Freitag, 26. Oktober 2018

Staubschneisen

Bedeutsame Szenen der Filmgeschichte: Zauberer Schmendrick versucht, das letzte Einhorn zu retten. Auf seiner verzweifelten Suche gerät er in die missliche Lage, an einen Baum gefesselt zu werden, woraus er sich zu befreien versucht, indem er selbstverständlich Magie anwendet. Leider ist Schmendrick ein kleiner Tölpel, und so findet er sich anstatt in Freiheit unversehens im wogenden Dekolleté einer riesenhaften Baumdame wieder, die ihn herzt und anhimmelt und flötet „Ich liebe dich! Ich lieeeeeebe dich! Ich liebeliebelieeeeebe dich!“ Ganz ähnliche Szenen haben sich in den vergangenen Tagen bei mir zu Hause abgespielt, nur mit dem Unterschied, dass ich alles andere als unglücklich darüber war. Nein, ich habe mich hineingesuhlt in die Liebeswoge und das Gesicht versenkt im Busenglück und selbst ewige Treue geschworen und mich tausendfach entschuldigt für die schändliche Vernachlässigung. Meiner Couch. Der Erstkontakt war ein bisschen holprig weil als ich mich habe drauffallenlassen ist links und rechts von mir und überall um mich herum ein solchenes Staubgewölk aufgestiegen, dass ich dann erst einmal mit schwerem Gerät anrücken hab müssen und mir wenigstens eine kuschlige Schneise hineinmähen. Aus Gründen der allgemeinen Bequemlichkeit hab ich den wolkigen Mähabfall einfach direkt links und rechts von der Schneise belassen, halt ein bisschen so wie du jetzt draußen plötzlich überall die Laubberge entlang von Wegen aufgetürmt siehst, da sagst du ja auch „Mei schau wie schön!“ und springst lieber mit Anlauf ganz oben hinein in den Berg oder manchmal nimmst du ganz vielleicht ein bis drei Arme voll und verteilst sie wegen Laubkonfettieffekt wieder auf der Wiese, weil die ist eh nichts in so sauber, und dann vergisst du vielleicht schon einmal, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass das ein oder andere Hundstrümmerl miteingearbeitet ist in den Laubberg, weil da ist er für gewöhnlich nicht ganz so pingelig, der Laubzusammenrecher. Ob man das Kind auch auf Zecken untersucht hätte nach dem Laubbergbad, wollte die Tage so ein Strebervater wissen, und da hab ich milde gelächelt und gedacht, dass die Zecke vielleicht eher das geringste Übel ist, und dem Kind unauffällig einen kleinen dunklen Batz aus dem Mundwinkel gekratzt. Also jedenfalls thron ich da grad so in meiner verliebten Staubcouch, und jetzt stell dir vor: Springt nicht plötzlich der Fernseher auf meinen Schoß, wickelt sich um meinen Hals und im Schlepptau alle über die Monate hinweg angereicherten Zeitungen und Magazine und Bastelarbeiten, die haben sich auch erst einmal so wie ein Hund nach dem Schwimmen sauberschütteln müssen, und jetzt liegen wir also alle miteinander eng umschlungen herum, während auf dem Herd die Suppe köchelt, die aus dem reflex- bis zwanghaft erworbenen Kürbisdreierlei erstellt worden ist. Hier bleib ich. Und ihr? 

