Auch nicht, wenn jedes Wort von weißem Dampf umwölkt deinen Mund verlässt und du damit beschäftigt bist, heimlich unterm Tisch deine Eisfüße zu massieren und versehentlich hier und da ein Bierfilz zu entzünden, weil der Besuchte heizt halt nicht vor Januar, weil wegen dem Immunsystem. Was willst du also machen? a) Besuche(r) fortan vermeiden, b) den Besuchten mit der Genfer Konvention bedrohen oder c) das Umweltbundesamt zu Rate ziehen, denn das gibt gute Hilfestellung: „Die Raumtemperatur sollte […] nicht mehr als 20°C betragen“, rät es erst beflissen, doch ergänzt dann schelmisch „sofern diese Temperatur als behaglich empfunden wird.“ Mit dieser Regel kann ich mich nicht nur hervorragend arrangieren, sondern adaptiere sie auf weitere Bereiche winterlichen Alltags: Die verzehrte Menge Schokolade sollte maximal 1 Riegel pro Tag betragen, sofern dies als ausreichend empfunden wird. Die wöchentliche Menge Rotwein sollte maximal 0,75 Liter betragen, sofern dies als angemessen empfunden wird. Die tägliche Arbeitszeit sollte acht Stunden betragen, sofern dies als zumutbar empfunden wird. Einwandfrei. Ich denk, das kriegen wir hin. 

Freitag, 29. Oktober 2021

Bashing Pumpkins

 Herbst. Während die einen sich mit den wichtigen Themen befassen („Übergangsjacke – wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ sowie „Zeitumstellung – mit schlechter Laune mehr vom Tag“) und die anderen auch („Das perfekte Symbol unserer Zeit ist der Laubbläser. Er verlagert ein Problem von einem Ort zum anderen ohne es zu lösen, benötigt dafür wertvolle Energie und macht jede Menge Lärm.“) bin ich ein Luchs und kenne meine Christenpflicht. Will sagen: Meinen Feiertagskalender, und so weiß ich, es stehen schreckliche Tage der Entbehrung bevor, als allererstes: Halloween, von dem ich mich bislang überraschend wenig belästigt fühle, aber gut, kannst du sagen: Wie reizvoll kann Verkleidung sein nach einer Zeit, in der jeder dritte Spaßfritze dir beim sonntagmorgendlichen Bäckereibesuch mit einer lustigen Jokermaske entgegengegrient hat? Außerdem eh problematische Veranstaltung, weil ich weiß nicht wie lustig soll sowas sein, wenn du als ein Meter hoher Kürbis verkleidet an einer Haustür klingelst und dann macht so eine Korrektheitsperson in grusligem Schurwolle-Onesie dir die Tür auf und findet dich süß und aber dann anstatt Schokoladegummibärln reicht sie dir ein fair produziertes Olivenbaumholztablett mit handgedrechselten Dattelpralinen weil weniger Zucker und so gesund und du greifst an der ersten Tür noch gierig, später dann artig und noch später sehr verzweifelt zu, weil was willst du machen? Als du dich für einen Auftritt als der Spezialgefährliche Horrorkürbis „Curby“ entschlossen hast, hat dir keiner gesagt, dass du dich noch nach Saurem sehnen statt Cola haben wirst, dass du nicht etwa einen Mordsanschiss bekommst wegen der Mordssauerei beim Eierwurf, sondern einen Debattenbeitrag auf Augenhöhe über erstens Verschwendung vom Lebensmittel im Allgemeinen und Verzicht aufs Tierische im Speziellen, und während du verzweifelt überlegst ob du nicht wenigstens aus dem Eiersatzpulver und der Hafermilch, die du zum Herunterwürgen der 17. Dattelpraline bekommen hast, einen spezialgrausigen Tapetenkleister anrühren könntest, verlangt der Mensch nach der Nummer deiner Eltern, um sie einer Befragung zu unterziehen, bei der der Großinquisitor noch was hätt lernen können, zwar nämlich wieso sie ihrem Kind Klopapier statt auswaschbarer Jutelappen mitgeben haben können, um gleich danach versöhnlich neben dir zu Boden zu sinken und mit salbungsvoller Stimme zu erklären, dass man sich eh auch jetzt einmal müsst Gedanken machen, ob der Kürbis überhaupt wollen mögen tät, dass er als Gruselding missbraucht statt im natürlichen Umfeld belassen und höchstens später dann in den natürlichen Schoß der Großen Mutter aufgenommen wird. Überall durch die Straßen der Stadt ziehen kleine weinende Kürbisse, gelegentlich schnäuzt eins Dattel aus der Nase. So traurig. Bleibt lieber daheim, da ist es … Ja zefix, jetzt weiß ich wieder, worüber ich eigentlich schreiben wollt. Heizen! Bzw. das Unterlassen desselben. Naja, nächste Woche. Jetzt erstmal: Trick or Heat! 

Freitag, 22. Oktober 2021

Pech im Spiel

Wo wir grad so schön von Omas plaudern und der Weisheit: Ich hab ja da noch mehr auf Lager. Zum Beispiel „Pech im Spiel, Glück in der Liebe“, und da sag ich heute nur zu gern: Soll mir recht sein. Neulich Post. Brief raus, wurschtel wurschtel, Treppe hoch, Brief hingeschmissen, Schlaganfall. „Deutsche Fernsehlotterie“ hat sich plötzlich ins Sichtfensterl vom Briefumschlag geschüttelt gehabt, und da hab ich mich lieber erst einmal hingesetzt anstatt alles sofort aufzureißen. Jetzt war’s also soweit. Der eine, der große, der Millionen Euro Gewinn, auf den man so lang gehofft hat. Der alles wieder wettmacht, ein Leben voller Enttäuschung zurück ins Gleichgewicht bringt. Der dir im Lotto mal zwei Euro eingebracht hat oder sieben. Der anderen eBikes schenkt und Alpenreisen und einen Frisörbesuch, dir selbst aber nur mal ein greißliches Tablett bei der AWO-Tombola, einen ekellila Affen bei der von der Kirche. Der uns zwingt, zwei Lose zu kaufen an der Tanke. Dann einmal Niete und einmal zweite Chance, dann zwei Euro Gewinn, dann nochmal ein Los für zwei Euro bitte, dann Übermut und „geben Sie mir doch noch ein zweites für zwei Euro“, dann einmal zweite Chance und ein Euro Gewinn, dann „Noch ein Los bitte und … ähm nee lieber nicht“, dann Niete und aber überbordende Erleichterung weil einen Euro gewonnen, dann sofort Eisdielenbesuch und Schoko für einen Euro plus weitere vier Euro fuffzich weil „bitte mit Sahne“ weil heut ja so ein Glückstag ist. So. So sieht also mein Glück aus, und während ich auf meinem Schemerl gehockt bin und in mein Chi geatmet hab und mir mit dem Umschlag voller Zukunft, Möglichkeiten und Altersreichtum zugefächert, hab ich überlegt: Wem ich einen Teil abgeben könnt und wem müsst, ob es dann ein Fest braucht oder lieber viele kleine Reden, wer wie viel Spende noch bekommen soll und ob ich wirklich auf dem Land wohnen will oder Stadtvilla, ob’s dann wohl noch für endlich ein Motorrad reicht sowie Bootsführerschein oder ob nicht der weise Millionär einfach alles weiter laufen lässt wie bisher, doch künftig abends leise lächelnd einschläft … Nach zwei Stunden hatte ich alles so weit durchgeplant und mich breit gefühlt zum Öffnen: Hallo neues Leben, kann losgehen! „Sie haben gewonnen!“ stand da auf gefaltetem Zitterpapier. Und „Bitte reichen Sie den […] Verrechnungsscheck […] ein.“ Der ist mir dann rausgefallen. Eingelöst hab ich ihn immer noch nicht. Muss erst neu überlegen, was ich mir davon kauf. Mal extra Käse auf der Margherita gönnen oder eine Kiste Oettinger? Am besten einfach Lose: Fünf Stück zu zwei Euro, bitte. Hey Oma, schau bloß, dass du recht behältst! Wenn noch jemand Liebe loswerden will: Hier bitte, nehm ich! 

Kombidiät

 „Viel hilft viel“, hat die Oma immer gesagt. Eine Spitzenregel, der zwar nachdrücklich Folge zu leisten war bei der Verabreichung des Hildegard-von-Bingen’schen Wundermittels „Schwedenbitter“ (man lege bekannte sowie vermeintliche Heil- und Gartenkräuter in großen Gefäßen über mehrere Monate in Alkohol, destilliere daraus in der naturköstlichen Alchemistenküche eine Zauberessenz zur sowohl äußerlichen als auch innerlichen Anwendung kurativ wie präventiv, Widerstand zwecklos), merkwürdigerweise nicht aber bei Schlagsahne, Knödeln oder Nussecken, wie mir grade auffällt. Naja, jedenfalls: Spitzenregel, an die ich mich zu halten pflege. Geht auch ganz leicht. Viel Schlaf hilft gut gegen Müdigkeit, alternativ viel Concealer gegen Augenringe. Viel Essigreiniger ist gut für Grünspan und gegen Emaillebeschichtung, viel Wollstrick gut für viele Fusseln. Viel Fahrradfahren ist gut für den Benzinverbrauch, viel Federweißer gut für die Verdauung. Viel Ibu hilft bei Kopfschmerz auch, viel Impfung hilft beim Busseln. Und was sich reimt, ist immer gut. Jedenfalls „wenn viel viel hilft“, hab ich am Telefon salbadert, „dann ist es doch großer Unsinn, nur so ein bisschen Diät zu machen anstatt gleich richtig viel davon“, und meine Überlegungen weiter ausgeführt: Wohin du schaust, hab ich befunden, da gibt es ja die verschiedensten seriösen Angebote grad so im Frauenzeitschriftensegment, also ganz tolle Ideen! Apfeldiät oder eine mit Müsli, Kürbisdiät oder eine mit eher käsigen Aspekten, dann auch mal was mit Reis und Quark, sogar eine mit Kuchen, das ist doch eine feine Angelegenheit. Aber ich denke, es ist nicht zielführend, sich für nur eine Variante zu entscheiden, wo wir doch wissen, dass viel immer schon viel hilft, also ist doch logisch was zu tun ist: viel diäten! Wenn ich also die Kuchendiät mit der Risottodiät kombiniere und dann noch ein bisschen was von der Grillfleisch- und Nudeldiät dazutu, gleichzeitig aber darauf achte, dass sowohl Müsli- als auch Suppen- und Obstdiät gut in den Alltag integriert werden und ich zudem die Cheat-Days jeder Variante sorgfältig über die Woche verteile anstatt dumm auf einen Tag zu konzentrieren, dann müsste das doch spätestens alles klappen, wenn ich ja wegen der Brigittediät immer so viel koche, dass es für eine ganze Familie reichen täte, ich davon aber aufopfernd nur FDH und so, und dann, jetzt kommt der Clou, am Abend IMMER NOCH gut fünfundzwanzig WeightWatcherPunkte übrig hab, mit denen ich mir schön ein Gläschen einschenken kann oder zwei, „also dann muss das doch in ein, zwei Wochen super zu schaffen sein, oder was meinst du?“ hab ich interessiert gefragt. Und eine unbefriedigende Antwort erhalten: „Ich bin nicht sicher, ob du da nicht vielleicht was falsch verstanden hast.“ Pff. In Kanada wird grad der „Fat Bear Award“ verliehen. Wander ich halt aus. 

Selfcare

 Ich habe mir eure zahlreichen Einwände, Wortmeldungen und wohlmeinenden Ratschläge zu Herzen genommen und mich zwar erst nur widerwillig, aber dann doch folgsam nicht weiter mit dem Übergewicht beschäftigt. Wohl aber mit der Bekämpfung desselben, schließlich ist in nichtmal acht Wochen schon mittendrin in der Vorweihnachtszeit, wo man bekanntlich sich a) unablässig im kleinen Schwarzen mit silbernen Flügelchen hintendran und so kecken Drahtheiligenscheinen unter irgendwelchen Lamettabäumen räkelt und keira-knightley-mäßig lasziv schaut anstatt was anständiges gelernt zu haben (vgl. Dessouswerbung, die) und b) sich hauptberuflich von Bratwurstsemmeln, Selbstgebackenem sowie Feierabendglühwein ernährt – eine Kombination, die einer gewissen metabolischen Vorbereitung bedarf. Ich als Frau der Tat bin also sogleich zu selbiger geschritten und habe mir eine neue Sportmatte gekauft für den wahnsinnig vielen Zuhausesport, den wir jetzt alle dauernd wieder machen, diese daheim aufs Kanapee und mich selbst noch oben daraufgelegt und über eine Strategie gebrainstormt. „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten“, hat mein alter Philosophenspezl und Kriegsführungsspezialist Sunzi gesagt, und der muss es wissen, schließlich hat er sich mit der Methode sehr erfolgreich durchs 6. Jhdt. v. Chr. schlawienert. „A propos Wienerl!“ hab ich mir gedacht und mich mit kleinem Schwungholen seitlich von der Chaiselongue fallen lassen, um von dort aus einmal quer durchs Wohnzimmer pfeilgrad hinüber in die Küche zu rollen und hier mit einem zärtlichen Rumms vor dem Kühlschrank zum Stillstand zu kommen, wohinaus ich mir den Feind geangelt und zwengs des besseren Kennenlernens vorgeknöpft habe. Namentlich eine vorzügliche luftgetrocknete Mailänder Salami mit Knoblauch und Pfeffer, weiters zwingend frisch zu verzehrende Mitbringsel wie handgedrechselte Burrata (nur echt mit Butter und Sahne!), alpenmilchfrische Bockshornkleespezialitäten samt nicht mehr taufrischem, aber noch gut bekömmlichem Panino flankiert von einer winzigen, parmesanenen Kleinigkeit Melanzane, auf die zum krönenden Abschluss ein hauchdünner Ranken köstlichster Salame al Cioccolato folgte sowie ein vielleicht nicht direkt nur dreisterneküchegroßes Häuflein Torta di Ricotta al Limone. Alles in allem habe ich mich dabei nicht nur sehr pudelwohl, sondern nachgerade im besten Sinne biblisch erleuchtet gefühlt: „Liebe deine Feinde!“, heißt es im Buch der Bücher (Matthäus 5,38‒48), das auch direkt die Lösung für möglicherweise auf die Liebe folgende Selbstzweifel nachreicht: „Und tu Gutes denen, die dich hassen!“ Selfcare is the Zauberwort! Das kleine Schwarze gibt’s in größer schließlich auch. Amen.

