Freitag, 30. Oktober 2015

Jadegate

Jetzt ist es passiert. Das Schlimmstvorstellbare ist eingetreten. Das, wovor ich mich seit Jahren fürchte. Das, was ich vor lauter Furcht verdrängt habe. Ich bin mit den Nerven am Ende, ich schlafe schlecht, träume noch schlechter, bin verzweifelt, suche den Dialog. Und weil ich mit euch ja alles teile (#Gesprächstherapie), wende ich mich freilich mit diesem meinem persönlichen Horror auch vertrauensvoll an euch. Es ist da. Mein Jade-Gate! Soll heißen: Mein Haus- und Hof-Lippenstift ist über Nacht aus dem Sortiment genommen worden! Gänzlich unvorbereitet wurde ich mit dieser Schreckensnachricht konfrontiert. Die fünf aus weisem Vorrat gekauften Rotstifte waren urplötzlich verbraucht – mir schleierhaft, wie sowas in nicht mal sechs Monaten passieren kann. 

Ging ich also zum Gesichtseinfärbungszubehöreinzelhandelsunternehmen meines Vertrauens und fand: nichts. Suchte. Wurde nervös. Suchte weiter. Schwitzte leicht. Fand seltsames anderes. Wandte mich an die Gesichtsbemalungszubehörfachangestellte. Erfuhr: aus. Vorbei. Nie wieder! Das, rief ich mit an Panik grenzender Empörung aus, sei vollkommen unverantwortlich! Verboten gehöre sich das! Man könne keinesfalls gestatten, dass ein Unternehmen in silbrig-glänzender Heiligkeit eine Armee an Suchtkranken heranziehe, um diese zu einem nach eigenen Gutdünken gewählten Zeitpunkt auf kalten Entzug zu setzen! Das ist, als würde der Therapeut bei Nacht und Nebel unbekannt verziehen! Oder schlimmer: der Frisör! Am darauffolgenden Abend alpträumte ich. Von Geheimvorräten, von Diebstahl, von Hamsterkäufen. Am darauffolgenden Tag fieberträumte ich. Von Geschäftsführerbriefen, von Online-Petitionen, von Hungerstreik. 

Doch es wird nichts helfen, eine sanftrotglänzende Ära geht zu Ende, und ich kann nichts dagegen tun, dass Menschen beschlossen haben, Frauen hätten künftig ihre Lippen mit mattem Lack zu versiegeln, den sie dann mit glitzerndem Fusselirgendwas bestreichen und sich 24 Stunden darauf vorbereiten sollen, das Zeug mit Wurzelbürste und Scheuermilch wieder aus dem Gesicht zu entfernen, andernfalls eine lebenslange Jokerfratze würdevoll durch die Welt zu tragen. Auf den Boden werfen, mit den Fäustchen trommeln und meinen Schmerz in die Welt hinausweinen möchte ich erst recht, wenn ich darüber nachdenken, dass solch perfider Plan wohl weniger von einem ignoranten Männermenschen geschmiedet worden sein kann als vielmehr von einem durchtriebenen Weibsstück, das ganz genau weiß, was sie da tut, die hinterfotzige Pharisäerin! 

Freitag, 23. Oktober 2015

Frauenschnupfen

Ich kann nicht schreiben. Seit einem gerüttelt Maß an Zeit sitze ich vor meinem Moleskine und starre auf die beigen Seiten, derweil vor meinem inneren Auge dort, wo eigentlich launige Sätze sich zu einer Textarmee formieren sollten, lediglich eine Substanz unappetitlicher Farbe und noch viel weniger ersprießlicher Konsistenz umherwabert. Bewege ich den Kopf, ändert die Substanz prismagleich die Form, und wenn ich lang genug darauf schaue, sehe ich Konturen, die Betten, Teekannen und Gedenksteinen frappierend ähneln. Ich würde hier meine Leidenskunst präsentieren, hätte ich als Arbeitswerkzeug Pinsel statt Typen. Und damit meine ich nicht meine Geschlechtsantagonisten. Ein solcher jedoch blickte mich vor wenigen Tagen an und sprach milde: „Kann es möglicherweise sein, dass du Frauenschnupfen hast?“