Freitag, 19. Oktober 2018

Der ewige Teig

Also das war ja so: Ich in Trauer wegen kein Horst und auch kein Hermann und deswegen Himmel verdunkelt, zumindest innerlich, wegen Seele, und Trübsinn auch nach außen tragen wegen immer gut wenn eh gleich jeder weiß: Obacht, lieber jetzt nicht ärgern, deswegen ja auch Gefahrensituation dann auf dem Spielplatz und beinahe Inkarzeration wegen vermeintlich liederlicher Umtriebe in Kindsnähe nur wegen Schwarzgewandung und Misstrauen eh generell ein bisschen viel überall grad. Und das alles nur wegen eines Teiges. Nein halt: Wegen der Abwesenheit eines solchen. Jedoch wenn du denkst es geht nicht mehr kommt von irgendwo ein Lichtlein her, und so hat mich ein Brief erreicht, dessen Inhalt eine glücksgleißende Gebrauchsanweisung gleicht. „Grundrezept für Hermann-Teig“ steht es geschrieben sowie von Hand auf einer Karte, wie sehr mein Schicksal berührt habe und meine Trauer auf Verständnis gestoßen sei, so dass man hoffe, meinem Leid ein Ende bereiten zu können. Der ewige Teig ist zu mir zurückgekehrt, hab ich jubiliert und sogleich alle Vorbereitungen getroffen, um in die Massenproduktion übergehen zu können. Einen winzigkleinen Wermutstropfen aber hat das Schreiben, denn mit wachsenden Augen hab ich lesen müssen, dass es vielleicht doch gar nicht ganz exakt genau so abgelaufen ist mit der Hermannzucht, wie ich das in kindlich-romantischer Verklärtheit erinnert hab. Aller Anfang ist easy: Mehl, Zucker, Hefe, Wasser, und ab geht die Luzy. Also je nachdem mit welchem Geschwindigkeitskoeffizienten man den Maßstab anlegen will. In so einer sagen wir mal Schildkrötenwelt wird’s jetzt vergleichsweise zackig. In meiner … nicht so. Aber Geduld ist die Mutter der Porzellanrührschüssel. Während der Initialhermann jetzt also an einem warmen Ort vor sich hin zellteilt und dabei auch noch gestreichelt und gefüttert wird, dass du sagst, ja, ein Hermann müsste man sein, bin ich ein bisschen tiefer eingestiegen in die Materie und hab Ahnenforschung betrieben, um meiner künftigen Großproduktion an teigbefüllter Tupperware, die man entweder wegen der weiter zunehmenden Sehnsucht nach Rückbesinnung und DIY ja ganz wundervoll im Familien- und Freundeskreis verschenken kann, halt mal mit einem Weihnachts- und mal mit einem Osterschleiferl dran, und ausgebackenen Variationen, wo du sagst, also ein Zuviel an Rosine und Schokostück und Orangeat kann es gar nicht geben, es schnapselt doch immer noch der feine Hermannduft durchs Beigewürz, also jedenfalls den Präsenten auch immer noch ein Geschichterl mitliefern zu können, wegen fürs Herz ist auch immer gut. So. Fragst du also den Onkel Doktor Oetker, weil der weiß eh alles, und dann sagt der, und du hast schon ein bisschen so ein feistes Grinsen erahnen können im teigigen Gesicht, sagt der also: Wasmeierin, jetzt wirst du gleich blöd schauen, und schon hab ich blöd geschaut. Weil es gibt nämlich noch Brüder vom Hermann. Die heißen (frage nicht!) Robert, Werner und Siegfried, unterscheiden sich im Input minimal, im Output jedoch vehement, so dass man direkt eigentlich alle vier Gemische ansetzen muss. Und dann ja aber auch verteilen … Während ich also mit dem Arm hurtig die Fensterbank abräum um darauf aufzutuppern könnt ihr euch ja schon einmal für die Warteliste anmelden. Nürnberg, der Leb(ende)kuchen! Wie schon Madame Déficit zum Volke sprach: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!

Freitag, 12. Oktober 2018

Atipico


Ich war ja urlauben, gell, und da gab’s viele schöne Bilder, eins kommt mir aber grad besonders schön wieder in die Erinnerung. Nämlich war da so ein arg beschaulicher Hafen, in dem schaukelten sehr beschaulich sehr arg viel kleine Boote vor sich hin. Allesamt waren sie blau und rot und harmonierten in ganz wunderbar nicht nur mit Sonne und Funkelmeer, sondern auch untereinander. In der Mitte des Idylls jedoch befand sich ein kleiner winziger Stördings, nämlichst ein einzelnes schwarzes Boot, auf dessen Flanke nicht wie über all sonst Maria, Giovanni oder Mamma zu lesen war, sondern hübsch ein „Atipico“ als Name aufgepinselt war. Eine Situation, mit der ich mich ganz prinzipiell gut identifizieren kann, gestern aber noch einmal spezialgut, weil ich so: Spielplatz. Ein Ort, an dem man sich zuweilen aufzuhalten hat, um dann sehnsüchtig über den lustigen Zaun zu linsen nach der Stelle zehn Meter weiter weg, wo man neulich noch mit den selben Menschen Flaschen mit sommerlicher Lustigsache kreisen lies, denen man heute zaunumringt höchstens mal beflissen ein Feuchtigkeitstuch reicht. Jetzt passieren auf so einem Spielplatz prinzipiell nicht unfeine Dinge. Kinder schlagen sich, defäkieren glücklich in anderer Kinder Sandtransport-LKW, finden lustige Zuckersachen im Dreck und halten sich nicht lang mit der Sortierung auf oder, lieb ich besonders, erleiden veritable Wutanfälle, weil sie erfahren müssen, dass die tollste Reifenschaukel der Welt zwar für eine halbe Stunde quasi die ihre war, in Wirklichkeit aber jetzt halt dann doch einmal geteilt werden muss. Tobsuchtsanfall, Komplettverweigerung, Totalspreiz in den Sand hinein, herrlich. Gut gefallen hat mir übrigens auch, als ein Zwerg unversehens so eine Hochkulturveranstaltung um eine spontane Performance bereichert hat, weil so eine wassersprudelnde Kunstsache sich zwar sehr gut als Planschort eignet, der aber irgendwann halt wieder verlassen werden muss. Die Performance war wunderbar, grad auch akustisch, und dass ich alles hilfsbereit gefilmt hab, wird die Mutter irgendwann schon noch zu schätzen wissen. Für gewöhnlich gelange ich an so einen Ort samt Kind + Mutter und verlasse ihn dann auch so wieder, was wenig Aufsehen erregt, außer vielleicht in so einem sehr schwierigen konservativen Dings, aber gut. Jetzt gestern aber problematisch, weil ich zeitlich im Verzug und deswegen erst nachgefolgt auf den Spielplatz. Schon draußen hab ich mich direkt selbst der kriminellen Handlung verdächtigt weil aus Versehen ganz in Schwarz während auf der anderen Zaunseite alles eher so Bunt und Outdoor und Selbstgefilzt und Camouflage, will sagen: fleckenresistent. Dann hab ich auch noch suchen müssen, sprich sehr konzentriertes Gesicht mit sonnengeblendetem Zusammenkneifen und dann auch noch überall so nah rangehen müssen, weil in dem Gewusel sehen alle gleich aus. Also so schwarze Mamba auf der Jagd. Quasi hab ich Sitte, Feuer- und Mütterwehr schon tatütataten gehört, deswegen erleichterter Hechtsprung zum Freundinnenkind und ersteinmal lautschreiend begrüßt. Erst ich, dann das Kind. Schreiend. Auf dem Rückweg hab ich superharmlos gelächelt und mich provisorisch mit Keksschleim beschmiert. Nächstes Mal trag ich mir den vielleicht im Vorfeld schon auf. Nix Atipico! 

