Montag, 28. Dezember 2020

Der große Wampolini

 Ihr Kinderlein bleibet, o bleibet doch all! Die Grippe sonst kommet und bringt euch zu Fall … Scheint ja halbwegs funktioniert zu haben, und zumindest was mich betrifft hat bei weitestgehend geklärter Gemengelage ein recht vergnügtes Mengengelage stattgefunden inklusive Zeitreise, weil nach 20 Jahren feierlichem Auszug von daheim hat es jetzt einen nicht minder feierlichen Einzug zurück ins Elternaus gegeben, der gleichwohl wunderschön war als auch eine kleine Korrektur der romantischen Idee einer familiären Mehrgenerationen-WG, der ich zuletzt vermehrt nachgehangen hab. Jedoch mit neuem Verständnis für das zu Unrecht vergessene Konzept des „Ausgedinge“ als Séparée im Gartenhäusel, in dem die Alten leben. Nach diesem Dreitagsabenteuerausflug in die Welt hinaus lieg ich jetzt also wieder auf dem Kanapee und überleg, ob wenn mir jetzt die Staubmäuse auf dem Bauch umeinanderspringen man konsequenterweise von einem „Wampolin“ sprechen muss und außerdem, wie groß wohl die Gefahr ist, in diesem ohnehin sehr gefährlichen Gebiet namens „Zwischendenjahren“ kompasslos vollends zu verschwinden nach einem Jahr, das sich so schon anfühlt, als hätt es nur vorgespult stattgefunden und einzig den vormals verwirrenden Wunsch „Bleib bitte negativ!“ mit einer quasireligiösen Sinnhaftigkeit versehen, während es in rasender Geschwindigkeit aus einer Drossel einen Propheten, aus Parkplätzen Biergärten und aus Umarmungen Judasküsse hat werden lassen. Und es rast ja auch noch weiter, weil kaum hast du das mit dem Weihnachten erledigt, stellt sich der Menschheit schon das nächste schier unlösbare Problem: Silvester – wer bin ich und wenn ja, wie viele? Weil wer nicht auf dem Schwarzmarkt eine der dort für viel Geld gehandelten Jacken eines bekannten Lieferdienstes ergattern hat können, der sieht sich mit einer lange nicht gekannten Herausforderung konfrontiert: der verbindlichen Entscheidung. Vorbei die Zeit der huldvollen Entgegenahme zahlreicher Einladungen, zwischen denen dann kreuz und quer gehoppt und hernach der Reihe nach die diskothekalen Gästelisten abgehakt werden! Weihnachten formt den Körper, Silvester den Charakter! Einmal eine Wahl getroffen, gibt es kein Entrinnen! Szenarien: Haushalt (HT) 1 empfängt HT2, der sich als nimmermüd herausstellt statt wie vereinbart Bettschwere zu äußern gegen 22 Uhr. HT1 besucht HT2, um dort weite Teile des Abends auf dem fremden Sofa alleine durchs TV zu zappen. HT2 verschwindet kurz auf die Toilette, um nach einigen Stunden und gewaltsamen Eindringen schlafend in HT1s Badewanne gefunden zu werden. HT1 & 2 sind wach und guter Dinge, leider faselt HT2 congnacschwenkend ununterbrochen von Altbaucharme und Seitansushi und blättert sich durch die Sammlung süßer Polaroids, derweil HT1 doch nur Mäxchensaufen und dann Karaoke wollte. „Nürnberger Nächte sind lang / erst fangen sie ganz langsam an / aber dann, aber dann …“ Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Gute Entscheidung euch, guten Rutsch und: Bleibt negativ!


Montag, 21. Dezember 2020

Schutzwoche

 Hallo ihr süßen Weihnachtswichtel! Macht hoch die Tür, die Tohoor macht weit, es kommt der He…ilige Kamillus und macht sie wieder zu und hebt einen tattrigen Schutzpatronenfinger und sagt „Wir haben doch gesagt“, sagt er, „wir bleiben jetzt wirklich alle einmal einfach daheim!“ … ‚zumindest wenn wir ein Daheim haben, himmisakra‘ hat er noch hinterhergenuschelt, und die alte Frau Liesl aus dem dritten Stock schaut ein bisschen schief, weil daheim ist sie eh immer, und zwar allein, seit der Aloisgotthabihnselig nicht mehr ist. Versteht sie also das Problem nicht. Problem hab ich auch keins bis auf eines: Voller Hochmut hab ich vor gar nicht allzulanger Zeit eine Hosenbunderweiterung zum hineinknöpfen gezeigt bekommen und gefunden, der Algorithmus ist nicht schlau, denn er hält mich für schwanger. Heute weiß ich’s besser. Schon verrückt: Kaum ersetzt du Bewegung durch Kipferln, passiert allerhand mit so einem Körper. So bin ich also vom hohen Ros‘ entspruuu… nein: Ross gefallen, pfeilgrad hinab aufs Kanapee, wo ich im aufopfernden Dienst am Vater- und auch Mutterland zu verbleiben gedenke, man möchte ja schließlich seine Eltern sehen am Fest der Feste, dessen Besonderheit ich zudem mit einer Holzschnitzarbeit zu markieren plane, die mir ein renommierter Künstler vermacht hat („Schau mal Mamapapa schau ich hab was total Tolles geschenkt bekommen stell dir mal vor der wollte das wegwerfen aber das konnte ich natürlich nicht zulassen für sowas zahlen andere Leute viel Geld und wir können das jetzt einfach im Garten haben!!“ – „Schön, Tochter. Endlich haben wir einen eigenen Galgen.“). So. Es ist also der Onesie frisch gebügelt, Kühlschrank und Vorratskammer well prepared weil es darf freilich nicht passieren, dass der sorgfältig auf Medizinballgröße geweitete Magen vor dem großen Fressen ballongleich zusammenfällt und dann schon nach der Vorspeise die schrumpeligen Segel streckt. Wenn das Haus wider Erwarten verlassen werden muss, dann nur im Tatortreinigergewand, notfalls geht auch ein Taucheranzug, denke ich, Hauptsache, man berührt nichts mehr, und ob die Dame an der Apo- oder Käsetheke dich hinter Plexiglas und FFP2 nicht mehr versteht oder Lippenlesen muss durch deinen Astronautenhelm ist vielleicht auch schon wurscht. Ladys and Gents, we’re ready to Schutzwoche: Wir halten die Füße still und das Shopping in Grenzen, wir suchen den Sinn zu Hause statt der Erfüllung hinterherzujuppeln. Wir überlegen sorgfältig, einen Wocheneinkauf statt des täglichen Schnellmalnoch und wen wir treffen und wann statt dem Partydefilee. Wir klopfen vorsichtig an Elternhäuser und fragen ob vielleicht nach den Plätzchen auch ein Platzerl noch zu haben wär, nämlich im Krippensofa für über die stille Nacht, heilige Nacht. Wir schnitzen aus Brettspielen und Netflix unsere eigene Showbühne. Dann schauen wir uns das an und vernehmen verwundert ein klingglöckchenStadeZeitklingelingen im Ohrenwinkel ... Bleibt fröhlich, dankbar und gesund, lasst uns froh und munter sein und uns recht von Herzen freuen und an die Frau Liesl aus dem dritten Stock denken. Mindestens. Frohe Weihnachten! 

Freitag, 11. Dezember 2020

MacGeifer

Unschuldig hab ich letzte Woche ein paar frivole Zeilen in die Welt hinausformuliert: „Verwirrend: Muttern findet die Reiseeinschränkungen prinzipiell begrüßenswert, entbinde das doch das Zwangsgefüge buckliger Verwandtschaften von unzähligen Autobahnkilometern lästigster Feiertagspflichtbesuche. Rapportiert im selben Atemzug vom ersten Plätzchenbuk seit 35 Jahren (Was bisher geschah: ‚Mama backst du mal bittebitte?‘ – ‚Ich glaub du spinnst.‘), schickt sorgfältige Fotodokumentation samt Hinweis, man dürfe sich das gern jederzeit abholen. Versuche, zwischen allen Zeilen zu lesen und Botschaft zu entschlüsseln.“ Ein schwieriges Projekt. Tagelang hab ich in der herabschauenden Putte vom Stuck gehangen, bin meinen Gedanken im Kreis hinterherkarussellt und hab sie durch plötzlichen Richtungswechsel zu überrumpeln versucht. In Miss Marple hab ich mich hineingefühlt als Sherlock durch die Nebelschwaden meiner Pfeife angestrengt die Brailleschrift meiner Raufasertapete bemonokelt. Doch selbst nachdem ich den Inhalt meiner Kindheitserinnerungskiste auf den Boden geleert und mit jedem dritten Gegenstand aus dem Biomüll erst farblich ansprechend und dann noch olfaktorisch kombiniert hatte: eine Lösung blieb gänzlich außer Sicht, zumal der Gegner – ich – mit verwirrungstaktischen Schachzügen bombardiert und vom eigentlichen Ziel abgelenkt wurde. „Bitte bleiben Sie daheim aber gehen Sie unbedingt shoppen!“, hat es da geheißen, und „Bitte mäßigen Sie ihren Konsum aber supporten Sie unbedingt your local dealer!“ und dann bei „Couching for Weltfrieden!“ und „Shopping for Vaterland!“ hätten sie mich fast gehabt, die Lauser, aber geschwind hab ich mich in eine Übersprungshandlung gerettet und listig ein paar Runden auf meinem neuen Staubsauger gedreht: Putzen for Hausfrieden! Und wie das dann oft so ist: Wenn der Geist im Körper ruht, geht er befreit spazieren und entwickelt allerlei Ideen. Meistens tut er das anstatt gefälligst einzuschlafen, doch ich bin harrypottergleich auf meinem Nimbus 2020 zur Balkontür hinausgestoben. Skibrille auf, Baumwollhandschuhe an und ab die Luzi, bambam-baba-bambam-baba-bambam-baba … didldööö, didlödöööö – dödöp! Mit quietschenden Reifen driftet MacGeifer um die Kurven raus zum Elternhaus, alleeeez hoppsassa mitten durch die Nachbarshecken, drei, zwei eins und mit einem gezielten Slide Fuß voraus rein ins Kellerfenster. Kurze Stausituation auf Höhe des mittleren Rings wird mit lautem Plopp bewältigt, dank jahrelangem Studium des elterlichen Grundrisses findet die Heldin den Weg zum geheimsten Vorratsschatz mit schlafwandlerischer Sicherheit ohne auch nur einer Mäuseseele zu begegnen, der Mensch eine Maschine aus Schnelligkeit und Eleganz und bevor auch nur ein Virus sich übertragen oder ein Staubkörndel zu Boden hätt fallen können bin ich … ebendort aufgewacht. Statt Zuckertraum nur Nightmare before Christmas! Sturz. Ein großes Knäuel aus Mütze-Schal-Brillenglasbeschlagen-Mundschutzhenkel. Jetzt Verwirrung und Kopfweh. Keine Plätzchen. Mama … ?

Freitag, 4. Dezember 2020

Cyberfitness

 Es war schon stockfinstere Nacht, als gestern ein Schreckensschrei durch mein Schloss gellte. Ich bereits in Abend- sprich: gelöster Stimmung, Tagwerk beendet, Arbeitskleidung gegen die dem Heimgebrauch angemessene getauscht, ächzend aus der Jogginghose und dem Schlumpipulli ins danebenstehende Schlafgewand fallengelassen; bereit für Couch und Tagesschau und dann noch kurz was aus dem Bildungssegment, und dann machst du die Glotze an und ... Hobbala, erst viertel nach fünf, womöglich ist der Tag noch gar nicht rum. Also jedenfalls trotzdem schon eher so dösig, und in einer Dösigkeit tippel ich ja gern einmal sinnlos am Computer umeinander (q. e. d.), um dann irgendwo herumzudrücken und zwei Tage später klingelt plötzlich morgens der DHL-Markus und bringt drei Paar neue Winterstiefel oder eine Hängematte. So jetzt grad auch, und plötzlich tut’s einen Mordsschrei – pfeilgrad aus mir heraus: „SCHEIßE, JETZT HAB ICH MICH DA EINGEBUCHT!“ Hektik, Herzrasen, Hirnstress. Weil das war so: Man kann ja zu seinem aufrichtigen Leidwesen grad wirklich ü-ber-haupts keinen Sport machen. Aufm Radl friert’s dir die Ohren ab, beim Spazieren stößt man zusammen, beim Walken schaut man einfach nicht aus. Beim Wandern rutscht man über Laub, beim Schach verliert man und beim Wii haust du dir die Wohnungseinrichtung zusammen wegen der erforderlichen Haltung beim Golf / Bowling / Baseball und dem Freizeitgeneral, der schreit „HALTUNG EINNEHMEN!“ wenn du einmal aus Versehen kurz auf der Couch gelegen hast und von dort locker aus dem Handgelenk einen Strike nach dem anderen abgeräumt. Also ein Debakel mit dem Nichtbewegen, und dazu saublöd weil du tätst fei wirklich dauernd nur sporteln wenn man dich nur lässtete. Doch leider, leider ist’s wie schwanger sein: Tagtäglich wird die Wampe größer und man kann überhaupt nichts dafür, geschweige denn dagegen! Couching for Weltfrieden! Jetzt hat die Turngruppe, bei der ich nunmehr seit spätestens März so unschuldig wie endgültig zum Fördermitglied avanciert bin, sich was verrückt Modernes einfallen lassen, nämlich einen Onlinesport. Ein jeder, der nur ein kleines Handtuch und im Optimalfall auch ein wenig Platz hat, kann sich nun daheim vom Bildschirmsergeant drillen lassen statt in der bösen Aerosolhalle. Doch „superschade“, hab ich jüngst bedauern müssen, „dass ihr die Kursbuchung immer schon so zeitig schließt. Ich tät ja wirklich dauernd öfter, also: ständig! mitmachen, wenn ich nur kurzfristiger teilnehmen könnt“, und Wimpern und Wampe haben dabei so unschuldig geklimpert wie ich jetzt vorhin im Online-Kursplan herumgehackt hab. Wegen Sicherheit. Geht ja eh nicht. Hehe! Doch plötzlich: „Deine Buchung war erfolgreich, dein Kurs beginnt in 2 Minuten.“ Hab dann vor Schreck aus Versehen meinen Internetstecker gezogen. Sicher ist sicher. Alles wird. Vielleicht auch … ach nee.

