Montag, 31. August 2020

Die dicke Raupe Nimmersatt

 Liebe Gemeinde, wir haben einen großen Verlust zu betrauen. Bitte findet euch gemessenen Ab- und Anstands, vielleicht eh eigentlich lieber nur metaphysisch und eigentlich vor allem Hauptsach weit weg von mir bei mir ein, um gemeinsam Abschied zu nehmen von einer zuletzt so liebgewonnenen … Moment, Telefon. Ah, der Marckus, grüßdichservus! … Nichts schreiben über diese Diskothekensach… Nein, warum hätt ich sollen? … Vorzeitiger Abgesang auf Moral und Solidarität, meinst du, wär das?… Unethisch? Du, ich hab mir da jetzt gar nicht so Gedanken gemacht, muss ich sagen, weil im Neoliberalismus hast doch eh… Einzelne Machenschaften, richtig, das find ich auch. Weil hast immer Schwarzlichtschafe in so einer … Du, nein, ich hätt da gar nichts geschrieben, weil muss sich eh eher die Justiz mit straffer Hand drum kümmern, denk ich, aber weißt … Kein Verständnis, meinst du? Ja, doch hab ich schon eins, weil schau, das ist halt wie überall auf der Welt: Wenn du erst einmal einen Lebensstil gewohnt bist, dann schaust halt, dass du den halten … Mafia, findest du? Nein so weit würd ich nicht gehen wollen, aber so eine Leasingrate will halt auch b… Nach denen die Sintflut, das stimmt, dabei hatten wir doch neulich erst … Kein Abstand, genau, du sagst es. Ach, Anstand? Verzeihung, es stürmt recht, glaubst du’s – von einem Tag auf den anderen ist Herbst, so schnell hast du gar nicht … Schnelle Runde Wilde Maus in der Mittagspause, das machst, das lockert alles wieder recht fein auf. Ade! … So, Verzeihung, also wo war ich? Verlust, genau. Also es war so, dass ich ja immer so schimpf über die Natur, dass die plötzlich so arg zu einem heimkommt anstatt gefälligst da zu bleiben wo sie hingehört, nämlich halt draußen, und selbst da nervt sie umeinander weil sie hat einen eigenen Willen, wo man sagt: Das muss nicht sein, und mit genau so einem Willen hat sich jemand meines Eigentums bemächtigt, wo du sagst: jetzt reicht’s! Weil von einem Tag auf den anderen war statt meinem Basilikumgebüsch auf dem Balkon plötzlich nur mehr Emmentaler im Kasterl, quasi Baluftikum. Hab ich geprüft und am Bäumchen gerüttelt und geschüttelt und aber statt Gold und Silber ist da ein Mordstrum Raupe rausgepoltert, und anstatt dass ich gehört hab auf was alle um mich rum geschrien haben: Hau’s davon, schneid’s entzwei, nieder mit dem Ungeziefer! hab ich’s in ein Glas gefüllt und genährt. Und da muss ich jetzt schon sagen: Beim Zuschauen wie schnell so ein dicker Raup Unmengen Kraut in kleine schwarze Kugerln verwandeln kann, da ist er mir ans Herz gewachsen, einen Namen hat er gekriegt: Gustl freilich, und ich dacht: Mei, des wird mein erster eigener Schmetterling! Kurz darauf hat er sich eingewoben, ganz niedlich ein Bett gebaut und zugedeckt mit einem Blatt, wirklich ganz fein – doch jetzt, was soll ich sagen? Kein Schmetterling weit und breit. Unterm würzigwohlen Federbett: nurmehr heiße Luft. Der kleine Freund zu Staub zerfallen, große Hülle, nichts dahinter. Naja. So ist das, wenn man auf dicke Hose macht. Raupe, mein ich.  

