Freitag, 27. Juli 2018

Hundstage

Heute habe ich leider kein Sofa für euch. Weil nämlich geschafft, mich unter übermenschlicher Kraftanstrengung von diesem herunter- und aus der Wohnung hinausrollen zu lassen. Das war gar nicht so einfach, weil es herrscht nämlich ein Druck. Ein Unterdruck, um genau zu sein. Aufgrund des Temperaturunterschiedes von mindestens 20 Grad Celius zwischen dem Inneren der Wohnung und dem Außenrum entstand vor einigen Tagen eine Art Luftschleuse. Wann immer ich die Tür öffne um durch diese hinaus in die Hundstage zu treten, erfasst mich ein gewaltiger Sog, der mich sogleich rückwärts in die Wohnung zurücksaugt. Dort bleibe ich entweder gleich auf dem Boden liegen und versuche mich zu erholen, schaffe es gelegentlich, mich auf die Couch zu robben oder, besonders anstrengend, mit einem Umweg über die Küche, wo ich in mühsamen Eichhörnchenetappen die untere Schublade des Gefrierfachs herausziehe, um anschließend in der so entstandenen Lücke meinen kochenden Kopf sanft aufs Eis zu legen und ein bisschen vor mich hin zu atmen, während um mich herum die Suppen vom Herbst und das ein oder andere Fischfilet sich anschicken, mich mit erfrischendem Nass zu umgeben, das leider über kurz oder lang von meinem fiebrigen Körper tauchsiedergleich zu köcheln beginnt, so dass ich mich dann feucht und dampfend erheben und hinüber ins Bett glitschen muss, um dort vergeblich auf das physikalische Wunder der Verdunstungskälte zu hoffen. Die setzt jedenfalls nicht ein, wenn man nach 100 Metern energieraubenden Fahrradfahrens zum Beispiel in eine Parkanlage vom Gefährt plumpst um sogleich in einem ganz individuellen Treibhauseffekt in sich selbst baden gehen zu können, was bewirkt, dass man auch im Park weder sitzen noch liegen, sondern einem hitzewarnenden Andreaskreuz gleich mit weit von sich gestreckten Extremitäten auf Zehenspitzen stehen muss, um so wenig Berührungspunkte wie möglich zu produzieren, auch nicht mit sich selbst, ja sogar sich selber einen Blick zuzuwerfen löst eine Schweißflut aus. Es handelt sich also nicht um eine Vogelscheuche, die ihr gelegentlich auf den Strohfeldern der Stadt erspähen könnt, sondern nur um mich.  In meinem Arbeitszimmer herrschen aktuell knapp 27 Grad um halb zehn am Vormittag, und das ist folgerichtig kein Zeichen für das Frühstückchen, sondern Anlass, sich aus dem Raum zu entfernen, bevor die Sonne rum- und reinkommt. Ich schnüre jetzt also mein Bündel und beame mich in eine öffentliche Badeanstalt, um dort mein Transpirat mit dem vieler anderer dampfender Menschen zu vereinen und so zu einer gesellschaftlichen Harmonie beizutragen. Diesen harmonischen Zustand gedenke ich am ba(r)denden Wochenende im Speziellen und weit darüber hinaus im Allgemein beizubehalten. Ich kann nur hoffen, dass ihr das auch macht. So. Trinken, trinken, trinken, Brunnen sind zum Planschen da, und wenn jemand Durst habt, gebt ihm Wasser. Viel Spaß! 

Freitag, 20. Juli 2018

Master? Arbeit!

