Freitag, 26. Dezember 2014

Tarnmützen

Der Feiertagskalender bringt den wohligen Umstand mit sich, dass ich das ganze Endzeitbohei dieses Jahres entspannt retrospektiv betrachten kann, anstatt mich in Unheilsprophezeiungen und Wettervorhersagen ergehen zu müssen. Während also alle Hamster dieser Stadt die Regale heimsuchen, um die Höhlen und Tresore mit über mehrere Wochen hinforthelfenden Vorräten zu befüllen, weil man weiß ja, dass über so ein, zwei Feiertage in einem Dritte-Welt-Land wie dem unseren gern mal eine Hungersnot droht und man vor Übergriffen des befeindeten Auslands wie beispielsweise der Schweiz nie gefeit ist, lehne ich mich also zurück und registriere nicht ohne eine gewisse emotionale Regung, dass ähnlich der Lebensmittel aus den Regalen etwas aus dem Straßenbild verschwunden ist, das mir in den vergangenen Wochen große Hilfe geleistet hat. Nämlich – ja, wie sag ich’s diplomatisch? Vielleicht so: „Dank der lustigen Blinkerentierweihnachtsmützen erkenne ich Vollidioten schon aus großer Entfernung“?

Was dem Münchner der billig-pappene Seppelhut, das ist dem Nürnberger jedwede Kopfbedeckung, die ausdrucksseitig an Weihnachtsthematik erinnert, inhaltsseitig (nämlich innerhalb des Schädels, auf dem sie sich befindet), daran, dass es viele Menschen gibt, die auch „Familie Nullinger“ auf Antenne Bayern zum Schießen komisch finden, sich edel in „Camp David“ hüllen und „Shades of Grey“ als „gutes Buch“ bezeichnen, ohne dabei rot zu werden. Muss ich nicht verstehen. Muss ich aber auch nicht aufstehen und applaudieren. Aber ähnlich dem innigen Wunsch, es möge im Sommer ein Gatter vom Hauptbahnhof hinab gen Norden führen, das gleichsam eines Almabtriebs die ganzen JGA-Rindviecher direkt aus der Gräfenbergbahn hinein führt in ein Etablissement, in dem sie geduldet bis erwünscht sind, erwächst in mir das Bedürfnis, solches für die Menschen zu institutionalisieren, deren Identität zum Ausdruck gebracht werden soll mittels: blinkenden Rentiergeweihen, singenden Nikolausmützen und, besonders schön, einer an Drähten schwebenden Lametta- Gloriole.

Dabei ist der einzige Nimbus, der sie umgibt, der der Ballermann-Kultur. Um diese aus Adventszeit betrachtet zu entzerren, würde ich fürderhin vorschlagen, ganzjährig entsprechenden Kopfschmuck zu etablieren, was ja auch nur gut sein kann für die Wirtschaft. So ließe sich das Gaudi-Hirn an Ostern vielleicht großflächig unter einem Kunstgrasnest verbergen, zu Pfingsten unter Ochsenköpfen oder einer antennenartigen Baumkonstruktion mit wehenden Bändern, im Sommer umschlingen Bratwurstschnecken das muntere Haupt und im Herbst wird freilich ein Kürbis darübergestülpt. Folgerichtig wünsche ich mir für Silvester Raketen-Kronen mit langer Zündschnur, mittels derer man die Spaßgesellschaft im Vorbeigehen auf eine heitere Reise schicken kann.

