Freitag, 26. Juni 2020

Onlinezerberus

Alles klar, Leute, mein Tag ist gerettet, heut kann mir keiner mehr was, ich hab mich vor fünf Minuten in Siegerpose geworfen, Schultern zurück, Brust raus, und so ein kleines Hockerl zum Umschnallen, damit ich immer und jederzeit ein Bein in antiker Heldenmanier hochstellen kann, beim Bäcker beispielsweise oder dann auch beim Metzger, und dann blendet der Heroenglanz in alle Richtungen und dann Aerosol, aber halt mit Liebe, also so wie der alte Grenouille damals mit dem Bacchanal-Parfum; wobei da fällt mir ein, da haben die Betörten den Helden am End verspeist, das wär mir dann doch nicht recht. Mir würd langen, wenn der Metzger mir einfach blind ein Radl Gelbwurst rüberreicht, aber halt ein dickes, eher so Ranken. Woher der Stolz? Klare Sache: Bestellen im Internet und so, wir wissen’s, ist unethisch, unökologisch, ganz viel Wort mit „un“, nämlich über kurz oder lang auch un-erlässlich oder un-vermeidbar, zum Beispiel, weil ein äußerer Umstand dich zwingt, alle Prinzipien über Bord und in die Onlineshoppingmeile zu werfen, sagen wir, also rein zwengs der Anschauung: Schuhsonderangebote. Damit das alles nicht so leicht und mein Umgang mit der Angelegenheit nicht zu sorglos wird, habe ich einen privaten Aufpasser, meinen höchstpersönlichen Zerberus am Tor der Versuchung, der mich aufhorchen lässt, innehalten und kurz kalkulieren, ob das wirklich sein muss: Zitternd vor Furcht schwebt der Finger über dem finalen Klick. Denn es droht: Markus. Markus zeichnet sich aus durch überbordende Fröhlichkeit, ein beeindruckend loses Mundwerk sowie ein sagen wir mal wohlwollend: flexibles Grundverständnis dessen, was man landläufig unter „Höflichkeit“ versteht, was sich brisant kombiniert mit seinem Hang zur Frühschicht auch am Wochenende und dem unbedingten Willen, Pakete korrekt auszuliefern. Im Ergebnis hat sich über die Jahre eine platonische, doch durchaus den Odeur des Sadomasochisme verströmende stockholmsymptomatische Abhängigkeitsbeziehung entwickelt, wobei die Abhängigkeit klar auf meiner Seite zu verbuchen ist, weil es in dieser Liaison exakt eine Person gibt, die sich morgendlichen Unverschämtheiten aussetzen muss, deren Inhalte ich hier nicht wiedergeben kann, weil ich sag mal: meistens nicht ganz jugendfrei und in der Tendenz eher nicht so, dass man nachher sagt „Ach mei schön, so sollte jeder Tag beginnen.“ Sondern eher so, dass man am Freitagabend um 21 Uhr mit Gurkenmaske ins Bett geht, um tags darauf beim Hahnenschrei aufzuschrecken und sich in Feststaat zu schmeißen, inklusive Frisur und Abiballmakeup, weil eine Email die Ankunft des Pakets zwischen 8 und 16 Uhr angekündigt hat, was für mich bedeutet, es klingelt gegen 7. Sturm. Dann: Herzrasen, Tür, unflätiger Kommentar XY (Frisur, Nachtgewand, Schlaf), Tür, Herzrasen, Scham, Embryonalhaltung, Zittern, Atemübung. Seit heute neue Ära. 8.15 Klingel, ich: „Hallo mein Schatz, endlich kommst du! Ich warte seit zwei Stunden auf dich und überlege dabei, ob ich dir nicht mal einen Zeitungsbeitrag widmen sollte. Was meinst du?“ Die Antwort fiel ungewöhnlich wortkarg aus. Ich sag mal so: Ab heute leb nicht mehr nur ich in steter Angst … Muahahaa … Noch jemand Gelbwurst?

