Freitag, 27. November 2020

Wir machen uns den CKM

 Geier Sturzflug hat’s 1999 schon gewusst (Regieanweisung: Grölstimme an!): „Foltert mich mit Wissenschaft, bis ich nicht mehr kann. Geht's mir dann ganz schmutzig, stampft mich kräftig ein. Zum Segen der Nation muss das wohl so sein. Doch eins kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben!“ Was man mir aber zu meinem großen Erstaunen sehr wohl nehmen kann, ist die weltwichtigste Weltveranstaltung der Welt, und das ist jetzt schon blöd insofern als ich dank dem WSV im Februar 2020 erstmals rechtzeitig das passende Schuhwerk besitze und zudem seit Wochen schon starrköpfig in meiner Rauschgoldperücke vor dem Spiegel steh und mit salbungsvoller Geste und sanftem Gesicht zu meinem Markte einzuladen üb. So, jetzt kannst du dich aus Zorn vor dem Regime auf dem Hauptmarkt wälzen und Sternderlgirlanden aus der Genfer Konvention psaligraphieren. Oder du machst es dir halt daheim. Also christkindlich. Das geht ganz leicht: Gründe die Whatsappgruppe „FeuZaBo@CKM“, lade wahllos so viele Freunde und entfernte Bekannte ein wie geht. Stelle Benachrichtigungen laut. Ziehe dich zu warm, aber nicht wasserfest an. Binde dir Kindergummistiefel lose baumelnd in Augenhöhe an die Mütze, dekoriere mit Regenschirmspitzen. Tauche deine Hände in warmen Glühwein, rubble mit einem Taschentuch daran herum, verteile klebende Fussel im Gesicht. Tupfe Senf auf Nase und Schulter, vielleicht auch keck schräg unterm Auge. Suche Video vom Christkindkind. Stelle Flaschen blickdicht vor den Bildschirm, leuchte alles mit grellen Lampen aus. Suche bei YouTube nach „Weihnachtslieder Dialekt deutsch“, spiele alle gleichzeitig ab. Schau dich fremd im Spiegel an. Wirf dir grantigen Blick zu. Löse die Sprenkleranlage aus. Stelle dich auf Coolpacks. Friere. Schwitze. Habe Durst. Habe Kopfweh. Verliere Handy. Werde panisch. Habe alle Freunde verloren. Finde Freunde wieder. Freu dich! Nuckle am Flachmann. Schaue auf die Uhr: Noch eine Stunde! Zupf dir am Bein. Will nach Hause. Bist du doch schon! Schleich dich aufs Klo, versuche dabei auszusehen als wärst du hier natürlich Gast. Bestelle Bratwurst online, bitte darum, auf dem Weg eine Wurst zu verlieren und Isoliertasche offen zu lassen. Schau aus dem Fenster. Entdecke Bekannte weiter hinten, winke! Remple dir dabei an die Tasse, verschütte Glühwein. Reibe halbherzig an Tapete herum. War eh kalt. Nochmal Flachmann. Sei besinnlich. Setze Polizeimütze auf, flirte mit deinem Spiegelbild. Mehr Schuss! Liebe die Welt. Umarme den Bildschirm. Die Flaschen auch. Alle. Weine. Versichere dir, dass du willkommen bist. Wanke ins Bett. Sei glücklich. Singe Weihnachtslied. Decke dich mit Plastikflügeln zu. Alles wird gut.