Diavortrag

 So meine Süßen, ihr könnt aufhören, in Papiertüten zu atmen und abends Stoßgebete zu dichten: Es hat alles nichts geholfen, ich bin wieder da, schubidu und ätschebätsch! Mit mir freundlicherweise zurück nach Hause gekommen sind: Ein Zeckenbiss, ein Mordstrumm blauer Fleck auf Kniescheibenhöhe aufgrund einer wahrscheinlich spontan, mindestens aber heimlich angebrachten Anhängerkupplung. Weiters zahlreiche Erfahrungen, Abenteuer und Eindrücke, mit denen ich euch hier selbstverständlich nicht belästigen möchte, für alle Interessierten aber eine kleine thematische Diavortragsreihe in Arbeit habe. Staffel 1 bzw. das Prequel „Wie wir uns richtig vorbereiten“ kennen viele von euch ja schon, ich empfehle die Nachlese bzw. gleich die Anmeldung für Staffel 2 „Slowenien – warum ich vielleicht doch kein echter Outdoorfreak bin oder: Strudel, Blejska kremšnita, Almkäse & Co. – ausgewogene Ernährung neu gedacht“, Staffel 3 „Venedig for Beginners: Öffentliche Toiletten & Geschicktes Taktieren (Director’s Cut), von Permanent Make Up bis Wechselshirt: Dressed to Kill für Hochkultortour sowie: Ist Hersbruck die bessere Citta Slow?“, Staffel 4 „Logo am Lago: Warum es ok ist, ein Tourist zu sein oder: Vollentspannung im Schnelldurchgang und Area Servizio Lazise Est – Dank Latinum durch die Welt“. Ob es das Sequel von „Urlaub mit den Eltern“ geben wird, ist aktuell noch fraglich, für den Sonderbeitrag „Heimreise leicht gemacht: Besser ankommen mit Zen-Buddhismus“ muss ich erst noch mit meinem Therapeuten Rücksprache halten. Darüber hinaus mit mir in die schönste Noris der Welt, die mich mit Lebkuchengeruch, querstehenden Umtretrollern sowie einem vom Balkon aufs Trottoir schnäuzenden Nachbarn liebevoll empfangen hat, gereist sind selbstverständlich zahlreiche Mitbringsel oder Suffeniers, wie der Voyageur du Monde zu sagen pflegt, und damit meine ich selbstverständlich nicht nur Alkoholika, Pasta sowie weitere landestypische Spezialitäten, die man ganz vorzüglich auch daheim im italienischen Supermarkt um die Ecke zum Einkaufspreis erwerben doch dann nurmehr schlechten Gewissens sagen kann, man habe den Zurückgebliebenen etwas feines mitgebracht, während man verstohlen-demonstrativ („Ach, immer dieser lästige Muschelstaub!“) den Dreck vom Souvenir wischt. So. Ich muss jetzt aufräumen. Äußerlich, sprich: den Saustall, der mich umgibt. Sowie innerlich auch. Habe mich bereits für Selbsthilfekurse angemeldet: „Lecker kochen ohne Pasta“ sowie „Ein Leben mit Salat ist möglich“. Vielleicht unterhalten wir uns entgegen meiner Ankündigung doch demnächst mal über Übergewicht. Vielleicht aber auch nicht. Ciao!  

Dienstag, 5. Oktober 2021

Urlaubsleiden der jungen W.

 Ich bin gerade an einem Ort, an dem vor ungefähr 25 Jahren ein junges Mädchen außerordentlich litt und damit Geschichte schrieb, wie das eben so ist bei jungen Mädchen, mit denen das Schicksal Boule spielt (vgl. Cleopatra, Jeanne d’Arc, Sigena). Dieses junge Mädchen trug bei 40 Grad im Schatten vorzugsweise Jeans, Kapuzenpulli und Springerstiefel ausnahmslos in Schwarz, um vom schweren Los (des eigenen Selbst sowie der Welt im Allgemeinen) Kunde zu tun und sich außerdem größtmöglich optisch abzusetzen von den Begleitpersonen, die das Mädchen zuvor gefesselt, entführt und über stundenlange Folterfahrten mit dem Auto in ein fremdes Land verschleppt hatten. Die Begleitpersonen nannten das Ferien, was nicht sein konnte, weil „Ferien“ bedeutete, dass ALLE Freundinnen (zwei) an magische Orte namens „Florida“ oder „Robinson Club“ fuhren, wohin sie ein futuristisches und teures Beförderungsmittel namens „Flugzeug“ gebracht hatte. Die Begleitpersonen trugen Kleidung, die „bunt“ und „funktionell“ hieß, kleine, peinliche Beutel mit Wertsachen (die Taschendiebe!) unter dem Bauch oder auch gern einmal darüber, außerdem die hässlichsten, aber doch so komfortablen und irre gesunden Schuhe, weil die „so bequem“ sind und zudem „toll fürs Fußklima“ und darüber hinaus Fotoapparate verschiedenen Formats um den Hals, die sie alle drei Meter zum Stehenbleiben, entzückt aufschreien und Bilder schießen zwang von irgendeiner Mauer oder wahrscheinlich Brücke, von der es 1. 400, 2. damit weit weniger als im fernen Hamburg und 3. gleich nebenan bereits außerordentlich gut abgelichtete Postkarten gab. Nicht gegeben hat es von den omnipräsenten Köstlichkeiten, weil „die spinnerten Preise“, dafür mitgebrachtes und in der Tasche fein überbackenes Käsebrot und Apfelschnitz sowie sparbewusst Wasser aus Brunnen in eigene Flaschen, die klein waren und stanken und deren Deckel man abends auskochen musste. Die Begleitpersonen zwangen das Mädchen zum zeitigen Aufbruch („Es ist elf Uhr!!“) ungeachtet des Umstandes, dass es am Vorabend spät weil ein neuer tränenreicher Leidensbrief an die Heimat geschrieben worden war. Alles in allem: wirklich dramatisch, und ich erzähle diese Geschichte mit einem Auge, das so feucht ist wie mein frisches Haar. Jetzt muss ich los. Es ist 7 Uhr 41. Um 9 Uhr fährt das Schiff, ungeachtet des Umstandes, dass es gestern versehentlich viel Weißwein gab. Das Käsebrot ist geschmiert (diese Preise!), die Wasserflasche ausgespült, die Birkis glänzen golden in der Morgensonne, der sehr praktische Beutel für die Wertsachen hängt gleich um meine Schulter neben dem Fotoapparat, mit dem ich gleich sehr viele Fotos von Dingen machen werde, die millionenfach auf Postkarten gedruckt sind. Ich trage schwarz wegen cool – und freu mich wie Bella! Nee: Bolle!

Freitag, 1. Oktober 2021

Diavortrag

 So meine Süßen, ihr könnt aufhören, in Papiertüten zu atmen und abends Stoßgebete zu dichten: Es hat alles nichts geholfen, ich bin wieder da, schubidu und ätschebätsch! Mit mir freundlicherweise zurück nach Hause gekommen sind: Ein Zeckenbiss, ein Mordstrumm blauer Fleck auf Kniescheibenhöhe aufgrund einer wahrscheinlich spontan, mindestens aber heimlich angebrachten Anhängerkupplung. Weiters zahlreiche Erfahrungen, Abenteuer und Eindrücke, mit denen ich euch hier selbstverständlich nicht belästigen möchte, für alle Interessierten aber eine kleine thematische Diavortragsreihe in Arbeit habe. Staffel 1 bzw. das Prequel „Wie wir uns richtig vorbereiten“ kennen viele von euch ja schon, ich empfehle die Nachlese bzw. gleich die Anmeldung für Staffel 2 „Slowenien – warum ich vielleicht doch kein echter Outdoorfreak bin oder: Strudel, Blejska kremšnita, Almkäse & Co. – ausgewogene Ernährung neu gedacht“, Staffel 3 „Venedig for Beginners: Öffentliche Toiletten & Geschicktes Taktieren (Director’s Cut), von Permanent Make Up bis Wechselshirt: Dressed to Kill für Hochkultortour sowie: Ist Hersbruck die bessere Citta Slow?“, Staffel 4 „Logo am Lago: Warum es ok ist, ein Tourist zu sein oder: Vollentspannung im Schnelldurchgang und Area Servizio Lazise Est – Dank Latinum durch die Welt“. Ob es das Sequel von „Urlaub mit den Eltern“ geben wird, ist aktuell noch fraglich, für den Sonderbeitrag „Heimreise leicht gemacht: Besser ankommen mit Zen-Buddhismus“ muss ich erst noch mit meinem Therapeuten Rücksprache halten. Darüber hinaus mit mir in die schönste Noris der Welt, die mich mit Lebkuchengeruch, querstehenden Umtretrollern sowie einem vom Balkon aufs Trottoir schnäuzenden Nachbarn liebevoll empfangen hat, gereist sind selbstverständlich zahlreiche Mitbringsel oder Suffeniers, wie der Voyageur du Monde zu sagen pflegt, und damit meine ich selbstverständlich nicht nur Alkoholika, Pasta sowie weitere landestypische Spezialitäten, die man ganz vorzüglich auch daheim im italienischen Supermarkt um die Ecke zum Einkaufspreis erwerben doch dann nurmehr schlechten Gewissens sagen kann, man habe den Zurückgebliebenen etwas feines mitgebracht, während man verstohlen-demonstrativ („Ach, immer dieser lästige Muschelstaub!“) den Dreck vom Souvenir wischt. So. Ich muss jetzt aufräumen. Äußerlich, sprich: den Saustall, der mich umgibt. Sowie innerlich auch. Habe mich bereits für Selbsthilfekurse angemeldet: „Lecker kochen ohne Pasta“ sowie „Ein Leben mit Salat ist möglich“. Vielleicht unterhalten wir uns entgegen meiner Ankündigung doch demnächst mal über Übergewicht. Vielleicht aber auch nicht. Ciao!  

Freitag, 17. September 2021

Freizeitgeneral

 Urlaub ist wichtig. Er streichelt die Seele, balsamiert die Nerven, küsst das Chi. Weil der Gesetzgeber das weiß, sorgt er für viele Tage Urlaub im Arbeitnehmerjahr, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Bei Freiberuflern sieht er das nicht so eng, sie geben sich gern mit ein, zwei freien Tagen im Jahr zufrieden und werken auch am Faschingsdienstag, Ostermontag sowie Tag des Herrn. Da unterscheidet sie vom Großmanagement nichts bis auf vielleicht ein, fünf winzige Nullen hintendran am Jahresbrutto. Umso besser und effizienter sind sie jedoch in der Ausführung, weil jede Minute, die sie nicht nutzen, bekommen sie nicht gezahlt und schon gar nicht gedankt, und dementsprechend gestalten sie auch die Zeit größtmöglicher Erholung unter der Parole: Get the most out of it – how to optimize your Urlaub! Für alle, denen jetzt Ehrfurcht wie Neid den Blick verschleiern, habe ich eine kleine Anleitung entworfen, die ich euch wie eine reife Orange zuwerfen und zum beherzten Entsaften ermutigen möchte. 1. Beginne mit den Vorbereitungen möglichst zeitig, binde eine große Anzahl unbescholtener Personen mit ein (vgl. Gefallen, der; Blutsbande, die). Nur in der Gruppe bist du stark und erreichst das große Ziel: maximale Erleichterung über deinen Aufbruch. 2. Plane umsichtig. Um später möglichst keine Scherereien und böse Überraschungen zu erleben, bereite dich im Vorfeld weise vor. Studiere geologische und Wetterkarten, lies Erfahrungsberichte, werde Teil von Facebook- und sonstigen Neigungsgruppen. Wisse, was vielleicht schon einmal passieren hätte können. Sei gewappnet! Merke: Die Freude ist umso größer, wenn du acht verschiedene Regenjacken (leicht, gefüttert, Dauereinsatz, Platzregen, Ganzkörper etc. pp.) zwar im Koffer, doch über Wochen nie im Einsatz hast. 3. Erschöpfe dich! Leere Akkus gilt es vorschriftsmäßig vor der erneuten Befüllung vollständig zu entladen. Befördere dich sorgfältig in einen Zustand kompletter körperlicher wie geistiger Leere. Zeichen für korrektes Vorgehen sind: Verwirrung, Sprachstörungen, Vergesslichkeit, Gereiztheit, Schlaflosigkeit. Empfohlen sei hier die generalstabsmäßige Planung (vgl. 1 & 2). Wenn du mit Kopfschmerzen und Aura im Auto sitzt und nur drei Stunden später als angekündigt startest, weißt du: Du hast alles richtig gemacht. 4. Carpe diem! Du bist nicht zum Spaß so weit gefahren, rumhängen kannst du auch auf dem Kanapee. Erstelle Aktivitätenlisten für eine Woche. Arbeite alles an Tag 1 & 2 ab (z. B.: Fahre mit dem a) Fahrrad zum b) Bergwandern statt mit dem Auto oder Bus. Mach c) Strecke!) Erstelle neue Liste. 5. Plane Bürotag, siehe ihm mit Grausen entgegen. Sei überrascht: Ausschlafen, Sofa aus dem Ärmel schütteln – und dann den ganzen Tag nichts tun!  