Zu meinem Leidwesen hab ich grade schon wieder überhaupt keine Zeit für euch, ist doch schon wieder ein Notfall eingetreten. Nach der Nahtoderfahrung der vergangenen Woche trifft er mich gottlob nur indirekt, jedoch natürlich mitten hinein ins große Herz: das Kind leidet. Neinnein, keine Teenietrennung, auch kein vorausschauender Schulvermissungsschmerz wegen drohender Sommerferien. Ein anderes Kind. Ein sehr großes, sehr erwachsenes, aber halt für immer zehn Jahre jünger als ich Bleibendes. Es weint, es ruft, hat Todessehnsucht, Weltschmerz, Selbsthass – kurzum: Es schreibt Masterarbeit. „Wie soll man denn bei diesem Wetter am Schreibtisch sitzen?“, hat’s neulich verzweifelt ausgerufen und sich in tiefer Erschütterung gezeigt. „Das, mein Schatz“, hab ich milde gelächelt, „ist die wahre Prüfung. Und Vorbereitung auf die nächsten 50 Jahre. Du hast es so gewollt.“ Genau wissen tu ich’s freilich nicht. Das Kind wahrscheinlich auch nicht. Die erste Erkenntnis, die es grade hat, dürfte wohl die sein, dass „ein Jahr Zeit haben“ vergleichsweise kurz ist, wenn man elf Monate davon lieber Lebenserfahrung sammelt. Mailand, Krakau, Zürich, hier und da kurz in einer Diskothek nach dem Rechten sehen, die ein oder andere Veranstaltung ins Leben rufen, sich ehrenamtlich als Erasmus-Studentinnen-Betreuer engagieren, die Fahrradwege der Region nochmal testen, hätte ja sein können, dass wegen Klimawandel eine Route einer Wanderdüne zum Opfer gefallen ist, gelegentlich wegen Mens sana in corpore sano eine neue Sportart erfinden und andere zum Mitmachen animieren, weggezogene Lieblingsfreunde besuchen und Trost spenden in der Ferne, proaktiv Hilfe in Haus und Garten der Altvorderen ableisten, das Fahrrad putzen wegen Wanderdüne nicht aber überraschend matschig, hier und da mal ein Motorradausflug, gehört ja auch dazu, wenn Besuch kommt, dann muss man sich um den kümmern, das gebietet der Anstand, und spezialwichtig: alles immer schön dekoriert im Insta dokumentieren, damit man später, wenn die entbehrungsreiche Zeit, die einem die Sinne vernebelt und den Verstand geraubt hat, vorbei ist, nicht zurückblicken muss auf ein monatedickes schwarzes Loch, sondern weiß: man hat trotzdem gelebt! Was andere Personen nicht von sich behaupten können, werden die doch je nach Kompetenz, Verfügbar- und vor allem Gutmütigkeit vor den meisterlichen Karren gespannt. Ich will das nicht verteufeln, hab doch ich selbst seinerzeit mein Latinum nur dank einer ausgeklügelten einjährigen Gruppenarbeit erlangt, und ein Uni-Mensch hat mal zu mir gesagt: Das wichtigste, was ihr hier lernt, ist, wer euch hilft und wo ihr nachschauen könnt, wenn ihr wieder mal nix wisst! Neben anderen supplementierenden Aufgaben wird mir die Position des Therapeuten und Motivationscoaches zuteil. Zuletzt, also um genau zu sein vor 18 Minuten, sprach ich deswegen verständnisvoll-gefühlig: „Jetzt hör auf rumzuheulen sondern kneif die Arschbacken zam und mach das Ding endlich fertig! Danach geb ich dir ein Bier aus.“ Was denkt ihr: Kommt das gut an, wenn ich bei der Schlusskorrektur einen diskreten Dank an mich einschmuggle?   

Freitag, 13. Juli 2018

Mopeds

Liebe Gemeinde, wenn ihr das hier lest, bin ich vielleicht schon tot. Oder schwer verletzt. Oder zumindest versehrt, klingen mir doch noch deutlich die zärtlichen Worte „… dann beiß ich dir ein Ohr ab!“ nach. Sender dieser Botschaft ist ein Mensch, den ich auserkoren habe, mir zurück zur Befähigung der Domestizierung von circa 90 Pferden zu helfen. Will heißen: Motorrad, und die Drohung war die Antwort auf die Frage, was eigentlich so passiert, wenn ich die Kiste umschmeiß. Inständig hab ich gehofft, allein die Frage reicht, um mir die Fahrt umgehend zu verweigern, den Tränen nah hab ich nach Gründen gerungen, das, was ich auch noch ganz alleine und freiwillig zu tun im Begriff bin, irgendwie noch abzuwenden, doch der Meister blieb ruhig und tat kund, er freue sich, weitere („Du sagst ja gar nichts. Das hab ich noch nie erlebt.“) bislang unbekannte Seiten an mir kennenzulernen. Bevor jetzt hier Lästereien laut werden bzgl. Zweiter Frühling und Wunderlichkeit im Alter und so – nix da! Ich bin schon Mofa, Roller, Motorrad gefahren, da habt ihr noch ausprobiert, ob‘s schon Banane sein darf oder doch lieber weiter Folgemilch. Mir großer Hingabe und wenig Sachverständnis haben wir seinerzeit die Straßen des Quartiers als Teststrecke für gepimpte Mofas genutzt, haben in sorglosen Feldstudien erörtert, wie viele Menschen maximal auf einen Chopper, Roller oder die schöne alte Simson passen, und dabei noch zu fahren. Wir haben auf Parkplätzen und Baustellen Anfahren, Schalten und Beschleunigen gelernt und als Sozius, was man in Kurven lieber nicht macht, auch nicht bei Tempo 20. Mit 15 hab ich mich einfach auf einen herumstehenden Roller gesetzt und mich im jugendlichen Wissen um die eigene Unsterblichkeit in den Stadtverkehr eingefädelt. Wenn man mal umfällt, fällt man halt um. Das letzte Mal, als ich mich einfach auf einen Roller gesetzt habe, hätt ich den auch am liebsten einfach umfallen lassen – nach zittrigen zehn Metern und fünf Minuten, die mir vorgekommen sind wie drei Stunden, zumindest hab ich entsprechend viel Schweiß verloren. Aus der Testrundfahrt wurde eine Testhinwackel-und-zurückschiebfahrt. Da hab ich mir schon gedacht: Wie kann jetzt das passiert sein? Weil hab ich seinerzeit freilich auch noch die Fahrausbildung legitimieren lassen, ähnlich Kamikaze, weil aus Gründen die Fahrpraxis im schönen November absolviert werden musste, im Anschluss daran aber aus mir unerfindlichen Gründen mit einer Rostlaube und definitiv zu vielen PS das Autofahren perfektioniert und das Motorrad einfach vergessen. Jetzt fällt’s mir halt wieder ein. Bedauerlicherweise bin ich nicht mehr 15. So wie andere Personen, die mir neuerdings von den großartigen Fahrten mit dem Justin und dem Tim in T-Shirt, Shorts und geliehenem Helm unbekannter Herkunft auf deren „Maschinen“ zu Badeseen berichten und Pläne entwickeln, wie viele Stunden man Kinderarbeit verrichten müsse, um möglichst über den Winter hinweg selbst das Fahren erlernen zu können. Wird mir gleich sofort noch schlechter. Aber vielleicht kann das ein Antrieb sein: Schnell wieder fahren können, um fortan hinterm Kind patrouillieren und auf ordnungsgemäßes Tragen sämtlicher Sicherheitsgewänder bestehen zu können. 

