Freitag, 26. August 2016

Urlaubsgepäck

„Es würde halt schon alles ein bisschen besser gehen“, hatte der Erbmassenverwalter pontifiziert, „wenn man sich auf ein mittelgroßes Gepäckstück beschränken würde anstatt die ganze Karre bis obenhin mit Klamotten vollzuladen, gell?“, was ihm verständnislose Blicke aus einer Vielzahl von Augenpaaren eintrug. „Ich“, protestierte es aus einem, „kann doch nichts dafür, wenn meine Unterhosen alle fünfmal so groß sind wie die von meiner Freundin!“ Selbige lachte sich ins Fäustchen, wohlwissend, dass trotz der übersichtlichen Konfektionsgröße hernach locker zwei bis drei besagter mittelgroßer Reisetaschen in den Süden gereist sein werden. Dafür habe ich selbstverständlich ein volles Verständnis, das den Anhängern von „Zwei Hemden und Febreeze“ im Speziellen so wie solchen männlichen Geschlechts im Allgemeinen zur Gänze fehlt. Wie oft hab ich schon versucht, das zu erklären? Also schaut’s her, es ist nicht so, dass wir nicht im tiefsten Inneren unseres Herzens wüssten, dass auch wir Damen im Zuge einer Urlauberei lediglich ein überschaubares Equipment an Bekleidung benötigen würden. Eins zum Ausflugen („Ja, da zieh ich jetzt das selbe an wie vorgestern, weil schwitz ich eh nur wieder voll“), eins zum Stranden („Wechselbikini mitnehmen? Oh nö, den Platz im Tascherl brauch ich für … Sachen“), eins zum Abhängen („Ey, ich bin fei hier im Urlaub und net auf der Modenschau, und dann erkennt der Nachbar mich wenigstens schnell, wenn ich täglich im gleichen Fetzen herumliege“) und eins zum Schickessengehen („Wo isn dein Febreeze?“). Soweit die Praxis. In der prävakationalen Theorie ist es aber so, dass eine große Furcht ausbricht bei dem Gedanken, es könnte ja vielleicht möglich sein, dass es mich an Tag XY nach exakt genau diesem einen Gewand verlangt. Da steckt man nicht drin. Und selbst wenn man den Super-GAU jetzt ausschließt, es befände sich genau dieses Gewand nicht im Urlaubsgepäck, wovon eine maximale Krise ausgelöst wird, weil man einfach weiß, dass man in nur exakt diesem einen Gewand zu diesem Anlass existieren kann und sonst nicht, weil man in allem anderen fett und hässlich und absolut unzumutbar aussieht, weswegen man dann weinend in einem Unterschlupf liegen muss, während andere sich verlustieren. Wenn man das also mal ausschließt, weil man sämtliche 17 Gewänder mitgenommen hat, dann besteht ja immer noch die Gefahr, dass das OUTFIT nicht stimmen könnte. Wozu sorgsam in Farbe und Stil aufeinander abgestimmte Schuhe, Stolen, Schmucke, Schals und Haargummis gehören. Wenn man also die 17 Gewänder mit den jeweils möglichen Restzutaten nach welcher mathematischen Regel auch immer kombiniert, so erschließt sich doch auch dem Mann, dass es schlichtweg nicht möglich ist, einen friedlichen Urlaub verbringen zu können, ohne ausreichend Klamotte dabei haben zu dürfen. 