Freitag, 27. November 2020

Wir machen uns den CKM

 Geier Sturzflug hat’s 1999 schon gewusst (Regieanweisung: Grölstimme an!): „Foltert mich mit Wissenschaft, bis ich nicht mehr kann. Geht's mir dann ganz schmutzig, stampft mich kräftig ein. Zum Segen der Nation muss das wohl so sein. Doch eins kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben!“ Was man mir aber zu meinem großen Erstaunen sehr wohl nehmen kann, ist die weltwichtigste Weltveranstaltung der Welt, und das ist jetzt schon blöd insofern als ich dank dem WSV im Februar 2020 erstmals rechtzeitig das passende Schuhwerk besitze und zudem seit Wochen schon starrköpfig in meiner Rauschgoldperücke vor dem Spiegel steh und mit salbungsvoller Geste und sanftem Gesicht zu meinem Markte einzuladen üb. So, jetzt kannst du dich aus Zorn vor dem Regime auf dem Hauptmarkt wälzen und Sternderlgirlanden aus der Genfer Konvention psaligraphieren. Oder du machst es dir halt daheim. Also christkindlich. Das geht ganz leicht: Gründe die Whatsappgruppe „FeuZaBo@CKM“, lade wahllos so viele Freunde und entfernte Bekannte ein wie geht. Stelle Benachrichtigungen laut. Ziehe dich zu warm, aber nicht wasserfest an. Binde dir Kindergummistiefel lose baumelnd in Augenhöhe an die Mütze, dekoriere mit Regenschirmspitzen. Tauche deine Hände in warmen Glühwein, rubble mit einem Taschentuch daran herum, verteile klebende Fussel im Gesicht. Tupfe Senf auf Nase und Schulter, vielleicht auch keck schräg unterm Auge. Suche Video vom Christkindkind. Stelle Flaschen blickdicht vor den Bildschirm, leuchte alles mit grellen Lampen aus. Suche bei YouTube nach „Weihnachtslieder Dialekt deutsch“, spiele alle gleichzeitig ab. Schau dich fremd im Spiegel an. Wirf dir grantigen Blick zu. Löse die Sprenkleranlage aus. Stelle dich auf Coolpacks. Friere. Schwitze. Habe Durst. Habe Kopfweh. Verliere Handy. Werde panisch. Habe alle Freunde verloren. Finde Freunde wieder. Freu dich! Nuckle am Flachmann. Schaue auf die Uhr: Noch eine Stunde! Zupf dir am Bein. Will nach Hause. Bist du doch schon! Schleich dich aufs Klo, versuche dabei auszusehen als wärst du hier natürlich Gast. Bestelle Bratwurst online, bitte darum, auf dem Weg eine Wurst zu verlieren und Isoliertasche offen zu lassen. Schau aus dem Fenster. Entdecke Bekannte weiter hinten, winke! Remple dir dabei an die Tasse, verschütte Glühwein. Reibe halbherzig an Tapete herum. War eh kalt. Nochmal Flachmann. Sei besinnlich. Setze Polizeimütze auf, flirte mit deinem Spiegelbild. Mehr Schuss! Liebe die Welt. Umarme den Bildschirm. Die Flaschen auch. Alle. Weine. Versichere dir, dass du willkommen bist. Wanke ins Bett. Sei glücklich. Singe Weihnachtslied. Decke dich mit Plastikflügeln zu. Alles wird gut.

Freitag, 20. November 2020

Anschaufensterln

 Schönen guten Morgen, es ist Freitag, der 20. Locktober, und die Tage war ich einmal in der Stadt. Liebe Kinder, ihr werdet’s nicht mehr wissen, aber das ist das, wo wir Alten früher manchmal gern einmal also: „gebummelt“ haben wir gesagt, „komm, wir gehen einmal schön bummeln“ und je nach Kassenfülle oder -knappheit haben wir dann ein bisschen geshoppt oder vielleicht auch nur geschaufensterlt. Dann sind wir viel in Schlangen gestanden – ähnlich wie heut auch, nur dass heut nicht mehr so viel Schlange gestanden wird, um Waren zu erwerben, sondern es wird lange angestanden, um die Ware wieder loszuwerden, nämlich bei der Post. Statt hübscher Dinge im Schaufenster hab ich vergleichsweise oft einen Anblick zweifelhafter Erbaulichkeit präsentiert bekommen, nämlich meiner selbst, die ich mich vorzüglich im leeren Glas gespiegelt habe. Spezialvorzüglich deshalb, weil dass ich’s irgendwie geschafft hab, mir mit dem Mundschutz die Tusche von den Wimpern zu atmen und großflächig als Panda-Auge im Gesicht zu verteilen, das hab ich nicht so gut gesehen im Anschaufenster. Aber gut, wer sich heutzutag noch schminkt ist eh selbst schuld, und mich tät schon interessieren, ob dereinst die Archäologie im Jahre 4153 n. Chr. darniederkniet in der staubigen Schlucht, die irgendwann einmal als Pegnitz sich durch das Nürnberg gefräst hat und dann Planquadrat und schau einmal: ein Plastikgaberl und ein Senftüterl und Bierkapserl, aber was hat es nur mit diesen Mundschützen auf sich, wo immer auf Kinnhöhe so ein braun-beiger Batzen ist und dann mittig oben auch noch einer und links und rechts davon hat’s schwarze Schlieren, manchmal auch blaue oder grüne oder Glitzerleim und dann wiederum am Ohrenhenkel schimmert’s rotorange und kupferrosa in der gesamten Farbpalette, kannst du dir das erklären, Helmut? Und der Helmut schaut und grübelt und denkt sich, da wird’s schon irgendein seltsames Stammeskriegerritual gegeben haben, und dann noch später finden sie heraus, dass gar nicht wie immer angenommen die Männer hier die Dings gerockt haben, sondern waren’s freilich die Frauen, nur so ist die Bemalung zu erklären, und … Ja, ich auch große Kriegerin also mit furchteinflößender Kampfpandabemalung, jedoch in Unkenntnis darüber. Und ich sag einmal so: Da musst du dann schon also wirklich sehr viel Mimik, um nicht zu sagen: Gesichtsdisko veranstalten, damit dein Gegenüber nicht einfach schreiend davonläuft oder vor unterdrücktem Lachen erstickt, weil er sieht ja nicht, dass du lachst und gar nicht grimmst. Ich aber Idee, nämlich in verschiedener Stimmung meinen Mund fotografiert, lachen, ächzen, zürnen, und die Bilder halt ich mir dann einfach geschwind vor die Maske. Gut, an der Proportion muss ich noch tüfteln und am richtigen Handgriff auch, aber wir wollten ja eh mehr lachen. Wo ich so drüber nachdenk … Die Fröhlichkeit des reizenden Marktmannes erscheint plötzlich in zweifelhaftem Licht. Aber gut, passt sie dann wenigstens gut in die Innenstadt.

Freitag, 13. November 2020

Lockwork Orange

 Schönen guten Morgen und herzlich willkommen in einer neuen Folge unserer beliebten Serie „Lockwork Orange“, bei der wir alle uns zwar keiner Gehirnwäsche unterziehen, wohl aber einer steten Reinigung der Hände, die darum jetzt bereits vor Angst zu zerbröseln beginnen, sobald sie einer Seifen- oder gar Desinfektionsstation auch nur ansichtig werden. Praktischer Nebeneffekt: Man muss einen Mikrofaserlappen nicht erst lästig greifen und festhalten, sondern reicht es, einfach nur mit den Fingern an ihm vorbei zu streichen und schon klammern sich die feinen Fasern feste an die Rauhlederhaut. Das hat auch was niedliches, irgendwie. So niedlich wie kleine Patschehändchen, die sich grade tapfer um kleine Laternenstiele wickeln und einsame Runden um mit roten Kotbeuteln festlich geschmückte Wohnblöcke marschieren, bewacht von Bodyguardmüttern, die statt Laternen auf der Stirne eine in Leuchtschrift geprägte Botschaft tragen „Wenn du es wagst, uns nach Haushalten und Adressen zu fragen, brech ich dir die Knochen. Alle!“ Ich geeeeh mit meiner Lateeeeeeerne, und mei-ne La-ter-ne mit miiiiir. Dort ooooben leuchten die Elon-Musk-Steeeeerne. Hier unten schneu-heu-zen wiiiir … ähm …  Nänäää-nänä, nänääää-nänä … RABIMMEL-RABAMMEL-RABUMM-BUMM-BUMM! A propos Rabammel, weil Bammel hab ich auch, nämlich vor Menschen, die sich das sorgfältige Lächeln eines Psychopathen auf ihren Munaschu oder Muschu oder Fotzenkapperl oder wie das jetzt heißt malen. Oder überhaupt Menschen, die lächeln, weil solche siehst du derart selten, dass wenn einer einfach einmal lächelt wechselst du lieber sogleich die Straßenseite weil vermutlich Tollwut und als nächstes reibt er sich maulschäumend an deinem Bein. HALT, da ist schon einer! … Ach nein, war nur ein einsames Laternenkind. Spaß beiseite, wir haben grade nichts zu lachen. Mein Musiktipp für alle, die momentan heiraten, konfirmieren, konvertieren, habilitieren, sich endlich scheiden lassen oder runde Geburtstage (haha) feiern kommt daher von Lesley Gore und zum gemeinsamen Singen von oder vor Balkonen hier auch hilfsbereit der Text: „It’s my party and I cry if I want to, cry if I want to, cry if I want to! You would cry too if it happend to you!“ Gerne auch „All by myself“ von und mit Selin Diong, der Fachmann empfiehlt hierzu Schlafanzug (Frottee, Flanell) und den 3-Liter-Eimer Schokoladeneis. Alternativ zur eher präpubertären Lösung sind kreative Ansätze denkbar: Abstandshaltungsgewänder aus Schwimmnudeln zur Rundherumsicherung, der gute alte (ceterum censeo) Zorbing-Ball, eine zeitgemäß modisch-innovative Rückwärtsbewegung hin zum Reifrock mit dem Doppelnutzen des unauffälligen Darunter-Tragens von Ski-Unterhose oder gleich Schneeanzug, zwengs Genderdings jetzt eh auch für jede*n tragbar oder, gleichermaßen stimmungsaufhellend und AHA-gemäß: Das aufblasbare Riesenweihnachtsmannkostüm, gesehen im Fachhandel ab 25,99 Euro. Gibt’s auch als Sumo oder Ballerina. Wird schon werden. Vielleicht sogar gut.

Freitag, 6. November 2020

Lachsschaumspeise

 Gleichwohl die Frage nach dem Sinn des Lebens seit Ende der 1970er Jahre dank eines gewissen Douglas Adams hinreichend beantwortet scheint (42!), hatte es sich eine frivole Zirkustruppe Anfang der 1980er Jahre nicht nehmen lassen, dieses Rätsel mit britischem Humor weitreichend zu ergründen. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens rumpeln Monty Python auch über den Unsinn des Ablebens einer ganzen Gruppe, das in einer ersprießlichen Dinner-Szene mit Gevatter Tod von eben jenem durch das wortwörtlich letzte gemeinsame Abendmahl herbeigeführt wird: „Die Lachsschaumspeise“, spricht der Boandlkramer in zwischen Hochmut und Entsetzen changierende Gesichter, befördere die Träger derselben in Bälde hübsch gemeinsam übern Jordan. An diese Szene muss ich denken seit gut einer Woche, als ich am Morgen nach dem abendlichen Genuss eines Pilzgerichts (ein ähnlich heiteres Wort, wie ich nämlich finde) offenbar einer späten Halluzination erlegen war. Was nun wirklich kein Wunder wäre, schließlich ist, nur weil alle neuerdings in Mykologie promovieren, nicht gesagt, dass bei der gebückten Lese zwischen Preiselbeer und Moos auch der Geigerzähler läuft. Jedenfalls saß ich tranig vor dem Bildschirm und sah auf einmal Regenbogen. Rieb mir die Augen, sah schwarz, sah Sternchen, sah: Regenbogen. Blinzelte – und das Traumbild eines über Nacht mirnichtsdirnichts buntgepinselten Monstruments: dahin. Da war ich gleich erleichtert, weil freilich erst Besorgnis: Da wird doch nicht einfach jemand ohne vorher gefragt zu haben und geprüft, Passierschein A38 beantragt und mit der Brandmalschutzwegverodnungsschablone abgeglichen, die Wahrscheinlichkeit geklärt, dass eins ausrutscht oder stolpert über Farbe oder Mut und dann Versicherung und haste nich gesehen! Ohne abzustimmen jahrelang, ob da nicht vielleicht doch irgendein Gefühl verletzt oder sonst ein Anstoß genommen werden kann, vom Stattkulturhauptamt salbungsvoll zurechtgeschliffen, damit sich keins den Schädel anschlägt wie an den Pfandguerillakästen, die ja auch in der ganzen Stadt den Nachschub an Schwerstverletzten sicherstellen. Weil „kompromisslose Respektlosigkeit der Kunst“ darf man zwar sagen, doch machen lieber nicht, sonst onduliert ihr professioneller FriSÖRsalon die zause Stadtfrisur eilig wieder glatt. Also war ich erleichtert. Und sogleich irritiert: Scheint’s hab nicht nur ich am Pilzgericht laboriert, sondern noch viele Leute mehr einen Waldausflug und dann Halluzination erlitten, ein kollektiver Rausch als List vom Boandlkramer? Dabei sollen wir doch alle daheim bleiben – und Christian Morgenstern nachlesen, denn der „kommt zu dem Ergebnis: / Nur ein Traum war das Erlebnis. / Weil, so schließt er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf.“ 

Freitag, 30. Oktober 2020

Regenbogenpräludium

Auf besagter Schule mit Herz gab es wie es sich gehört natürlich einen veritablen Geheimbund, dessen Mitglieder sich schmerzlich ihrer eigenen Genialität bewusst waren, das nach außen durch eigene Abzeichen, Sprache und Stundenpläne transportierten und den exklusiven Status so verinnerlicht hatten, dass sich die meisten von ihnen bis heute für etwas Besonderes halten – zumindest machen heut stufenübergreifend alle Teilnehmer des nur aus niederen Gründen der Beamtendeutschelei zum „Schulspiel“ degradierten Theatergruppe irgendwas mit Medien. Die Theatergruppe machte Kunst und Kultur im dünkelhaftesten Sinne, fuhr im Gegensatz zum Pöbel auf Probenwochenenden, war vor den jährlichen Aufführungen – ein Ereignis mindestens pausenhofweiter Bedeutung – nur schwarzgewandet in Fluren und danke Spezialsonderausnahmestundenplan niemals mehr im Klassenzimmer zu sehen und zelebrierte in der mit allen zur Verfügung stehenden (und bekannten) Merkmalen der Bohème umfunktionierten Turnhalle irgendwas zwischen Alchemie, Homer und Sybille Berg, angeführt vom von allen inbrünstig vergötterten Lehrer, der an einem Wochenende mehr vermittelt hat als der restliche Lehrkörper an 200 Tagen und klassenübergreifende Bänder schmieden half, die bis heute ungebrochen sind. So wie aber auch das Schultheaterjahr einem Zyklus folgte, war für uns alle eine schwere Depression vorgesehen, ein schwarzes Loch voll Zweifel, Müdigkeit und Verleugnung, voll Tränen und Sinnsuche. Ein Zustand, in den man sich nicht absichtlich und wertherisch begab, sondern in den uns der Vorhang schubste, während er zur Jahresvorstellung letztmals fiel und stehender Applaus uns aus dem Allerheiligsten hinaus in eine graue Welt der Beliebigkeit entließ, die Primi, Primae und Prima inter Pares zurück ins Glied. Eine grauenhafte Zeit, wäre da nicht unser fränkischer John „Storbi“ Keating gewesen, der uns herzlich zur Besinnung brachte: „Des is doch scheiße so! Hobb etz!“ So und nicht anders wird es uns hier auch ergehen. Der rettende Rand der tiefen Grube, in dem die Kulturwelt grade sitzt, scheint fern, doch sehen wir eine rettende Hand durch gleißendes Licht in regennasser Trübnis. Die blonde Gloriole spricht „Ich verspreche Ihnen im Namen aller KulturakteurInnen: Wir machen weiter! Wir werden niemanden alleine lassen. Wir bleiben zusammen.“ Tränen der Erleichterung verschleiern den Blick. In ihnen bricht das Licht der Gloriole: ein Regenbogen klingt im Augenwinkel, im Ohrenwinkel das Präludium. Alles wird. Vielleicht ja gut.