Bauernregeln

Weil wir neulich schon festgestellt haben, dass sich langsam aber gewiss die sichere Bank aller Verzweifelten, Schüchternen und Uninspirierten vom Stützbalken sozialer Interaktion (vgl. Smalltalk, der) zu einem Tretminenfeld der thematischen Fettnäpfe entwickelt („Buärgs ist das heiß!“ – „Das hast du jetzt von deiner Internetbestellerei!“ / „Fuckey ich krieg echt hart Depression wegen immer Regen.“ – „Tja, Hauptsache schön Schnitzel, ne!“), möchte ich heute eine Lanze brechen für: das Wetter. Später womöglich auch noch für Funktionskleidung, Wasserhosen und die modische Ästhetik von Müllsäcken, aber, ja, also: später. Das Wetter war dem Menschen nie geheuer, weswegen er sich zeitnah einer List bedient und Götter erfunden hat. Das war praktisch, wenngleich betreuungs- und kostenintensiv, weil wie das so üblich ist bei Mächtigen: von nix kommt nix, und wo wir heute mit Boni und Aufsichtsratsposten arbeiten, gab es früher eben Lamm, gelegentlich auch einmal ein kleines Menschlein zur Bestec… Beschwichtigung. Wetter nass: Opfer. Wetter heiß: Opfer. Wetter kalt: Opfer. Wetter irgendwie normal weil gefriert halt im Winter aber passt mir persönlich grad nicht so gut in den Kram: Opfer. Wir sehen: Das wird teuer, und nachdem sich auch der Ablasshandel als von zweifelhaftem meteorologischem Wert erwiesen hat, griff der Mensch blasphemisch-klug zur Naturwissenschaft. Fortan spazierten Frösche in Gläsern an Leitern auf und ab, zeigten Egel, Spinnen, Schwalben eine Richtung an, doch sehnte sich vornehmlich erstgenanntes Amphib weniger nach göttlichem Wirken als vielmehr irdischem: Fliegen. Und spätestens, als der Galli-Mainini-Test erfunden war, der Frosch nunmehr gleichzeitig Wetter vorhersagen sollte und Schwangerschaften auch, kam es in der Folge zu unklaren Handlungen, verwirrenden Aussagen, Burn-Out und Zwangspensionierung (vgl. Kachelmann, Jörg). Während der gelehrte Mensch also seit Jahrtausenden nach Methoden zur Wetterzähmung trachtet, sind andere einfach bauernschlau und leiten fleißig Regeln ab, die nicht nur orakulös verlässlich sind, sondern auch von poetischer Schönheit. Nämlich allgemein: Wenn im September viele Spinnen kriechen, sie einen harten Winter riechen. Oder: Donnert’s im September noch, wird der Schnee um Weihnacht hoch. Sowie konkret: Ist Regine warm und sonnig, bleibt das Wetter lange wonnig. (7.9.), Regnets am Sankt Gorgons Tag, geht dir Ernt‘ verlorn bis auf den Sack. (9.9.). Weil ich nicht gelehrt bin, wohl aber schlau, habe ich im August gesammelt und beantrage hiermit um Ergänzung der offiziellen Bauernregeln um norisspezifische: Schaust du Filme ohne Dache sitzt du meistens in 'ner Lache!, Tropft dir Wasser von der Hose stell dir vor es wäre Soße! und Trinkst du Biere an 'ner Pfütze trägst du dabei besser Mütze! Damit crasht ihr jede Party! Versprochen!

Freitag, 10. September 2021

Ring of Fire

 Letzte Woche war ich auf einer Waage. Ein, wie ich gestehen muss, eher angstbehafteter Moment: Du weißt, der Tag wird kommen, aber du denkst, wenn du die Augen ganz feste zukneifst, dauert’s noch ganz lange. Du kennst die Regeln und unumstößlichen Gesetze, an die du dich wegen ja beide Augen zugekniffen eher so leidlich gehalten, um genau zu sein: die du als optionaler, wohlgemeinter Vorschlag interpretiert hast und dabei gleichsam stoßbetend wie infantil darauf gehofft, es wird schon alles gutgehen. Ganz genau hast du gewusst, was falsch ist und was richtig, aber dir heiter eingeflüstert, es ist doch nur noch hier ein bisschen und dort auch und nur weil es gestern schon eine klitzekleine Ausnahme gab und morgen auch schon eine in Planung ist heißt das ja noch lange nicht, dass du deswegen heute von der Ausnahme lieber Abstand halten solltest. Dann ist es also soweit: Wiegetag. Und als wär nicht alles eh schon schlimm genug und der Himmel unheilsvoll verdustert, so spielt sich diese hochnotpeinlichste aller Situation nicht einmal daheim im stillen Kämmerlein ab, sondern in aller öffentlicher Augen. Zumindest vierer an der Zahl. Zwei Herren mit strengem Blick sagen: Bitte hier jetzt auf die Waage, und du weißt, jetzt gibt es kein Entrinnen mehr, dafür Fluchen (innerlich), Zittern (äußerlich), Schwitzen (leider auch), und während du noch mit dir schiltst (Das letzte Trum hätt wirklich nicht mehr sein müssen, doch du, elendes Weib, kriegst den Rand ja niemals voll!), senkt sich urplötzlich das kalte Fallbeil des Urteils auf dich herab: „Herzlichen Glückwunsch“, spricht Herr Nr. 1, „zur 100er Zulassung! Jetzt müssen Sie halt leider noch zur Zulassungsstelle und das im KfZ-Schein ändern lassen. Gute Fahrt!“ Tjahaha, die werd ich haben. Nämlich während ihr diese Worte lest und dabei grau und gram dem Tag entgegengrimmt, rumple ich längst fröhlich im mobilen Heim über Stock und Stein. Doch was aussieht wie Urlaub ist in Wahrheit eine Flucht. „Wie jetzt, die Diskos machen auf einmal auf?“ rief ein Freund unlängst entsetzt. Das käme ihm jetzt etwas plötzlich, um nicht zu sagen: ungelegen, schließlich habe man doch bis dahin unbedingt noch streng diätieren und Leibesumfang reduzieren wollen, und zwar nicht allein aus eitlen Gründen, sondern vielmehr pandemischen, erschiene es doch schlicht unmöglich, Abstände vom Umfang eines Hoolahoopreifens zueinander einzuhalten, wenn die eigene Wampe grad so bequem im Ring of Fire Platz gefunden hätte, und man weniger damit zu tun habe, den Reifen mittels Hüftschwung vorm Bodenfall zu bewahren als vielmehr damit, sich nach Ende der Ertüchtigung aus der Gerätschaft wieder rauszuflexen. Macht ihr also schön Diät. Ich mach Urlaub. Und denk dabei garantiert nicht über Gewicht nach.

Freitag, 27. August 2021

Was__i__

 Als wär der Alptraum letztens nicht genug gewesen für ein ganzes Leben, erwache ich seit Tagen schweißgebadet und mit Schluckauf. Noch im Halbschlaf springe ich aus dem Himmelbett, galoppiere über den Flur in den Nordflügel, wo ich mit Effet um eine Kurve schlittere, um dort punktgenau im beigen Saal Halt zu machen mein Handy gen Himmel richte. Dort, etwas über Kopfhöhe, befinden Hinweise zur Abholung des Persos, der ich angsterfüllt entgegenblicke. Denn zwar haben wir das mit dem Foto souverän gelöst, nicht jedoch das mit der Unterschrift. „Schrift“, da steckt schon der Fehler. Bei mir lautet die korrekte Bezeichnung „Unterschmier“, und das mag lustig klingen, ist jedoch problembehaftet. „Ähm Entschuldigung“, sagen manchmal pflichtbewusste Kassenmenschen, „da müsst ich jetzt vielleicht noch Ihren Perso dazu sehen, weil das ist jetzt nicht grad die selbe Unterschrift hier auf dem Zettel wie auf Ihrer Kreditkarte“, und ich seufze, denn ich weiß schon, was kommt: Statt den Beweis meiner selbst anzutreten, stifte ich noch mehr Verwirrung, indem ich eine dritte Variante spendiere und ein joviales „Suchen Sie sich die schönste aus!“ versuche. Ich sag mal so: Könnte besser klappen. Wie aber halt auch meine Unterschrift. Die es nicht gibt. Schon immer hab ich voller Sehnsucht und Bewunderung auf andere geschielt, die mit Dali’scher Eleganz oder Stoiber’scher Egaligkeit Bögen, Punkte, Schwünge auf Papier geworfen haben. Formatsprengender Größenwahn oder pedantische Klarheit beeindrucken mich ebenso wie meinethalben das Trump’sche EKG, und aus kinderkrakeligen Signaturen lese ich mit Hingabe Bildung, Alter, Status und ggfs. auch Sternzeichen heraus. Aus meiner: Unvermögen. Denn während ich bis heute elterliche Namenszüge täuschend echt imitieren kann, überrasche ich mich mit meinem eigenen jedes Mal selbst aufs neue. Was gut gelingt, ist stets der Anfang, hintnach wird’s schwammig, und zu Beginn der Karriere steht ein Führerschein, dessen Signaturzeile selbstbewusst beginnt und peinlich endet: K A T H A R I N AWasmr, was die Beamtin damals diabolisch grinsend und die ewige Schmach besiegelt hat. Seitdem Beschränkung auf den Nachnamen, und selbst das gelingt nur selten besser als Was__.__, was man an Supermarktkassen argumentieren kann, nicht aber an offiziellen Stellen. „Wie viele Versuche darf ich?“ hab ich also statt einer Begrüßung beim Antrag gefragt und direkt zu üben begonnen. Beim dritten Mal wurde mir heiß, beim zehnten schwarz vor Augen. „Jetzt zufrieden?“ wollte die Beamtin durch den Nebel freundlich wissen. Ich nickte schwach. Danach weiß ich nichts mehr. Auch nicht, wie ich jetzt eigentlich unterschrieben hab. Was___, Wsmir, W___i_r, __eier. Vielleicht auch mit „Dali“. Wär ja nicht das Schlechteste.