Vor Schreck fiel mir das Fieberthermometer aus dem Mund und versank metertief im Wollschal, in den ich mich gehüllt hatte. „Wie bitte?“, erhob ich meine Grabesstimme und verschüttete dabei ein wenig Salbeitee auf dem um mich herum ausgebreiteten Taschentuchteppich, wie man es wagen könne, wollte ich wissen, wo ich doch seit Tagen tapferst und ohne mit der tränenverhangenen Wimper zu zucken, derweil andere längst, und man möge sich gefälligst an der eigenen penatenbekleisterten Nase! Ermattet schmiegte ich mich zuwendungsbedürftig an meine Heizdecke und sehnte mich nach meiner Mama. Wog kurz den Nutzen einer Mamapflege gegen die Kosten einer Papasuppe. Beschloss, alt genug zu sein, um ein Ableben in Abgeschiedenheit zu zelebrieren zu können zu müssen. Startete die nächste Folge Pumuckl.

Während ich mir beherzt das Paket frischer warmer Zwiebeln aufs Ohr drückte, besann ich mich auf meine Pflicht qua Geschlechtszugehörigkeit und befand mich für ausnehmend tapfer. Im Gegensatz zu diesen anderen da beispielsweise hatte ich es nämlich geschafft, eine dieser Goldgruben mit dem großen roten A, um das sich listig eine Schlange windet, zu betreten, und der Alchemistin, die mich händereibend empfing, zwei präzise Wünsche aufzutischen. Traurig schob sie den vorbereiteten Geschenkekorb „1. Hilfe Männerschnupfen“ im Wert von 250 Euro beiseite und griff weisungsgemäß ins Regal, dessen Beschriftung jedes Paläontologen Herz vor seliger Freude hüpfen ließe angesichts der ganzen Rhino- und Bronchosauren, an die er sich erinnert fühlen darf.

Wie auch den Zwiebeltrick bemühe ich lieber Hausmittelchen, die einem so zugetragen werden und bin deswegen zu einem Meisterwerk in ätherischem Öl mutiert, an dem sich die Parfumeure der Welt ihr feines Näschen ausröchen. Eukalyptus (schleimlösend), Ingwer (Dings … wärmefördernd), Knoblauch (wieso das gleich wieder?) und jetzt halt auch noch Zwiebel. Nach meiner Rekonvaleszenz bin ich weitere zwei Wochen nicht gesellschaftsfähig. Aber das soll mich nicht weiter stören, geht’s doch meinen Mitmenschen wenig besser. Falls hier jemand einen roten Faden sucht, so tut er das vergebens, das Prisma schlägt lieber Purzelbäume.

Freitag, 16. Oktober 2015

Fußselfismus

Neues aus der Reihe: juhu Herbst! Nämlich: auf Facebook keine Käsequantenportraits mehr. Diese niederste aller „fotografischen“ Unsitten! Früher so: Ich fahr in Urlaub, am letzten Tag kauf ich 20 Postkarten der billigsten Sorte, rotze auf die den immer gleichen Text von „Essen super, Meer auch, Wetter mittel, Nachbarn nervig“, bei besonders guter Laune verziert mit dem ein oder anderen erquicklichen und aus postvacazioneller Sicht betrachtet vielleicht doch nicht mehr so lustigen Zeichnung, und werfe diese daheim in einen Postkasten, weil vor lauter Aufbruchsstimmung die Karten freilich übersehen worden und erst bei Bezahlung der Brennermaut wieder hervorgekrochen sind. Fünf Wochen später war die Karte dann für gewöhnlich angekommen, und obwohl der Adressat freilich längst mittels epischer Telefonate oder noch epischererer Diavorträge über das Gelingen des Erholungsaufenthalts in Kenntnis gesetzt worden war, erfolgte spätestens jetzt die Bestätigung: Ich war da wirklich, und ich hab an dich gedacht. Heute geht das anders.