Freitag, 23. Oktober 2020

Kulturhaupstatt

 Als ich vor einigermaßen langer Zeit in die weiterführende Schule gekommen bin, war das Hallo groß. Neben der sonst üblichen aufgeregten Eltern, die das Wunder kaum fassen können, tatsächlich etwas wie ein schulfähiges Kind auf die Welt gepresst zu haben, wunde Tränen verdrücken vor Ergriffenheit und Stolz weniger auf des Sprossens Leistung als vielmehr auf die eigene und darum den Nachwuchs in Position und Pose zwingen, die später gern als Teil der Diashow zu 18. Geburtstag oder Hochzeit wieder auftauchen, hat es bei mir damals zum Anfang von der 5. Klasse vor allem professionell blitzlichtgewittert: Horden von Pressemenschen waren angereist, Bürgermeister, Minister, Staats- und Ehrenvolk, Champagnerkorken und Olé, um Zeuge und Teil zu sein dieses historischen Tages. Und während die feierten und wichtig in Mikrofone sprachen, stand ich in feinem Nikisweater, Karottencord und auftoupiertem Igelpony, vor allem aber im Abseits und blinzelte tapfer in Vaters Filmspule. Denn leider wurde weniger der Beginn meiner gymnasialen Karriere gefeiert als vielmehr der Umstand, mit meinem Jahrgang eine Feldstudie nie dagewesenen Ausmaßes zu starten: den europäischen Schulzweig. Ein Experiment, das so erfolgreich war, dass man es heute grad noch so und mit viel gutem Willen googeln kann und sich im gebetsmühlartigen Direktorenspruch manifestierte, man sei jetzt „die Elite“ und hielte bald ein „Abitur Deluxe“ in Händen. Die Elite durfte in der Folge ein Jahr früher als alle andere an der zweiten Fremdsprache scheitern, dieses Defizit dafür in dreimal so viel Nachmittagspflichtunterricht kompensieren, sich ungeliebter Fächer nicht durch Abwahl entledigen, sondern der Kompetenz im musisch-künstlerischen Bereich ungeachtet in Mathe auch im Abiturfach dilettieren und sich, ebenfalls am bekanntlich produktiven Nachmittag, durch eine vierte Fremdsprache pubertieren. Ich sag mal so: Zu „Voy en bici al aeropuerto!“ hat’s noch gereicht, dafür schreit der Humanist in mir jede Nacht um 3.33 Uhr „BEI ISSOS KEILEREI!“ und morgens um 7.53 Uhr macht der Wecker nicht „piepiep“ sondern „ROM SCHLÜPFT AUS DEM EI!“  Als Lohn erhielt „die Elite Europas“ von der „Schule mit Herz“ zum „Abitur Deluxe“ einen grobkörnigen Zettel, der hinters eigentliche Zeugnis gesteckt quasi die Teilnahme bestätigte und den ich seit nunmehr bald 20 Jahre nicht mehr aus der Klarsichtfolie rausgezogen hab. Das ändert sich ab kommender Woche gefälligst! Denn dort steht, dass Nürnberg seit 20 Jahren mindestens ein europäisches Kulturhaupt hat. Dieses Kulturhaupt braucht endlich eine Statt, also einen Ort oder Platz. Und wenn man dann schon eine Kulturhauptstatt bereitstellt, kommt es auf diese eine winzige Buchstabenverdingsung auch nicht mehr an. Also: Wenn selbst dieses Argument die Jury nicht überzeugt, dann ist denen wirklich nicht zu helfen. Bis dahin: Abwarten und Tee trinken. Oder Grog.

Freitag, 16. Oktober 2020

Herbstwahn

 Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht eh für jeden Jahreszeitenwechsel und Saisonstart güldet, aber ich hab das Gefühl, als wäre so ein Herbst ganz speziell dazu geeignet, erwachsene Menschen in Sturmeseile an der Windhose zu packen, einmal um sich selbst zu wirbeln und zu zwirbeln und als Kleinkind wieder hinabfallen zu lassen wie die anderen schönen Herbstgeschenke, die uns grad so süßlich um die Ohren tanzen und in kuschlig-warme Vorfreude versetzen: beige Mundschütze und indian-summer-rote Hundstrümmerltüten, käsig-gelbe Pizzaschachteln, bräunende Kaffeebecher, auch ein frischgrüner Elektroroller blitzt hier und da aus dem Gebüsch und stemmt sich freundlich gegens Himmelsgrau, in dem die Wolken Fangen spielen und Blindekuh und vor lauter Freude und vielleicht auch Schwindel gelegentlich einmal zu Boden speien. Da feuchtelt’s dann umeinander, aber das ist dem Menschlein schon egal, denn innere Stimme, höhere Gewalt oder niederer Instinkt sitzt ihm im Ohr und wispert: Nimm! Die! Kastanie! Und das Menschlein beugt den 30 oder auch schon 40, 60 Lenze schweren Buckel hinab und probiert sich in einer kleinen Gegenwehr: Kastanie wozu, viel zu alt für den Unsinn, was mach ich dann damit! Und in dir drinnen dann Protest: ES IST RUND! UND GLATT! UND WUNDERSCHÖN! WIR MÜSSEN ES BESITZEN! UND ZWAR BEVOR DIE ANDEREN ES ENTDECKEN! UND DANN NEHMEN WIR ES IN DIE HAND UND STREICHELN ES! UND BAUEN LUSTIGE TIERE! Und du lässt dich mitreißen, weil ACH! so schön der Herbst, sammelst Kürbisse zum Schnitzen und für Suppe auch und Eicheln weil auch aus denen kannst du süße Figürchen bauen und DA SCHAU! EIN ROTES BLATT! und DORT DRÜBEN NOCH EIN GELBES! und DA-UND-DA-UND-DA-UND-DASCHAUNOCHVIELMEHR! die müssen wir MITNEHMEN und PRESSEN und dann springst und hüpfst und jauchzt du und „Ich will mit dir einen Drachen bau‘n“, singst du dem grantigen Nachbarn ins Gesicht, „mit dir einen Drachen bau’n, für sowas hast du niemals Zeeeeeeeeeeeit! … Mit diiiir einen Drachen bau’n, denn ein gekauuuufteeeeer Drachöööö flieeeeegt nichtmal haaalb so weeeeit!“ und irgendwann später, viel später, kommst du wieder zu dir. Du sitzt auf dem Boden deines Wohnzimmers, umringt von angemodertem Laub und braunen Kugeln, ein Schwung Eicheln unterm Sofa, Zahnstocher und Klebeaugen sinnlos um die herum verstreut, dazwischen Fitzel von Buntpapier und Schnur, vom Tisch tropft Kürbisschlonz. Du angelst nach einem großen Müllsack und schaufelst den Herbst beschämt dort hinein. Irgendwas muss da in der Luft sein. Jetzt erstmal einen Grog. Weil neue Weisheit: Kein Bier vor vier, doch Grog adhoc! 

Freitag, 9. Oktober 2020

Funny Bone

 Manche Menschen haben so ein bewundernswertes Verhältnis mit ihrem Körper und der Wahr- und vor allem Ernstnehmung der Befindlichkeiten desselben. Also da meine ich jetzt gar nicht die Fraktion „Ooooh ich muss auf Milchprodukte immer so … also duweißtschon … jetzt muss ich mir immer diese suuuuperteuren laktosefreien Produkte kaufen und leide trotz-dem-noch an Flatulenz.“ und dann du so: „Ja hast du dich denn schon einmal testen lassen?“ – „Nein, aber es MUSS die Milch sein. Und auf Zwiebel, also wenn ich die nur seh muss ich ja schon …“ – „Ja oder halt einmal weniger saufen und dann Darmsanierung!“ oder dann gibt es noch so beeindruckende Persönlichkeiten, die sagen „Immer wenn ich einskommazweisieben Mikrogramm Paprikahaut gegessen habe muss ich exakt dreikommaachteins Stunde später einmal sanft aufstoßen. Kennst du das nicht?“ und dann ich so „Böööhnein?!“ Weil ich in dem Gebiet eher so Büffel und dankbar, wenn ich überhaupt noch weiß was ich am Vortag so gespeist hab, hier von wegen Schluckauf und dann „Was hast du gestern zu Mittag gegessen?“ dann hörst du von mir minutenlang überhaupt gar nichts mehr außer einen Hickser und irgendwann ein verzweifeltes „ICHWEIßES*hicks*NICHTMEHR*hickshicks*!“ Auch lausch ich voller Ehrfurcht Menschen, die sagen „Also du, meine erogene Zone ist ja der linke Ellenbogen, so im mittelhinteren, halbrechten Drittel.“ weil ich mein, da musst du doch auch erst einmal draufkommen, und eilig scheibenwischerst du dir durchs Gehirn, wo sich rasch und ungewollt ein Bild zu manifestieren anschickt. Dafür kann ich was anderes. Inselbegabung quasi. Nämlich im Gegensatz zu ungefähr allen Menschen hab ich nicht nur zwei Musikantenknochen links und rechts im Arm, sondern kann mit zielgerichteter Gewissheit auf mindestens 17 verschiedene Stellen meines Körpers zeigen, die eindeutig über diese Besonderheit verfügen. 18. Ganz akut hat sich nämlich eine neue hinzugesellt: Rechts schrägaußen über der rechten Kniescheibe. Die Dinger heißen im Englischen übrigens „Funny Bones“. Eh klar, dass ich davon nicht nur einen hab.

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Legendenbildung

Manchmal kontemplierst du in deiner Wohlstandswelt einfach so ein wenig herum. Dann legst du dich nieder auf dein Chesterfiel, es knarzt und staubt ein wenig, du klingelst nach dem George oder James oder wie der grade heißt, Havanna, Witzki, und dann erst einmal schön nachgedacht über die Lästigkeit der Welt und wie manche großen Dinge wohl entstanden sind. So ungefähr war das bei mir auch letzte Woche, weil der Herbst, der Regen, ihr ahnt es. Der einzige Unterschied halt dass mein Chesterfield Klippan heißt und bei mir weder ein George noch ein James herbeizuklingeln sind sondern ich mich ganz alleine um mich selbst bemühen muss. Aber gut, weil hat man schon auch gleich seine Ruhe, und die hab ich gebraucht beim Wolkenschaufeln. Weil du weißt ja, in jedem Witz steckt so ein Fünkchen Wahrheit, und in jeder Sage und Legende freilich auch: Moses zum Beispiel, ist ja nicht so, dass es den nicht einmal gegeben hätte oder den Nikolaus. Legende wird’s dann halt weil historische Erkenntnis. Weiß ich jetzt, weil war ich kürzlich mittendrin in so einer Entstehung, also hab ich eine der berühmtesten antiken Mythologien entschlüsselt, nämlich: Büchse der Pandora. Das war so, dass also wenn ein Mann eine Frau fragt „Du Liebes, was ist denn los? Warum hast du so eine Laune und so ein passendes Gesicht gleich noch dazu?“ und dann sogleich füllen sich die Liebesaugen mit Krokodilstränen und es haucht „Ja also ganz vielleicht hab ich ein bisschen Bauchweh und Kopfweh und Rückenweh dazu und wenn ich’s mir recht überlege ist wahrscheinlich schweres PMS und darob alles nicht sehr optimal.“ Dann hat so ein Mann zwei Möglichkeiten, nämlich entweder nimmt er das Liebe in den Arm und drückt und streichelt es ganz feste und gießkannenweise Mitgefühl und Wärmflasche und Schokoladenpudding und Samthandschuh und Entscheidungshoheit Fernsehprogramm. Oder aber, Option 2, er besinnt sich der modernen Zeiten, Respekt, Gespräch auf Augenhöhe, gegenseitiges Verständnis, aktives Zuhören, lösungsorientierter Ansatz, Anpacken statt Aufschieben und was wir halt so alles gelernt haben in der Brigitte und Emma und Men’s Health. Dann richtet er sein Rückgrat, blickt das Liebe durchs Monokel aufrichtig an und sagt die bedeutsamen Worte weitreichender Folge: „Und du bist sicher, dass sonst nichts ist?“ Ungefähr so ähnlich denk ich hat das mit der Pandorabüchse auch begonnen, bestimmt. Halt anders, weil da hat sich der Epimetheus ja konkret dem Bruderrat widersetzt und lieber gierig geheiratet. Also angeblich, weil freilich muss da irgendwo ein kluger Männerrat erwähnt werden wegen Gesicht bewahren und damit es nachher heißen kann „Also weiß ich ü-ber-haupt-nicht wie das passieren konnte, aber ich hab einfach nur dagesessen und nett geschaut und von jetzt auf hopp ist das ganze Übel der Welt über mich hereingebrochen und die Ohrwascheln haben nur so geflattert im Zornessturm da soll ich jetzt auch noch schuld sein.“ So geht das mit den Legenden.