Freitag, 19. August 2016

Helferfest

„Warum“, maß das Schatzi gestrengen Schrittes wie Blickes mein neues Habitat ab, „stehen da noch drei unausgepackte Kisten?“ – „Weil da nur noch Dekokram drin ist.“ – „Und warum räumen wir das nicht aus?“, zeigte es sich bestürzt und tauchte alsgleich schultertief ein in das sorgsam eingezeitungte Sammelsurium aus Vasen, Lüstern, Kerzenständern, Bildern und haufenweise Schischi, für das mir selbst bei intensivem Nachdenken einfach kein Name einfallen will. So wie ich nicht dekorieren will, auch wenn meine persönliche Tine Wittler längst mit den Hufen scharrt, um es dem RTL’schen Deko-Oger gleich zu tun und jede noch so kleine freie Fläche dramatischen Gestus mit zufällig herumliegenden Brotscheiben und im Wald gesammelten Eicheln zu verfüllen. Ich will nicht. Ich will an weiße Wände starren und deren Jungfräulichkeit adorieren, anstatt ihnen mit deflorativem Genagle Bilder aufzuzwängen. Ich will tagaus, tagein meinen Boden von jedem noch so kleinen Krumen, von jedem Härchen, jeder Birkensaat befreien und ihn streicheln und beschützen. Ich will in den lichten Weiten des Ostflügels wandeln und einen unverstellten Blick in den Westflügel hinüber haben. Ob meine neue Wohnung jetzt erwachsen sei, wollte man wissen. Erst zuckte ich reaktiv zusammen, „erwachsen“, das heißt „spießig“, und wer will schon Spießer sein, Establishment, pfui Deifi! Doch dann sprach „Ja“, von seliger Wärme erfüllt. Ob es da jetzt echt immer noch so aufgeräumt sei, wollte man wissen, und ich sprach, ja, und dass das auch so bleibe. „NIX!“ schreien die Saboteure, „Ich besorg dir meterhohe Wackelkittys, sprechende Glitzerhirsche, singende Kunstpalmen, und dann machen wir ein Dekofest und räumen alle Kisten aus, das wird super!“ Dekofest? Helferfest? muss ich milde lächeln angesichts solch entzückender Naivität und die Pfoten zur Merkelraute puzzeln, während sich aus meinem tiefsten Inneren ein Glucken den Weg nach außen bahnt. „HELFERFEST??“ winde ich mich kurz darauf schenkelklopfend vor Lachen brüllend auf dem Boden und greife blind vor Tränen nach einem Tempo. „Das könnt ihr haben! Mit Abstandshaltern an den Wänden, Plastiktüten an den Sockenfüßen, Gummihandschuhen und Duschhauben! Oder besser: Erst dann, wenn ein unsichtbares Schienensystem an den Decken installiert ist und ihr in Ethan Hunt’scher Manier auf von mir definierten Strecken über dem Boden schweben könnt. Ich reiche dann Getränke aus Schnabeltassen nach oben.“ Jetzt mach ich erstmal zwei Wochen Urlaub, um die Wohnung nicht unnötig vollzuleben. 

Freitag, 12. August 2016

Autobahnadrenalin

In ihrer Freizeit machen Menschen die seltsamsten Dinge, um ihrem lahmen Alltag irgendwas möglichst Spritziges entgegenzusetzen. Zu den mutmaßlich spritzigsten Dingen gehören Extremsportarten verschiedenster Couleur, die einzig dazu dienen, den rostigen Adrenalinpegel auf ein möglichst pathologisches Level zu jagen. Fallschirmspringen, Freeclimben, Kundenhotlines oder als erster in der Reihe zu stehen, wenn Feinkost Albrecht die Türen zur Amerika-Woche öffnet. Ich für meinen Teil halte davon wenig und mich lieber an eine gleichwohl niederschwellige wie abwechslungsreiche Beschäftigung: Autobahnbaustellen befahren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man kommt rum, sieht was von der Landschaft und besucht bestenfalls am Ende der Reise eine liebe Person. Der Zugang ist denkbar einfach, hat sich doch, während alle Welt die wildesten Salti vollführt, um Grenzen gegen Fremdvolk zu schließen, der Freistaat einer simplen List bedient und seine Autobahnen pünktlich zur Ausflugs- und Ferienzeit in einen lustigen Baustellenteppich verwandelt, um dem Preußen oder noch üblerem Pack die An- und Durchreise per KfZ gründlich zu vermiesen. Da lacht der Horst und nimmt einen kräftigen Schluck vom Hefe, während der Bayern-3-Verkehrsbericht voraussichtliche Ankunftszeiten und Unfallwarnungen mit Flachwitzen und Italopop garniert. Jedenfalls gehöre ich zu der so vernünftigen wie spärlich gesäten Sorte Mensch, die rotumrandete Zahlen an Straßenrändern als wohlmeinenden Vorschlag im Toleranzbereich Plusminuszwanzig betrachtet und diesen zugunsten des Verkehrsflusses auch in kilometerlangen Baustellenstrecken beherzigt, deren Abmessungen ähnlich der meisten Tiefgaragen auf Automaßen basieren, die vielleicht 1965, nicht aber mehr der heutigen Realität entsprechen. Derweil also der Pöbel auf der rechten Spur bei Jokke Herrmann antichambriert, kann ich als alter Punk ein solches Verhalten freilich nicht tolerieren und habe ja außerdem keine Zeit. Leider muss ich erkennen, dass ich im Gegensatz zum Jahre 2001 auch keine Nerven aus Drahtseil mehr habe. Während ich als Führerscheinneuling im weißen 2er Golf fehlende PS durch Wahnsinn kompensiert und mein Weg von Schweißausbruch und Infarktnähe gepflastert habe, widerfährt mir all der Stress, den ich annodazumal den anderen eingebrockt habe, heute selbst. Nur in eigenverschuldet. Doch ich habe bereits in der Fahrschule gelernt, dass man immer heile durchkommt, wenn man bei Herannahen eines Busses einfach die Augen schließt und stur geradeaus weiterfährt, und so halte ich’s auch heute, derweil ich in christsozialer Tradition Stoßgebete murmle, den Rosenkranz knete und daheim ein neues Dankeskerzlein im bereits bestehenden Lichtermeer entzünde. Et hätt noch emmer joot jejange. 