Meine zehn Plagen

 Wie viele Leben hat eigentlich so ein Mensch, frag ich mich grade. Alf hat sieben. Ah nein, das waren Mägen. Damit kann ich locker mithalten. Vielleicht ist es ja so, dass ich wie beim Super Mario in der Welt umeinanderflitz und hier und da ein Herzerl einsammel, das kommt dann auf ein Herzerlkonto und wird bei Bedarf dort wieder abgezogen. Oben auf der Wolke sitzt der Himmelvater, zupft an der Konsole und kichert. Das Lachen kann ihm gefälligst aber bald einmal im Halse stecken bleiben, weil ich find jetzt hat er seinen Herzerlvorrat fast ein bisschen überstrapaziert. Und meine Geduld auch, weil dass ich mich in Game 2020 den zehn Plagen aussetzen muss, war so nicht vereinbart. Ich komm ihm langsam dahinter, dem fiesen Hundling: Mücken und Geschmeiß haben wir bereits geklärt, eine Seuche haben wir ganz eindeutig auch. Als „Geschwür, das Blasen schlägt“ muss ich zwar widerwillig, doch einsichtig den Bienenstichvorfall zu Protokoll geben, der mich vergangene Woche vom schönsten Flussufer fort und akkurat hinein ins Notaufnahmebett gezauberwürfelt hat, weil ich sag einmal so: So schnell schaust du gar nicht, ist erst dein Gesicht und geschwind auch der Rest vom Köper ein schöner großer Teig, der in der Sommersonne geht, nur leider hast du keine Tomatensoße dabei und Mozzarella auch nicht, also hängst du die Hängematte schweren Herzens ab und stattdessen dich selbst an den Tropf. Es folgte dann ein Hagel, sintflutgleich hat es mich überrascht, als ich schön gemütlich im leichten Sommergewand fröhlich mit dem Rad von A nach B und dann auf einmal kurz vorm Ziel ist irgendwo ein Staudamm gebrochen, die Straße zum reißenden Gewässer geflutet, in der Mitte ich an andere Schiffbrüchige geklammert und Autos beim Bugwellenproduzieren und Menschen beim Surfen auf denselben bestaunt, weil einen Schirm hat man natürlich nicht dabei, wenn man als Ureinwohner der Insel der Glückseligen weiß, dass Gewitter prinzipiell von der Mühe absehen, über der Noris sich zu erleichtern, sondern lieber einmal vorher abdrehen und anderswo ihr Geschäft verrichten. Oder es ist auch eher wieder so eine biblische Sache: Noris teilt die Fluten. Da fragt sich aber schon, welches stolze Volk dann hindurchschreiten soll; die Clubfans ja wohl eher nicht. Die Wege des Herrn sind eben unergründlich. Jedenfalls also eins, zwei, drei, vier Plagen haben wir schon durch, als fünftes kam die Finsternis – zwar nicht über die Menschheit, wohl aber über mich. Oder ich in die Finsternis hinein, weil ich mich schon also wirklich pfeilgrad vom Radl hineinkatapultiert in eine Finsternis, so mit Effet downhill in die Spurrille hinein, wo du sagst: Lachen jetzt erstmal nur sparsam, bitte, und da kann jetzt auch der Herr noch so oft sagen, dass ich meine Hand gen Himmel recken soll – es langt nur bis auf Schulterhöhe, zumindest für den rechten Arm. Das ist bedauerlich, aber auf Anti-Corona-Demo wollt ich eh demnächst nicht gehen. Mal schauen was als nächstes kommt. Frösche fänd ich gut. Notfalls auch als Gummibärchen.

Freitag, 14. August 2020

Das jüngste Gericht

 „Es ist schon gut, …“, hab ich vorhin mit mir selbst gesprochen, mich einmal auf der Yoga-Matte gewendet, auf die ich versehentlich gefallen war weil sie lag auf dem beschwerlichen Weg zwischen Badezimmer und Balkon zufällig ungünstig herum, er-haha-mattet von der Wechseldusche, warm-kalt-warm-kalt-warm-kalt gegen schwere Beine, einmal stündlich. Kriegt man den Tag fei ganz gut rum, auch nicht schlecht; und dabei überlegt, ob die Genese dieses berühmten Grabtuchs da eigentlich auch unter klimatischen Gesichtspunkten erörtert worden ist, und ob es sich nicht auch einfach um ein Strandtuch handeln könnte, also meine Badetücher sehen grad auch historisch recht bedeutsam aus. Ausgeschlossen ist es nicht, aber ich denk, ich frag einfach einmal direkt beim Eigentümer. Der hat grad Bürgersprechstunde in einem schwarzen Kombi unten in der Straße, das find ich gut. Oder was genau heißt „JESUS IST HIER“? Und aber wenn ich ihn dann grad eh was frag, dann vielleicht nutz ich diese günstige Gelegenheit und interview ihn auch gleich zu seinem jüngsten Gericht, vielleicht fällt ihm was pfiffigeres ein als „Also du, was ich grad eh urgern ess ist einfach nur schnell ein Salat aus Wassermeloneschafskäsezwiebel mit ein bisschen Minze, das ist eh supersimpel und so irrsinnig erfrischend!“, könnt ja sein. Frag ich ihn einfach gleich einmal, weil werwiewaswiesoweshalbwarum wer nicht fragt bleibt dumm! „… schon gut, so ein Haushalt verliert einfach nichts. Höchstens vielleicht bündelt er manchmal ein bisschen effizienter als üblich“, hab ich ver-haha-sonnen von meiner matten Insel aus im PVC-Boden gerührt, der im sanften Morgenlicht zu einer feinen Suppe aus Chemie und Sommer kocht, ein bisschen Gras, ein wenig Stroh, gelegentlich quillt ein Stückchen Picknickdecke aus den Wogen hervor, man freut sich, da bist du also!, doch ehe man sie zu fassen kriegt, kommt eine Böe aus Staub und Bikinihose auf dem lang vermissten linken Flipflop angesurft und verschwindet sogleich in den Bodenwellen, aus denen kurz ein Stückchen Käsebrot mit Apfelgrieb hervorspitzt um titanicgleich senkrecht wieder abzutauchen, während im Nebenzimmer deutlich hörbar ein Staudamm reißt und sich die Mure aus Kleidchen und Höschen, Hemdchen und Röckchen, aus kühlendem Leinen und luftiger Gaze und ganz und gar überflüssigen Stoffen jedweder Couleur ihren Weg hinab ins Tal bricht, in dem ich mir aus Zeitungsprobeabos verschiedenster Form und Farbe, doch allsamt klugem Nimbus ein Blätterdach zu konstruieren suche, um dort im Schatten dösend auf den St. Nimmerleins- oder wenigstens Martinstag zu warten, gehüllt in kühlende Kohlwickel mit einer feinen Schicht Buttermilch bestrichen, deren trockene Brösel kaolinsandgleich im gleißenden Augustlicht glänzen und an deren Ufern winzige Tiere sich winzige Buttermilchbröselburgen bauen, in die sie sich legen und der Brandung meines Schweißes zu lauschen. „WAF MACHFFTN DU DA?“ ruft meine linke Gehirnhälfte der rechten zu, im Mund versehentlich eine Packung Erbsen, es ist eng in der Tiefkühltruhe. „Ich wart aufs jüngste Gericht!“, antworte ich. „Ich hoffe, es ist nichts mit Melone!“ Ein Schwarm Schwimmbadpommes gleitet gemächlich auf einer Sonnenölspur an mir vorbei. Es ist Sommer. 


