Freitag, 24. Februar 2023

Vorhang hoch!

 Büschn witzig schon irgendwie: Da lüftet jemand irgendwo ganz weit oben einen Vorhang, also nur so ein minikleines winziges Bisschen, dass du halt grad von hinter der Bühne, wo es staubig ist und finster und leicht nach Käsefuß, Mottenkugeln und Schrankausmisten riecht… also dass du von dort eher nur so eine Idee bekommst als dass du einen echten Blick erhaschst auf das, was dich auf der anderen Seite dieses Vorhangs erwartet. So wie wenn du Popcorn machst im Topf daheim und dann tut’s und kracht’s und werkt’s darin ganz wunderbar von unten an den Deckel dran und explodiert sofort nach draußen, wenn du den Deckel nur für eine halbe Sekunde anlüpfst: ein Mordsbohei, das du hinterm Vorhanglupf auch kurz erspähst – und schon rasten alle in Vorfreude aus. So ungefähr war das letzte Woche, als der Winter wie immer im Februar auf einmal alt und vergesslich geworden ist und in seiner Jahreszeitendemenz übersehen hat, dass er gefälligst knurrig zu sein hat und nass und böse und nach allem schnappen muss, was sich wagt, mit Spaß zu leben. Zwei Tage Frühjahrssonne, und alle drehen völlig durch. Menschen brechen beim Anblick von Gänseblümchen in Tränen aus, andere wälzen sich neben Hunden im Schneeglöckchenfeld und grunzen dabei wohlig, die nächsten erstarren in vollem Lauf in bester Jagdhundhaltung – das Bein in der Luft, ein Arm schnalzt pfeilgrad nach vorne, um dort reglos zu verharren: „KREISCH!!“, machen sie. „DA KOMMT SCHON WAS!!“ und deuten mit feuchtem Blick und rosa Wangen auf drei kümmerliche grüne Spitzlein, die sich unter großer Anstrengung aus dem Erdreich rackern, um dereinst in ferner Zukunft womöglich zu erblühen. Soweit denkt der Mensch nur leider nicht, denn er ist schon auf dem Weg zum Baumarkt, um sich mit Humus, Saatgut und neuer Gartenschürze einzudecken – um dann daheim bestürzt festzustellen, dass dieses Saatgut erst im April ausgebracht werden möchte und bis dahin noch locker sechs Wochen vergehen. Also polieren sie geschwind das Fahrrad, schultern den Grill und googeln mit der einen Hand nach „Biergärten in der Region“ während sie mit der anderen die Whatsappgruppe „Hobb etz!“ erstellen, weil Carpe Diem und Fastenzeit kann ja wohl später immer noch anfangen. Und genau in dem Moment, wo man in leichtwattiertem Jäckchen, legerem Schuh und Sonnenbrille lässig ins Haar verknotet auf der Türschwelle steht, wacht der Winter aus seinem Nickerchen auf und: RUMMS! lässt den Vorhang wieder fallen. Der Mensch wacht auf. Schüttelt verdutzt erst sich, dann den Daunenmantel, auf dem er sich glücksberauscht im Schneeglöckchenfeld gebettet hat. Traurig geht er nach Hause und in eine Einkehr, jedoch nur in die innere. Da bleibt er jetzt sechs Wochen lang. Und dann wird ausgesät. Doppelt und dreifach! 