Heute muss man, aber das ist freilich längst ein alter Hut, unablässig Selfies schießen, diese Arschgeweihe der Fotografiekunst mit Doppelkinn und Schielaugen, wer kein Selfie vor dem Louvre gemacht hat, der war nicht da. Punkt. Das kommt dann auf Facebook, und alle so „Woaaahboahkraaaaassalterneeeeeeid!“ Kann man schon irgendwie verstehen. Es gibt dann aber noch eine gänzlich andere Unsitte, die ich NICHT verstehen kann, noch nicht mal verstehen WILL, einfach weil sie mich auf penetranteste Art und Weise belästigt und mein persönliches bioästhetisches Empfinden aufs Empfindlichste reizt. Nämlich die, seine nackten Füße zu fotografieren, wo man hängt und steht. Den ganzen Sommer hindurch habe ich mich durch sie hindurchgescrollt: Füße in Pools/ Flüssen/ Meeren, Füße auf Booten/ Terrassen/ Balkonen/ Stränden in den Himmel gereckt.

Wow! Zum einen sind Füße das am ungefähr wenigsten schöne an so einem Menschenleib. Zum anderen sind diese Latschenfotos der größtdenkbare Ausdruck von Mittelmäßigkeit und Feigheit. Ganz offenkundig sehe ich da nämlich jemanden, der nicht die Chuzpe besitzt, einfach nur einen schönen Bergblick abzulichten, ohne sich gegen Verdachtsmomente abzusichern, er habe nur geschickt eine Postkarte abfotografiert, derweil er sich eigentlich im Bielefelder Kohlekeller befände. Zum anderen auch nicht die, im adäquaten Urlaubszustand zu zeigen. Dann wählt man also den Fuß, und das, wo doch so ein Fuß nun in den allermeisten Fällen wirklich nicht … Wobei, vielleicht gilt es gerade das zu honorieren: Seht her, ich werde nie ein Fußmodell werden, das weiß ich ganz genau, aber ich bin im Urlaub und darob derart im Einklang mit mir selbst, dass mir das völlig egal ist. Well … Hab ich wohl wieder mal zu früh krakelt. Entschuldigung.

Freitag, 9. Oktober 2015

Meedchensport

Es gibt so Fragen, die beantworte ich mit dem größten Vergnügen. „Was möchtest du trinken?“, beispielsweise, „Kann es sein, dass ich dir noch 100 Euro schulde?“ oder „Ich hab VIP-Tickets fürs Take-That-Konzert, möchtest du mitkommen?“ Großartig, natürlich, gerne, ja und einmal alles, bitte. Dann gibt es aber noch solche, denen ich mit weit  weniger Enthusiasmus begegne. Konkret eine solche, die dann bestenfalls auch noch von einem Mann gestellt wird. Die Frage lautet: „Bei welchem Sport warst’n du grade?“ BAH! Es wird nämlich dann stets die selbe Melodei angestimmt. 
Sag ich: „Beim Zumba“. Tönt es von gegenüber: „MUAHAHAHA das ist doch dieses Spackengezappel wo die Weiber immer meinen sie sähen aus wie die junge Jennifer Lopez gell HAHAHAHA!“ Sag ich: „Beim Yoga“. Brüllt es von gegenüber: „MUAHAHA ja genau das ist doch so wie wir im Kindergartenturnen uns immer einfach auf den Boden gelegt und gekichert haben und das hieß dann Sport HAHAHAHAHA!“ Sag ich: „Bei so Kraftdings“. Marodiert es: „MUAHAHAHAAA das kenn ich schon jahaaa achgotterlena und hast du dann auch so nieeeedliche pinke 50-Gramm-Prinzessinnenhanteln in der Hand naja man muss ja schauen wo man bleibt gell!“ Und dann wird sich auf die Schenkel geklopft und gekrümmt vor Lachen und je mehr Blödmänner desto lauter das Gejohle, und dann muss man sich gegenseitig auf die Hühnerbrüste boxen und die krummen Schreibtischrücken und dringend ausmachen dass man sich doch mal im Rudel mit einem Kasten Bier vor’s Fenster und haste nich gesehen ach das wird ein Spaß. Ich sag euch was: Ihr könnt mich alle mal. Oder stellvertretend für alle anderen Ladys: Ihr könnt uns alle mal! 
Die lautesten Gröler sind nämlich immer diejenigen, die es nicht mal schaffen, drei Meter stolperfrei geradeaus zu laufen, geschweige denn in der Lage dazu sind, sich einen links-rechts-Wiegeschritt zu merken, gar nicht zu sprechen davon, ihre Extremitäten über eine Stunde lang zu einer bestimmten Choreographie vorm völligen Verknoten zu bewahren. DAS ist Spackengezappel! Die lautesten Schandmäuler sind diejenigen, die im Leben noch nicht mehr als eine PC-Maus gestemmt haben, die im vergangenen Drittel ihres Lebens mit Verve und Vuvuzela zum Fernsehsportler mutiert sind. Fußballspielen, diese Kindergartenkacke, das kann ja jeder. Diese Yoga-Weiber, sag ich euch, das sind die echt harten Säue! Da sind vier Stunden Ballschubstraining ein Ponyhofausflug dagegen, und ich weiß, wovon ich spreche! Am besten wird sein, ich beantworte die Sportfrage nur noch mit einem lapidaren „Tae Bo“, um das dann direkt mit einem lockere Uppercut zu unterstrichen, kurz mit einem Hook zu garnieren und mit einem entspannten Roundhousekick davon zu tanzen ... 
Am Ende des Tages sind wir doch wieder alle Brüder und Schwestern im Geiste: Trinksport ist auch ein Hobby. 