Freitag, 7. August 2020

Willkommen bei MückDrive

 Mit den Wünschen ans Universum ist das so eine Sache, weil kaum passt du einmal nicht gut auf und das Universum hat grad einen sauguten Tag, schon erfüllt es dir nicht nur die kühnsten Träume, sondern setzt auch noch das Sahnehäuberl obendrauf, wegen gönnerhaft. Jetzt stell dir vor, du wünschst dir: Ich möchte eins werden mit der Natur, wegen der neulich erwähnten überbordenden Liebe; schon sagt das Universum: he super, das machen wir doch glatt, und zack bist nicht nur du eins mit der Natur, sondern die Natur auch sehr eins mit dir. Und dann hast du den Salat, wahlweise darin eine kleine Schnecke, die dir süß entgegenzwinkert. Zuletzt ist viel Natur eins geworden mit Freunden um mich herum und hat ihnen dabei gleich noch eine Mordsgaudi beschert, nämlich schaust du eher blöd (aus), wenn dir auf dem Radlweg zum Schwimmvergnügen eine Biene in den glücksweit offenen Jubelmund hineinfliegt, und auch eher sagen wir schwierig für die Gesichtserkennungssoftware ist, wenn der Weps halt auch ein schönes Bad in deinem Radler nehmen wollt; und dann schaust du einmal kurz nicht hin und: zack, Chiara Ohoven. „Au weh, dich hat’s aber sauber erwischt, ha?“ sagst du dann mitleidig, und aus dem Gesichtsschlauchboot nuschelt’s „Nein, wieso, das liegt vielleicht an der Haarfarbe.“ Ich selbst bin erst gestern nur sehr knapp einem schweren Schicksal entkommen, nämlich hab ich mich sauber hineinplatziert in so ein Gartengrün, nicht etwa wegen der Contemplatio, sondern ordentlich Gespräch, und während ich so horch und nick und frag und schreib zwickt’s mal hier ein bisschen und mal da und Wuseln aus dem Augenwinkel, aber hochkonzentriert den Blick nicht abgewendet von der Erzählperson, und ehe ich‘s mich verseh ist der Fuß samt luftig-offenem Sommerschuh teilintegriert in den jüngsten Anbau vom ortsansässigen Feuerameisenstaat. Ich sag einmal so: Riemerlsandalen hab ich in den nächsten Tagen eher nicht an, schätz ich. Derweil links die Mauke abschwillt, beobachte ich gespannt, was rechts so passiert, denn wo neulich noch ein kleiner Zeck, ist jetzt ein feiner Biss. Irgendwo. Ich seh ihn nicht genau, fügt er sich doch freundlich ein ins Mienenfeld der Mückenstiche. Du kommst ja grad nicht aus. Setzt du dich nach getanem Werk entspannt ans Ufer und dankst dem Herrgott für die neue Wasserwelt, schon wird der Blick dir trüb erst vom Fäkal und dann dem Blutsaugwolkenvolk. Entfliehst du in Feierabendsportlichkeit der Stadt, so darfst du nie, nicht auch nur eine Sekunde rasten, denn sobald du auch nur nach der Wasserflasche greifst, stürzen sich die Schnaken auf dich wie Piranhas und zerfetzen dich in tausend Stücke. Bei dem Bohei im Wald aus Mückensicht freilich sehr praktisch. „Was geht heut?“, sagt der eine Schnak zum anderen. „Noch nichts.“ – „Ja, geil, dann lass jucken, Kumpel!“, und man stellt sich lässig an die Radwegkreuzung und wartet auf den Schwitzemensch, um dann beherzt zuzugreifen. MückDonald’s, quasi. Oder um genau zu sein: MückDrive.