Freitag, 19. Juni 2020

Lokusliste

Manchmal geht man heim zu Eltern, und in manch so einem Elternklo hängt er: der ewige Geburtstagskalender, zeitlos, immerwährend, manche Tage vielfach befüllt bei Häufung von Jubilaren, andere Felder bis zur Unkenntlichkeit ausradiert wegen Zwist, auf jeden Fall fein säuberlich dokumentiert, so dass man beim Geschäftverrichten stets memorieren und planen kann. Ich täte gut daran, so eine Lokusliste auch zu führen. Wozu?, schreit ihr, es gibt doch Facebook, Google, Instastory! Doch das ist freilich so korrekt wie kaum verlässlich. „Und was hast du am Donnerstag gemacht?“ frug ich die Nachbarsfreundin am Mittwoch, und sie: „Geburtstag gehabt.“, was mir vollumfänglich unbekannt weil mangels Social Media nicht im Internet verzeichnet war. Bebend vor Scham hab ich später eine Datumsnotiz gemacht und mich gefragt, warum das wohl so ist, dass man manche Geburtstage (den eigenen) nie vergisst, andere (alle) dafür sehr wohl. Und warum ich mich eigentlich überhaupt noch wundere. 
„Nein, das Highlight war vor vielen Jahren, als du mir um 23:55 Uhr am 6. Juni ‚gerade noch ganz knapp‘ per SMS gratuliert hast!“, hat man mir vor sehr kurzem erst ein Widerwort und zum ultimativen Beweis die Dokumentation besagter Korrespondenz gleich mit dazu gegeben. Die datiert auf 2011, und man müsste das alles gar nicht so eng sehen, wenn der Mensch nicht am 7. Juni und ich in diesem Jahr zum wiederholten Male gezeigt hätte, dass ich vom Geburtstag dieses einen wirklich überhaupt keine Kenntnis, wohl aber ein ziemlich gutes Bauchgefühl habe, das mich rund um den großen Tag in Alarmbereitschaft versetzt und mit dem ich ihn und allen voran mich selbst Jahr für Jahr aufs Neue überrasche. Ausschnittsweise zu rapportieren wären da nebst zahlreicher korrekter Treffer, auf die ich hier ausdrücklich bestehen möchte, nämlich noch diverse Pfosten- oder Lattenschüsse, manchmal auch ein Aus und gelegentlich hab ich vielleicht auch einmal die Sportart verwechselt, sprich Base- statt Fußball. Weit übers Ziel hinaus. Mit einer Trefferquote von 5:1 (konservative Schätzung) gratuliere ich zum richtigen Datum. Meistens nachträglich. Gelegentlich gar nicht, sondern rufe „einfach mal so an um zu hören wie’s dir geht“ (Bauchgefühl), um dann nach einer halben Stunde Plausch fröhlich aufzulegen. Und später verdutzte Nachrichten zu erhalten, in denen sich freundlich nach meinem Geisteszustand erkundigt wird. Dieses Jahr also Königsklasse: OGOTT es tut mir SO LEID! hab ich gefleht und zum Beweis ein Bild von regengrauem Gebirgsgipfel angehängt: Zählt das als Ausrede? Er: Schönes Bild, aber was tut dir leid? – Haha sehr lustig, bitte verzeih mir! Ich hasse mich selbst! – Ich verstehe kein Wort. – Jetzt sei nicht so grausam! – Bist du betrunken? – Es ist 10 Uhr. – Dann hast du wohl einen Namen verwechselt. … Tja, naja. Hatte ich nicht. Dafür die Kalenderzeilen. Und deswegen dem Jubilar eine Woche zu früh einen Tag zu spät unterwürfig nachträglich gratuliert. Er sagte dann, er betrachte das mittlerweile als Teil der Geburtstagstradition und freue sich schon darauf, womit ich ihn kommendes Jahr überrasche. Sagen wir mal so: Ich mich auch. Lokusliste ist was für Spießer.

Samstag, 13. Juni 2020

Das Mädchen mit den Feuerhänden

Stimmungsmacher zum Wochenende: Ich finde, es ist nicht alles schlecht dieser Tage (und ich verzichte hier bewusst auf die längst mit einer ordentlichen Schicht Schimmel überzogene, doch nimmermüd bemühte Floskel der Einfallslosigkeit. Ich WEIß, dass Corona ist!), zum Beispiel hab ich in den Draußengastronomien meines Vertrauens schon lang nicht mehr fragen müssen am Nebentisch ob’s vielleicht noch ein Keks oder ein Platz im Gräberle daheim sein darf oder ob dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe jetzt langsam einmal Genüge getan wär. Dann hat auch schon lang keiner mehr blöd geschaut wegen vielleicht hat man gelegentlich einmal ein etwas lautes Sprechorgan, sondern ganz im Gegenteil schaut man grantig wenn man in normalleisem Höflichsprech am Ladeneingang nach der Notwendigkeit eines Einkaufswagens sich erkundigt und erntet Dankbarkeit und Verständis in der Bäckerei für ein beherzt hinaustrompetetes „EIN. HALBES. GEWÜRZ. BROT. BITTE. IM. GAN. ZEN. DANKE!!“ Und dann ist auch schön dass man manchmal einfach nicht angeschaut weil nicht erkannt wird und das tut oft dem Seelenheile gut, zum Beispiel weil du einfach einmal nicht in ein nettes und ach du so lang schon überfälliges Gespräch verwickelt wirst, wenn du doch einfach nur einmal kurz in der Drogerie die neuesten Entwicklungen im Einlagen-Segment studieren hast wollen, oder weil wenn der Ex-Kollege an dir vorbeistrawanzt dann kannst du einfach völlig unbescholten einmal deiner lang unterdrückten Zornesmeinung freien Lauf lassen, zumindest in stillen Grimassen untenrum, während du oben unbeteiligt über deinen Maskenrand diplomatisierst. Auch find ich schwingt überall so ein Hauch von Erotik in der Luft, weil wenn du bloß noch schauen kannst, ob die Augen lachen oder schalken oder wüten oder schnippen, dann ist der Rest reichlich egal, wo du sonst vielleicht gesagt hättest: Ja du, lass mal gut sein, weil vor lauter Ungesicht und Unzahn und Unfrisur und vielleicht auch gern noch so ein Hauch von weißgetrocknetem Mundwinkelspeichel bist du vom gewitzten Augenspiel oft abgelenkt. Bald wird der RTL das Potenzial erkennen und ein Fernsehgschichterl daraus schnitzen oder auch Pro7. Dann find ich dieses Abgewische auch vorzüglich, Einkaufskörbe und die Wagen und wegen mir könnt eigentlich gern auch zum Beispiel in der U-Bahn immer ein Hygienepersonal mitreisen und nach jedem Stop Haltgestänge und Türen wischen so wie ja im Wirtshaus auch, und ganz plötzlich bleibt man gleich viel weniger mit den Unterarmen am Tisch kleben wie die Fliege an der Falle, ich find das super, und die Alkoschnüffler unter uns sind dank Desinfektion auch recht ausgeglichen aktuell. Jedoch: Neulich war ich Ladenhoppen wegen dringender Produktsuche. Mehr Zeit als mit Regalschau hab ich damit verbracht, Mittelchen auf Hände zu verreiben. Nach der zehnten Substanz hab ich mich gefragt, wann es wohl zu einer chemischen Reaktion kommen wird. Dann wär ich das Mädchen mit den Feuerhänden und endlich berühmt. Danke Corona! 