Freitag, 25. September 2020

Lebenhamstern

Achtung bitte, machen Sie den Gang frei, bitte zur Seite, danke, dankeschön, Verzeihung, ja, danke, vielen Dank, so, und jetzt alle nocheinmal zurücktreten, damit ich … drei … zwei … eins … Juhuuuuuuuiiii so ein schöner Sprung in dieses superspezialdunkelgraue Regenpfuideifi, endlich haben Wassersäulen und Zueschuhe einen Sinn! Und wenn auch nur einen sehr winzigklein überschaubaren, weil wahrscheinlich noch während ich mich freu dass man endlich einmal wieder über madiges Wetter sprechen kann, lauert hinter der nächsten westlichen Erhebung eine große runde Lichtgestalt. Die atmetet in eine Papiertüte hinein, ein-aus, ein-aus, das hat sie so gelernt beim Waldschwimmen oder wie die Leute jetzt sagen zum Spaziergang, jedenfalls: Achtsamkeit und nicht immer gleich aufregen, und so wird geatmet und dann aber mit so einer Art großväterlichen Effet sich nach dem Wolkengrau ausgestreckt und dann – klaps! – das Hindernis aus dem Weg geschoben. „Du Dummerchen“, sagt die Sonne zum Wetter, „hast du dich wieder einmal verlaufen auf die Insel der Glückseligen, dabei gibt’s doch im Handbuch der Wolkennavigation extra das Kapitel mit den zehn Wegen, die Noris zu umgehen. Also komm, geh weiter!“ Und dann, ihr werdet’s schon sehen, lichtet sich die Welt und ein jeder Mensch muss erstens vom Indian Summer schwadronieren und zweitens: kollektiv aufatmen. Aber fei nur kollektiv einatmen! Aus dann erst später daheim oder ins Fotzensackerl. Jedenfalls Erleichterung wegen „Puuh jetzt BIN ich aber froh weil hab ich schon gedacht es ist vorbei mit den Letztenschönentagen, dabei war ich wirklich noch nicht einmal ansatzweise fertig mit dem Sommer, eigentlich hab ich noch nicht einmal angefangen! Weil ich hab ja nichts gemacht glaub ich, dabei hab ich so viel vorgehabt: Beispielsweise wollt ich so viel radeln, aber vor lauter Bergradeln war ich gar nicht Flussradeln, und Spezialseen wollt ich endlich besuchen, aber dann hab ich lauter andere Spezialseen gefunden und hab da plötzlich hinfahren müssen und dann vor lauter Seebesuch gar nicht genug ins Freibad gehen können und hinterher Tretboot fahren und Pizza essen, weil ich hab ja Karten spielen und Eis essen müssen, und vor lauter Nichtgenugimfreibadsein hab ich überhaupt nicht ein Mal Minigolf gespielt und auf einer Luftmatratze einen Fluss befahren, und weil ich eigentlich so viele alte Biergärten endlicheinmalbesuchen wollt, hätt ich fast übersehen, dass plötzlich ja nocheinmal zusätzlich so viele neue Biergärten passiert sind, also hab ich die alten nicht und die neuen dafür schon und a propos hab ich gestern neben dem sauberen Grill eine unbenutzte Hängematte gefunden die ich damals extra … Papiertüte??“ Letzte Woche hab ich ein schönes neues Wort gelernt für „Freizeitstress“, das heißt: Lebenhamstern. Ist ein bisschen wie Corona, gibt’s auch kein Mittel dagegen außer schlechtes Wetter und daheim bleiben (dürfen). Bloß ist der Hamster schlau: Stopft er doch die Backen voll, legt fich damit tfufrieden und entfpannt auf‘ Kanapee und tfillt fich durch den Winter. Ob wir das auch schaffen? Sonst gibt’s Lebenhamsterrad.

Montag, 21. September 2020

Kloßquamperfekt

Radfahrende in Nürnberg haben jetzt ein Parkhaus. Das ist nicht nur überfällig, sondern auch noch schick und macht die Radfahrenden zu Radparkenden, so sie denn nicht aus Furcht, Radfallende zu werden, lieber gleich als Radstehenlassende daheim verbleiben. Das machte sie dann zu Radfahrenwürdenden, derweil die Radfahrenwerdenden die Radgefahrenen befragen, ob denn die Radgefahrenhattenden als Radfahrendenden wieder Radgefahrenhabenwerdende sein wirden oder lieber als Radgefahrengewesengehabthattende künftig doc … Moment, aber die letzte Zeitform kommt mir Spanisch vor. Oder Fränkisch? Weil da bin ich neulich schon einmal darübergestolpert und gar nicht so elegant wie ich das gern gehabt hätte. Weil es gehen die Konjugationsformen ja bekanntlich so: „Es heißt, es hieß, es hat geheißen, es hatte geheißen …“ Und während du mit dem klammen Fingerlein die Tabelle hinabfährst und dir nickend zustimmst in deiner Schläue murmelst du weiter „es hat geheißen gehabt, es hatte geheißen gehabt…“ und der Finger aber fährt ins Leere. Sogleich schlimmer Hirnfraß, Schlafraub, weil: Wie kann das sein? Ich kann es sprechen, höre deutlich, wie um mich herum die Menschheit sagt „Aber es haddoch kassen ghabt …“ und „Du hast ihm doch gschriem ghabt …“ und jetzt soll es das nicht geben? Bestürzt, doch voller Tatendrang hab ich mir die Pionierskrawatte umgebunden und als Fähnlein Fieselschweif im linguistischen Entdeckerauftrag großen Schrittes ausgeholt. Gehabt. Erst einmal: Schwarmintelligenz befragen. Ob man mir sagen könne, wie das Tempus heißt, hab ich in die Crowd gerufen und dann gemeinsam Lösung ausgearbeitet, echte Teamarbeit, die Wangen rot, so muss Columbus sich gefühlt haben, als er Indien entdeckt. Oder halt um genau zu sein in dem Moment, als er entdeckt hat, dass da ein kleiner Irrtum vorgelegen gehabt hat. Weil freilich hab ich mit konquistadorisch geschwellter Brust rammbockgleich die Bürotür vom Linguistikzentrum eingerannt und von der Erkenntnis gekündet: „HABEMUS KLOßQUAMPERFEKT!“, hab ich gerufen und berichtet vom bislang völlig unbekannten Sprachphänomen, dem allein ich jetzt auf die Schliche gekommen und darob auch sorgfältig einen Namen auserkoren gehabt hab hätte, zwengs der offensichtlich fränkischen Singularität in Anlehnung an das im Hochdeutschen durchaus bekannte, im elaborierten Süddeutschen Sprachraum freilich lang nicht ausreichenden Plusquamperfekt, bei dem … „Ach liebe Frau Wasmeier!“ hat das Zentrum mich lächelnd unterbrochen, „das ist wirklich eine ganz wunderbare Idee, vielen Dank dafür, ich gebe das weiter.“ Die Entdeckung an sich jedoch sei nicht ganz so neu wie von mir vermutet, vielmehr befleißige sich der Baier als solcher schon lang der sogenannten „Strecktempora“, um einer Sache Wichtigkeit besonderen Ausdruck zu verleihen und weil halt so ein Präteritum einfach so nach Saupreiß klingt. Rote Wangen, Schameshitze. Zorn. Steinchentreten. Möchte trotzdem, dass das „Kloßquamperfekt“ heißt. Gefälligstbitte. Und dass Radgefahrengehabthabenden bitte wieder weitermachen.

 

Sonntag, 13. September 2020

Wer nicht fragt bleibt dumm

 Neulich mal Regen, darum gleich Zeit für Einkehr. Im warmen Wirtshaus angekommen dann Zeit auch fürs Innen, also das gedankliche jetzt, und zwengs keinem Input von Außen eben einen Mordsoutput an superklugen Gedanken entwickelt. Nämlich Fragen: Wie viele Jacken muss ich besitzen, um jeden Morgen in der Kälte bekleidet das Haus verlassen und jeden Abend in der Wärme luftig und unbelastet heimkehren zu können? Und: Wie krieg ich diese sieben Jacken dann am Wochen-Ende heim? Wie viel Fremdscham kann ein Mensch ertragen und warum zahl ich eigentlich für Leitungswasser anstatt mich gegen Honorar zu besaufen? Und kann ich mit dem Satz des Protheseus ausrechen, wie viele Menschen noch ins Deutschland passen, wenn in ungefähr 11 014 Gemeinden ungefähr 2,9 Prozent Wohnfläche leerstehen? Es ist schwierig, man weiß es einfach nicht. Hoffentlich ist bald wieder Schöneswetter und Gedankenfreiheit, also -losigkeit mein ich, Gedankenfreiheit haben der Bill und der Attila und vermutlich auch ein Geheimbund Kreuzritter eh schon längst beschn… Ah genau, Ritter, da wollt ich eigentlich hin. Weil es gibt auch leichte Fragen mit einfachen Antworten. So geschehen letzte Woche, als ich Arm in Arm mit dem Mann meines Herzens das romantische Aquarell der Söderb… nein: Kaiserburg erklomm. Ein traumhafter Abend, der weite Ausblick grandios, Touritäubchen und Turtelisten legten einen Zauber aufs Areal, in dem die Handwerker den Rhythmus des Spätsommers schlagbohrten. Es stellte dann der Herzensmann die eine Frage, die gestellt werden muss in dieser weichgezeichneten Szenerie von Glück und Seligkeit, und also blickte er mit Augen voller Treue und Verzückung zu mir auf und sprach die magischen Worte, auf die ich mein Leben lang gewartet habe: „Und aber du, wo sind eigentlich jetzt die ‘itters?“ Mein Geist vor Liebe verklärt, stellte ich mich der Herausforderung kämpfte mich in Lanzelot’scher Tradition durch ein Turnier des Wissens. „Die Ritter sind wahrscheinlich in der Burg.“ – „Aber wa’um kommen die nicht ‘aus?“ – „Weil vielleicht sind sie sehr beschäftigt.“ – „Aber wa’um sind die beschäftigt?“ – „Vielleicht müssen sie abendessen.“ – „Ich hab schon gegessen.“ – Aber die Ritter vielleicht noch nicht, außerdem müssen die ja so schwer arbeiten den ganzen Tag.“ – „Aber wa’um kommen die nicht einfach ‘aus?“ – „Weil sie sich ausruhen müssen.“ – „Ich muss mich nicht ausruhen.“ – „Du hast ja auch nicht so eine superschwere Rüstung an den ganzen Tag und musst kämpfen und Steine schleppen und …“ – „Kacka machen.“ – „Nja.“ – „Wie machen die ‘itters eigentlich Kacka?“ – „Na die gehen aufs Klo.“ – „Oder einfach in die ‘üstung!“ – „ …“ Nach mehreren Stunden des inquisitorischen Fragens kann ich euch die Lösung aller Lösungen präsentieren. Stolz! Weil: Die auf der Kaiserburg lebenden Ritter fürchten sich vor kleinen Kindern, da diese mangels schwerer Rüstung so viel flinker sind. Deswegen verstecken sich die Ritter in den oberen Gemächern, von wo sie sehnsuchtsvoll nach unten linsen und sich nichts mehr wünschen, als mit den Wuselwürmern im Burggarten zu tollen. Schaut, das war doch ganz leicht. Vielleicht ist die Lösung für die anderen Fragen auch eher einfach.

Freitag, 4. September 2020

Ausgschmiert

 „Wenn daf hier allef überftanden ift“, hatte vorletzte Woche mein Hirn aus dem Gefrierschrank genuschelt, so dass ich erst einmal hingehen und ihm die erneut verrutschte Erbsenpackung aus dem Mund hab zupfen müssen, „danke“, hat das Hirn sich bedankt und weiterreferiert: „Also, wenn das hier alles überstanden ist, dann schreib ich ein Buch!“ – „Aha!“, hab ich interessiert getan und dabei versucht, möglichst nicht mich zu bewegen, wegen der Energieersparnis, man möcht ja nicht versehentlich eine Kalorie verbrennen oder zwei, nicht auszudenken, man erzeugt sich selbst noch eine Hitze wenn eh die Körpersäfte mit Mühe kurz vorm Siedepunkt gehalten vor sich hin simmern, „Ein Buch also. Und wie soll das heißen?“ – „AUFGFCHMIERT!“ hat das Hirn gejubelt und ich: mühsames Lächeln, weil vom Schmieren hab ich wirklich langsam genug gehabt. Eigentlich mach ich grad seit Wochen nichts anderes, als irgendeine Sache auf mich hinaufzucremen. Aus Tuben, Tiegeln, Flaschen, Vaporisateuren kommen Cremes und Salben, Mittelchen und Wässerchen, die sind alle manchmal für, meistens gegen irgendwas – und liegen damit zwar voll im Trend, doch sind in erster Linie lästig. Na, wenn ich’s mir recht überlege, schließt das eine (dagegen) das andere (lästig) ja nicht prinzipiell aus, aber im vorliegenden Spezialfall schon. Also schmieren, schmieren, schmieren. Morgens ins Gesicht weil gegen dem UV und für das was der UV eh schon angerichtet hat, zudem auf den ausgedörrten Leib, der schwer gezeichnet ist vom Hitze-Kälte-Klimaanlagen-Stress mit Chlor und frischer Luft. Abends dann die gleiche Prozedur, nur da nicht gegen den UV sondern generelle Schadensbegrenzung, dann auf die Lippen wegen der Geschmeidigkeit, so noch vorhanden, und eine große Ladung kühlende Substanz auf prall gefüllte Unterschenkel, die wie zwei Höcker mit vollem Wasserspeicher leider unten am Kamel dranhängen und es im geschmeidigen Gang behindern statt stramm oben auf zu ragen, ich erkenne da einen Konstruktionsfehler in der menschlichen Gestalt. Dazwischen schmierst du je nach Tagesform und -plan einen LSF 50 auf den Käseleib oder literweise Mückenspray, gelegentlich auch beides, und hernach schaust du zu, wie die Melange aus Mittel, Schweiß und Straßenstaub zu einem schönen Teig eindickt und du plötzlich verstehst, warum Elefant und Rhinozerus sich den Umweg übern Drogeriemarkt sparen und gleich nur ein schönes Schlammbad nehmen. Abends bürstelst du das Erdreich ab und schon musst du wieder schmieren, weil der Säureschutzmantel. „Ich möchte nichts mehr aufschmieren!“, hab ich darum geklagt, „Man kommt doch aus dem Händewaschen gar nicht mehr heraus, seit März tu ich nichts anderes als Händewaschen und Schmieren, Händewaschen und Schmieren, das muss jetzt einmal reichen, und es reicht auch, weil wenigstens tät ich jetzt gern einmal nur noch Händewaschen ohne Schmieren, das muss doch jetzt wirklich einmal ein…“ – „AUSGSCHMIERT!“ hat da das Hirn mich zornig unterbrochen und ein, zwei letzte Erbsen ausgespuckt. „AUSGSCHMIERT werd ich’s nennen, weil dann endlich Herbst ist und die elende Einschmiererei zu Ende, Kreizbimbam!“ Da ist mir auch nichts mehr dazu eingefallen.

