Freitag, 24. April 2015

Lauschangriff

Ich selbst hab ja immer nicht so viel zu erzählen, deswegen erzähle ich so gern von anderen. Kann man machen, weil wegen Menschen sprechen halt so gern laut vor sich hin oder in ein Gegenüber hinein, dass sich entweder körperlich oder telefonisch materialisiert. Und da ja wohl bitte nicht von mir erwartet werden kann, dass ich den ganzen Tag mit so großen, gelben Baustellenkopfhörern herumflaniere, wegen Diskretion, ja, also, da muss sich dann wirklich hinterher keiner beschweren. Und ich bin wirklich zu schüchtern, um immer jedem, der weithin hörbar vor sich hin pontifiziert, auf die Schulter zu tippen und ihn darauf hin zu weisen, dass die Lügenpresse mitlauscht. Deswegen also weiß ich Sachen. 

Zum Beispiel, dass der Lidltütenmann nicht so ganz arg richtig gern in Deutschland lebt, weil die da ihr Obst vergiften. Oder dass der Flaschenhandstandmann bis er Mitte 60 war noch auf drei Krügen balanciert hat, sich selbst zu dick findet, aber nicht einsieht, im Alter zu hungern (was ich sehr begrüße, ist hier doch ein leises Aufbegehren gegen das Diktat der Magerindustrie zu erkennen). Mit großem, jedoch selbstverständlich angemessen verhohlenem Interesse schwamme ich also gelegentlich Inhalte auf. Die gar nicht so richtig für mich bestimmt sind, schon klar, befinde mich aber sozusagen in einer hochnotpeinlichen Zwangssituation, was soll man da machen. Eine ähnliche Not widerfuhr mir neulich in einem Bus. Da war eine Dame, die konnte man mit ein bisschen Augenwischerei als „rüstig“ bezeichnen, mit ohne Augenwischerei als „Matrone“. Der saß ein Herr gegenüber, der so wirkte, als sei er schon sehr, sehr, sehrsehrsehr lange in der Eigenschaft als ihr angetrauter Ehemann verhaftet. 

In bester Loriot-Manier („Ich möchte doch einfach nur hier sitzen!“) sprach die Dame in den Mann hinein. Unablässig. Laut. Er zuckte hier und da zusammen, ich weiß nicht, ob er aufwachte oder versuchsweise an möglich passenden Stellen Zustimmung simulierend nickte. Er erfuhr, was er alles vergessen / versäumt / falsch gemacht habe, warum man jetzt gänzlich umsonst in die Stadt, wo man doch eigentlich, und wieso er denn nicht endlich, dabei müsste er doch, aber sie sei ja schließlich immer, eine endlose Litanei an Harmoniebekundungen. Der ganze Bus sah sich zwangsbeseelt von so viel Lebensfreude, harmonische Blicke kreuzten den Frachtraum. Dann stieg ein Mädchen zu, das telefonierte, setzte sich auf den Platz hinter der Dame. Nach zehn Sekunden drehte die sich solcherart Belästigte empört um und sprach folgende weise Worte: „Also das ist wirklich eine Unsitte mit diesen Handys! Dauernd ist man gezwungen, die Gespräche Fremder mitanzuhören!“ Das möchte ich gerne einfach mal so stehen lassen. 

Freitag, 17. April 2015

Avatarbestellungen

Ob’s wohl einen Namen gibt für die Krankheit, die macht, dass eins massive Erinnerungsschwierigkeiten hat hinsichtlich Handgriffen jedweder Art, die es so ganz direkt nach dem Aufwachen getätigt hat? Dass es eine Krankheit sein muss, steht schonmal außer Frage, weil heutzutage hat ja schließlich jede Seelenregung eine ICD-10-Codierung. Dein Lieblingshund ist nach 15 Jahren verstorben? Oh, schwere Anpassungsstörung, Depression, 25 Sitzungen, mindestens Bachblüten, lieber was mit Chemie. So in der Art. Also dann leide ich sozusagen an Postsomnamnesie (danke, Latinum, bist halt doch zu was nütze). Nach-Schlaf-Vergesslichkeit. Aufstehen, duschen, Kaffee, Kram – das alles erledigt mein geistfreier Avatar, derweil mein Hirn weiter friedlich im warmen Bettchen schlummert, was ich prinzipiell als evolutionären Vorteil erachte. 