Freitag, 5. Juni 2020

Stille Einkehr mit Fragestunde

In vorauseilendem Gehorsam war ich übers lange Wochenende dort, wo mich gelegentlich gern mal jemand hinschicken würde. Gut, eine Wüste hab ich da nicht entdeckt im Bayerischen Wald, eher satte Wiesenfelder, eine Drogenberatungsstelle hab ich auch nicht auf Anhieb gefunden, dafür viele feine Wirtschaften, die aber wirklich auch sehr kompetent beraten haben („Blutwurz zündma an, Bärwurz eher nicht“), und einen Pfeffer hab ich auch nicht wachsen sehen, aber vermutlich hat das an der Gewitternebelwolke gelegen, die privat und exklusiv um mich herumgewickelt auf einem jedem Ausflug dabei war. Einen Gipfel hab ich darob auch nicht gleich erspäht, gleichwohl ich ihn erklommen habe, also eigentlich erklammt, weil es hat nämlich aus meiner Wolke einen Eissturm getan und Nieselschnee auch, und so bin ich dann dankbar in einem warmen Wirtshaus gesessen und hab geschwiegen. Stille Einkehr, quasi. „Es ist fei schon beeindruckend“, hat der Gegenübersitzer dann bemerkt, „wie viel vom Opa da immer noch überall dabei ist.“ – „Wieso jetzt das?“ hab ich gefragt und dabei weiter sorgfältig meine Runden gedreht, nämlich mit drei Bierdeckeln freischwebend aneinander entlang umeinander herum ohne dass eins runterfällt, Schwierigkeitsstufe Profi wegen ovale Filzerl statt runde; das ist jetzt schwierig zu erklären, ich zeig’s euch einmal. Halt so wie’s der Opa mir beigebracht hat. Auch hat der Opa immer so Hefterln herumliegen gehabt, wegen der vielen und sehr ansprechenden Kreuzworträtsel, hat er immer gesagt. Wegen der vielen Damen darin, in Wahrheit, hat die Oma immer gesagt, und deswegen hab ich die Hefterln nicht anschauen dürfen. Deswegen eh klar: Immer hab ich gewusst wo aus Versehen noch eins rumgelegen ist oder vielleicht einmal unter ein Regal gerutscht oder im Keller eins vergessen worden war, und ganz besonders spannend war darin überhaupt gar nicht die viele Haut, sondern die sehr tolle Gesundheitsberatungsrubrik, das hab ich auch gleich erkannt wegen dem anderen verbotenen Schmuddelheft, nur dass da nicht der Dr. Sommer geantwortet hat sondern die nette Frau Barbara. Um einen Rat hat man sie fragen können und aber auch sehr persönliche Dinge, und dann hat die Frau Barbara eine sehr nette ausführliche Antwort gegeben und beides ins Schweineheft gedruckt, so dass ein jeder hat teilnehmen können. Und da hab ich gedacht, das wär vielleicht schön, wenn ich das auch haben könnte, weil immer im stillen Kämmerlein, das ist doch nichts, man muss im Dialog bleiben. Wenn also ein Leser mich fragt „Was haben Sie sich eigentlich eingeworfen als Sie diesen Artikel verfasst haben?“ könnt ich mir vorstellen dass das ja dann mehr Leute interessiert. Wobei eigentlich wär vielleicht eine öffentliche Gesprächsrunde auch schön, so gemütlich am Tisch und dann nett plaudern. Und das mit den drei Filzern zeigen. Was meint ihr?