Freitag, 20. August 2021

Coloraturi te salutant

 Letzte Woche hatte ich einen Alptraum. Das war so: 7 Uhr: Eine Stimme schreit „Aufstehen, aufstehen, sofort aufstehen, alles was nach 11 Uhr stattfindet ist KEIN ganzer Tag im Freibad mehr!!“ Es ist meine eigene. 7.15: Eine minimalistische Tasche mit dem Nötigsten ist gepackt, ich brauche nichts außer Bikini, Handtuch, Wasser, Buch. Und was zu essen. 9.28: Käsebrot ist fertig. Drei weitere sowie Bulgursalat, aufgespelzte Paprika, Möhren und Äpfel, ein Liter Wasser mit Geschmack, drei ohne, Besteck für vier Personen (man kennt ja seine Pappenheimer), Kekse sowie eine servierfertig geschnitzte Wassermelone auch. Kann losgehen. 9.35: Wo ist die scheiß Kühltasche? 10.12: Mit leichtem Gepäck (Seesack, Wanderrucksack, Kühltasche, Necessaire) und lässig um den Hals gebundener Luftmatratze („Zum Drauflegen.“) geht es los. 10.55: Ankunft, Zeitplan eingehalten, Ticket schlau schon online gekauft, olé! 11.13: Wo ist das scheiß Ticket? 11.19: Einmarsch der Badiatoren! Salve Sole, Coloraturi te salutant! 11.20: ENDLICH Schatten! ENDLICH chillen! 11.22: Endlich Frühstück! 11.26: Mist, vergessen einzucremen! 12.17: Kann nichts mehr anfassen, erklimme schwer atmend, doch hübsch speckglänzend den Hügel hinauf zum Waschbecken; juhu, bergab kann ich auf meiner LSF-50-Spur sliden. 13.15: Nochmal zurück, vergessen aufs Klo zu gehen. 13.23: So, jetzt aber erstmal in Ruhe fr… Ins Wasser jetzt? Na gut. 13.50: Räkele mich sexy und neonweiß gleißend am Beckenrand, versuche entspannt zu lächeln und dabei nicht ins eisige Wasser zu glitschen. 13.53: Wo ich schonmal drin bin, kann ich auch gleich was für den Body tun. Zehn kraftvolle Bahnen Brust haben noch keinem geschadet, auch nicht der Frisur. 14.07: Kann nichts mehr sehen, dafür theoretisches Wissen zum Thema „die perfekte Arschbombe“ angeeignet. Bekommen. 14.09: Wenn schon nicht elegant durchs Wasser gleiten, dann eben aus diesem hinaus. 14.11: Humple mit blutigen Knien zum Platz, der Boden müsste auch mal neu gemacht werden. 15.03: Versuche gestresst, zu chillen. Treibender Beat aus kleinen Brüllwürfeln der Kids nebenan helfen. Nicht. 15.48: Habe mich auf dem Weg zum Klo in der Abzweigung vertan und jetzt eine doppelte Portion Pommes, naja. 15.55: Möchte jemand Käsebrot? 16.20: Juhu Ballspielen! Schon interessant, wie anders das Publikum ums Nichtschwimmerbecken herum ist. 16.23: Finde mich unvermittelt in süßlich duftender, grüner Wolke wieder. 16.46: Singe „Neeein sorg dich nicht um miiiich! Du weißt ich lieeeebe das Leeeeeböön!“ 16.48: Sexy Boys in blauen Shirts rütteln an meinem Hochstuhl und versuchen, mir das Megaphon zu entreißen. PAH! 17.18: Lehne vorm Eingang am Baum, von meiner Stirn tropft Bulgur … Bin aufgewacht und hab mich an meine Wärmflasche gekuschelt. Zum Glück ist endlich Herbst! 

Montag, 16. August 2021

Nicenstein

 Was passiert einmal jährlich zu den Hundstagen, versetzt Menschen und Medien gleichermaßen in Aufregung, sorgt für Gesprächsstoff, aber wenig Handfestes, tönt als lautes Wunschkonzert und die, um die es eigentlich geht, sind weitestgehend unbehelligt vom Bohei und machen halt einfach ihr Ding weiter? Sternschnuppenregen, richtig. Aber während zum Perseidenschauer zumindest die Romantiker („Ach Schatz, es ist so wundervoll, dass du mit mir hier raus gefahren bist, es ist so zauberhaft und kuschlig, nur wir zu zweit auf der Decke, ich liebe dich!“ – „Mir ist kalt.“), die Nüchternen („O Gott SCHAU MAL so viele Sternschnuppen hintereinander hab ich ja NOCH NIE gesehen das MUSS ein Zeichen sein!!“ – „Das heißt Starlink und sind Satelliten.“) und die Geduldigen („Papa du weißt, dass du auf dem Handy eine Astronomie-App hast?“ – „Ja, Sohn, doch glaube mir: Nichts geht über die heilige Präzision von Zirkel, Dierke Weltatlas und Lebenserfahrung.“) beschäftigt sind, ist man sich über Zielgruppe des zweiten Ereignisses eher uneinig. „Könnt ihr mir bitte diese Wörter erklären?“ hab ich vermeintliche Angehörige derselben befragt und die Antwort kam prompt, klug und erschütternd: „Äh nee?!“ Das ist schade, weil ich als Berufsjugendliche, die mit der sorgfältig in Gespräche eingestreuten Verwendung jugendlichen Idioms zu punkten, Vertrauen und Nähe herzustellen weiß („Ich hab das Schuljahr geschafft!“ – „Nicenstein!“ / „Kannst du bitte für mich anrufen und nachfragen?“ – „Kümmre dich selbst um deinen Shizzle!“), bin da auf zeitgemäße Sprache angewiesen. Weil ich denke, dass es noch vielen anderen so geht, versuche ich mich kraft meines linguistischen Genies hilfsbereit an Übersetzung zur Vereinfachung der später korrekten Verwendung. Als Jugendwort des Jahres 2021 stehen also zur Wahl: „sus“ (Abschiedsformel, vorzugsweise nach Genuss von ein, zwei Diskoschorlen), „akkurat“ (wohlmeinender Hinweis zur Schonung der Telefonbatterie, weshalb auf Groß- und Kleinschreibung verzichtet wird), „same“ (Angehöriger eines indigenen Volkes der nördlichen Hemisphäre, Ausdruck der Bewunderung für Resistenz gegen Kälte oder allgemein Anforderungen des Lebens, vgl. Müll runterbringen), „wild“ (fremd, verdächtig), „sheesh“ (erschöpfend, ermüdend, onomatopoetische Darstellung des Luftentweichens), „papatastisch“ (Ausdruck der Wertschätzung für reformatorische Bestrebungen innerhalb verkrustet-patriarchaler Strukturen, i.e. „pubertär“). „Digga“ (Ausdruck inniger Verbundenheit & Verständnis füreinander, nachdem man monatelang daheim gesessen und der Körper die Form des Kinderzimmersofas angenommen hat, vgl. „Schatz“), „Cringe“ (gefährliches Geräusch unsachgemäßen Gebrauchs von Zahnspangen & Kronkorken), „Geringverdiener“ (Angehöriger des kunstschaffenden Milieus; Sammelbegriff). Und „Mittwoch“. 

Dienstag, 10. August 2021

Lehrkörper

 „Wenn der Kultusspezl“, hab ich letzthin gesagt und dabei an meinen Notizen gekaut, die ich seit einigen Wochen mit mir herumtrage, um mittels grammatischer Gleichungen und komplizierter semantischer Berechnungen eine wichtige Frage zu ergründen, nämlich: DARF man „letzthin“, „neulich“ oder „kürzlich“ einfach gedankenlos verwenden, wann immer man einen vergangenen Zeitraum benennen möchte, oder gibt es hierzu Regeln, an die man sich zu halten hat und gefälligst „vorgestern“ sagt, wenn „vor gestern“ gemeint ist, kreuzdeifi? Bis das hinreichend geklärt ist, plädiere ich für die konkrete Verwendung eindeutiger Datumsangaben, um überflüssige Diskussionen zu vermeiden. Also: „Wenn der Kultusspezl“, hab ich am 3. August 2021 gegen 17.30 Uhr gesagt, „mich mal früher gefragt hätte, wie das mit dem Corona und dem Schule vielleicht geschmeidiger zu lösen sei, dann wäre das alles wesentlich geschmeidiger gelöst!“ und dann Limo und weiter kauend versucht zu erkennen, ob es sich bei dem Herrn auf dem Rennradl, der grad an mir vorbeigestelzt war, um einen sehr alten Herren in sehr spätjugendlichem Gewand (Turnschuh, Socken bis zum Knie, Fetzenjeansshorts, Sweatshirt) gehandelt haben könnte, oder ob sehr junge Herren mittlerweile sich die Schnurris weiß (!) färben, um den Eindruck zu erwecken, es handle sich um einen sehr, naja, und ob es sich bei der knittrigen Netto-Plastiktüte, die leger am Lenker geschwungen ist, um ein It-Piece und neuestes Accessoire aus dem Fundus des ironischen Präprekariats (der sich neuerdings auch witziger ARGE-Schlappen befleißigt) handelt oder die alterslose Person wirklich nur die letzte Ration Schloss Edel zum Pfandautomaten bringen möchte, es ist alles wirklich sehr kompliziert. „Weil ich hatte ja nämlich“, hab ich weiter gesprochen und dabei mit der Plastikersatzmakkaroni die Limo aufgeschäumt, Bubbletea, das hat man jetzt so, „gefunden, dass ihr einfach die Schutzschilder, die der USK ja jetzt nicht mehr braucht weil keine FFF-Demos mehr, wie einen Bauchladen umhängen hättet können, dann ist vorne zu und hinten und sieht auch noch gut aus, Muttis hätten statt witziger Masken einfach die Gurte genäht und gut ist. Und dann seitlich noch so Plastikhandschuhärmel wie man’s aus dem Veterinär-TV kennt von der Rindsbesamung, da hättet ihr dann um den Schutzschild herum der Destiny den Kopf tätscheln können oder auch einmal draufklopfen, wegen Rüge. Oder halt wenn eh kein Kontakt wegen körperliche Züchtigung leider verboten, vielleicht auch nur kurze Handschuhe vom Biohazard-Labor. Da seht ihr dann zwar aus wie ein Plexiglas-T-Rex, aber ihr schreibt ja eh nicht mehr an Tafeln, sondern drückt nur noch Computerknöpfe.“ – „Ich bin so müde“, hat der Lehrkörper vor mir geseufzt. Verstehe. Ich auch. 

Sonntag, 1. August 2021

Retusche

 Manchmal muss man sich Sachen anhören, wo du sagst: Das glaubst du gar nicht. Zum Beispiel solche: „Dein Verhalten ist, um es mal mit den Worten des CvD zu sagen, produktionsgefährdend!“ – „Bitte was?“, hab ich ins Telefon gerufen und mich dabei sehr konzentrieren müssen, weil das Telefon ist an einer langen Schnur linksrechts, linksrechts um meinen Hals gebaumelt, der wiederum kopfüber an einer Schaukel gehangen ist, welche inmitten einer Kinderschar sich befunden hat, und wo viele Kinder sehr laut weinen, telefoniert es sich schlecht. Aber jetzt war halt ich auf der Schaukel, müssen die auch mal lernen. Und das kam so: Passfotoproblematik, wir erinnern uns. Ich also mit brennend schlechter Laune in diese Behördengasse, weder sexy noch in shape, dafür dank guter Zurede („Jetzt mach halt nicht so ein Theater!“) und früher Uhrzeit mit ordentlich Egaligkeit geschmückt, ich mein, wer macht schon gern Amtsbesuche, noch dazu in aller Herrgottsfrüh, wo beim Weckerschellen um achtuhrdreissig erst die Tränensäcke unterm Federbett hervorquellen und später dann die Beine, derweil das Hirn verweigert und an Ort und Stelle liegenbleibt. Dann wird dir der Grant auch noch vermiest, weil wegen Mundwinkel zwar ungefähr auf Schulterhöhe installiert, aber das sieht ja heutzutage keiner mehr, kreizdeifi. Auftritt Fotostudio, Passfotos, aber dalli!, blind vor Müdigkeit zum Wartstuhl tasten, einschlafen. Aufwachen. „Etz kann dann gleichamal des blonde Waggerla von vorn drankommen!“, hab ich gehört und Kompliment gewittert: Die meinen mich!, und schon war die Laune strahlend und verjüngt wie auch der Mensch auf dem Minibild, das mir wenig später ausgehändigt worden ist. Darauf: Ein mir gänzlich unbekannter, doch babyglatter Strahlemensch. Verliebt hab ich mich darin verloren, ganz offenkundig werd ich schöner anstatt älter, das Portrait umarmt, mich pirouettendrehend zum Ausgang begeben und auf dem Weg dorthin nur fastbeinahe einen Kinderwagen über den Haufen gerannt. Wo der plötzlich herkam, konnte nicht geklärt werden, wohl aber die Richtigkeit meines ersten Eindrucks: „Du siehst aus wie zwölf!“, sprach man salomonisch Urteil übers neue Foto, und ich geschmeichelt: Ja also (Blick zu Boden, bescheiden), ich mach mir ja jeden Morgen so einen probiotischen Joghurt mit Körnern, und die Sonne (niedlich lächeln) meide ich ja aus Gründen eh weitestgehend, und außerdem trink ich wirklich sehr diszipliniert (Augenaufschlag) mehrmals täglich große Gläser stilles Wass… „Warst du bei dem Fotostudio da unten?“, hat mich die Freundin da unterbrochen. „Ja.“ – „Haha ja geil, die haben mich damals auch total jung retuschiert!“ Seitdem schaukle ich. Wollen wir doch mal sehen, wer hier wie jung ist! Produktion?! Ich sag: Trotzphase! 