Es ist nur leider so, dass der Avatar einen Hang dazu hat, sich, kaum dass die Föhnwelle getrocknet ist, mit dem Kaffeehaferl an den Schreibtisch zu setzen und am Computer Dinge zu tun. Wie beispielsweise all die überaus nützlichen Werbemails zu löschen, die da so über Nacht eintrudeln. So zumindest lautet sein Auftrag. Der Avatar jedoch ist ein Widerborst, und so beschließt er zuweilen eigenmächtig, besagte Reklame nicht unbesehen in den Digitalmüll zu bugsieren, sondern sie einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Jetzt befinden sich unter diesen Broschüren nur leider in der Tendenz eher weniger Angebote für „Brockhaus – sichern Sie sich die aktuelle Auflage in 37 Bänden für nur 12 Euro“ oder „Fernstudium leicht gemacht – zum Philosophie-Diplom in nur 45 Tagen“ oder „Backen wie Oma – exklusive Schrotmaschine für nur 89,99“ – solche eben, denen ich persönlich nur schwer widerstehen könnte, und die zu befolgen auch der Avatar freilich angewiesen ist. Aber das ist dem halt leider schnuppe. 

Schaut der also über die Schulter, sieht mich ratzen, reibt sich die Händchen und taucht mit einer eleganten Arschbombe hinein ins Schnäppchenlager. Diese Unsitte hat mir in der Vergangenheit mannigfaltige Überraschungen beschert. Klingelt’s nicht zuweilen unvermittelt, und dann öffne ich die Tür, und dann werken winzige Paketmenschen absurde Paketgetüme die Treppe hinauf? Und dann hab ich plötzlich 34 Sommerkleider in nuancierten Varianten daheim (Gegenwert: 890 Euro) oder 18 Paar Schuhe-für-jeden-nie-stattfindenden-Anlass (540 Euro) oder gleich das Alles-was-es-so-im-Sale-gab-Komplettpaket mit Kernbestand „zwölf Wintermäntel“ (1300 Euro) und ich schau den Avatar streng an. Gepriesen seist du, o Retoure! Da muss der Avatar dann schön brav alles wieder zurückbringen. Haha „alles“. Natürlich nicht. Weil wenn’s dann schon im Haus ist, dann wird man ja wohl noch kurz mal durchprobieren können, eh klar …

Freitag, 10. April 2015

Ferkeleien

Neuerdings hat eine bislang in meinen Breiten eher wenig anzutreffende Spezies damit begonnen, ihre Ausnüchterungs- und Entgeisterungsspaziergänge in den schönen Osten streben zu lassen. Die Spezies trägt den Namen Porcus nazus stupidus parvulus. Von der könnte man sagen, das mit dem Streben nach Osten hin ist halt so in ihr angelegt, da kann man wohl nicht viel dagegen machen, und dann auch noch dieser Frühling, da fängt ja so manch ein Neophyt gern an zu wandern, rein biologisch bedingt. Jetzt ist der Spezialneophyt aber schon allein farblich eher wenig attraktiv, und das wiederum passt nicht recht ins derzeit zwar nur von Alljahresstreber Forsüzie bereits erleuchtete, nach und nach aber allerorts aufknospende Bunt. Braun? Nö. Das findet auch der Ostbewohner.

Deswegen gestaltet er den angemessen gastfreundschaftlichen Empfang der Wiedergänger in frohem Geleucht, und so steht dann da in weithin heiter prangenden Farben ein herzlicher Willkommensgruß auf dem Trottoir. „Verpisst euch!“, „Nazis raus!“, „Dreht um!“, „Geht weg!“, „Niemand will euch hier!“, so Sachen. Hab ich mir angeschaut, bevor darüberhinweg gleichgeschritten wurde. Bin ich ein bisschen nachdenklich geworden. Ein bisschen traurig, fastbeinahe. Wegen zu viel Empathie. Hab ich mir dann nämlich vorgestellt, wie das sich anfühlen muss für so ein kleines Ferkel, wenn es einläuft mit der Rotte.

Bei der man endlich mal daheim war, lauter lustige laute Onkels, manchmal nimmt der Geschichts- und Erdkunde-Unterricht vielleicht ein bisschen überhand, aber dafür bin ich endlich nicht mehr allein so wie in der Schule, wo sie mir immer mein Butterbrot ins Gesicht geschmiert haben, und der Papa war dann laut und die Mama traurig und gespielt hab ich allein im Sandkasten, und jetzt ist das alles anders, weil die Onkels, die klopfen mir auf die Schulter und ich glaub die haben mich alle irgendwie schon gern, da muss ich ab und an mal grade stehen und das so mit dem Arm und dass ich beim Gleichschritt manchmal aus dem Takt gerate, das merken die bestimmt gar nicht.