Montag, 31. August 2020

Die dicke Raupe Nimmersatt

 Liebe Gemeinde, wir haben einen großen Verlust zu betrauen. Bitte findet euch gemessenen Ab- und Anstands, vielleicht eh eigentlich lieber nur metaphysisch und eigentlich vor allem Hauptsach weit weg von mir bei mir ein, um gemeinsam Abschied zu nehmen von einer zuletzt so liebgewonnenen … Moment, Telefon. Ah, der Marckus, grüßdichservus! … Nichts schreiben über diese Diskothekensach… Nein, warum hätt ich sollen? … Vorzeitiger Abgesang auf Moral und Solidarität, meinst du, wär das?… Unethisch? Du, ich hab mir da jetzt gar nicht so Gedanken gemacht, muss ich sagen, weil im Neoliberalismus hast doch eh… Einzelne Machenschaften, richtig, das find ich auch. Weil hast immer Schwarzlichtschafe in so einer … Du, nein, ich hätt da gar nichts geschrieben, weil muss sich eh eher die Justiz mit straffer Hand drum kümmern, denk ich, aber weißt … Kein Verständnis, meinst du? Ja, doch hab ich schon eins, weil schau, das ist halt wie überall auf der Welt: Wenn du erst einmal einen Lebensstil gewohnt bist, dann schaust halt, dass du den halten … Mafia, findest du? Nein so weit würd ich nicht gehen wollen, aber so eine Leasingrate will halt auch b… Nach denen die Sintflut, das stimmt, dabei hatten wir doch neulich erst … Kein Abstand, genau, du sagst es. Ach, Anstand? Verzeihung, es stürmt recht, glaubst du’s – von einem Tag auf den anderen ist Herbst, so schnell hast du gar nicht … Schnelle Runde Wilde Maus in der Mittagspause, das machst, das lockert alles wieder recht fein auf. Ade! … So, Verzeihung, also wo war ich? Verlust, genau. Also es war so, dass ich ja immer so schimpf über die Natur, dass die plötzlich so arg zu einem heimkommt anstatt gefälligst da zu bleiben wo sie hingehört, nämlich halt draußen, und selbst da nervt sie umeinander weil sie hat einen eigenen Willen, wo man sagt: Das muss nicht sein, und mit genau so einem Willen hat sich jemand meines Eigentums bemächtigt, wo du sagst: jetzt reicht’s! Weil von einem Tag auf den anderen war statt meinem Basilikumgebüsch auf dem Balkon plötzlich nur mehr Emmentaler im Kasterl, quasi Baluftikum. Hab ich geprüft und am Bäumchen gerüttelt und geschüttelt und aber statt Gold und Silber ist da ein Mordstrum Raupe rausgepoltert, und anstatt dass ich gehört hab auf was alle um mich rum geschrien haben: Hau’s davon, schneid’s entzwei, nieder mit dem Ungeziefer! hab ich’s in ein Glas gefüllt und genährt. Und da muss ich jetzt schon sagen: Beim Zuschauen wie schnell so ein dicker Raup Unmengen Kraut in kleine schwarze Kugerln verwandeln kann, da ist er mir ans Herz gewachsen, einen Namen hat er gekriegt: Gustl freilich, und ich dacht: Mei, des wird mein erster eigener Schmetterling! Kurz darauf hat er sich eingewoben, ganz niedlich ein Bett gebaut und zugedeckt mit einem Blatt, wirklich ganz fein – doch jetzt, was soll ich sagen? Kein Schmetterling weit und breit. Unterm würzigwohlen Federbett: nurmehr heiße Luft. Der kleine Freund zu Staub zerfallen, große Hülle, nichts dahinter. Naja. So ist das, wenn man auf dicke Hose macht. Raupe, mein ich.  

Meine zehn Plagen

 Wie viele Leben hat eigentlich so ein Mensch, frag ich mich grade. Alf hat sieben. Ah nein, das waren Mägen. Damit kann ich locker mithalten. Vielleicht ist es ja so, dass ich wie beim Super Mario in der Welt umeinanderflitz und hier und da ein Herzerl einsammel, das kommt dann auf ein Herzerlkonto und wird bei Bedarf dort wieder abgezogen. Oben auf der Wolke sitzt der Himmelvater, zupft an der Konsole und kichert. Das Lachen kann ihm gefälligst aber bald einmal im Halse stecken bleiben, weil ich find jetzt hat er seinen Herzerlvorrat fast ein bisschen überstrapaziert. Und meine Geduld auch, weil dass ich mich in Game 2020 den zehn Plagen aussetzen muss, war so nicht vereinbart. Ich komm ihm langsam dahinter, dem fiesen Hundling: Mücken und Geschmeiß haben wir bereits geklärt, eine Seuche haben wir ganz eindeutig auch. Als „Geschwür, das Blasen schlägt“ muss ich zwar widerwillig, doch einsichtig den Bienenstichvorfall zu Protokoll geben, der mich vergangene Woche vom schönsten Flussufer fort und akkurat hinein ins Notaufnahmebett gezauberwürfelt hat, weil ich sag einmal so: So schnell schaust du gar nicht, ist erst dein Gesicht und geschwind auch der Rest vom Köper ein schöner großer Teig, der in der Sommersonne geht, nur leider hast du keine Tomatensoße dabei und Mozzarella auch nicht, also hängst du die Hängematte schweren Herzens ab und stattdessen dich selbst an den Tropf. Es folgte dann ein Hagel, sintflutgleich hat es mich überrascht, als ich schön gemütlich im leichten Sommergewand fröhlich mit dem Rad von A nach B und dann auf einmal kurz vorm Ziel ist irgendwo ein Staudamm gebrochen, die Straße zum reißenden Gewässer geflutet, in der Mitte ich an andere Schiffbrüchige geklammert und Autos beim Bugwellenproduzieren und Menschen beim Surfen auf denselben bestaunt, weil einen Schirm hat man natürlich nicht dabei, wenn man als Ureinwohner der Insel der Glückseligen weiß, dass Gewitter prinzipiell von der Mühe absehen, über der Noris sich zu erleichtern, sondern lieber einmal vorher abdrehen und anderswo ihr Geschäft verrichten. Oder es ist auch eher wieder so eine biblische Sache: Noris teilt die Fluten. Da fragt sich aber schon, welches stolze Volk dann hindurchschreiten soll; die Clubfans ja wohl eher nicht. Die Wege des Herrn sind eben unergründlich. Jedenfalls also eins, zwei, drei, vier Plagen haben wir schon durch, als fünftes kam die Finsternis – zwar nicht über die Menschheit, wohl aber über mich. Oder ich in die Finsternis hinein, weil ich mich schon also wirklich pfeilgrad vom Radl hineinkatapultiert in eine Finsternis, so mit Effet downhill in die Spurrille hinein, wo du sagst: Lachen jetzt erstmal nur sparsam, bitte, und da kann jetzt auch der Herr noch so oft sagen, dass ich meine Hand gen Himmel recken soll – es langt nur bis auf Schulterhöhe, zumindest für den rechten Arm. Das ist bedauerlich, aber auf Anti-Corona-Demo wollt ich eh demnächst nicht gehen. Mal schauen was als nächstes kommt. Frösche fänd ich gut. Notfalls auch als Gummibärchen.

Freitag, 14. August 2020

Das jüngste Gericht

 „Es ist schon gut, …“, hab ich vorhin mit mir selbst gesprochen, mich einmal auf der Yoga-Matte gewendet, auf die ich versehentlich gefallen war weil sie lag auf dem beschwerlichen Weg zwischen Badezimmer und Balkon zufällig ungünstig herum, er-haha-mattet von der Wechseldusche, warm-kalt-warm-kalt-warm-kalt gegen schwere Beine, einmal stündlich. Kriegt man den Tag fei ganz gut rum, auch nicht schlecht; und dabei überlegt, ob die Genese dieses berühmten Grabtuchs da eigentlich auch unter klimatischen Gesichtspunkten erörtert worden ist, und ob es sich nicht auch einfach um ein Strandtuch handeln könnte, also meine Badetücher sehen grad auch historisch recht bedeutsam aus. Ausgeschlossen ist es nicht, aber ich denk, ich frag einfach einmal direkt beim Eigentümer. Der hat grad Bürgersprechstunde in einem schwarzen Kombi unten in der Straße, das find ich gut. Oder was genau heißt „JESUS IST HIER“? Und aber wenn ich ihn dann grad eh was frag, dann vielleicht nutz ich diese günstige Gelegenheit und interview ihn auch gleich zu seinem jüngsten Gericht, vielleicht fällt ihm was pfiffigeres ein als „Also du, was ich grad eh urgern ess ist einfach nur schnell ein Salat aus Wassermeloneschafskäsezwiebel mit ein bisschen Minze, das ist eh supersimpel und so irrsinnig erfrischend!“, könnt ja sein. Frag ich ihn einfach gleich einmal, weil werwiewaswiesoweshalbwarum wer nicht fragt bleibt dumm! „… schon gut, so ein Haushalt verliert einfach nichts. Höchstens vielleicht bündelt er manchmal ein bisschen effizienter als üblich“, hab ich ver-haha-sonnen von meiner matten Insel aus im PVC-Boden gerührt, der im sanften Morgenlicht zu einer feinen Suppe aus Chemie und Sommer kocht, ein bisschen Gras, ein wenig Stroh, gelegentlich quillt ein Stückchen Picknickdecke aus den Wogen hervor, man freut sich, da bist du also!, doch ehe man sie zu fassen kriegt, kommt eine Böe aus Staub und Bikinihose auf dem lang vermissten linken Flipflop angesurft und verschwindet sogleich in den Bodenwellen, aus denen kurz ein Stückchen Käsebrot mit Apfelgrieb hervorspitzt um titanicgleich senkrecht wieder abzutauchen, während im Nebenzimmer deutlich hörbar ein Staudamm reißt und sich die Mure aus Kleidchen und Höschen, Hemdchen und Röckchen, aus kühlendem Leinen und luftiger Gaze und ganz und gar überflüssigen Stoffen jedweder Couleur ihren Weg hinab ins Tal bricht, in dem ich mir aus Zeitungsprobeabos verschiedenster Form und Farbe, doch allsamt klugem Nimbus ein Blätterdach zu konstruieren suche, um dort im Schatten dösend auf den St. Nimmerleins- oder wenigstens Martinstag zu warten, gehüllt in kühlende Kohlwickel mit einer feinen Schicht Buttermilch bestrichen, deren trockene Brösel kaolinsandgleich im gleißenden Augustlicht glänzen und an deren Ufern winzige Tiere sich winzige Buttermilchbröselburgen bauen, in die sie sich legen und der Brandung meines Schweißes zu lauschen. „WAF MACHFFTN DU DA?“ ruft meine linke Gehirnhälfte der rechten zu, im Mund versehentlich eine Packung Erbsen, es ist eng in der Tiefkühltruhe. „Ich wart aufs jüngste Gericht!“, antworte ich. „Ich hoffe, es ist nichts mit Melone!“ Ein Schwarm Schwimmbadpommes gleitet gemächlich auf einer Sonnenölspur an mir vorbei. Es ist Sommer. 


Freitag, 7. August 2020

Willkommen bei MückDrive

 Mit den Wünschen ans Universum ist das so eine Sache, weil kaum passt du einmal nicht gut auf und das Universum hat grad einen sauguten Tag, schon erfüllt es dir nicht nur die kühnsten Träume, sondern setzt auch noch das Sahnehäuberl obendrauf, wegen gönnerhaft. Jetzt stell dir vor, du wünschst dir: Ich möchte eins werden mit der Natur, wegen der neulich erwähnten überbordenden Liebe; schon sagt das Universum: he super, das machen wir doch glatt, und zack bist nicht nur du eins mit der Natur, sondern die Natur auch sehr eins mit dir. Und dann hast du den Salat, wahlweise darin eine kleine Schnecke, die dir süß entgegenzwinkert. Zuletzt ist viel Natur eins geworden mit Freunden um mich herum und hat ihnen dabei gleich noch eine Mordsgaudi beschert, nämlich schaust du eher blöd (aus), wenn dir auf dem Radlweg zum Schwimmvergnügen eine Biene in den glücksweit offenen Jubelmund hineinfliegt, und auch eher sagen wir schwierig für die Gesichtserkennungssoftware ist, wenn der Weps halt auch ein schönes Bad in deinem Radler nehmen wollt; und dann schaust du einmal kurz nicht hin und: zack, Chiara Ohoven. „Au weh, dich hat’s aber sauber erwischt, ha?“ sagst du dann mitleidig, und aus dem Gesichtsschlauchboot nuschelt’s „Nein, wieso, das liegt vielleicht an der Haarfarbe.“ Ich selbst bin erst gestern nur sehr knapp einem schweren Schicksal entkommen, nämlich hab ich mich sauber hineinplatziert in so ein Gartengrün, nicht etwa wegen der Contemplatio, sondern ordentlich Gespräch, und während ich so horch und nick und frag und schreib zwickt’s mal hier ein bisschen und mal da und Wuseln aus dem Augenwinkel, aber hochkonzentriert den Blick nicht abgewendet von der Erzählperson, und ehe ich‘s mich verseh ist der Fuß samt luftig-offenem Sommerschuh teilintegriert in den jüngsten Anbau vom ortsansässigen Feuerameisenstaat. Ich sag einmal so: Riemerlsandalen hab ich in den nächsten Tagen eher nicht an, schätz ich. Derweil links die Mauke abschwillt, beobachte ich gespannt, was rechts so passiert, denn wo neulich noch ein kleiner Zeck, ist jetzt ein feiner Biss. Irgendwo. Ich seh ihn nicht genau, fügt er sich doch freundlich ein ins Mienenfeld der Mückenstiche. Du kommst ja grad nicht aus. Setzt du dich nach getanem Werk entspannt ans Ufer und dankst dem Herrgott für die neue Wasserwelt, schon wird der Blick dir trüb erst vom Fäkal und dann dem Blutsaugwolkenvolk. Entfliehst du in Feierabendsportlichkeit der Stadt, so darfst du nie, nicht auch nur eine Sekunde rasten, denn sobald du auch nur nach der Wasserflasche greifst, stürzen sich die Schnaken auf dich wie Piranhas und zerfetzen dich in tausend Stücke. Bei dem Bohei im Wald aus Mückensicht freilich sehr praktisch. „Was geht heut?“, sagt der eine Schnak zum anderen. „Noch nichts.“ – „Ja, geil, dann lass jucken, Kumpel!“, und man stellt sich lässig an die Radwegkreuzung und wartet auf den Schwitzemensch, um dann beherzt zuzugreifen. MückDonald’s, quasi. Oder um genau zu sein: MückDrive. 