Freitag, 17. Februar 2023

Faschingsgrinch

PFÖÖRÖÖÖÖÖT! Hellau ihr Jecken, hier spricht euer Faschings-Grinch! Seit zehn Minuten versuche ich, meine Haltung zum Fasching zu ergründen – bislang ohne Erfolg. Möglicherweise bedeutet das: Mir völlig egal, Hauptsache Krapfen. Aber trotzdem frag ich mich, wieso. Ok klaro: Nürnberg. Ich weiß noch, als ich vor 20 Jahren mal mit einer Kollegin rheinländischen Ursprungs am Faschingsdienstag im Büro saß. Um uns herum trötete und jubelte es, Heidi fasste dem Klaus von hinten an die … Dingens und alles war voller Kamelle. Dank „Radio Köln“ karnevalte es konfettibunt durch unser Zimmer – derweil ein Blick aus dem Fenster hinab aufs Nürnberg neben grauen Straßen auch grauen Nebel zeigte und vielleicht auch noch ein braunes Blatt. So ähnlich ist es auch, wenn man in der Faschingszeit abends mal draußen unterwegs ist: Gelegentlich zeigen sich im Schatten von Häusern oder, o Schreck, im grellen Licht der U-Bahn Menschen, die schwer beschämt (oder alkoholisiert) allein oder zu zweit unterwegs zu einer Faschingsfete sind. Höchst verlegen zupfen sie den weiten Mantel übers Feen- oder Vampirkostüm und hoffen inständig, dass sie niemandem begegnen – wenn sie nicht ohnehin die Kostümierung im Rucksack bei sich tragen, um sie erst am Orte des Geschehens anzulegen. Ich weiß, wie sie sich fühlen, weil ich einmal mit der Freundin mit nach Köln fuhr. Besser: „isch war nach Karneval jewesen“, wo die Freundin mir von Weiberfastnacht bis Nubbelverbrennung alles angedeihen lassen wollte, was so dazugehört, inklusive „acht Kölsch bitte, aber hoppsa“ zum Frühstück. Am Rosenmontag tobte die Stadt und in mir drin ein großer Stress, hatte sich doch recht schnell herausgestellt, dass meine zurückhaltende Verkleidung („zur Not häng ich mir halt eine Luftschlange um“) mich zu einem Alien unter Seemännern, Wärmflaschen und Marienkäfern werden ließ. Ein Zustand, der sich nur unter Zuhilfenahme sehr vieler Kölsch zum Frühstück aushalten ließ. Es ist aber gar nicht so, als tät ich mich nicht verkleiden mögen. Im Kindergarten habe ich so lange geheult, bis ich als Prinzessin gehen durfte, um nach einer schweren Stunde nach meiner Latzhose zu verlangen. Aus der Grundschule gibt es beschämende Zeugnisse von mir als Katze, in der Unterstufe fand man mein Clownskostüm toll und lobte meinen Kissenbauch, der in Wahrheit gar kein Kissen war. In der Mittelstufe gingen die anderen, kein Scherz, als Nutten und ich als Obelix mit Hörnerhelm, die anderen knutschen, ich – naja. In der Oberstufe ging ich wie alle als Cool und in der Folge eh das ganze Jahr mit blauen Kontaktlinsen zum Raven … Ich meine, aus dieser Zeit stammt auch ein epochaler Vatersatz: „Wenn man dich anschaut könnt man meinen es ist das ganze Jahr lang Fasching.“ Na also – da haben wir’s! Pförööööt und alaaf! 

Freitag, 10. Februar 2023

Krapfen

Ich habe gerade dreimal versucht, das Wort „Telegraphenmast“ zu schreiben und bin dreimal kläglich gescheitert. Dreimal hintereinander stand dann da „Telegrapfen“. Ob das ein Zeichen ist? Sogleich aufzustehen, den nächstbesten Backwarenhändler aufzusuchen und sich „Siedegebäck aus süßem Hefeteig mit einer Füllung aus Konfitüre“ einzuverleiben? So zumindest lautet die Definition von „Berliner Pfannkuchen“ – die ich auf der Suche nach der Definition von „Krapfen“ gefunden habe. Wo doch „Krapfen“ auch irgendwas mit Sauerkraut gefülltes auch sein müsste, derweil „Pfannkuchen“ ja nachweislich eine platt in der Pfanne ausgebratene und anschließend dick mit Nutella oder Zimtzucker zu bestreichende Eierspeise ist, die man irgendwo im zerfurchten Süden verwirrenderweise als „Palatschinken“ bezeichnet, derweil wir hier oben „Zwetschgenbammes“ zu etwas sagen, das überhaupt nichts mit „Kirschmichl“ zu tun hat. Na und dann noch „Kreppel“, der Hesse wieder. „Während der Zubereitung werden Teigballen schwimmend in Fett ausgebacken und danach zumeist mit feinem Zucker bestäubt oder mit einer Glasur überzogen“, salbadert das Wikipedia weiter und übergeht hier nonchalant den tiefen Graben, der sich durchs Krapfenland zieht: Grober Zucker, der so herrlich sündhaft zwischen den Zähnen knirscht – oder staubig-feiner, bei dessen Genuss es auf eine ausgefeilte Atemtechnik ankommt, wenn man nicht vorhat, anschließend mit frischgepuderter Nase in einer VIP-Lounge zu sitzen? Eine ewige Fehde, die schon Paare entzweit und Kaffeekränzchen zersplittert hat. In der Schule wurde uns anhand der scheußlichsten aller denkbaren Speisen Stochastik eingetrichtert: Für 31 Schüler gibt es 99 normale Krapfen und „einen Grapfm mit Sempfd“. Errechne die Wahrscheinlichkeit für jeden Schüler, den scheußlichen zu erwischen! Heute wäre schwieriger: Für 31 Schüler gibt es 10 Krapfen mit grobem Zucker und Hiffenmark. Dazu weitere 7 mit Staubzucker, 5 mit Quark, 9 mit Nougat, 8 mit Zartbitterschokolade, 6 mit Baileys, 4 mit Bananenpudding, 5 mit Zauber-des-Orients, 3 mit Bratwurst-Zabaione, 4 mit Erdbeerkäse „Lillyfee“, 2 mit Bauerngurke-Pistazie und 2 mit Heublume-Erdapfel. Errechne die Wahrscheinlichkeit für jeden Schüler, einen Krapfen zu bekommen, der schmeckt. Vertauscht man bei „Krapfen“ zwei Buchstaben, erhält man eine andere zweifelhafte fränkische Deliziose. Das wäre mit „Pfannkuchen“ nicht passiert. Fest steht: Genießt man zu viel vom Faschingsknödel, so droht man, als „Gesichtskrapfen“ zu enden – ein entzückendes Schimpfwort, für das es sogar einen Wörterbucheintrag gibt. Ob der Preuße dann „Gesichtspfannkuchen“ sagt oder „Gesichtskreppel“ ist hingegen nicht überliefert … Na toll, jetzt hat der Bäcker zu. Ob man da vorbestellen kann – am End per Telegrapfen?