Freitag, 2. Oktober 2015

Sommer ade

Sommer ade, scheiden tut weh. Gehst du nicht bald nach Haus, treibt dich der Grampus aus … Nun, bei solch einer Drohung hätte ich als guter Katholik freilich auch die Beine in die Hand genommen und wäre gerannt. Jetzt haben wir also den Salat. Schön kalt und knackig. Weil ich damit nicht einverstanden war, bin ich nach Süden geflohen. Weil der Herbst damit nicht einverstanden war, ist er mir kurzerhand gefolgt. Einen Tag lachte er mir listig ins Gesicht, nur um dann die Faust zu ballen und mit einem veritablen rechten Haken zuzuschlagen. Jetzt: kalt. Nass. Weltschmerz. Na wobei, stimmt eigentlich gar nicht, um ganz ehrlich zu sein. Der sozial verständige Mensch wie ich weiß ja schließlich, was sich gehört, und es gehörte sich in den vergangenen Monaten rein gar nicht, auch nur eine einzige Sekunde potentiell draußenaktiven Wetters in einem Drin zu verbringen, wenn man nicht als mindestens lebensbedrohlich krank eingestuft werden wollte. Wollte ich nicht.

War ich also draußen. Jetzt, endlich: reinwärts! Keine lästigen Spontanbalkonpartys mehr, über die man sich aufregen (Nachbarschaft) oder vergnügt-quietschend freuen (eigene) kann. Keine tägliche Auseinandersetzung mit der Bikinifigur (vorhanden nur im Sinne von „Bikini + Figur“) mehr, dafür wohliges Wollbehagen. Kein empörtes Aufschreien beim auch nur ersichtig werden des Wortes „Kino“, dafür große abzuarbeitende Listen, auf denen sich allsämtliche Musst-du-gesehen-haben-Filme sowohl der Blockbuster- als auch der Spartenlandschaft befinden. Kein lästiges Herumhängen mehr auf sämtlichen attraktiven-wie-unattraktiven-scheißegal-Hauptsache-draußen-Plätzen, dafür, und es gluckst in meinem Inneren vor unverschämter Freude: Couch, Decke, Bequemhose, Frisurfreiheit und Make-Up-Revolution.

Ganz zu schweigen vom tagtäglichen Umlackieren sämtlicher verfügbarer Extremitätennägel wegen „Fuß passt nicht zu Hand, dafür Hand hervorragend zu Top, dafür Top nicht zu Lippenstift, dafür der wiederum …“ und so weiter. Vorbei! Rein in die Hüttenschuhe und gut ist. Was mich aber lähmt, ist das Wissen um die nun anstehenden „letzten, also wirklich allerletzten sonnigen Tage des Jahres“. Sonntagmorgen aufwachen, aus dem Fenster linsen und blauen Himmel sehen statt wolkenverhangenem Regengrau – wie schrecklich! Dann muss man doch sofort wieder hinaus, in Zwiebelschichten, damit man sich als wandelndes Wolle-Petry-Gedächtnis-Mal formunschön um den Leib knoten kann. Jedoch: Es wird schön zeitig dunkel, weswegen sich der Outdoorterrorismus weitgehend in Grenzen hält. Wer Zweifel hat an meiner reinwärts-Theorie, der möge sich einfach die Programme der Clubs und Diskos anschauen. Schwalben machen Sommer, vorhergenannte Winter!