Freitag, 23. Februar 2018

Kurzhaarfrisur

Es gibt Wörter und Redewendungen, deren Sinn mag sich mir einfach nicht erschließen. Zwei davon zum Beispiel schau ich ständig an und muss mich dann sehr wundern, weil wieso steht auf einer Flasche „Handspülmittel“, wo ich doch damit eigentlich mein Geschirr spülen möchte, und auf der anderen „Küchenseife“, wo ich doch damit eigentlich die Hände waschen möchte. Die allerseltsamste Wendung die mir überhaupt allerjemalst begegnet ist, ist diese: praktische Kurzhaarfrisur. Ich mein, wer hat sich denn das ausgedacht? Das kann nur ein Mann gewesen sein, und zwar einer mit langen Haaren. Die sind eh von Haus aus suspekt, und dann hat er morgens seine Zotteln in einen Haargummi gezwängt statt sie zu waschen, föhnen und zu stylen und sich gedacht, Mensch, wird er sich gedacht haben, so eine praktische Kurzhaarfrisur wie meine Oma und meine Mutter, das wär’s halt doch. So ein Unfug, kann ich da nur sagen und muss gleich ein bisschen böse mit dem Fuß auf den Boden stampfen. Weil das einzig praktische auf der ganzen Welt ist eine Langhaarfrisur, die man in einen Haargummi hineintun kann oder so ein Telefonspiralkabel, wie man das neuerdings hat. Morgens aufstehen, Blick in den Spiegel, haha ich seh vielleicht ein bisschen kacke aus mit meiner verlegten Kissenfrisur und Haare waschen könnt ich auch einmal wieder aber haha ach was solls, mach ich mir halt einen Pferdeschwanz und erzähl was von Ölpflege, supergut! Zack fertig. So. Und da muss ich dann schon kurz einmal ein bisschen die Magensäure wieder hinabschlucken, wenn so ein Pferdeschwanz mir gegenüber sitzt und sagt: Mensch, du, so eine Kurzhaarfrisur, die wär fei schon praktisch, aber ich trau mich das einfach nicht. Ja genau, möcht ich dann blöken, traust du dich nicht weil du genau weißt dass es dann aus und vorbei ist mit morgens Katzenwäsche und so. Weil da stehst du nämlich auf und schaust immer völlig deppert aus weil nämlich so ein Kissen nicht fragt, welche Stylingrichtung morgen genehm wär, nein, das presst dir deine praktische Kurzhaarfrisur halt dorthin, wo’s ihm grad passt, und zwar vorzugsweise vom Hinterkopfwirbel aus gesehen kreisförmig in alle Himmelsrichtungen, so dass du morgens immer ein bisschen ausschaust wie mit Tonsur, oder mit Hinterkopfnest. Oder mit vorne sehr flachgegatscht und hinten mit Volumen, aber das willst halt einfach akkurat umgekehrt haben in Wahrheit, also musst du jeden Tag immer und immer Haarwaschenföhnenstylen und nicht einmal zum Sport kann man gehen ohne die ganze Prozedur weil das geht einfach nicht und es ist ganz fürchterlich und wenn mir jetzt noch einmal einer sagt dass so eine praktische Kurzhaarfrisur ja wirklich arschmäßig superpraktisch ist dann komm ich höchstpersönlich zum Rapunzelspielen! Der große Vorteil vom solcher Neugestylten ist ja immerhin, dass er alles mit innerer Einkehr und Fasten und Besinnung argumentieren kann – und bis Ostern so ein Morgennest sehr praktisch finden. 