Mitten in der Onkelgruppe ist’s schön warm und kuschlig, und ich fühl mich groß und laut und stark und mit dem Gefühl wird dann gewandert, in diesen Osten, hat der Oberonkel gesagt, mach ich mit, natürlich. Und dann marschieren wir da hin, und dann stehen da akkurat dieselben bösen Worte, die mir meine Kinderzeit vergrätzt haben …  Ob das Ferkel da nicht ein bisschen traurig zu werden nicht umhin kommt? Ob es dann deswegen umso lauter quieken muss? Vielleicht sollte man ihm ein Butterbrot geben. Und Kekse. Vielleicht hilft’s ja. 

Montag, 6. April 2015

Komfortzonenengagement

Soziales Engagement ist eine ganz arg feine Sache. Tagtäglich machen Menschen tolles Zeug, um gegen Missstände jedweder Art zu aktionieren, am End gar gegen solche, die sie persönlich eigentlich nicht betreffen. Dafür verlassen diese Menschen ihre Komfortzone und stellen sich bei Wind und Wetter in politischen, wirtschaftlichen wie sozialen Gegenwind, dass die Ondulanz nur so flattert. Das finde ich toll. Was Unternehmen, also Firmen verschiedener Couleur, angeht, gibt es solche, die sich in puncto Engagement mehr und andere, die sich weniger mit Ruhm bekleckern. In der ersten Kategorie findet sich eine gewisse Häufung im Mode- und Luxusartikelsegment, das ist ja gemeinhin bekannt. Arbeitsplätze schaffen in Ländern der Dritten Welt ist da gern das Mittel der Wahl. Vor Ort, also hier, wird die Luft dünner, ich mein, was soll man auch mehr machen im Verwöhntland als hier und da mal ein paar Schnäppchen auf den Markt zu werfen.  

Man würd‘ ihn ja gern rausholen aus der Komfortzone, den Konsumenten, aber wie nur, wie? Da hat sich ein französischstämmiges Handwerkerunternehmen eine Wahnsinnsstrategie ersonnen, die so listig ist, dass ich direkt meinen Zylinder ziehen muss vor lauter Anerkennung. Besagtes Unternehmen mit dem Beinamen „Malletier“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „Kofferhersteller“ und damit in etwa so sexy klingt wie der Großteil der gemeinhin bekannten Produkte als „schön“ zu bezeichnen ist, nämlich hat verlauten lassen, seine Niederlassung in der ortsansässigen Lieblingseinkaufsmeile aufzugeben. Und schon ging ein #aufschrei durch die Stadt. Der Bürger war emotional eruptiert – und tut es noch. Und während sich der Hintersinn der Unternehmungsentscheidung bereits als sozialengagiert durchdacht entpuppte – man wolle sich ganz auf die Grundbedürfnisse der Mitmenschen im Hessischen wie Oberbayerischen konzentrieren können – ging als Nebeneffekt ein Ruck durch die Komfortzone sondersgleichen.  

Kaum war die Information champagnergleich durch die Goldfugen der Gerüchteküche gesickert, schon erhob sich der tief getroffene Bürger und griff zu dem einzigen Mittel im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, das ihm sein weitreichender Erfahrungsschatz bot: Er gründete eine hochdramatische, frappierende nach Satire duftende Facebook-Seite (mit bis dato 300 Mitrecken) zur Rettung des Geschäfts. Von dieser Tätigkeit ermattet sank der Bürger sogleich zurück in die samtene Chaiselongue, um zur Beruhigung des Blutdruckes angelegentlich die Rolex-Sammlung zu polieren. Und sich mit gerechtem Stolz nicht nur in deren Glanz, sondern auch dem des soeben absolvierten Engagements zu sonnen. Man muss ihm also Respekt zollen und aufrichtige Dankbarkeit, dem Franzosenkofferer mit dem lustigen Walrossschnauzer, dass er es 123 Jahre nach seinem bedauernswerten Ableben noch geschafft hat, die Massen zu bewegen. Grund genug für mich, am Sonntag ein Kerzerl zu entzünden und eine Kniebeuge extra zu absolvieren zu Ehren nicht nur der Auferstehung des Herren, sondern auch derselben Aufstand. Oder ich tanz einfach (irgendjemand anderem auf der Nase herum). Frohe Ostern, urbi et orbi, gepriesen seist du o Herr!