Freitag, 31. Juli 2020

Löffelchen voll Zucker

Erinnerungen aus der Kindheit: „Why do you always complicate things that are really quite simple?“ schimpft Julia Poppins, nimmt Marcus und die Kinder an die Hand und, 1-2-3, schlüpft mit ihnen aus dem Nieselgrau des Parks hinein ins pastellbunte Märchenbild, wo man sich – klopfklopf! – den Kreidestaub vom Sonntagsrevers bürstelt und hineinschwuppst in die Zauberwelt. Und damit nicht genug! „I thought you said there was a fair!“ echauffiert sich prompt der kleine Lorenz, und „Yes, I did!“ weiß Marcus: „Down the road behind the hill!“ – und sogleich spaziert man, aufgeregt umflattert vom niedlich-tumben Vöglein, beschwingt hinfort, um auf dem Weg zum Rummel allerlei vergnügliche Begegnungen zu verzeichnen und wohlig zu vergessen, dass irgendwo im Hinterstübchen eine gänzlich unvergnügte Anderswelt sich unbeeindruckt weiterdreht. Warum mir diese Episode grad einfällt, weiß ich nicht so recht, mir schwant zudem, dass ich die Namen durcheinanderbring, aber holladrio: es ist egal, denn ich tanze glücklich durch die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten und freue mich. „Was ist mit dir los, bist du verliebt?“, fragen mich Passanten, die ich um- weil abständlich umarme, und ich sing „Jawohl!“ und kratz mich kurz am Hinterkopf, ein kleiner Schorf sitzt da, wo neulich noch Frisur war, ich weiß nicht genau, was da passiert sein könnte, aber hey: Lobotomie ist längst verboten – glaube ich. Oder doch alles nur ein Traum? Ich weiß nicht, denn es ist so sehr verwirrend und gleichwohl so herrlich schön. Geh ich durch die Straßen, seh ich märchenhafte Kreidebilder, sitzen Menschen vergnügt zusammen, wo bis neulich noch Autos zwingend haben wohnen müssen, weil sonst stirbt irgendwo auf der Welt eine kleine StVO. Totgeglaubte Pilsspelunken schmücken graue Straßen mit Blumen, Liebe und Pizzaduft; in sepiaweichen Zauberbildern nippen ordentlichfrisierte Rentnertruppen entzückt an der Erfrischung, gereicht aus dem pittoresken Backsteinhäuschen, das neulich noch ein heikler Technoschuppen war; ein junger Mann dreht servile Runden ums beigegewandtete Quartett anstatt nächtlich an den Plattentellern; steinalte Ladies schlürfen heiter am Likör, den der mit schnellen Pinselstrichen zum Connaisseurstreffpunkt vor Bilderbuchkulisse camouflierte Hiphopschuppen zuvorkommend kredenzt; Musik ist hier verboten, dort erlaubt, und wer mal etwas neues ausprobieren will, der braucht das richtige Zauberwort, über das in Gässchen, Wäldchen, Hinterhöfchen das Gerücht spazierengeht, „Kultur“ sei’s eher nicht, aber was wissen diese Gässchen schon? Vielleicht funktioniert supercalifragilisticexpialigetisch, man müsste das mal ausprobieren. Die Gelegenheit scheint günstig, denn zwar ist im Alles-möglich-Sommermärchen mein der alte Traum vom Schlepplift hinauf zur Kaiserburg nicht wahrgeworden, doch gibt es jetzt extra eine hübsche Hebebühne, mit der jeder, der es wagen will, sich ganz hinauf ins oberste Rathausgeschoss gondeln lassen und Zauberworte nebst vieler Wünsche ins offene Fenster hineinmegaphonen kann. Komisch nur, dass auf diesem neuen Angebot zum Bürgerdialog „Star of Berlin“ steht. Muss doch ein Traum sein. Oder Fehler in der Matrix. Aber wenn ein Löffelchen voll Zucker bitt‘re Medizin versüßt, rutscht sie gleich nochmal so gut! 

Freitag, 24. Juli 2020

Running Uschi

„Alles ist gut, wie es aus den Händen der Natur kommt!“ hat schon der JWG geschwärmt, und auch 200 Jahre später haben das wieder viel mehr die Leute erkannt, schöne Natur, weil wo haben sie denn hinsollen wie die Kultureinrichtungen zu haben müssen sein? Weil wenn du nicht ins Kino kannst oder ins Burgerlokal oder in die Spielhalle, dann wird’s halt eng irgendwann daheim, und schon musst du in die Natur, weil wenn man in der Stadt bleibt ist auch nicht recht. War ich mehrfach im Fahrradgeschäft in den letzten Wochen, also jetzt nicht eins wo du sagst: Liebhaberstücke im Schaufenster und wenn die drei Radln weg sind, sperren wir zu und zählen Scheine, sondern so Fahrraddiscounter: Tag- und Nachtzeit egal, es ist immer alles vorrätig. Da bin ich dann gestanden mittig von sehr vielen blanken Podesten und hab mich nicht getraut nach einer Verkaufsperson zu rufen weil das Echo in der leeren Halle hätt nie wieder aufgehört. Leergekauft, weil wegen der Natur. Die Natur musst du dann aber schon gewaltig aufmerksam suchen, weil da wo neulich noch Natur war, ist jetzt der Städter, noch im allerhintersten Eck wo du sagst: zum Glück hab ich noch ein Gelbwurstbrot dabei weil vor in zehn Stunden find ich hier kein Wirtshaus, da bricht auf einmal die Stadt durchs Unterholz, gut erkennbar am hochpreisigen Outfit für auf alle Witterungs- und Wetterlagen, die so möglich sind zwischen ungefähr Neapel und Tromsø, und gern einmal mit einem Geschoss zwischen den Käsebeinen, wo du sagst: vielleicht lieber erst einmal in der befestigten Geraden üben anstatt hier mal schnell zum Aufwärmen zehn Kilometer Wurzelweg bergaufgeschanzt. Jedenfalls passiert da grad so ein gewisser Verdrängungseffekt, hab ich mir überlegt und meine Balkonblumen angeschaut, eigentlich mehr imaginiert, weil da wo ich einmal schöne Blütenpracht hineingegärtnert hab hängen jetzt dicke saftige Reben von Lausfamilien, ganze Plantagen in grün und braun und schwarz. Manche fliegen auch, manche schillern, es ist schon schön mit dieser Natur. Oder man tauscht einfach den Lebensraum, weil wenn kein Platz mehr ist in der Natur für die Natur dann sucht sich die Natur halt ein neues Daheim und während die Stadt dann im Pegnitztal umeinandertrampelt und den Reichswald verdichtet, kontempliert das Wildschwein über den Hauptmarkt und schleckt ein Eis im historischen Schottergarten, da hat’s ja jetzt genug. Ich hab neulich schon unverhofft Natur gesichtet, nämlich hat doch der Stadtobervogel, also der im Rathaus drin, nicht der von außen dran, Eulen freigelassen, als Freunde für die Gans oder so, ich weiß nicht. Und ich glaub pfeilgrad die sind dann im Park gesessen! Erst hab ich mich gewundert. Und dann gedacht: Es ist eh seltsam, weil wenn ich ein Raubvogel wär und die Wahl hätt zwischen einem Flitzehasen und so einem Gradelaufenlernzweibeiner, da tät ich persönlich mich ja nicht für das flinke mit dem vielen Fell entscheiden, derweil nebendran das Abendessen gemütlich umeinanderpurzelt. Running Uschi. Aber dann ist wahrscheinlich wieder nicht mehr so recht mit der Natur.

Freitag, 17. Juli 2020

Tückendeutsch und Coronapolizei

Gestern hab ich schönen Film geschaut zu einem schönen Buch vom sch… naja, also vom guten Herrn Regener: Magical Mystery, 90er Jahre, Raven, lustig. Das aber nur so als Rahmenhandlung weil worauf ich hinaus will ist, dass da die zwei Spezln gern einmal sich gefrotzelt haben und wenn dann mit einem die mundartliche Schnodderschnauze durchgegangen ist hat der andere nett geschaut und gesagt „Kauf dir mal ne Tüte Deutsch!“ und dann hatten sie sich wieder lieb. Ich mein, das kannst du jetzt heut wahrscheinlich so nicht mehr kultivieren, wegen der vielen Befindlichkeiten und der vielen Bürgerwehren und der Sprachpolizei, und das kannst du blöd finden, eh klar. Du darfst es auch sagen, immer her mit der Meinung, so lange sie noch flexibel zum Urteil bilden taugt. Jetzt nicht mehr Meinung, sondern schon Urteil ist, dass ich grad haben sagen müssen: Es ist schon ein sehr kluges Deutsch, dieses Deutsch, weil es achtet sehr umsichtig auf eine Vermeidung von Missverständnissen, jedoch bedarf es halt auch einer umsichtigen Handhabung, wo du sagst: Führerschein wär gut. Es darf ja auch nicht jeder einfach so weil er grad lustig ist Auto fahren oder Gewehr oder stell dir vor wie die Welt ausschauen würd es tät einfach ein jeder wie er grad Lust hat ein bisschen Frisör spielen oder Nagelkünstler (Achtung, hier ist nicht der Pick-Up-Artist gemeint). Oder Tattoo. Wobei, wenn ich mich so umschau … Naja, also jedenfalls sorgfältig arbeiten oder gleich Schlamperei mit Absicht und dann zurücklehnen und schauen, was passiert: Das entspricht ungefähr meinem System. Das kann sich aber halt nun nicht jeder erlauben, und deswegen musst du manchmal lieber schon dreimal nachdenken und prüfen, ob du grad einen Satz gedrechselt hast, in dem schön alle Wörter in der richtigen Reihenfolge stehen und auch aus der Reihenfolge die richtigen Kasusse (das ist Neudeutsch für „Fälle“, also Wer-Fall und Wen-Fall und so) sich ergeben haben. Ganz zufällig hat es sich ergeben, dass eine entfernte Bekannte – auch schon wieder diffizil, weil erstens ist sie eigentlich mit circa 500 Metern Nachbarschaft relativ nah und noch dazu recht prominent, also müsste es eigentlich heißen: eine nahe Bekanntheit – zu einem Dichtfest eingeladen hat und die Party trägt den Titel „XY kommt ins Literaturhaus und niest“. Na Moment, zefix und kreizdeifi, jetzt bin ich mir selber auf den Spaghettifingerleim gegangen! Stopstopstop, Coronapolizei bitte wieder einrücken, es ist alles gut, ich hab mich nur vertippt! Wirklich ich schwör, es ist alles in Ordnung! Da siehst du mal, was du anrichten kannst mit so einem unsachgemäßen Deutschgebrauch! Eigentlich wollt ich sagen: „XY kommt ins Literaturhaus und liest“, und da kannst du gut erkennen, wie wichtig das alles nicht nur mit den Buchstaben ist, sondern auch mit den Wörtern und den Kasussen, weil man kann eben nicht einfach alle Satzzutaten auf den Tisch würfeln und dann fallen die Infos schon an die richtige Stelle. Ihr könnt’s ja mal ausprobieren. Ich lieber nicht, weil sonst erscheint dann hernach zu dem Dichterfest nicht nur die Coronapolizei, sondern auch noch der Jugendschutz. 

Freitag, 10. Juli 2020

Kleine Runde mit Einkehr

In einer Zeit vor unserem Land hatte ich mal ein unfassbar kompliziertes Wort gelernt, das so unfassbar und nie dagewesen kompliziert und verwinkelt ist, dass es sich offenbar als rosagraufarbene Wurst getarnt und in meinem Kopf versteckt hat, so dass ich es leider nicht mehr finden kann. Das aber das Phänomen benennt, dass derselbe Mensch dasselbe Ding, dieselbe Info, zu aufeinanderfolgenden Zeitpunkten unterschiedlich rezipiert, je nachdem, wie es ihm in der Zwischenzeit so ergangen ist. „Zeitinkonsistente Präferenz“ ist es nicht, das nehmen wir ein andermal durch. Also beispielsweise weil ihr wisst, die Wasmeierin war unlängst in der Einöde und hat dort meditiert, lest ihr „kleine Runde mit Einkehr“ und assoziiert mich still auf einer Bank sitzend, Blick in die Ferne. Dann im nächsten Schritt kommt aber die Info, dass ich ja ein großer Radlfahrer b… Moment, Begriffsklärung, weil im Baierischen Wörterbuch steht „Radlfahrer, der [ràdlfarà]:  jmd., der sich Vorgesetzten gegenüber unterwürfig verhält und Untergebene unterdrückt; Arschkriecher, Schleimer“. Also ich mein schon das mit Reifen und Bewegung, also wirklich wo du sagst: Da schau her!, und um meine Bedeutsamkeit auch im Straßenverkehr zu demonstrieren hab ich neulich extra einen großen Trick angewendet, der es mir erlaubt hat, meine Ankunft mittels Schiffshupe anzukündigen, einmal um den Södersee herum am schönsten Sonntag hab ich gehupt und mir majestätisch Platz verschafft. Halt bis die Scheibenbremsen wieder trocken waren nach der Gartenschlauchabspritzung. Die war nötig, weil vorher hab ich mich persönlich weiterentwickeln dürfen und mit Demut Neues lernen. Rückblick: „Sag. Malbitte. Was. Ganzwichtiges!“, hatte ich Stunden zuvor aus Lungenflügeln gepresst und dabei das gleiche Geräusch gemacht wie die Biergartenschaukel nebendran. Wie ein Windbeutel war ich vom Radl gefallen, Gehen kaum möglich, hüfthoch der Schlamm zum Korsett getrocknet. Mit langem Strohhalm hab ich am Isotonischen genuckelt, links und rechts nutzlos Arme baumelnd. „Kleine Runde mit Einkehr“ hatte es geheißen gehabt, und ich, augenrollend, „also da vorn zum Biergarten und zurück oder was?“, motzmotz. Es folgte eine Lektion Demut, weil „da vorn der Biergarten“ war 50 Kilometer weg, und nach 30 Minuten „ein bisschen Technik zum Aufwärmen“ wollte ich: nach Hause, liegen, atmen, doch statt zurück gings weiter vorwärts, will sagen: bergaufwärts und zwar nämlich sogenannte Wege, wo ich sag, die wär ich nicht mal abwärts nicht einmal GELAUFEN, irrsinnigste Strecken weit und nochmal weiter, fernab jeglicher Menschheit, so dass selbst wenn ich mich einfach heimlich hätt vom Radl fallen lassen, es hätt mich nie jemand heimgetragen weil schlichtweg nicht gefunden, und ich deswegen Übermensch, Joey Kelly nix dagegen! Echt wahr! Jedenfalls also ich, blasebalgend: „Es. Wäre. Schonwichtig. Zu. Wissen. Ob. Jetztdas. Diekleine. Runde. Miteinkehr. War. Weil. Danntätich. Von. Der. Teilnahme. An. Dergroßen. Runde. Miteinkehr. Eher. Lieberabsehen.“ Versteht ihr, wie ich mein? Also wie heißt jetzt dieses vermaledeite Wort?