Freitag, 16. Februar 2018

Bärlauchdeo

Neulich shoppen. Ein Spülmittel hab ich gebraucht, fast 50 Euro hab ich dann gezahlt. Was dazwischen liegt, weiß ich nicht mehr. Rauschzustand vermutlich. Ausgelöst durch ein Überangebot an Möglichkeiten zur Ersatzbefriedigung. Reihen um Reihen voller Obst – für jemanden, der Früchte liebt, diese aber ärztlich verbrieft nicht zu sich nehmen darf, ein Fest. Weil hab ich jetzt Handcreme „Apfel und Limette“, Spülmittel „Granatapfel“, Duschgel „Gurke-Erdbeere“, Küchenseife „Granatapfel“, Lippenpflege „Granatapfel“ und Essigreiniger „Himbeere“, wobei ich vor allem auf letztgenannten stolz bin und vor lauter Beerenfreude gierig an der Essenz schnüffle. Jedoch fällt mir spätestens jetzt eine gewisse Häufung des Granatapfels auf, der ganz offensichtlich grad als der neustes heiße Scheiß im Kosmetik- und Hausmittelsektor gehandelt wird. Gut, muss man sagen: Kann ich mir schon vorstellen, wie das gelaufen ist. Hat halt so ein Erfindulin zum x-ten Mal seine Küche oder das weiße Designersofa pink bespritzt beim Versuch, das ach so gesunde Gefrücht ordnungsgemäß zum Verzehr zu zerteilen und dann Wutanfall und dann so „Kreuzdonnerwetter, für irgendwas müssen die Dinger doch gut sein!?“ und dann so putzen und dann so „Ach schau, der ganze Küchenkalk weg und die Couch ist auch wieder schön aufgeraut …“ – bähm, Modeobst. Und farblich ja auch gut wegen pink voll in. Steig ich diesmal voll drauf ein, wegen vorgenannter Gründe, obgleich ich mit Essensmode in der Tendenz ja eher schwierig bin. Hab ich aber halt eine gute Anlage dafür in die Wiege gelegt bekommen, weil die Oma hat nämlich im Naturkoststüberl gearbeitet, selbst geschrotet und angebaut und Kräuterbücher gewälzt und Schwedenbitter angesetzt, um es auf Verletzungen aller Art zu träufeln und bei Bedarf auch mal ein Stamperl zu schlucken. Bei der Oma gab’s also Körner und Gesäme, überhaupt eh alles nur sehr gesund und Demeter, und da hab ich also schon als Kleinkind was verweigert, was damals „Rauke“ hieß und mir später teuer als „Ruccola“ präsentiert worden ist, so wie auch immer gern im Frühjahr der ganze Clan grün umwölkt nach Knoblauch gestunken und mit „Das riecht morgen nimmer!“ die Vorzüge eines büschelweise aus dem Garten geholten Unkrauts gepriesen hat, das dann vor wenigen Jahren erst plötzlich in Plastik verpackt in Feinkostregalen lag zu fünf Euro pro vierblättriges Büschel. Seitdem ist der Bärlauch ja aus eigentlich ungefähr gar nichts mehr wegzudenken, vom Knödel über die Kalbsleberne und Öl bis hin zur grüngesprenkelten Nudel – überall isser drin. Schade nur, dass er’s nicht auch in die Kosmetik geschafft hat. Bärlauch-Duschgel, Bärlauch-Deo, Bärlauch-Gesichtscremefürdiereifehautabvierzig – ein Traum. Und alle Menschen täten den ganzen Tag sagen: „Das riecht morgen nimmer!“ So halt leider nur Granatapfel. 

Freitag, 9. Februar 2018

Darmwinde

You say „Fasching“, I say „No“! Aber unflätig kann ich trotzdem. Schlüsselerlebnis „Sport“: Zum Zwecke der Dehnung und Kräftigung möglichst erniedrigende Haltung bittegefälligstdanke von allen auf dem Boden einzunehmen. Totenstill leidend dergestalt verharren. Plötzlich: Eine donnernde Flatulenz durchbricht das Mucksmäuschenschweigen. Für den Bruchteil einer Sekunde aus 30 Köpfen lauthals denkend: Um Gottes Willen wie peinlich zum Glück war ich das nicht aber wer war das denn zefix dass ich nicht schauen kann ich würd ja jetzt sterben … etc. pp. Ins Gedankenwirrwarr ertönt ein Ruf: „MAMA!“ rügt der seine Mutter begleitende und bis dato schweigend in der Ecke sich geduldende Knabe streng die windige Weibsperson, von der man nur mutmaßen kann, dass sie in der Folge lieber weitere 17 Stunden in der Demutshaltung verharrt wär als jemals sich wieder hätt aufrichten zu müssen. Der Furz (oder die Darmwinde als „Vorrichtung zum Ziehen schwerer Lasten im Darm“, so eine Definition der einschlägigen Flatologie) genießt, das können wir wohl mal so festhalten, gesamtgesellschaftlich betrachtet eine eher niedere Stellung, trotz dessen er einen jeden betrifft; aber es hat ja auch erst einer Charlotte Roche bedurft, um der in kollektivem Entsetzen aufjaulenden Kulturhoheit zu eröffnen, dass es so etwas wie „Popel“ wirklich gibt. Entfleucht einem armen Menschlein dann doch einmal ein Malheur, werden hurtig Goethe, Schiller oder irgendein Chinese zitiert und eilig die kontaminierte Örtlichkeit verlassen und eine andere aufgesucht. Lieber hat man mit puterrotem Kopf und sich heimlich vor Schmerzen (haha!) windend unterdrückt, als dass man sich die Blöße eines peristaltischen Kontrollverlustes gibt. Auch ich bin freilich nicht frei von diesem Joch, das einem bereits in der grausamsten aller zivilisatorischen Instanzen aufgesattelt wird: dem Kindergarten. Deshalb nächstes Schlüsselerlebnis „Solarium“: Wegen frühlingslustbedingter Käseleibphobie Aufsuchen des Münzmallorcas im Anschluss an eine ausgiebige und darob schweißtreibende Einheit „Körperoptimierung“ (falls Unbedarfte unter euch sind: nackert auf Plexiglasscheibe legen, mit Hautkrebs bestrahlen lassen). Jetzt saugt sich aber so ein nassschwitziger Körper sauber fest auf so einer Scheibe, und wenn man sich dann nochmal umpositionieren will, geschehen furchtbare Dinge. Akustischer Natur. Es folgen 15 Minuten größtmöglicher Scham, die kurze Überlegung, vielleicht erst am nächsten Tag wieder aus der Kabine zu treten, ein dezidiertes Referat über Haft- und Scherkräfte zu halten oder frivoler Angriff nach vorn à la „Na, auch gestern zu viel vom Sauerkraut erwischt?“ statt eines schlichten Ade zur Solariumswärterin. Kann nur schiefgehen. Deswegen also dann doch wie immer: Schweigen, nichts damit zu tun haben, lächeln und gehen. 