Freitag, 20. November 2020

Anschaufensterln

 Schönen guten Morgen, es ist Freitag, der 20. Locktober, und die Tage war ich einmal in der Stadt. Liebe Kinder, ihr werdet’s nicht mehr wissen, aber das ist das, wo wir Alten früher manchmal gern einmal also: „gebummelt“ haben wir gesagt, „komm, wir gehen einmal schön bummeln“ und je nach Kassenfülle oder -knappheit haben wir dann ein bisschen geshoppt oder vielleicht auch nur geschaufensterlt. Dann sind wir viel in Schlangen gestanden – ähnlich wie heut auch, nur dass heut nicht mehr so viel Schlange gestanden wird, um Waren zu erwerben, sondern es wird lange angestanden, um die Ware wieder loszuwerden, nämlich bei der Post. Statt hübscher Dinge im Schaufenster hab ich vergleichsweise oft einen Anblick zweifelhafter Erbaulichkeit präsentiert bekommen, nämlich meiner selbst, die ich mich vorzüglich im leeren Glas gespiegelt habe. Spezialvorzüglich deshalb, weil dass ich’s irgendwie geschafft hab, mir mit dem Mundschutz die Tusche von den Wimpern zu atmen und großflächig als Panda-Auge im Gesicht zu verteilen, das hab ich nicht so gut gesehen im Anschaufenster. Aber gut, wer sich heutzutag noch schminkt ist eh selbst schuld, und mich tät schon interessieren, ob dereinst die Archäologie im Jahre 4153 n. Chr. darniederkniet in der staubigen Schlucht, die irgendwann einmal als Pegnitz sich durch das Nürnberg gefräst hat und dann Planquadrat und schau einmal: ein Plastikgaberl und ein Senftüterl und Bierkapserl, aber was hat es nur mit diesen Mundschützen auf sich, wo immer auf Kinnhöhe so ein braun-beiger Batzen ist und dann mittig oben auch noch einer und links und rechts davon hat’s schwarze Schlieren, manchmal auch blaue oder grüne oder Glitzerleim und dann wiederum am Ohrenhenkel schimmert’s rotorange und kupferrosa in der gesamten Farbpalette, kannst du dir das erklären, Helmut? Und der Helmut schaut und grübelt und denkt sich, da wird’s schon irgendein seltsames Stammeskriegerritual gegeben haben, und dann noch später finden sie heraus, dass gar nicht wie immer angenommen die Männer hier die Dings gerockt haben, sondern waren’s freilich die Frauen, nur so ist die Bemalung zu erklären, und … Ja, ich auch große Kriegerin also mit furchteinflößender Kampfpandabemalung, jedoch in Unkenntnis darüber. Und ich sag einmal so: Da musst du dann schon also wirklich sehr viel Mimik, um nicht zu sagen: Gesichtsdisko veranstalten, damit dein Gegenüber nicht einfach schreiend davonläuft oder vor unterdrücktem Lachen erstickt, weil er sieht ja nicht, dass du lachst und gar nicht grimmst. Ich aber Idee, nämlich in verschiedener Stimmung meinen Mund fotografiert, lachen, ächzen, zürnen, und die Bilder halt ich mir dann einfach geschwind vor die Maske. Gut, an der Proportion muss ich noch tüfteln und am richtigen Handgriff auch, aber wir wollten ja eh mehr lachen. Wo ich so drüber nachdenk … Die Fröhlichkeit des reizenden Marktmannes erscheint plötzlich in zweifelhaftem Licht. Aber gut, passt sie dann wenigstens gut in die Innenstadt.

Freitag, 13. November 2020

Lockwork Orange

 Schönen guten Morgen und herzlich willkommen in einer neuen Folge unserer beliebten Serie „Lockwork Orange“, bei der wir alle uns zwar keiner Gehirnwäsche unterziehen, wohl aber einer steten Reinigung der Hände, die darum jetzt bereits vor Angst zu zerbröseln beginnen, sobald sie einer Seifen- oder gar Desinfektionsstation auch nur ansichtig werden. Praktischer Nebeneffekt: Man muss einen Mikrofaserlappen nicht erst lästig greifen und festhalten, sondern reicht es, einfach nur mit den Fingern an ihm vorbei zu streichen und schon klammern sich die feinen Fasern feste an die Rauhlederhaut. Das hat auch was niedliches, irgendwie. So niedlich wie kleine Patschehändchen, die sich grade tapfer um kleine Laternenstiele wickeln und einsame Runden um mit roten Kotbeuteln festlich geschmückte Wohnblöcke marschieren, bewacht von Bodyguardmüttern, die statt Laternen auf der Stirne eine in Leuchtschrift geprägte Botschaft tragen „Wenn du es wagst, uns nach Haushalten und Adressen zu fragen, brech ich dir die Knochen. Alle!“ Ich geeeeh mit meiner Lateeeeeeerne, und mei-ne La-ter-ne mit miiiiir. Dort ooooben leuchten die Elon-Musk-Steeeeerne. Hier unten schneu-heu-zen wiiiir … ähm …  Nänäää-nänä, nänääää-nänä … RABIMMEL-RABAMMEL-RABUMM-BUMM-BUMM! A propos Rabammel, weil Bammel hab ich auch, nämlich vor Menschen, die sich das sorgfältige Lächeln eines Psychopathen auf ihren Munaschu oder Muschu oder Fotzenkapperl oder wie das jetzt heißt malen. Oder überhaupt Menschen, die lächeln, weil solche siehst du derart selten, dass wenn einer einfach einmal lächelt wechselst du lieber sogleich die Straßenseite weil vermutlich Tollwut und als nächstes reibt er sich maulschäumend an deinem Bein. HALT, da ist schon einer! … Ach nein, war nur ein einsames Laternenkind. Spaß beiseite, wir haben grade nichts zu lachen. Mein Musiktipp für alle, die momentan heiraten, konfirmieren, konvertieren, habilitieren, sich endlich scheiden lassen oder runde Geburtstage (haha) feiern kommt daher von Lesley Gore und zum gemeinsamen Singen von oder vor Balkonen hier auch hilfsbereit der Text: „It’s my party and I cry if I want to, cry if I want to, cry if I want to! You would cry too if it happend to you!“ Gerne auch „All by myself“ von und mit Selin Diong, der Fachmann empfiehlt hierzu Schlafanzug (Frottee, Flanell) und den 3-Liter-Eimer Schokoladeneis. Alternativ zur eher präpubertären Lösung sind kreative Ansätze denkbar: Abstandshaltungsgewänder aus Schwimmnudeln zur Rundherumsicherung, der gute alte (ceterum censeo) Zorbing-Ball, eine zeitgemäß modisch-innovative Rückwärtsbewegung hin zum Reifrock mit dem Doppelnutzen des unauffälligen Darunter-Tragens von Ski-Unterhose oder gleich Schneeanzug, zwengs Genderdings jetzt eh auch für jede*n tragbar oder, gleichermaßen stimmungsaufhellend und AHA-gemäß: Das aufblasbare Riesenweihnachtsmannkostüm, gesehen im Fachhandel ab 25,99 Euro. Gibt’s auch als Sumo oder Ballerina. Wird schon werden. Vielleicht sogar gut.