Freitag, 3. Juli 2020

Skilling me softly

Zum freien Tag ein Lieblingssatz: „Man muss seine Mitarbeiter empowern und educaten, um die News of the Day zu sein mit dem Shared Content, da ist das Engagement auch Soft Skill.“ Falls sich jetzt grad maiköniginnenkranzgleich die Fragezeichen um eure Köpfe ranken oder wie die dicken Junikäfer sich im Haar verheddern: Keine Sorge, geht mir auch so. Was ich grade noch versteh ist „Soft Skill“, weil davon hab ich viel. Jaja, wegen wenig Sport zuletzt, schon recht, ihr Lästerzungen, aber ich mein’s ausnahmsweise anders. Beharrlichkeit, Leidenschaft, Überzeugungsvermögen, Teamspirit sind quasi Vornamen, jedoch – und jetzt wird’s traurig: Statt stets zu applaudieren und Lorbeerkronen anzureichen kultiviert mein Umfeld eine Haltung stiller Duldsamkeit, gelegentlich tätschelt man mir milde lächelnd auf den Hinterkopf: Hauptsache, sie ist von der Straße weg, raunen sie sich zu und simulieren vornherum Begeisterung. Das klingt dann so: „Wie viele von diesen Gläsern muss man eigentlich haben in einer Wohnung?“ und deutet auf den Ort, den dem ich mit großem Forschergeist und Glück Meersalz und alte Gurkengläser zu Windlichtern kombiniere, wie ich finde: zauberhaft! Zu Weihnachten konnt ich die Menschheit schon reich beschenken, dank neuer Bastelzutat ist aus der Winter- jetzt die Sommerkollektion geworden und die Produktion hochgefahren, die Freunde können’s kaum erwarten. Glaub ich. Warten müssen sie jedoch sehr wohl aufs zuletzt angepriesen Projekt, nämlichst „Ich bau jetzt Vogelfutterhäuschen aus altem Geschirr für euch.“ Sagen wir so: Feinstes Porzellan im Stile des Gelsenkirchner Barock hab ich daheim, auch Schraubenstangenallerlei im Gegenwert von circa 500 Packungen Meisenknödeln ist längst erworben. Allein es ist bislang beim Prototyp geblieben, dessen Präparierung zwei Menschen drei Stunden, zwei Bohrköpfe, ein Holzbrett und vier Staublungen gekostet hat. Wenn Porzellan härter ist als Stahl frag ich mich, was da bislang in meiner Hand so zahlreich zu Bruch gegangen ist. Jetzt also wieder niedrigschwellig, und dank Bayern 1, dem steten Quell avantgardistischer Inspiration, in jedem Sinne zeitgemäß. „Kaum löst man vier Kilo Zucker in zwei Liter Wasser, schon hat man fünf Liter Flüssigkeit – seltsam, hm?“ hat mein persönlicher Live- oder eher: Life-Kommentator klug kalkuliert und mir schweigend einen neuen Lappen angereicht und den alten, zu einem großen Bonbon versteinert, hilfsbereit entsorgt. Es gibt jetzt Holundersirup. Zumindest noch den Rest, weil ganz womöglich hab ich beim Einkochen eine wirklich sehr winzige Sekunde kontempliert und danach einen kleinen Vorfall von Zuckerbäckerei in Herdplattenritzen gehabt, nicht der Rede wert. Aber einen Ohrwurm: „Skilling me sooooftly with this song telling my whole life with this words skilling me softli-hiieeee …“

Freitag, 26. Juni 2020

Onlinezerberus

Alles klar, Leute, mein Tag ist gerettet, heut kann mir keiner mehr was, ich hab mich vor fünf Minuten in Siegerpose geworfen, Schultern zurück, Brust raus, und so ein kleines Hockerl zum Umschnallen, damit ich immer und jederzeit ein Bein in antiker Heldenmanier hochstellen kann, beim Bäcker beispielsweise oder dann auch beim Metzger, und dann blendet der Heroenglanz in alle Richtungen und dann Aerosol, aber halt mit Liebe, also so wie der alte Grenouille damals mit dem Bacchanal-Parfum; wobei da fällt mir ein, da haben die Betörten den Helden am End verspeist, das wär mir dann doch nicht recht. Mir würd langen, wenn der Metzger mir einfach blind ein Radl Gelbwurst rüberreicht, aber halt ein dickes, eher so Ranken. Woher der Stolz? Klare Sache: Bestellen im Internet und so, wir wissen’s, ist unethisch, unökologisch, ganz viel Wort mit „un“, nämlich über kurz oder lang auch un-erlässlich oder un-vermeidbar, zum Beispiel, weil ein äußerer Umstand dich zwingt, alle Prinzipien über Bord und in die Onlineshoppingmeile zu werfen, sagen wir, also rein zwengs der Anschauung: Schuhsonderangebote. Damit das alles nicht so leicht und mein Umgang mit der Angelegenheit nicht zu sorglos wird, habe ich einen privaten Aufpasser, meinen höchstpersönlichen Zerberus am Tor der Versuchung, der mich aufhorchen lässt, innehalten und kurz kalkulieren, ob das wirklich sein muss: Zitternd vor Furcht schwebt der Finger über dem finalen Klick. Denn es droht: Markus. Markus zeichnet sich aus durch überbordende Fröhlichkeit, ein beeindruckend loses Mundwerk sowie ein sagen wir mal wohlwollend: flexibles Grundverständnis dessen, was man landläufig unter „Höflichkeit“ versteht, was sich brisant kombiniert mit seinem Hang zur Frühschicht auch am Wochenende und dem unbedingten Willen, Pakete korrekt auszuliefern. Im Ergebnis hat sich über die Jahre eine platonische, doch durchaus den Odeur des Sadomasochisme verströmende stockholmsymptomatische Abhängigkeitsbeziehung entwickelt, wobei die Abhängigkeit klar auf meiner Seite zu verbuchen ist, weil es in dieser Liaison exakt eine Person gibt, die sich morgendlichen Unverschämtheiten aussetzen muss, deren Inhalte ich hier nicht wiedergeben kann, weil ich sag mal: meistens nicht ganz jugendfrei und in der Tendenz eher nicht so, dass man nachher sagt „Ach mei schön, so sollte jeder Tag beginnen.“ Sondern eher so, dass man am Freitagabend um 21 Uhr mit Gurkenmaske ins Bett geht, um tags darauf beim Hahnenschrei aufzuschrecken und sich in Feststaat zu schmeißen, inklusive Frisur und Abiballmakeup, weil eine Email die Ankunft des Pakets zwischen 8 und 16 Uhr angekündigt hat, was für mich bedeutet, es klingelt gegen 7. Sturm. Dann: Herzrasen, Tür, unflätiger Kommentar XY (Frisur, Nachtgewand, Schlaf), Tür, Herzrasen, Scham, Embryonalhaltung, Zittern, Atemübung. Seit heute neue Ära. 8.15 Klingel, ich: „Hallo mein Schatz, endlich kommst du! Ich warte seit zwei Stunden auf dich und überlege dabei, ob ich dir nicht mal einen Zeitungsbeitrag widmen sollte. Was meinst du?“ Die Antwort fiel ungewöhnlich wortkarg aus. Ich sag mal so: Ab heute leb nicht mehr nur ich in steter Angst … Muahahaa … Noch jemand Gelbwurst?

Freitag, 19. Juni 2020

Lokusliste

Manchmal geht man heim zu Eltern, und in manch so einem Elternklo hängt er: der ewige Geburtstagskalender, zeitlos, immerwährend, manche Tage vielfach befüllt bei Häufung von Jubilaren, andere Felder bis zur Unkenntlichkeit ausradiert wegen Zwist, auf jeden Fall fein säuberlich dokumentiert, so dass man beim Geschäftverrichten stets memorieren und planen kann. Ich täte gut daran, so eine Lokusliste auch zu führen. Wozu?, schreit ihr, es gibt doch Facebook, Google, Instastory! Doch das ist freilich so korrekt wie kaum verlässlich. „Und was hast du am Donnerstag gemacht?“ frug ich die Nachbarsfreundin am Mittwoch, und sie: „Geburtstag gehabt.“, was mir vollumfänglich unbekannt weil mangels Social Media nicht im Internet verzeichnet war. Bebend vor Scham hab ich später eine Datumsnotiz gemacht und mich gefragt, warum das wohl so ist, dass man manche Geburtstage (den eigenen) nie vergisst, andere (alle) dafür sehr wohl. Und warum ich mich eigentlich überhaupt noch wundere. 
„Nein, das Highlight war vor vielen Jahren, als du mir um 23:55 Uhr am 6. Juni ‚gerade noch ganz knapp‘ per SMS gratuliert hast!“, hat man mir vor sehr kurzem erst ein Widerwort und zum ultimativen Beweis die Dokumentation besagter Korrespondenz gleich mit dazu gegeben. Die datiert auf 2011, und man müsste das alles gar nicht so eng sehen, wenn der Mensch nicht am 7. Juni und ich in diesem Jahr zum wiederholten Male gezeigt hätte, dass ich vom Geburtstag dieses einen wirklich überhaupt keine Kenntnis, wohl aber ein ziemlich gutes Bauchgefühl habe, das mich rund um den großen Tag in Alarmbereitschaft versetzt und mit dem ich ihn und allen voran mich selbst Jahr für Jahr aufs Neue überrasche. Ausschnittsweise zu rapportieren wären da nebst zahlreicher korrekter Treffer, auf die ich hier ausdrücklich bestehen möchte, nämlich noch diverse Pfosten- oder Lattenschüsse, manchmal auch ein Aus und gelegentlich hab ich vielleicht auch einmal die Sportart verwechselt, sprich Base- statt Fußball. Weit übers Ziel hinaus. Mit einer Trefferquote von 5:1 (konservative Schätzung) gratuliere ich zum richtigen Datum. Meistens nachträglich. Gelegentlich gar nicht, sondern rufe „einfach mal so an um zu hören wie’s dir geht“ (Bauchgefühl), um dann nach einer halben Stunde Plausch fröhlich aufzulegen. Und später verdutzte Nachrichten zu erhalten, in denen sich freundlich nach meinem Geisteszustand erkundigt wird. Dieses Jahr also Königsklasse: OGOTT es tut mir SO LEID! hab ich gefleht und zum Beweis ein Bild von regengrauem Gebirgsgipfel angehängt: Zählt das als Ausrede? Er: Schönes Bild, aber was tut dir leid? – Haha sehr lustig, bitte verzeih mir! Ich hasse mich selbst! – Ich verstehe kein Wort. – Jetzt sei nicht so grausam! – Bist du betrunken? – Es ist 10 Uhr. – Dann hast du wohl einen Namen verwechselt. … Tja, naja. Hatte ich nicht. Dafür die Kalenderzeilen. Und deswegen dem Jubilar eine Woche zu früh einen Tag zu spät unterwürfig nachträglich gratuliert. Er sagte dann, er betrachte das mittlerweile als Teil der Geburtstagstradition und freue sich schon darauf, womit ich ihn kommendes Jahr überrasche. Sagen wir mal so: Ich mich auch. Lokusliste ist was für Spießer.

Samstag, 13. Juni 2020

Das Mädchen mit den Feuerhänden

Stimmungsmacher zum Wochenende: Ich finde, es ist nicht alles schlecht dieser Tage (und ich verzichte hier bewusst auf die längst mit einer ordentlichen Schicht Schimmel überzogene, doch nimmermüd bemühte Floskel der Einfallslosigkeit. Ich WEIß, dass Corona ist!), zum Beispiel hab ich in den Draußengastronomien meines Vertrauens schon lang nicht mehr fragen müssen am Nebentisch ob’s vielleicht noch ein Keks oder ein Platz im Gräberle daheim sein darf oder ob dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe jetzt langsam einmal Genüge getan wär. Dann hat auch schon lang keiner mehr blöd geschaut wegen vielleicht hat man gelegentlich einmal ein etwas lautes Sprechorgan, sondern ganz im Gegenteil schaut man grantig wenn man in normalleisem Höflichsprech am Ladeneingang nach der Notwendigkeit eines Einkaufswagens sich erkundigt und erntet Dankbarkeit und Verständis in der Bäckerei für ein beherzt hinaustrompetetes „EIN. HALBES. GEWÜRZ. BROT. BITTE. IM. GAN. ZEN. DANKE!!“ Und dann ist auch schön dass man manchmal einfach nicht angeschaut weil nicht erkannt wird und das tut oft dem Seelenheile gut, zum Beispiel weil du einfach einmal nicht in ein nettes und ach du so lang schon überfälliges Gespräch verwickelt wirst, wenn du doch einfach nur einmal kurz in der Drogerie die neuesten Entwicklungen im Einlagen-Segment studieren hast wollen, oder weil wenn der Ex-Kollege an dir vorbeistrawanzt dann kannst du einfach völlig unbescholten einmal deiner lang unterdrückten Zornesmeinung freien Lauf lassen, zumindest in stillen Grimassen untenrum, während du oben unbeteiligt über deinen Maskenrand diplomatisierst. Auch find ich schwingt überall so ein Hauch von Erotik in der Luft, weil wenn du bloß noch schauen kannst, ob die Augen lachen oder schalken oder wüten oder schnippen, dann ist der Rest reichlich egal, wo du sonst vielleicht gesagt hättest: Ja du, lass mal gut sein, weil vor lauter Ungesicht und Unzahn und Unfrisur und vielleicht auch gern noch so ein Hauch von weißgetrocknetem Mundwinkelspeichel bist du vom gewitzten Augenspiel oft abgelenkt. Bald wird der RTL das Potenzial erkennen und ein Fernsehgschichterl daraus schnitzen oder auch Pro7. Dann find ich dieses Abgewische auch vorzüglich, Einkaufskörbe und die Wagen und wegen mir könnt eigentlich gern auch zum Beispiel in der U-Bahn immer ein Hygienepersonal mitreisen und nach jedem Stop Haltgestänge und Türen wischen so wie ja im Wirtshaus auch, und ganz plötzlich bleibt man gleich viel weniger mit den Unterarmen am Tisch kleben wie die Fliege an der Falle, ich find das super, und die Alkoschnüffler unter uns sind dank Desinfektion auch recht ausgeglichen aktuell. Jedoch: Neulich war ich Ladenhoppen wegen dringender Produktsuche. Mehr Zeit als mit Regalschau hab ich damit verbracht, Mittelchen auf Hände zu verreiben. Nach der zehnten Substanz hab ich mich gefragt, wann es wohl zu einer chemischen Reaktion kommen wird. Dann wär ich das Mädchen mit den Feuerhänden und endlich berühmt. Danke Corona! 