Freitag, 5. August 2016

Verstaubt

Guten Morgen mitaranand! Heute schon Staub gewischt? Nein? Ich sag euch was: Das hätt‘ mich auch gewundert. Weil bei euch kann ja nämlich überhaupt kein Staub liegen. Weiß ich. Weil es ist nämlich erwiesenermaßen so, dass aller Staub der Welt bei mir daheim liegt. Ich hab das grad nochmal überprüft. Überall da, wo ich, ich schwöre!, erst allerneulichst und mit großer Umsicht gewedelt habe, sieht nach einem Wimpernschlag jedes gesäuberte Möbel wieder so aus, als wär nie was gewesen, als könne es also  kein Wässerchen trüben, Stäube dafür umso mehr. Was ist Staub, wo kommt das her, und warum in Dreiteufelsnamen so viel davon? Kommt der durchs Fenster, darf ich nie wieder lüften? Das wäre aber schade insofern, als mir dann diese wunderbaren Szenen wie aus einem fernen Cowboyland entgingen: Den knistertrockenen Heubüscheln in der verlassenen texanischen Geisterstadt gleich wehen Staubwehen durch die Wohnung, wann immer man mehr als ein Fenster aufreißt, und schon fühlt man sich ein bisschen wie im Urlaub, das hat ja auch was. Warum liebt Staub ein Möbel umso mehr, je heller es daherkommt? So ein Badezimmer beispielsweise. Da schrubbt man und saugt und wischt, und alles glänzt ganz meisterpropperlich, und dann geht man duschen und schwups ist alles von dunklen Fusseln überzogen. Oder so ein Bett beispielsweise. Achtsam entstaubt man alle Rahmen, Ecken und Ritzen, und dann legt man sich nach der schweren Arbeit kurz aufs Ohr, und schlägt man dieses nach zwei Minuten Natz wieder auf, so liegt man inmitten der schönsten Staubwolke. Oder so ein Boden beispielsweise. Saugen und machen und tun, und dann prüft man das Makeup nochmal kurz in der spiegelnden Holzdiele, und kehrt man wenig später wieder zurück und streift die Schuhe von den flaniermüden Füßen und die Socken gleich dazu, so hat man nach kürzester Zeit das wohlige Gefühl, auf Wolken zu wandeln und stellt nach einem kurzen Blick auf die Fußsohlen fest, dass der Eindruck gar nicht trog. Und warum sammeln sich die schlimmsten Stäube immer in den unzugänglichsten Ecken? Ich  meine, wer schaut denn schon dauernd hinter den Schrank und zwischen die Regale und unter den Schreibtisch? Und wenn man’s dann doch tut, wünscht man sich, man hätte es einfach gelassen, und schiebt schnell die Leitzordner wieder an Ort und Stelle. Aus den Augen, aus dem Sinn. Funktioniert leider nur so mittelgut an und um technische(n) Geräte(n), wo sich ebenfalls der Staub spezialgern sammelt, was man spätestens dann nicht mehr ignorieren kann, wenn der Laptop, an dem man grade arbeitet in heißen weil lüftungsverstopften Flammen aufgeeeeeeeehscheiße!!