Freitag, 23. Juli 2021

Sunsplaining

 Wie heißt das gleich wieder, wenn dir jemand dauernd Fragen beantwortet, die du nie gestellt hast, in einem nachlässig gemischten Tonfall zwischen genervt und gönnerhaft die Welt erklärt und das alles sorgfältig-lose mit dem Deckmäntelchen der Fürsorge dekoriert? Mansplaning, stimmt, aber das meine ich nicht. Moment, ich blättre geschwind durchs Vokabelheft … B wie Besserwisser … N wie neunmalklug … S wie siebengescheit … S … wie … Sunsplaining, das isses! Eine völlig unterschätzte Form der Diskriminierung, der ich endlich eine Stimme verleihen und Gehör verschaffen will, auch wenn man zwar nicht behaupten kann, dass es sich bei den Betroffenen um eine Minderheit handelt, wohl aber Unterdrückte, die Zeit ihres Lebens verhöhnt und verspottet worden sind: die Käsigen. Deren zarter Alabaster präventiv zu glühen beginnt, wenn der Wetterfrosch auch nur in Erwägung zieht, die Leiter zu erklimmen. Deren elfenbeinerne Haut von heftiger Panik ergriffen Blasen schlägt, lang bevor es der Asphalt der Sommerstraßen tut. Die in mühevoller Kleinstarbeit aus 5-Minuten-Sitzungen und LSF50 nach sechs Wochen Küstenurlaub von Rein- auf Altweiß tönen. Und die zum (hahahahaa!) Dasein im Schatten verdammt sind – mindestens derer, denen es beschert ist, allein kraft eines kurzen Blicks aus dem Fenster zum knusprigen Brathendl zu mutieren. „I feel it in my fingers, I feel it in my toes: sun that’s all around me. And so the sunburn glows“ … Wer sich nicht sicher ist, zu welcher Gruppe er gehört, dem empfehle ich den Vampirtest: Weißes Top und hellgraue Shorts an, ab damit auf eine neonorangefarbene Isomatte, und wenn du dann auf dem Selfie nur mehr die Klamotten siehst, derweil dein Körper farblich mit dem Untergrund verschmilzt – Jackpot! Surprise: Ich gehöre nicht zu Gruppe zwei. Was gewissermaßen schade ist, denn dann könnte ich auch den ganzen Sommer hindurch mit Sunsplaining glänzen und zu Käse-, pardon: Sahnemenschen ungefragt wichtige Sätze sagen wie: „Meinst du nicht, du solltest mal aus der Sonne gehen?“ (Antwort: Nein.), „Findest du nicht, dass es im Schatten besser wäre?“ (Nein.), „Magst du dich vielleicht lieber da hinten zu dem Baum legen?“ (Nein.), „Ich habe noch einen Regenschirm im Auto, soll ich dir den holen gegen die Sonne?“ (Nein.), „Du weißt fei schon, dass man von Sonne Krebs kriegen kann?“ (N…jadoch.) oder witzige Sätze wie „Hast du dich mit Mayo eingeschmiert statt Sonnencreme?“ (NEIN!), „Darf ich mal mit dem Finger auf deinem Dekolleté herumpieken und schauen, wie lang die weißen Punkte bleiben?“ (Nein.), „Magst du heut Abend kommen, dann spar ich mir die Beleuchtung.“ (Haha.), „Warst du im Urlaub oder im Ofen?“ (…) und statt eines freundlichen Hallo nurmehr „Oh. Ich hab fei Sonnencreme dabei.“ Das ist Sunsplaining.

Freitag, 16. Juli 2021

Pomodoro

 Achtung Achtung, tempus fugit! Oder halt eigentlich: tempora fugiunt! Die Uhren ticken. In acht Minuten klingelt mein Wecker, dann muss ich fünf Minuten konzentriert Pause machen, um mich im Anschluss 25 Minuten meiner nächsten Aufgabe zu widmen, dann wieder fünf Minuten zu pausieren und so weiter und so fort. Diese Technik nennt sich „Pomodoro“ und soll mir zu strukturiertem, effizientem Arbeiten verhelfen sowie zu geistiger Beweglichkeit. Ich weiß noch nicht. Momentan verhilft sie mir dazu, meine Wohnung in ein Zirkeltraining verwandelt zu haben. Noch drei Minuten Sofa, dann geht es in der Küche weiter. Hier warten mehrere Kilo Datteln, Nüsse und Kerne darauf, zu einer sehr gesunden Süßigkeit verarbeitet zu werden, leider kam der Weckerton etwas ungünstig, weswegen wahrscheinlich die Hälfte des Muses in der Schüssel ausgehärtet ist. Falls nicht, hat es noch Gelegenheit zum Durchtrocknen, während ich im Badezimmer eine zweite Schicht Reiniger aufs Emaille verstreiche, denn mitten in den schönsten Schaum hinein hat das Signal mich zur Pause gezwungen, dabei war ich grad so schön im Flow und glücklich, den Inhalt des Kleiderschrankes, den ich heute Morgen zu Beginn der neuen Disziplin zu Sortierungszwecken auf dem Bett verteilt hatte, vier Stunden später fast vollständig wieder eingeräumt sowie heimlich den PC hochgefahren zu haben, dessen hektisch blinkenden Posteingang ich mit Verachtung strafen und auf die überüberüberüberübernächsten 25 Pomodorominuten vertrösten musste. Wenn bis dahin irgendwas zu spät ist, zum Beispiel die Info „Wasmeierin, uns ist leider grad das Zeitungspapier ausgegangen, deswegen morgen keine Kultur und darum auch kein Sofa!“ – Pech gehabt. Von Glück reden kann ich, dass die Pomodoro-Task „Morgentoilette“ ordnungsgemäß nach 25 Minuten unterbrochen wurde, blieb mir doch so eine weitere unziemliche Begegnung mit dem Paketboten der Herzen erspart, aber ich hab auch so genug Stress. Ob das so stimmt? Hmm …: „Die Technik besteht aus fünf Schritten: die Aufgabe schriftlich formulieren; den Kurzzeitwecker auf 25 Minuten stellen; die Aufgabe bearbeiten, bis der Wecker klingelt; mit einem X markieren; kurze Pause machen (5 Minuten); nach jeweils vier pomodori eine längere Pause machen (15–20 Minuten).“ Mich beschleicht eine kleine Ahnung, ich könnte da was ganz grundsätzlich falsch verstanden haben. Immerhin eins ist passiert: schriftliche Formulierungen gibt es jetzt. Und ob es bei der geistigen Beweglichkeit um die meine oder eure ging, war eh nie klar. RRRRRINGRING! 

Freitag, 9. Juli 2021

Das ewige Spiegelbild

 Demletzt beim Sonntagmorgenschampus. Wie alle drei Monate größere Spende an staatliche Einrichtung tätigen wollen, wie halt üblich unter Reichen. Dann Krise. „James“, hab ich gesagt, „das geht nicht.“ Und James, der eigentlich Hans-Jürgen heißt, sprach: „Ja du, kein Wunder: Dein Perso ist seit März abgelaufen.“ Ich, schlau: „Hä? Wie kann das sein, den hab ich doch neulich erst bekommen.“ Er, schlauer: „Ja halt im März 2011, das ist zehn Jahre her.“ Ich: ratloser Blick aufs Dokument, von dem mich eine fastbeinahe 1:1-Kopie meines heutigen Selbst anläch… naja: an-biometrisches-Pfannkuchengesicht-glotzt, damals hatte man das noch so. Bei genauerem Hinsehen hatte man damals auch noch anderes so, weswegen heute Stress. Weil „Wie soll ich jetzt so schnell ein Passbild machen und das alles??“ hab ich das Personal angeschrien, und das Personal rät mirnichts, dirnichts und so, dass du schon weißt, warum es halt nur Personal ist und nicht die schwere Bürde meiner Existenz zu schultern vermag: „Ja äh da gehst halt bitte einfach vorm Persobeantragen schnell rüber zum Fotoautomaten, das dauert keine fünf Minuten und kostet fast nichts?“ Angewidert hab ich mich von so viel Ignoranz ab- und meinem edlen Spiegelbild zugewendet um das weitere Vorgehen fortan auf Augenhöhe planen zu können. Weil in dieser grauenhaften schnellen digitalen Selfie-Mentalität, da vergisst du halt, was dir da bevorsteht: Der Oneshot, dieses eine Foto, das nicht nach 24-Insta-Story-Stunden im digitalen Nirwana verschwindet, nicht nach dem Anschauen snapchattig selbst zerstört. Nein! Du wirst für alle Ewigkeiten so aussehen wie auf diesem einen, unter Zeitdruck erstellten, fasrig grienenden, schwülfeucht schwitzenden Bild. Und: Es ist nicht nur dein Gesicht, dass du in Scheckkartenstein meißelst, sondern auch alle modischen Katastrophen, denen du womöglich derzeit erlegen bist in dem Glauben, du habest deinen geschmackvollen Stil – formvollendet, zeitlos, unerschütterlich surfend auf der modischen Dauerwelle – längst gefunden und seist schön bis in die Unendlichkeit und noch viel weiter. Aus diesem Grund befindet sich beispielsweise auf meinem Führerschein eine mir unbekannte Person, deren Frisur mit Gewalt straff nach hinten gezurrt, der herauswachsende Pony rings um die Stirn mit Haarnadeln kranzartig fixiert, die Augen in dicken Kajal, der Mund in Lipliner, der Hals in enges schwarzes Samtband und das Gesicht in Motzigkeit. Topmodern heutzutage? Ja ok, mein Fehler. Trotzdem! Welches Oberhemd trag ich, das ich auch in acht Jahren noch sehen mag, welches Geschmeide am Ohr, das mir auch 2025 noch gefällt? Find ich die Frisur auch übermorgen noch gelungen oder frag ich mich in sechs Jahren beim Streichen meiner Lider in Regenbogenfahren, wem damals eigentlich der No-Makeup-Makeup-Look eingefallen ist?! Also bitte! Aus dem Weg, ich muss denken! 

Montag, 5. Juli 2021

Baggerssee

 Es gibt gewisse feststehende Regeln des Lebens und zwischenmenschlichen Beisammenseins, die werden im Sommer schlichterdings außer Kraft gesetzt. Am meisten davon betroffen scheinen mir die unumstößlichen Gesetze der sogenannten „geregelten Mahlzeit“ zu sein. Weil während du von sagen wir mal Oktober bis Mai nach den allgemein bekannten oder zumindest mal gehört habenden Geboten einschlägiger Ernährungsberater (Weight Watchers, BRIGITTE Diät, Oma) agierst, fällt im Sommer jede Zucht und Ordnung von dir ab. Was unterm Jahr der Liturgie der Vernunft zu folgen hat, sprengt scheint’s urplötzlich jede Fessel und die ökotrophologische Unzucht machetet sich ihren Weg nach draußen. Der harmonische Dreiklang von Frühstück-Mittag-Abendbrot-und-zwischendurch-drei-Nüsschen wird zur Kakophonie des Vergnügens, der Gelegenheiten, der Scheißegaligkeit, der Zufeiernwennsiefallen-Feste: Zum Aufstehen schnell den Rest der Pizza, die es gestern Nacht um elf noch gab, weil wir nach dem dreifachen Eiskaffee am Vormittag so satt waren, dass das auf Nachmittag verschobene Mittagessen zugunsten dreier spontaner Vorfeierabendcocktails und der darauffolgenden Notwendigkeit weiterer Biere gegen den Durst und für den so-jung-kommen-wir-nicht-mehr-zusammen-Abend aus- und in der Spätfolge der sorgfältig für den Abend vorbereitete Gemüsepuffer mit Kräuterquark (Magerstufe!) dem Mülleimer anheimfallen musste, wo bereits die Vollkornstullen weinen, die gestern erst mit zum See und dann aber auch wieder mit nach Hause fuhren, weil plötzlich trifft man Freunde, die Ereignisse überschlagen sich, man verliert die Lust auf Käsebrot, dann die Kontrolle über sein Leben und schließlich sich selbst in der Speisekarte der fränkischen Landwirtschaft: So ein Schäufele bei 30 Grad, das hat man sich richtig verdient nach all dem Stress beim Baden, und schließlich ist man ja auch mehrere Meter vom Auto zum Strand und von diesem mehrfach zum Kiosk gelaufen, um sich dort schwer geschwächt auf dem Badmintonschläger abzustützen, damit der wenigstens nicht ganz umsonst durch die Welt gekarrt worden ist, Dreikugelnimbechermitsahnebitte, und im Freibad wär auch alles halb so wild, läge die Pommesbude nicht in derart ungeschickter Nähe zum Klo, dass du auf dem Wege zur Erleichterung meist versehentlich falsch abbiegst um dich fröhlich mit einer Tüte Hüftgold zu beschweren, ähm, ich hätt fei auch noch Karottensticks, magst du die ni… nein? Na gut. Ich sach ma so: Wer jetzt meint, noch keine Strandfigur zu haben, der irrt. Nimm deine Figur und trage sie zum Strand! Disziplin können wir im Herbst wieder. Und schon passt der Baggersee! … Oh! Mhmm! Baggers!! 

Freitag, 25. Juni 2021

Sag zum Abschied leiser Servus!