Freitag, 5. Juni 2020

Stille Einkehr mit Fragestunde

In vorauseilendem Gehorsam war ich übers lange Wochenende dort, wo mich gelegentlich gern mal jemand hinschicken würde. Gut, eine Wüste hab ich da nicht entdeckt im Bayerischen Wald, eher satte Wiesenfelder, eine Drogenberatungsstelle hab ich auch nicht auf Anhieb gefunden, dafür viele feine Wirtschaften, die aber wirklich auch sehr kompetent beraten haben („Blutwurz zündma an, Bärwurz eher nicht“), und einen Pfeffer hab ich auch nicht wachsen sehen, aber vermutlich hat das an der Gewitternebelwolke gelegen, die privat und exklusiv um mich herumgewickelt auf einem jedem Ausflug dabei war. Einen Gipfel hab ich darob auch nicht gleich erspäht, gleichwohl ich ihn erklommen habe, also eigentlich erklammt, weil es hat nämlich aus meiner Wolke einen Eissturm getan und Nieselschnee auch, und so bin ich dann dankbar in einem warmen Wirtshaus gesessen und hab geschwiegen. Stille Einkehr, quasi. „Es ist fei schon beeindruckend“, hat der Gegenübersitzer dann bemerkt, „wie viel vom Opa da immer noch überall dabei ist.“ – „Wieso jetzt das?“ hab ich gefragt und dabei weiter sorgfältig meine Runden gedreht, nämlich mit drei Bierdeckeln freischwebend aneinander entlang umeinander herum ohne dass eins runterfällt, Schwierigkeitsstufe Profi wegen ovale Filzerl statt runde; das ist jetzt schwierig zu erklären, ich zeig’s euch einmal. Halt so wie’s der Opa mir beigebracht hat. Auch hat der Opa immer so Hefterln herumliegen gehabt, wegen der vielen und sehr ansprechenden Kreuzworträtsel, hat er immer gesagt. Wegen der vielen Damen darin, in Wahrheit, hat die Oma immer gesagt, und deswegen hab ich die Hefterln nicht anschauen dürfen. Deswegen eh klar: Immer hab ich gewusst wo aus Versehen noch eins rumgelegen ist oder vielleicht einmal unter ein Regal gerutscht oder im Keller eins vergessen worden war, und ganz besonders spannend war darin überhaupt gar nicht die viele Haut, sondern die sehr tolle Gesundheitsberatungsrubrik, das hab ich auch gleich erkannt wegen dem anderen verbotenen Schmuddelheft, nur dass da nicht der Dr. Sommer geantwortet hat sondern die nette Frau Barbara. Um einen Rat hat man sie fragen können und aber auch sehr persönliche Dinge, und dann hat die Frau Barbara eine sehr nette ausführliche Antwort gegeben und beides ins Schweineheft gedruckt, so dass ein jeder hat teilnehmen können. Und da hab ich gedacht, das wär vielleicht schön, wenn ich das auch haben könnte, weil immer im stillen Kämmerlein, das ist doch nichts, man muss im Dialog bleiben. Wenn also ein Leser mich fragt „Was haben Sie sich eigentlich eingeworfen als Sie diesen Artikel verfasst haben?“ könnt ich mir vorstellen dass das ja dann mehr Leute interessiert. Wobei eigentlich wär vielleicht eine öffentliche Gesprächsrunde auch schön, so gemütlich am Tisch und dann nett plaudern. Und das mit den drei Filzern zeigen. Was meint ihr?

Freitag, 29. Mai 2020

(Kär)Wahrheiten

Ich bin ja großer Forscher, gell, der Armin und der Christof mit dem grünen Gewand und auch der Latzhosenpeter haben mich dazu erzogen. In jüngster Zeit forscht es sich wieder prima auf dem Felde, und zwar qualitativ, also im Gespräch und dann deduktiv, also ableiten aus dem was du hörst. Und jetzt hörst du durch die Bank, dass der Mensch halt nunmal eher so ein energetisch optimiertes Wesen ist und wenn er eine Sache nicht gleich versteht dann strebt er in der Tendenz dazu, sich eine leichte Erklärung zu basteln, was supersinnvoll ist, weil du musst dir vorstellen: Wenn du eh schon nicht so arg viel Gehirn und Denkerei aktivieren kannst, ja dann schaust du doch, dass du mit dem bisserl Rest möglich gut haushaltest, sprich Energie sparen, sprich nicht so viel denken, nachlesen und verstehen wollen, das kostet eine Mordskraft, sondern eher was Leichtes zum Anfassen. Fürchtet er sich also vor einer Sache, zum Beispiel, dass der Himmel vielleicht auf den Kopf fallen könnte, dann erklärst du nicht Gewitter, Erdumdrehung, Atlantikwind und Niederschlag, sondern sagst „Teutates“ und „Zorn“ und schon sind die Gallier beruhigt, weil mit so einem Zorn, da weiß man eben umzugehen und kann sich in der Zeit viel besser mit einer schönen Prügelei beschäftigen. Also: Leichte Erklärung von oben macht große Ruhe im Unten. Das ist jetzt überhaupt nichts Neues (vgl. Religion, die), es wird aber halt auch nicht einfacher mit der Zeit, weil die leichte Erklärung halt gar nicht immer die ganz richtige ist und oftmals die richtige plötzlich falsch erscheint und umgekehrt weil die falsche richtige Erklärung nicht so gern gehört wird wie die richtige im Falschen, und dann nachher kennt sich gar keiner mehr aus. So jetzt veranschaulichendes Beispiel: Fragst du einmal im weiteren Umfeld herum „Was feiern wir an Pfingsten?“ dann blökt’s zufrieden unisono: „KÄRWA!“ Dann verdrehst du als aufgeklärtes Humanistentier natürlich protokollgemäß die Augen und setzt dir deinen Kneifer auf die hagere Nase und beginnst mit ausgestrecktem Belehrungsfinger deine Rede: „In Wahrheit ist es natürlich so, dass wir in der Tradition der christlichen Lehre und Welt den 50. Tag feiern, der vergangen ist, nachdem eine männliche Person, die ungefähr 35 Jahre zuvor durch kontaktlose Geisterbefruchtung einer Jungfrau gezeugt und unter Zeugenschaft einer Kuh und eines Esels in einem Stall geboren wurde und sich bis zu ihrem verfrühten Ableben aufgrund eines krähenden Hahnes und großen Missverständnisses die Zeit damit vertrieben hat, Wasser in Wein zu verwandeln, Fische exponentiell zu vermehren und Blinde sehend zu machen, nach dreitägiger Totstellung aus dem Grab geflohen und stattdessen lieber in den Himmel gefahren ist, um dort zur Rechten Gottes zu sitzen und auf seinen Einsatz als Richter über Leben und Tot zu warten, und an eben jenem 50. Tag der bereits erwähnte Geist die Kumpels des Hallodri über die neusten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt hat, ‚über sie ausgeschüttet‘, sagt man. DAS ist Pfingsten!“ Und dann schnaubst du noch „Du Depp!“ und machst empört auf dem Absatz kehrt. Und bist traurig, weil überhaupt gar keine Kärwa ist. Fuckcorona!

Freitag, 22. Mai 2020

Sonntwoch

„Stell dir vor“, hat die Freundin grad geschrieben, „ich war bis eben ganz in Ruhe und alleine einkaufen, ich fühl mich wie neugeboren!“ Hab ich gelächelt und genickt und verständig und versonnen weiter in die Auslegeware geblickt. Weil zufällig war ich auch grad in Ruhe und alleine einkaufen und hab daher gut nachfühlen können. Weil noch am Vortag war ich genau bei eben jener Freundin in, nuja, „Unruhe“ möcht ich gar nicht sagen, aber doch eher so in nicht dass man danach pfeilgrad vom Radl fällt vor lauter Entspannung statt sportiv in die Pedale zu treten. „Au weh!“ ist’s mir aus Versehen rausgerutscht gewesen beim Freundinnenwohnung betreten. „Hast jetzt aufgegeben?“ Weil ich sag einmal so, neulich, da hat es in der Wohnung noch so ausgeschaut als wär grad „Schöner Wohnen“ zum Shooting dagewesen, alles fein und dekoriert und an seinem Platz und hinter einer unauffälligen kleinen Tür ein Kinderzimmer mit vielleicht einem klitzekleinen Sauställchen, ganz beruhigend war das da. Und dann ist jetzt irgendwas passiert in den letzten Wochen, und plötzlich ist die Situation folgende, dass also das ganze Kinderzimmer war leer, picobello wie einmal durchgeschleckt und aber der ganze Inhalt vom Kinderzimmer hat sich in die Wohnung verteilt, Spielzeugausbruch quasi, und da wo einmal ein edles Desingersofa war hat’s jetzt eine Räuberhöhle, mehrere Etagen, eh klar, und unterkellert und innendrin noch ganz mittig einen Schatz, und wo einmal Fenster, da jetzt Gemälde, und wo einmal ein Balkon war, da hat’s jetzt eine feine Hütte mit Fenstern und Liegestuhl und lustig ist dass wenn man nicht aufpasst dann rollt man statt zu laufen weil da wo ein Boden war da hat es Autos und Züge, die singen Weihnachtslieder, wenn man drauftritt, und dann rutscht man aus und latscht rückwärts mit links in einen Klebegummikäfer und rechts in ein Küchle, das man auch noch selbst mitgebracht hat, und dann schreit der Kleine, wegen Küchle weg, und der Große, weil der Kleine, und aus dem Babyfon schreit toujours der Kindsvater, wegen statt Schlafzimmer jetzt Homeoffice. Haben wir uns erst einmal einen Wein aufgemacht und grad als ich fragen wollt, warum jetzt das eigentlich so ist, dass am Muttertag muss man zur Mama heim und ihr auf den Geist gehen, am Vatertag rotten sich Väter und alle die es noch und niemals werden wollen zusammen und feiern fern des Haushalts ihre Herrlichkeit, also in dem Moment bringt der Große (3) eine Gerätschaft. Die war so rosa und länglich, ein bisschen wie ein Mikrofon so groß, aber schmaler und ein bisschen bauchig und tailliert und abgerundet an den Enden und sehr schmeichelnd in der Hand mit einem An-aus-Knopf, und natürlich hab ich sogleich erkannt dass es sich hierbei nicht um ein ausgebüchstes Produkt vom Amorelie handelt sondern die berühmte Spielzeugverschwindelampe, die Dinge erst wieder herausrückt wenn man sehr lang sehr leise ist … So, also ich jedenfalls superentspannt mit dem Gesicht im Grillfleisch, und dann hat’s geschnackelt und Beschwerde aus der Redaktion: „Ein Sofa kommt schon noch, ja?“ Das war’s dann mit der Ruhe. Aber zum Glück ist morgen Feiertag. Oder Sonntwoch. So wie jeden Tag.

Freitag, 15. Mai 2020

Coronare Herzkrankheit

Jetzt wir alle so auch grad nach den jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen ja unbedingt und fröhlich: Glaube, Liebe, Hoffnung, wenngleich irgendwie zähneknirschend. Also eher so dass man halt mit dem Finger links und rechts in die Mundwinkel sich einhakt, also in die eigenen, eh klar, und sich dann mit leichtem, doch beherztem Zug ein freundliches Lächeln ins Gesicht zaubert. Kollateralschaden, dass das eher klingt wie Glauwe, Liewe, Hochnung, aber mei, so is das grad, man muss Abstriche machen. Hihi, „Abstrich“. Musste ein Spezl letztens auch machen, deswegen ich dann so am Telefon „Hey du, geht’s eigentlich wieder oder kotzt du noch?“ und er „Geht wieder total gut – und ich bin vier fucking Coronakilo losgeworden!“ Die mehrtägige intestinale Unpässlichkeit habe sich also sozusagen gelohnt, man fühle sich gleich viel leichter, also weniger beschwert, also halt wegen der erdrückenden Last des schlechten Gewissens, dass man vor lauter Artigkeit und Regelbefolgerei im Daheimsein einer kollektiven Schwangerschaft ausgesetzt, nachgerade hilflos ausgeliefert ist, weil ins Fitness hast nicht dürfen und raus bloß ein bisschen zur Flanage und Promenur und aber wegen Solidarität, Suffort Your Locals und Ofhhawereitschaft (Lächeln!!) tagtäglich mehrfach ein üppiges Mahl bestellt anstatt einfach wie’s ja auch gegangen wäre, und zwar sehr gut, möcht ich sagen, mangels der allgegenwärtigen Verlockung und Versuchung opulenter Buffets, durchhängender Grillbanketttafeln und um die Nase summender Flyingfingerfoods, also einfach daheim jeden Tag schön eine Möhre und eine Prise vom Salat und zur Leibesertüchtigung einmal übers Feld gepflügt und dann wieder ab zurück ins Körbchen, nein, gespiesen haben wir gar königlich, und jetzt ab Montag müssen wir auch noch trinken aus Gründen der Kulturerrettung, und jetzt stell dir vor: An manchen Orten musst du sogar essen um kulturrettungstrinken zu dürfen, da soll sich noch eins auskennen! Ich hab grad einmal nachgerechnet, also wegen der Schwangerschaft: 0,375 Kilo macht die so pro Woche, und jetzt sitzen wir seit acht Wochen daheim: drei Kilo – bämm, Oida! Easy! Ich bin jetzt deswegen unter die Heimtrainer gegangen. Jeden Morgen stülp ich mich schön in meinen Aerobicdress hinein, zum Glück sitzen die Handgriffe von der engen Winterstrumpfhosenzeit noch 1a, da gerät das Umziehen gleich zur Aufwärmübung, nur das mit dem fließenden Atmen klappt noch nicht so gut. Dann also jedenfalls leg ich mich superentspannt auf meine Matte und schau 27:58 Minuten der netten Dame im Fernsehen zu, wie sie gar unappetitlich schwitzt, und immer wenn sie sagt „Bauchnabel einziehen bis er vom Boden abhebt“, dann kichere ich kurz hysterisch und schnips mit noch ein kleines Osterküken vom Saisonabschlussausverkauf zwischen die Kiemen, Foodsaving und so, essen gegen Kükenschreddern! Danach bin ich schwer. Also schwer erschöpft. Und tät direkt einmal mutig wieder eine Prognose wagen, nämlich dass das mit den Coronaren Herzkrankheiten künftig nocheinmal eine ganz neue Bedeutung erfährt. Wohlsein!