Freitag, 6. November 2020

Lachsschaumspeise

 Gleichwohl die Frage nach dem Sinn des Lebens seit Ende der 1970er Jahre dank eines gewissen Douglas Adams hinreichend beantwortet scheint (42!), hatte es sich eine frivole Zirkustruppe Anfang der 1980er Jahre nicht nehmen lassen, dieses Rätsel mit britischem Humor weitreichend zu ergründen. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens rumpeln Monty Python auch über den Unsinn des Ablebens einer ganzen Gruppe, das in einer ersprießlichen Dinner-Szene mit Gevatter Tod von eben jenem durch das wortwörtlich letzte gemeinsame Abendmahl herbeigeführt wird: „Die Lachsschaumspeise“, spricht der Boandlkramer in zwischen Hochmut und Entsetzen changierende Gesichter, befördere die Träger derselben in Bälde hübsch gemeinsam übern Jordan. An diese Szene muss ich denken seit gut einer Woche, als ich am Morgen nach dem abendlichen Genuss eines Pilzgerichts (ein ähnlich heiteres Wort, wie ich nämlich finde) offenbar einer späten Halluzination erlegen war. Was nun wirklich kein Wunder wäre, schließlich ist, nur weil alle neuerdings in Mykologie promovieren, nicht gesagt, dass bei der gebückten Lese zwischen Preiselbeer und Moos auch der Geigerzähler läuft. Jedenfalls saß ich tranig vor dem Bildschirm und sah auf einmal Regenbogen. Rieb mir die Augen, sah schwarz, sah Sternchen, sah: Regenbogen. Blinzelte – und das Traumbild eines über Nacht mirnichtsdirnichts buntgepinselten Monstruments: dahin. Da war ich gleich erleichtert, weil freilich erst Besorgnis: Da wird doch nicht einfach jemand ohne vorher gefragt zu haben und geprüft, Passierschein A38 beantragt und mit der Brandmalschutzwegverodnungsschablone abgeglichen, die Wahrscheinlichkeit geklärt, dass eins ausrutscht oder stolpert über Farbe oder Mut und dann Versicherung und haste nich gesehen! Ohne abzustimmen jahrelang, ob da nicht vielleicht doch irgendein Gefühl verletzt oder sonst ein Anstoß genommen werden kann, vom Stattkulturhauptamt salbungsvoll zurechtgeschliffen, damit sich keins den Schädel anschlägt wie an den Pfandguerillakästen, die ja auch in der ganzen Stadt den Nachschub an Schwerstverletzten sicherstellen. Weil „kompromisslose Respektlosigkeit der Kunst“ darf man zwar sagen, doch machen lieber nicht, sonst onduliert ihr professioneller FriSÖRsalon die zause Stadtfrisur eilig wieder glatt. Also war ich erleichtert. Und sogleich irritiert: Scheint’s hab nicht nur ich am Pilzgericht laboriert, sondern noch viele Leute mehr einen Waldausflug und dann Halluzination erlitten, ein kollektiver Rausch als List vom Boandlkramer? Dabei sollen wir doch alle daheim bleiben – und Christian Morgenstern nachlesen, denn der „kommt zu dem Ergebnis: / Nur ein Traum war das Erlebnis. / Weil, so schließt er messerscharf, / nicht sein kann, was nicht sein darf.“