Freitag, 6. Juli 2018

Aktivkohle

Neues vom Pubertier. Das hat mich gestern nämlich sehr erschreckt. Hab ich nämlich das Kind, pardon: die Heranwachsende gestern begrüßen wollen. Doch anstatt dass ich des rosigen Antlitzes in der Kemenate ersichtig wurde, blickte ich in ein gähnendes, schwarzes Loch. Wer an dieser Stelle weise nickt und sich an eigene oder anverwandte Jugendzimmer erinnert – gemach! Zwar ist die Prinzessinnenloge durchaus in sich stimmig eingerichtet was das Horten von Unrat aller Couleur von Schimmelgrün bis Wattepadschwarz betrifft, auch finden sich ab und an biologische Experimente in Form von zwar zum Abtransport bereitgestellter, dann aber aufgrund wichtiger weltpolitischer Bewegungen wie die Fertigstellung des Hundepalastes irgendeiner Insta-Queen im Live-Video und darob als zu vernachlässigbar ad acta gelegter Müllbeutel oder die Nachweise entgegen aller Behauptungen sehr wohl daheim zu sich genommener Speisen, aber von einem schwarzen Loch sprechen kann man dann wohl doch nicht direkt, so lang auch noch der letzte vergessene Cheesburger über kurz oder lang aus der Schmink-, äh Schreibtischschublade herausgelaufen kommt. Als das schwarze Loch also fertig war mit Gähnen, hab ich mich interessiert erkundigt, ob man wohl zum Schuljahresabschluss den Zwergen- oder Indianeraufstand probe und entsprechend rußene Kriegsbemalung aufgetragen habe. Man habe, jedoch nicht zu komödiantischen Zwecken (och naja … ), sondern vielmehr klinischen, handele es sich doch bei der dunkelschwarzen Teermasse um hochgesunde Aktivkohle, die ja bekanntermaßen Hautunreinheiten aller Art in sich söge wie ein Schwamm. Auf meine kurze Abhandlung, schon allein das Wort „Aktivkohle“ sei wenn überhaupt dann ein werbetexterischer Geniestreich, folgten Verdruss und Vorhangfall. Man hat’s aber auch nicht leicht auf dem Weg zur Dame. Man muss Handtaschen im Beautycontainerformat mit sich herumschleppen und kriegt statt Ovationen Hexenschuss. Man muss Highheelgummistiefel anziehen und kriegt statt sexy Po Schwellfuß. Man muss stundenlang auf YouTube „Contouring“ lernen, nur um dann verhöhnt zu werden, weil man statt Janet Jackson auf der Starbühne halt leider nur ein Kind im Reli-Unterricht ist. Man muss das neue „Wahre Schätze Tiefenpflegemaske mit Arganöl aus Marokko für sehr trockenes und widerspenstiges Haar“ besitzen und dann zweimal täglich Haare waschen wegen fettig. Man muss auf die Figur und Umwelt achten, liebt aber Nutella. Man muss versuchsweise vegetarisch leben wegen Tierliebe, vergisst dann aber leicht, dass die Pattys bei Mäcces gar nicht auf Bäumen wachsen und so weiter und so fort … Das schwarze Loch hat mich dann aus selbigem Hinausgeschmissen. Die Müllbeutel hab ich nicht mitgenommen. Vielleicht laufen sie demnächst ja selbstständig aus der Wohnung. Auf Highheels. Die können dann auch gleich unten bleiben.