Freitag, 5. Oktober 2018

Hermann ade!

Ihr Lieben, ich bin in Trauer. Ich möchte euch bitten, kurz innezuhalten und mit mir gemeinsam diese schweren Stunden zu verleben, in denen die Sonne so schamlos lacht, derweil mein Herz von dunklen Wolken verhangen ist. „Horst“, so steht es in sorgfältiger Handschrift auf einer Notiz vor mir, „hat es leider nicht überlebt.“ Das ist furchtbar, noch furchtbarer ist, dass zum Beweis des vorzeitigen Ablebens des Geliebten eine leere Hülle, ein Unlebensraum zurückgeblieben ist und mich tagtäglich an diesen furchtbaren Umstand erinnert. Ich hatte mich so gefreut auf Horst, auf seine Kinder, auf unsere gemeinsame Zeit, ich wollte ihn füttern und pflegen und hegen und waschen und ihm aus Gedichtbänden vorlesen. Alles war geplant. Jetzt hab ich mich umsonst vorbereitet, und das reißt ein tiefes Loch in meine Seele. Horst ist, nein: war ein Kefir. Wie ein wunderschön in Formaldehyd eingelegtes Gehirn schwapperte er in seinem Einmachglas, in das die Freundin ihn einquartierte, nachdem sie Horst von einer Freundin geschenkt bekommen hatte, glücklich vor sich hin. Fortan galt es, das Gehirn zu wärmen, mit Zucker und Zeug zu füttern, gelegentlich zu waschen und dabei wichtige Regeln zu befolgen, auf dass der Pilz wachse und gedeihe, dem menschlichen Verzehr sein eigenes Leben opfere und ein neues den vielen Nachkommen schenke. Als ich davon erfuhr, war ich sogleich in heißer Liebe entbrannt. „Das“, rief ich mit herzblinkenden Augen aus, „brauch ich auch! Das ist ja wie der Hermann! Nur für Erwachsene!“ An dieser Stelle darf gerne ein Aufschrei durch die Groß- und Müttergeneration erfolgen. Wir erinnern uns: Eines schönen Tages bringt das Kind eine Tupperware mit nach Hause. Darin eine schwappernde Flüssigkeit, der beim Öffnen des Deckels ein widerwärtiger Schnapsgestank entsteigt. Sogleich möchte man die Dose schließen, versiegeln und verbrennen, mindestens im Sondermüll entsorgen, bekommt diesem Tun jedoch einen Riegel vorgeschoben und vom Kind die Unabdingbarkeit der neuen Lieblingsbeschäftigung beschieden. Fortan lebt und gedeiht in Küchen, Gemächern und Kellerräumen der Hermann, ein Teiggebilde, das es mittels Zugabe von Zucker zu füttern gilt und dem Ausdruck „rührende Umsorgung“ eine ganz neue Bedeutung verleiht. Drohte der Hermann seiner Kinderstube zu entwachsen, teilte man in flugs durch Sieben, verschenkte Teile, verbuk andere und behielt den Urhermann. Kuchen für immer, wie wundervoll! Leider hast du da die Rechnung ohne die Mutter gemacht, die des dauernden Schnapsgestanks überdrüssig irgendwann das Ableben des teigigen Mitbewohners verkündete, weil der versehentlich in den Ausguss gefallen war. Eine schwelende Wunde im Kinderherz seitdem, auf das sich mit dem Horst endlich ein heilendes Pflaster hätte legen können. Aber nein, es war mir nicht vergönnt, und es wird wieder kein Pilz freudig mit dem Myzel winken, wenn ich nach Hause kehre, sondern nur die Fruchtfliegen zur Begrüßung schäbig lachen. Ade! Hat jemand vielleicht noch einen Horst oder Hermann für mich? Dann tät ich den gern nehmen. Nicht dass ich mir noch aus Einsamkeit einen Fußpilz zulegen muss.