 

Freitag, 3. Februar 2023

Steigeisen

 Zugegeben: Wenn ich grade aus dem Fenster schaue, habe ich nicht unbedingt das Gefühl, jemals wieder etwas anderes unternehmen zu müssen als mich zu Hause aufzuhalten. Oder, wenn es gar nicht mehr anders geht, mich als wandelnder Polarschlafsack fest und atmungsunaktiv (wo frische Luft hineinkann, kann auch warme hinaus!) an Hauswänden entlang zu drücken und auszurechnen, wie man Wege am besten unterirdisch und im warmen Duft von U-Bahn-Tunneln zurücklegen kann. Und ob es wohl sehr auffällt, wenn sich am helllichten Tag ein kaminroter Daunenwurm in gelber Friesennetzschale Höhe Rathenauplatz geschmeidig einen Kanalschacht hinabgleiten lässt … Aber gut, ich wäre nicht dort, wo ich heute bin (im sternchengemusterten Plüsch-Onesie mit Wärmflasche unter den Füßen an den Ölradiator gebunden), wenn ich nicht so ein planungsvolles Wesen wäre (liebe Grüße an Papa, meine Steuerberaterin und den netten Herren von der Altersvorsorge, ich meld mich bald!), und deswegen mache ich nicht nur wie letzte Woche vergnügte Probefahrten auf potenziellen neuen Fahrrädern, bei denen mir der Eisregen mit sanften Nadelstichen das Hirn punktiert und Zehen sowie Fingerspitzen sich leise bis „schauen wir mal“ verabschieden. Sondern ich hole auch vorausschauend Erkundigungen auf dem Wanderschuh-Segment ein, weil da gibt es einen großen Missstand: Wo immer meine Siebenmeilenstiefel auf glatte Flächen treffen, sei es auf nassem Stein, zugefrorenen Wegen oder planiergeraupten Rodelbergen, ist’s vorbei mit dem Grip. Zwischen Anmutig und demütigend liegt oftmals nur ein Schritt, wenn aus einer sportiven Wandersfrau urplötzlich ein Körperklaus wird, der nurmehr auf allen Vieren eine leichte Anhöhe hochrobben kann und dabei hoffen, dass der Ast, an dem sie sich verzweifelt einen Eisberg hochzuzerren versucht, wirklich fest im Boden verankert ist, während links und rechts Menschen flott überholen und, wenn sie gut drauf sind, nur ganz leise lachen. „Gscheide Sohle! Sofort!“ hab ich also eine Beratungsperson höflich um Hilfe gebeten und war gefasst auf ein Referat über Gummiware, Autoreifen und Chemie im mittleren dreistelligen Segment. Doch siehe da: „Da würde ich Ihnen doch am einfachsten diese hochwertigen Steigeisen empfehlen, die haben wir grad für 74,99 im Angebot.“ Ich habe lange überlegt … und dann zugeschlagen. Außerdem habe ich mir noch eine Sauerstoffflasche zugelegt, ein ultraleichtes Einmann-Zelt, einen Esbit-Kocher sowie drei Dosen Ravioli (die guten!) und eine handliche Funkstation. Jaha. Noch lacht ihr. Aber ihr werdet schon sehen, wer demnächst pfiffig den Burgberg erklimmt, derweil der Rest der Stadt im Chaos versinkt, weil die Lieblingssör wieder einmal vom Winter im Februar überrascht worden ist. Aber hey: Es gibt immer noch die Kanalisation! Traut euch!