 Wir sind heute hier zusammengekommen, um gemeinsam Abschied zu nehmen. Nicht von Anstand und Moral, das haben wir in den vergangenen Tagen bereits getan. Sondern vielmehr von einer alten Freundin. Vor 15 Jahren kam sie in mein Leben und besaß alles, was ich damals schon nicht hatte: Erfahrung, wahre Größe, echte Stärke, ein breites Kreuz und die erotischen Kurven der gütig gealterten. Es war Liebe auf den ersten Blick, ich warf mich in ihren weichen Schoß, wo sie mich freundlich aufnahm und fortan mit unerschütterlicher Treue durchs Leben trug, mir Verlässlichkeit gab, wo dieses sich anschickte, mich auf Achterbahnen zu jagen. Bei der Freundin war ich stets ich selbst. Ich habe brüllend gelacht mir ihr und jämmerlich geweint, wir haben Freunde herumgetragen und Umzugskartons, haben uns in große Gefahr begeben und windbeutelleichten Urlaub, manchmal auch beides gleichzeitig. Wir sind gealtert. Die eine mehr, die andere weniger, und je älter meine Freundin wurde, desto mehr Pflege ließ ich ihr zuteil, scheute weder Kosten noch Mühen, dafür zunehmend große Ausflüge. Bis dann eines schönen Morgens, der Himmel grau, der Regen salzig, die schlimmsten Worte fielen. „Kommense ma her, Frollein!“ sprach ein Herr in blauem Latz mit vorsorglich angelegten Trauerrändern an den Fingerspitzen, aus denen er eine Schriftrolle zauberte, diese zu Kommunalwahlzettelgröße entfaltete und mit strengem Blick behauptete, es handle sich hierbei um eine sogenannte Mängelliste. „WAS?!“ hab ich aufgejault, „das kann doch gar nicht sein! Wir haben doch vor ein paar Tagen erst gemeinsam die 300 000 Kilometer-Marke geknackt! Da ging alles wie geschmiert, ich schwör! Wir sind im Kreis gefahren bis der Tacho umgeblättert hat, dann Feuerwerk und Torte, da gings doch allen noch ganz wunderbar! Man kann doch nicht nur weil ein Auto vielleicht nicht mehr ganz taufrisch und fabrikneu ist einfach sagen: das gehört zum alten Eisen, nur weil vielleicht die ein oder andere Tür nicht mehr richtig gut aufgeht oder halt nur wenn sie Lust dazu hat, da muss man halt geduldig sein!, die Klimaanlage ungeachtet der Außentemperatur ausschließlich heizt, wozu gibt es Fenster?, die Kiste beim Rückwärtsfahren hupt, ich mein, andere lassen sich sowas für viel teures Geld extra einbauen!!, und niemand braucht einen Turboantrieb, wenn er eh nur noch gemütlich 100 fahren möcht auf der Autobahn wegen der ähm Entspannung!!! isdochwahr!“ – „Vier Wochen!“, hat die Latzhose gesagt und heftige schwarze Tippser auf der Mängeltapete hinterlassen. „In vier Wochen muss das alles repariert sein, sonst ist Schicht. Und unter uns: Ich würd gleich zum Abdecker.“ Das kommt natürlich nicht in Frage. Ich suche einen Gnadenhof. Ade, geliebter Kombi! 

Freitag, 18. Juni 2021

Raffaelo-Panorama

 Ja, wir haben alle richtig erkannt: Es ist Sommer. Nicht nur gefühlt, sondern demnächst auch kalendarisch. Um die überbordend gute Laune direkt gleich mal wieder einzudämpfen ein kleiner Klugschiss auf die Raffaelo-Romantik: Am 21. Juni haben wir das Schlimmste überstanden, der Sonnenwende sei Dank gibt’s einmal U-Turn und pfeilgrad wieder Richtung Winter, ist das nicht schön? Falls jetzt Protestgeschrei „Sommer ist erst, wenn Menschen ihre Quadratlatschen fotografieren und ins Internet tun“ kann ich auch beruhigen: Passiert freilich längst. Weiters macht zwar eine Schwalbe noch keinen Sommer, sehr wohl aber eine Fantastilliarde Mücken, von denen wir dem Vernehmen nach voraussichtlich in den kommenden Wochen verschlungen und der Weltherrschaft enthoben werden. Nein, man hat’s nicht leicht im Sommer. Weil was die Menschheit in kollektiver, postsommaler Amnesie stets vergisst und in der Folge monatelang mit verklärtem Blick unter Ohrenwärmern und Regenschirmen herbeisehnt, trifft sie sogleich mit voller Breitseite unterm ersten sonniggoldnen Laserstrahl: In Sekundenschnelle wird aus „Mimimiwannwirdsmalwiederrichtigsommermimi?“ ein vernehmliches „SCHEIßE IST DAS HEIß!“, im Raffaelo-Szenario weitet sich der Blick zum Panorama und erspäht hinter und neben der sommerlichen Lieblichkeit, leichten Drinks und Leinen, Gesichter glänzend nur vor purer Freude, frisch onduliertes Haar weht glücklich im Wind, es duftet leicht nach Pina Colada … das wahre Antlitz als Backstage-Szenerie: Unter den wenigen Palmen kauern Menschen, eng aneinander und doch tunlichst auf Abstand bedacht – bloß keine schwitzige Haut berühren. Frisuren fallen mit einem lauten Klatsch in sich zusammen, noch ehe man das Volumenansatzspray auch nur aufgetragen hat. Hinter hübsch manikürten Zehennägeln quellen satte Wurstzehen aus Sandalenriemchen, der Sand schabt froh im Fersenriss. Glück dem, dessen Unterarm nach dem Gruße weiterwinken und sich so selbst Luft zufächern kann. Zum erdbeerminzigen Sommerduft mischen sich satte Schwaden aus gärenden Mülltonnen und kochenden Turnschuhen, einer Prise vorbeifahrenden Vanilleduftbaums und Jean-Paul Gaultier, bei gutem Windstand noch ein Hauch von Imbissbude. Kühles Nass aus Spritzpistolen implodiert mit lautem Puff zu heißem Dunst, statt Bäume Schatten werfen in der Mittagsglut Lippen pralle Hitzebläschen. Raffaelo, frisch aus der Kühltheke gegriffen, schmilzt auf dem Weg zum Mund, zurück bleibt eine kleine Nuss zwischen Fingern, von denen weiße, leichte Klebemasseasse eilig die Unterarme hinabrinnt und sich unter der Achsel mit fahnenflüchtigem Antitranspirant vereint … Freut ihr euch schon? Ich mich auch! 

Freitag, 11. Juni 2021

Dornröschen

 Also bitte Leute, Anpassungsstörung, wo ist denn hier eine Anpassungsstörung? Doch vielmehr so ein diffuses Gefühl von „Ähm – war was?“ So in der Art muss sich wohl Dornröschen gefühlt haben, als sie mal so minikurz nicht richtig optimal aufgepasst hat und dann bääm Tiefschlaf! Hundert Jahre, stell dir mal vor, nix pillepalle ein paar Monate! Dann wacht sie auf und denkt sich so: Hää irgendwie ist alles voll gleich aber irgendwas auch voll anders, aber ich check’s einfach nicht! Und unter uns Gebetsschwestern: Ganz so arg jugendlich kann sie sich kaum gefühlt haben, nach hundert Jahren umeinanderliegen. Unsereins muss schon nach einer gewöhnlichen Nachtruhe morgens ersteinmal den Bader rufen und die Knochen wieder richten lassen, nur nennen wir das heute „Morning Flow“ und tun recht erleuchtet. Meine Anpassungsstörung hat ungefähr genau drei Minuten gedauert, in denen ich mich auf Zehenspitzen in einen Biergarten geschlichen und vorsichtig geschaut hab, ob mich jemand zum Platz geleitet oder niederringt. War dann gottlob Ersteres, und dann später war eh wurscht weil da hat’s mir dann Glück um den Hals und ich mit dem Impfpass gewedelt, dass es nur so gerauscht hat. So viel zum ersten Eindruck. Aber es war schon immer der zweite der, der zählt. Weil wenn du einmal genau die Ohren spitzt und die Augen auch, dann findest du, dass eine gewisse Müdigkeit schimmernd um die viele Euphorie herumwabert, so ein leicht verdutztes Staunen, dass den Menschen kleine feine Schnurrbarthärchen ins Gesicht hineinmalt und sie zupfen und streichen dran herum und wundern sich und dann fangen sie an zu winden, erst die Härchen, dann sich selbst, und dann platzt’s aus ihnen raus: „ICHWILLDASEIGENTLICHALLESGARNICHT!“, sagen sie und berichten schwer erschöpft vom Stress der Möglichkeiten, der blanken Überforderung. So viel nachholen und alles gleichzeitig. So viele Leut und alle durcheinander. So viele Pflichten. Aufwartung machen dem Lieblingsitaliener und dem Stammcafé, mit einem Aug im Kino, das andre im Museum, die linke Hand kauft Tickets im Akkord, die rechte rührt im Grillfeiersalat. „Nichts müssen dürfen“ scheint ein großer Wunsch zu sein, das den Einsiedlerkrebs in vielen von uns, nackert und seiner Muschel beraubt, plötzlich befällt. Ich find das spannend. „Müsste das jetzt nicht eigentlich lieber wieder RUNTER VOM SOFA heißen?“, werd ich vermehrt gefragt, und „JA FREILICH!!“ hab ich erst glückselig geschrien und schon den Antrag formuliert. Aber dann lieber mir selbst Einhalt geboten. Vielleicht ist’s gar nicht so schlecht, noch ein bisschen draufzubleiben unterm Dornenbusch. Die Welt ist ja kein Prinz, dem ich gefallen muss.

Freitag, 28. Mai 2021

ICD-10 F43.2

 Im Pschyrembel, Standardwerk der Simulanten und Bibel der Hypochonder, finden wir unter der ICD-10-Codierung F43.2 die sogenannte „Anpassungsstörung“. Ich hab das schon mal für euch herausgesucht, damit ihr in den kommenden Tagen beim Hausarzt direkt gleich an der Anmeldung eure Selbstdiagnose durchs Plexiglas krähen könnt, um nicht unnötig den Betrieb aufzuhalten, weil die sind da eh genug beschäftigt („Habter net noch was vom Jason?“ – „Nein, Frau Haberschmidt, leider nicht. Aber wie angeboten können wir Sie jederzeit …“ – „Etz gehnsmerner fort mit Ihr‘m Astrasenegal!“). Wenn die Frau Onkel Doktor dann fragt, was los ist, sagt ihr geschwind „sozialerrückzugproblememitnäheverändertessozialverhaltenundvorallemGEFÜHLVONBEDRÄNGNIS!!!“ und dann könnt ihr euch auch noch ein bisschen selbst umarmen und schaukeln und streicheln und sagen, dass schon alles gut wird. Ich zumindest mach das jetzt so seit ein paar Tagen, nämlich seitdem ich versuche, mit je einem Auge eine von zwei sich diametral voneinander weg bewegenden Diagrammkurven zu fixieren und mit dem Ist-Zustand abzugleichen. „Ähm du sag einmal“, hab ich mehrfach in Fernsprechgeräte hineingeforscht, während ich wie seit geschätzt acht Monaten höchst gemütlich unter meinem zur Höhle umfunktionierten Esstisch gelegen hab, von wo aus ich nette Gespräche mit meinen Pflanzen führen kann, die Knubbel an der Raufasertapete einem Mikrozensus unterziehen, dem also wirklich sowas von realistischen Prasseln des Kaminfeuers in UHD-II / 8K lauschen und linguistische Untersuchungen anstellen, wie schnell man das Wort „Grottenolm“ aussprechen muss, bis „Gollum“ draus wird. Weil beiden fühl ich mich sehr nah, und wie der letztgenannte Anti-Held scheint auch meiner Einsiedelei demnächst durch irgendeinen äußeren Zwang ein Ende gesetzt zu werden. „Sag einmal“, also, „neulich hab ich in den Nachrichten was gehört, das hat geklungen wie ‚Eh-Emm‘, ich weiß jetzt nicht ob das vielleicht nur ein Räusperer gewesen hätt sein können oder … Wahrscheinlich nur der Regen an der Fensterscheibe zu laut, meinst du … Aso … Und aber ‚Biergarten‘, ich mein, das muss dann schon sehr viel Krawall außenrum, dass ich das falsch … Ah, ‚wir harrten‘, das klingt schon eher … Wart, ich mach einmal das Feuer leiser. So, also wem harrten wir? … Treffen? Geselligkeit?! KNEIPE??“ und da hab ich schon ein bisschen zum Schwitzen angefangen beim Frieren. Und dann genauer hingehört: Alle Welt plärrt durcheinander, „Öffnung!“ und „Freiheit!“ und „Sommer!“ und … Ich versteh das alles überhaupt nicht. Vielleicht sollt ich aufhören mit dem Kurvenfixieren. Und einfach mit beiden Augen gradaus schauen. Hauptsache nach vorne! 