Freitag, 2. Februar 2018

Nahtoderfahrungen

„Ich möchte übrigens“, erhob ich das Wort in heiterer Runde, „eine Schweigeminute für mich einlegen. Es ist nur einem großen Wunder zu verdanken, dass ich hier bei euch sitze und nicht heute Morgen einsam gestorben bin.“ Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit nämlich hatte beim morgendlichen Versuch, duschend Kultur an mich zu bringen, zu einem so überraschenden wie unfreiwilligen Breakdance-Einsatz geführt. In dessen Verlauf zog ich am Duschvorhang und mein Leben an mir vorbei – vor allem aber der Unfallhergang selbst, bei dem ich mir den Schädel am Wasserhahn spalten und sämtliche Rippen am Wannenrand brechen sowie beide Augen am Duschuntensilkorbhaken ausstechen und in Folge dessen elend und einsam verenden und erst Tage später gefunden würde weil es kümmert sich ja niemand um mich, nie! „Gestorben“, richtete eins der angesprochenen vermeintlich liebenden Augenpaare den ausdruckslosen Blick auf mich. „Schon wieder.“ Eine Bemerkung, die mich in gleichem Maße daran erinnert, wie zahlreich meine Nahtoderfahrungen allein im vergangenen Jahr waren, wie sie mir zeigt, dass selbige von der Kernfamilie nicht sonderlich ernst genommen werden. Das tut weh. Dabei ist es nur meiner außergewöhnlichen Grazie und Geschicktheit zu verdanken, dass ich nicht längst einen Schwatz mit dem Fährmann gehalten habe. Die Münzen fürs Trinkgeld hab ich jedenfalls immer einstecken. Zum Beispiel für da, wo so ein Autofahrer vor mir spontan beschloss, rückwärts zu fahren statt abzubiegen und dabei einen beherzten Absprung meiner selbst vom Fahrrad erforderlich machte. Zum Beispiel da, wo sich mir in einem Waldstück überraschend eine prominente Wurzel in den Weg warf und ich nur mit übermenschlicher Eleganz ausweichen konnte. Zum Beispiel da, wo das tonnenschwere Winterjackenaufbewahrungstrum einfach so vom Schrank auf mich heruntergehüpft ist, um mir den Garaus zu machen, und nur ein Hechtsprung von der Reflexhaftigkeit eines Hochleistungssportlers das Schlimmste verhinderte. Zum Beispiel da, wo sich mir ein Chillisaft einfach so von ganz allein ins Augenlicht verirrt hat und ich für Stunden blind, doch geschickt wie eine Katze den Gefahren des Wohnraums auswich. Ein stetes Leben am Limit. Jetzt gibt’s leider Menschen, die den Ernst der Lage der ständigen Bedrohung meines Lebens nicht anerkennen wollen und sagen: „Ja, du, wennst die ganze Grazie vielleicht weniger aufs Auffangen einer Katastrophe verwenden würdest, sondern mehr auf die Vermeidung einer solchen, müsste man dich vielleicht auch nicht dauernd fastbeerdigen.“