Freitag, 21. Mai 2021

Wolkenwanderung

 Frühling lässt sein blaues Band / wieder flattern durch die Lüfte / süße, wohlbek… ach nein so ein Glück, also wenn das der Mörikes Ede wüsste, grad im Grab tät er sich umdrehen und winden vor … ja, doch Vergnügen, nehm ich an, weil endlich hörst du einmal den sanften Harfenton und riechst die süßen Düfte weil jetzt stell dir einmal vor wie’s sonst zugehen tät hier überall: ein Mordsgutelaunefrühsommergetue, dass du’s grad nicht aushältst! Auf jedem Fleckerl Grün ein Grill, schön Rauchschwaden durch die Sandsteinschluchten, hier und da verheddert sich so eine Duftwolke an einem dürren Gestrüpp, huch, denkt sich die Schwade, das war doch da neulich noch nicht, aber ich gewöhn mich lieber erst gar nicht dran, wer weiß, wie lang es da steht in seinem Baumgefängnis auf dem großen Kirchenplatz, und die Schwade wälzt sich schnell weiter durchs Gefilde, nimmt hier einen kleinen Maiskolben mit und dort eine Prise Chlorgeruch, in der nächsten Grünanlage schön einmal durchs Gewürzregal gepudert, bevor die Schwade am Södersee abrupt die Bremse reinhaut, weil der gache Gestank da ist selbst ihr zu viel. Und so eilt sie geschwind und schon rein aus Prinzip zum Knoblauchsland hinaus und nippt hier und da an einem kleinen Liebesapfel oder Zuckerwatte oder vielleicht euch noch an einem Steckerlfisch und dann Bummsfallera und huuuui rüber zu den Burgviertelbalkonen, tupf-tupf von Brüstung zu Brüstung, hier ein bisschen LSF 30, dort ein wenig Pfeife, dazu a bisserl Vanüllje und vielleicht auch schon ein frühes Weizenbier, und dann ist sie dick und bunt, unsere kleine Frühsommerdurftwolke, und lässt sich einfach träge runterfallen purzelpurzel hinab zum Dutzendteich, wo sie sich wie ein dicker lustiger Hund einmal übers exkorporatgeschwängerte Festivalgelände wälzt, um dann später dick und trächtig sich in Stellung zu bringen und fein abzuregnen, ungefähr so wie wenn du einen sehr spezialgroßen Wasserbombenluftballon über eine ganze Stadt halten tätest und dann mit einer spitzen Nadel hineinpieken, und dann macht es so FFFFFLUSCH!!, wo du dann sagst „Mei, schon schön, so ein Sommerregen, und das ist eh mein Lieblingsduft, so hinterher.“ Ach naja. Jetzt tun wir uns mal alle konzentrieren und den kompletten bisherigen Text gemeinsam in den Konjunktiv übersetzen. Weil: Möglichkeitsform. Derzeit genauer: Irrealis. Oder besser: Surrealis. Wenn wir das geschafft haben, tät ich mich vielleicht gern mit meinen geimpften Freunden aus der Seniorenresidenz vor der Stammkneipe treffen und dort im Eissturm ausgangsentsperrt so richtig einen draufmachen. Und nocheinmal nachdenken über den Ede: Frühling lässt die graue Hand / wieder flattern auf der Hüfte / Füße, eingepackt in Düfte / streifen ahnungslos durchs Land … 

Samstag, 15. Mai 2021

Mai Hair Lady

Ich liebe die öffentliche Anteilnahme meiner Leser*innen wirklich sehr, das ist superwichtig weil sonst denkst du nicht nur zwischendurch sondern immerwährend: Jetzt hast du wieder drei Tage den Text der Texte ausgefeilt und wahrscheinlich der einzige der’s liest ist der Fisch der darin eingewickelt wird, hach naja immerhin hoffentlich der hat ein bisschen Spaß, und dann trauriger Blick zu Boden und ach schau, ein Steinderl, kick ich das halt einmal, vielleicht hat wenigstens das mich lieb. So aber: „HAST JETZT DU DEINE FUßNÄGEL DIR SCHON LACKIERT?“ hat eine Dame sich übers ganze Quartier plärrend interessiert und ich hab geantwortet, wie’s halt meine Art ist: schweigend, trauriger Blick zu Boden, dort kein Steinderl, dafür Schuhwerk. Hochgeschlossen, fest verschnürt, ein hohles Lachen war zu hören statt fröhliches Zehengezwitscher. Weil ich sag einmal so: Es ist eine Sache, schön in Ruhe daheim Fingernägel einzufärben in der Couleur der Säsong oder meinethalben mit dem hippsten Muster oder chiquen 3D-Aufbauten, wer meint, kannst eh für dich selbst entscheiden, und dann sagen wir es klingelt und du weißt: Du musst jetzt aufmachen weil vor der Tür steht entweder eine wahnsinnig wichtige Lieferung oder der wahnsinnig charmante Bote derselben, bestenfalls beides zusammen, und dann ist das aber überhaupt kein Problem weil dass Filme aus dem niederpreisigen Erotiksegment ihre Eingangssequenz oft einmal genau so beginnen (sollen, angeblich, was weiß ich): schön Morgenmantel und Wedelfinger und „Ach der Herr Postbote [wedelwedel] täten’s mir das Packerl [wedel] bitte hier hinein…?“, naja, jedenfalls selbst wenn es dann nur ein Werbezettelbringer war oder die Nachbarin, die sagt „Machst du einmal deine Musik wieder leiser bitteschön?“ oder „Tut mir leid aber mein Hund hat grad deinen Fahrradreifen aufgefressen?“, völlig wurscht, es ist nichts verloren. Wenn du aber grad dabei bist, vom Käsemauken die Nägel sommerfrisch zu dekorieren und dann plötzlich klingelt’s und es heißt, du sollst einmal hinunterkommen und eine Unterschrift leisten / Stromkastenzählertür aufsperren / Spinne entfernen und du weil wohlerzogen / autoritätshörig / Helfersyndrom springst auf und schlupfst in deine Schlapfen weil es ist doch noch ziemlich sommerfrisch im Treppenhaus und erfüllst deine Mission und dann oben ziehst du deine Füße wieder aus den Schlapfen und mit ihnen aber auch drei Zentner Filzfusseln weil der Lack war ja noch gar nicht trocken weil das ist er nie und jetzt hat er eine chemische Verbindung eingehen können mit allen Fusseln und Bröseln dieser Welt! So. Das ist mir selbstverständlich nicht passiert. Ich bin ja nicht blöd. Dafür politisch aktiv. Ich schreib jetzt ein feministisches Musical über Sommer und Body Positivity, der Titel lautet „Mai Hair Lady“. Schüss!

Freitag, 7. Mai 2021

Übersprungshandlung

 April, April macht was er will / Der Mai jetzt auch, so ein Lauch! / Erst weht er eisig mit Gefauch / dann wohlig warm auf deinen Bauch / aus den Gärten steigt ein Rauch / und hauch / t dir Sommer in die Nase / durchbricht die Schlechte-Info-Blase / und so schmauch / ich friedlich auf der Wiese / durch die frühlingshafte Brise / Jambusdaktylustrophäus / reimen fröhlich einen Stuss / doch was sich reimt ist immer gut / und auf dem Weber glüht die Glut. „Übersprungshandlung, die: „Verhaltensmuster, die […] keinem unmittelbaren Zweck zu dienen scheinen.“ #stressminderung #wetterbericht #sommergarderobe. „Du kannst die Winterjacke wegräumen“, schrieb die Freundin eben und schickte ein Bildchen hinterher. Seitdem schwitze ich. Präventiv, sozusagen. Weil das mit dem Fatalismus kennt offenbar doch Grenzen. „Sie haben’s ja nicht so mit dem Sommer, wie man liest“, hatte am Vormittag desselben schicksalhaften Tages eine treue Leserin sich zu erkennen gegeben, und ich, entrüstet: Gar nicht wahr, große Hitzeliebe, immer draußen, herrlich, Ermüdungserscheinungen erst im November, schwierig dann Dezember im Bikini, aber sonst, hey, Superwärme, komm nur her! Und später im Eissturm fest in die Winterwindjacke gewickelt lässig: Ach du, meinethalben bleibt das halt jetzt so mit dem Kalt, hat der Sommer uns halt vergessen, was du dir da an Stress sparst, gell! Tja. Da hab ich die Rechnung ohne den Petrus gemacht. „WETTER?!“ muss er gedröhnt haben, „VERGESSEN?? DIR ZEIG ICH EIN VERGESSEN!!“ und sogleich den Ofen angeschürt. Folgende Prophezeiung wurde erlassen: Nach monatelangem Leben als nordbayerischer Inuit gehüllt in Wollsocken, Mikrofleece und Körperbehaarung wirst du eines Tages aufwachen und die Gesterntemperatur singt „Ich war 16“ und die Heutetemperatur antwortet „und ich 31!“ und es ist: Sommer. Und deswegen ist jetzt Maximalstress, weil in zwei Tagen müssen der Schlendrian gestoppt und ich vorbereitet sein. Dunkle Daunenjacken müssen auf Schränke und flatternd-helles Leinen davon heruntergeholt werden, Picknickdecken entstaubt und Ballspiele ausgegraben, 15 Paar luftdichte Winterschuhe gegen 127 Hauche von Nichts mit Riemchen getauscht, und, jetzt kommt das Schlimmste: Der Body muss in Shape gebracht werden! Ja richtig: Das, was die letzten Monate rumgelegen und von vielen Schichten Wärmegewand kaschiert worden ist, und jetzt sollst du völlig unerwartet Haut zeigen und Käsebein womöglich auch und als wär das nicht schlimm genug hat die Freundin mit diabolischem Grinsen den hauchdünnen Faden des Damoklesschwert durchschnitten, das über mir im Sturme schaukelt: „Und das Wichtigste: Fußnägel lackieren!“ HILFE!  

Montag, 3. Mai 2021

Same same but different

 Schönen guten Morgen, es ist Freitag, der … HAHAHA ausgschmiert! Hey hey, ruhig, ganz ruhig, es ist alles gut, ihr habt alles richtig gemacht – also immer vorausgesetzt, euch ist überhaupt was aufgefallen und ihr habt nicht nur müde den Blick auf eine Uhr gerichtet, um zu schauen, ob es 7 Uhr ist oder doch schon 17, Licht wär ungefähr das Gleiche, und wer gefangen ist im ewigen Home, sei’s jetzt mit Office oder ohne, der kann da schon einmal fatalistisch werden. Oder war’s lethargisch? Uno Momento, ich schlag geschwind im Brockhaus nach. „Fatalismus, der: Weltanschauung, der zufolge das Geschehen in Natur und Gesellschaft durch eine höhere Macht oder aufgrund logischer Notwendigkeit vorherbestimmt ist. Aus der Sicht von Fatalisten sind die Fügungen des Schicksals unausweichlich, der Wille des Menschen kann ihnen nichts entgegensetzen.“ Und: „Lethargie, die: Zustand körperlicher und psychischer Trägheit, in dem das Interesse ermüdet ist.“ Jessasmariaundakloansstückerlsjosef – nein, das wollen wir nicht, sondern lieber vergnügt die Teleskopbalancestange ein bis fünf Meter weiter ausfahren und die Turnschläppchen ein bisschen fester ans Hochseil saugnapfen. Tänzel, tänzel, tänzel, schumdidumm! Wegen Fatalismus war der (Dis)Tanz in den Mai also gestern eher von überschaubarer Ausgelassenheit, wegen Fatalismus freu ich mich, dass ich deshalb am Sonntagmorgen um 7 Uhr am Schreibtisch sitzen und ein Sofa zusammenfantasieren kann und dabei aus dem Fenster blicken und Pläne für einen Tag schmieden, an dem es, pardon, arschkalt ist und schnürlverregegnet. Wär ich lethargisch, tät ich mich ins Bett werfen und vielleicht ein bisschen weinen, aber das hat dem Teint dann auch nicht weitergeholfen. „Corona, Corona!“, hat am Freitag fünf Meter hinter mir in der 87 Meter-Supermarktschlange eins gerufen, „Vor lauter Corona hab ich schon selbst Corona obwohl ich überhaupt kein Corona hab!!“, und das hat mir gut gefallen; weil ich kenn mich nicht mehr aus, mach für den Bäcker negative Tests und vereinbare telefonisch, ob ich einen Brief einwerfen darf, erklimme feiertags schweratmend mit dicker Filtermaske Burgberge um oben festzustellen, dass das nur Mo-Fr notwendig ist und zu viert mit meinen Geschwistern auf 200 Quadratmeter Garten zu sitzen offenbar falsch, mit 200 Fremden auf vier Quadratmeter Park aber korrekt und wenn du am Mittwoch verstanden hast, was du am Montag hättest tun sollen, wird es am Dienstag schon falsch gewesen sein. Der Thai hat da seit Langem eine kommunikationskulturelle Lösung gefunden, die wir uns vielleicht (höchst politisch unkorrekt, eh klar) aneignen sollten: Alles ist „Same same, but different.“ Oder wie’s der Landesbürgerphilosophengröhli schon von zehn Jahren vorgeschlagen hat: „Bleibt alles anders.“ Ergo: Montag, Mittwoch, Freiertag?! Schnuppe! Hauptsache gesund! 

Freitag, 23. April 2021

Sicherheitswacht

 Schwups, schon ist der 390. März 2020, und wer irgendwas nicht mitbekommen haben sollte, der schaut am besten einfach einmal kurz aus dem Fenster oder noch besser schiebt seinen Rüssel hinterher oder den kleinen Zeh und schon merken wir: Puh, so ein Glück, immer noch Winter, wenigstens eine Sache, an der man sich orientieren kann. Weil wenn du in eine gewisse Parkanlage gehst, die grad noch für ihre aufgeräumte Leere berühmt und geliebt war, und jetzt auf einmal von heut auf morgen also da geht’s zu!! Da wo neulich noch destinguiert um Beetpflanzen herumdefiliert wurde, aus der Ferne kluge Schilder gelesen und gerufen „Nein, Finn-Augustin, jetzt tust du der Marianne-Wasabi den Dinkelkeks zurück und den Filzbagger auch!“, da wird jetzt auf einmal aus kleinwagengroßen Lautsprechern geravet und lange Speisetafeln bauen wir uns auf weil man muss ja ein Picknick im Blizzard, na freilich, und der Goho-Boho so „Ah schon auch ganz geil hier so See und Schörlchen!“ und aus den schönen Zeitungslesefaulenzliegen muss man jetzt Fußballtore bauen, ja sag einmal!, und besonders dramatisch: Um jedes einzelne Gänseblümchen wickelt sich eine andere Weibsperson in voller Kriegsmontur und posiert für ein Foto, das niemals auch nur ein Mensch sehen wird, also so: „AAAH *kreisch* eine Holzbank, das ist soooo instagrammable!“, und schon liegt wieder irgendwo eins umeinander und du als Einwohner musst aufpassen dass du’s nicht zertrittst beim Powerwalk. Bimbam! Zu außerordentlichen Klumpungen muss es natürlich an der, pardon: DER Magnolie kommen, also ich glaub dass es eine ist, weil sehen tut man sie ja nicht mehr vor lauter Scheinwerfern und Schaukeln und Schleiern und Konfirmationsanzügen. Wobei man sagen muss: Vielleicht sind die Leute gar nicht so superselbstschuld dran, dass sie akkurat an der Stelle ein bisschen verrückt werden. Weil gleich nebendran ist so ein schönes Beet, da tut der Stadtgärtner allerweil mordsumeinander, immer Blume und Blüte und Duft und Hui. Und immer was Neues. Jetzt hatter sich in diesem Jahr was besonders Schönes einfallen lassen oder gar sich einen Scherz erlaubt, wobei glaub ich nicht, da ist der Oberstadtgärtner eigentlich unverdächtig. Jedenfalls wenn du da vorbeigehst, dann bleibst du unweigerlich stehen und witterst: Oh, ein Raubtier hat sich angesiedelt? Oder nein, das muss doch! Also das ist doch! Und noch während du begreifst, was dein Hirn längst wusste, entspannst du dich und alles wird ganz easymobeasy und du atmest ein und aus und schon ist der Winter egal und das Wahlkapserltheater auch und dass du jetzt immer ein pinkes Kotbeutelchen dabeihaben sollst eh und Pandemie, ach, was ist schon dieses Pandemie? Du umarmst ein Gänseblümchen. Bleibst liegen. Alles ist gut. Danke, SÖR. 

Freitag, 16. April 2021

Easymobeasy

Schwups, schon ist der 390. März 2020, und wer irgendwas nicht mitbekommen haben sollte, der schaut am besten einfach einmal kurz aus dem Fenster oder noch besser schiebt seinen Rüssel hinterher oder den kleinen Zeh und schon merken wir: Puh, so ein Glück, immer noch Winter, wenigstens eine Sache, an der man sich orientieren kann. Weil wenn du in eine gewisse Parkanlage gehst, die grad noch für ihre aufgeräumte Leere berühmt und geliebt war, und jetzt auf einmal von heut auf morgen also da geht’s zu!! Da wo neulich noch destinguiert um Beetpflanzen herumdefiliert wurde, aus der Ferne kluge Schilder gelesen und gerufen „Nein, Finn-Augustin, jetzt tust du der Marianne-Wasabi den Dinkelkeks zurück und den Filzbagger auch!“, da wird jetzt auf einmal aus kleinwagengroßen Lautsprechern geravet und lange Speisetafeln bauen wir uns auf weil man muss ja ein Picknick im Blizzard, na freilich, und der Goho-Boho so „Ah schon auch ganz geil hier so See und Schörlchen!“ und aus den schönen Zeitungslesefaulenzliegen muss man jetzt Fußballtore bauen, ja sag einmal!, und besonders dramatisch: Um jedes einzelne Gänseblümchen wickelt sich eine andere Weibsperson in voller Kriegsmontur und posiert für ein Foto, das niemals auch nur ein Mensch sehen wird, also so: „AAAH *kreisch* eine Holzbank, das ist soooo instagrammable!“, und schon liegt wieder irgendwo eins umeinander und du als Einwohner musst aufpassen dass du’s nicht zertrittst beim Powerwalk. Bimbam! Zu außerordentlichen Klumpungen muss es natürlich an der, pardon: DER Magnolie kommen, also ich glaub dass es eine ist, weil sehen tut man sie ja nicht mehr vor lauter Scheinwerfern und Schaukeln und Schleiern und Konfirmationsanzügen. Wobei man sagen muss: Vielleicht sind die Leute gar nicht so superselbstschuld dran, dass sie akkurat an der Stelle ein bisschen verrückt werden. Weil gleich nebendran ist so ein schönes Beet, da tut der Stadtgärtner allerweil mordsumeinander, immer Blume und Blüte und Duft und Hui. Und immer was Neues. Jetzt hatter sich in diesem Jahr was besonders Schönes einfallen lassen oder gar sich einen Scherz erlaubt, wobei glaub ich nicht, da ist der Oberstadtgärtner eigentlich unverdächtig. Jedenfalls wenn du da vorbeigehst, dann bleibst du unweigerlich stehen und witterst: Oh, ein Raubtier hat sich angesiedelt? Oder nein, das muss doch! Also das ist doch! Und noch während du begreifst, was dein Hirn längst wusste, entspannst du dich und alles wird ganz easymobeasy und du atmest ein und aus und schon ist der Winter egal und das Wahlkapserltheater auch und dass du jetzt immer ein pinkes Kotbeutelchen dabeihaben sollst eh und Pandemie, ach, was ist schon dieses Pandemie? Du umarmst ein Gänseblümchen. Bleibst liegen. Alles ist gut. Danke, SÖR. 

Freitag, 9. April 2021

383. März 2020

 Juhu, Jahresrückblick! „Ähm“, denkt ihr, „das arme Kind, so verwirrt. Aber kein Wunder, wenn man sich bei 25 Grad und Sonnenglück in Dornröschenschlaf begibt und dann bei -3 Grad Schneesturm wieder aufwacht, da kann man schonmal meinen, es sind acht Monate vergangen und nicht Tage.“ Gemach, ich kenn mich schon noch aus. Aber ich hab gedacht: Wir haben doch jetzt neben dem Annodomini 2021, dem chinesisch-energetischen Jahr des Büffels im 18. Zyklus der 2. Epoche, dem muslimischen Hidschra-Jahr 1442 oder dem weißgottwievielten Chaitra der indischen Saka-Ära noch eine neue Zeitrechnung. Am 22. März 2020 hat mit dem ersten Lockdown der coronare Kalender begonnen, wir können also sagen: Heut ist der 383. März 2020, oder weniger umständlich „383 p.c.“ – ich find, das sieht ganz geil aus und klingt auch schön dramatisch. Seitdem, und das ist ganz witzig, hat sich eigentlich nichts mehr verändert. Okay, erste Euphorien sind vielleicht etwas abgeklungen. Aber hey wisst ihr noch, damals vor zwölf Monaten alle so: „Woah geil, endlich Zeit für Netflix / Ausmisten / Lesen / und es ist auch echt schön sich einfach mal nur so mit einer Person ganz gezielt zu verabreden und dann Spaziergang und Deep Talk, da gewinnt das Zwischenmenschliche gleich eine ganz neue Qualität und heeey ich hab’s jetzt sooo schön am Balkon! *flötflöt*“ Heute so: „ALS WÄR DIE GANZE SCH**E NICHT SCHON BESCH**EN GENUG IST ES JETZT AUCH NOCH SCH**EKALT UND DER SCHEI**SCHNEE KOTZT MICH AN!“ Na und da hab ich mir jedenfalls gedacht, ich erzähl euch jetzt mal, was wirklich richtig schlimm war so rückblickend. Also das war so: „Ich dreh total durch mit dieser elendriesigen Couch, die ein ganzes Zimmer frisst und dann sitzt da noch nicht mal jemand drauf weil wenn dann sitzen wir um den Esstisch, aber da sitzt ja auch nie jemand weil es ist überhaupt kein Platz wegen der grässlichen Couch, dabei hab ich extra den großen Tisch zum Ausziehen, damit ich Menschen einladen und bekochen und bewirten kann und dann verhocken und glückliche Bäuche und lustig und schön, DAS will ich, keine dämliche Couch!“, hab ich Anfang letzten Jahres Antrag gestellt und nach nur vielleicht ein bis siebzehn Wiederholungen auch schon Gehör gefunden. Sagen wir mal so: Ganz so, wie’s dann kam, wollt ich’s aber auch nicht. Weil jetzt ratet mal, wer seit einem Jahr tagtäglich in unwürdiger Haltung versucht, neben dem linken auch das rechte Bein auf skandinavisch-schlankem Chique zu installieren, dabei mit der halben Kehrseite überm Boden schwebt, sich mit der einen Hand locker in die Rückenlehne krallt und mit der anderen versucht, aus sich selbst ein Kissen zu knoten, während nebenan ein riesengroßer, supergastlicher Bewirtungsesstisch unter der pompeji’schen Staubschicht nachts leise weint? Korrekt. Nein, so wollte ich das wirklich nicht. Hard knock life! 

Freitag, 26. März 2021

How to Glosse

 „… und weiße Spalten gibts nicht, das ist wie bei den Lehrern, hier wird nicht gestreikt“, war die gänzlich unerwartete, doch dafür umso nachdrücklicher joviale Antwort meines persönlichen Sklaventreibers auf meine vergnügte Ankündigung hin, demnächst mal blau zu machen. Zur Feier des Tages im Speziellen und des Lebens im Allgemeinen, weil das kommt mir grad irgendwie zu kurz. „Ich muss aber schaukeln“, hab ich revoluzzerhafte Einsicht simuliert und zur Verdeutlichung demütig mein Haupt gesenkt. Und mich sogleich in den inneren Widerstand begeben. Das wollen wir doch mal sehen, wer da am längeren Hebel sitzt, hab ich’s mir im Chefsessel insubordinativ bequem gemacht und einmal laut und bossy auf den Flur gepfiffen. „Alle mal herhören, Leute!“, hab ich gerufen und kurz darauf in zahlreiche zarte Gesichtlein geschaut, die mich zugleich erwartungsvoll wie ängstlich, vor allem aber von unten herauf angeschaut haben. „Ihr könnt jetzt mal aufhören mit der ganzen Kopiererei. Fenster putzen sich auch morgen noch, und das mit dem verstopfen Abfluss und den Wollmäusen unterm Sofa können wir später regeln. Weil jetzt wird euer größter Traum wahr, ihr Süßen: Endlich könnt ihr auch einmal schnell so eine kleine Kolumne in die Zeitung reinschreiben. So wie ihr es euch immer gewünscht habt. Einfach irgendeinen Quatsch, den ihr grad so im Kopf habt, überhaupt kein Stress. Denkt halt dran: Es sollte witzig sein, aber nicht zu verschroben, sonst motzen später alle, dass ihr spinnt. Es sollte irgendwie klug sein, weil es steht ja schließlich irgendwie Fölledong drüber, aber bloß nicht zu klug, weil sonst sagen sie euch hinterher oder bestenfalls fünf Minuten vor Druckschluss, dass das so nicht geht, weil euch kein Mensch gedanklich folgen kann. Es sollte unterhaltsam sein, aber Vorsicht: Schön aufpassen, dass ihr nicht respektlos seid und jemanden verletzt, da gibt’s ein Mienenfeld aus Fettwannen, um die ihr schön herumtanzen müsst, es hat sich der Ausfallschritt in Kombination mit einer kleinen Tangostrecke, gefolgt vom Mambo-Chacha als Patentlösung erwiesen, notfalls hängt ihr schnell einen Rittberger hintendran, der geht auch dreifach. Ähm, was noch? Ach ja, also das alles bitte irgendwie nachvollziehbar, aber gleichzeitig pointiert, und am besten richtet ihr euch ein Zählwerk ein, dass beim Schreiben 2800 Zeichen downcountet, da linst ihr mit einem Auge immer drauf, sonst böse Überraschung und Anschiss wegen Zeilenformat gesprengt. Ich glaub, das war’s schon. Das Ergebnis hätt ich dann bitte gern bis 15.30 auf dem Tisch. Ja, schaut nicht, so, ich weiß, dass das in 63 Minuten ist. Schafft ihr schon. ICH geh jetzt jedenfalls schaukeln.“ Hab ich gemacht, original und pfeilgrad genau so. Keine Ahnung, was dabei rausgekommen ist. Ist mir auch wurscht. Weil ich find nämlich immer noch: zum 400. Sofa-Geburtstag, da hab ich mir einen Frei-Tag echt mal redlich verdient. Howdy!