Freitag, 19. Dezember 2014

Gute-Laune-Feen

Ich bin ja, man darf es ruhig so sagen, von Haus aus ein eher übellauniger Mensch. Nebst verschiedenster Szenarien des Alltags, in denen dieser Charakterzug nach außen drängt, tut er das insbesondere, sobald ich mich umgeben sehe von einschlägigen Anthropomorphen, die zuweilen den Weg zu kreuzen sich tunlichst nicht vermeiden lässt. Und je dichter bewandert der öffentliche Raum, umso größer die Gefahr eines Aufeinandertreffens. Gemeint sind all die Gute-Laune-Feen, die dieser Tage unsere schöne Stadt – und mutmaßlich auch sehr viele, wenn nicht gar: alle anderen – geballtermaßen heimsuchen. Gute-Laune-Feen zeichnen sich, wie soll es anders sein, durch ein sprühend‘ Maß an strahlender Freundlichkeit aus, durch selbstlose Hilfsbereitschaft, durch liebevolle Rücksichtname und derlei weitere Redundanzen, die unser Zusammenleben angeblich angelegentlich gestalten. Und da hat die Gute-Laune-Fee im beschaulichen Advent freilich Hochkonjunktur. Hölzern schwebt sie durch die Gegend, eifrig danach trachtend, andere Seelen mit lamettaglitzernder Glückseligkeit zu überschütten und einen Moment innehalten zu lassen im emsigen Treiben der Vorweihnachtszeit. 

Gute-Laune-Feen können in vielerlei Gestalt auftreten, gemein ist ihnen bloß, dass demjenigen, dem sie erscheinen, ein Gefühl nachhaltiger Verwunderung beschert ist. Und da sind sie listig, diese Wesen. Formwandeln sich in süße Omis, die Krücken in Hacken schlagen, weil eine Türe ausreichend lange (nämlich 17 Minuten für drei Meter) aufzuhalten versäumt wurde. Bereiten Erlebnisse der dritten Art, indem sie – „Herr Ober, können wir Ihnen vielleicht etwas bringen?“ – Bestellaufforderungen auf kunstschneebedeckte Tischdeko erbrechen. Maßregeln Eltern, die wagen, ihren winzigen Zwergen auch mal einen kurzen Blick aufs Christkind zu ermöglichen, per Fußtritt, sie sind ja jetzt schließlich hier und älter und das Sichtfeld möge bitte kindsfrei bleiben. 

Ergehen sich in stundenlangem Gezeter, weil ein Menschlein am bekanntlich schikanefreien Weihnachtsmarkt einen Tropfen Punsch auf die gute Jacke verliert. Schütteln endlos murrend Köpfe, weil eins, das die Aufnahme in den „Mensa“-Club offenkundig eher nicht nur aus Bescheidenheit abgelehnt hat, zu lang im Portemonnaie kramt. Ellenbogend durch Busse, hupend durch Straßen, bellend durch Gruppen und so weiter und so fort ziehen die Gute-Laune-Feen ihre Kreise, versprühen Glück und Harmonie, Barmherzigkeit und Güte, und wehe dem, der ihnen unaufgefordert ein Lächeln schenkt, dann kommt sie hervor, die Feenrute, auf der steht, es reiche, wenn Nächstenliebe postuliert wird, da muss man sie ja nicht auch noch praktizieren. Macht hoch die Tür, die Tore macht weit! Gute-Laune-Feen müssen leider draußen bleiben. Fröhliche (!) Weihnachten!  

Freitag, 12. Dezember 2014

Schneekugelgestöber

Wort der Woche: Geschenk. An dieser Stelle sollte ich eigentlich aufhören und den restlichen Platz für wahlweise Einkaufslisten oder Flüche zur Verfügung stellen. „Geschenk“, das bedeutet sprachhistorisch die „freiwillige Übertragung des Eigentums, zum Beispiel einer Sache oder einem Recht an einen anderen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.“ In dieser Definition haben sich listig Fallen versteckt. Und zwar so ungefähr in jedem zweiten Wort. Wie man’s dreht und wendet, befinden sich die meisten von uns mutmaßlich derzeit in einer akuten Stresssituation. Weil man halt doch nicht so gut zugehört hat, was der Herzenswunsch der Liebsten war, und dieser elende Zettel mit den Notizen, wo hab ich denn den nur … ? Panisch werden also Dinge auf Verdacht erworben, die später beim Markt der langen G’sichter wieder auftauchen oder diesem Ebay, Ehen zerbrechen, Kinder geben sich zur Adoption frei, Eltern leiten die Enterbung ein.
Als probates Lösungsmittel gilt der Gutschein, und da kann ich nur sagen: jawoll! Es geht doch nichts über ein liebevoll gerolltes Zettelchen vom Elektronikmarkt des Vetrauens, eine mit Instantglitzer versehene Aussicht auf Wellnessbehandlungen jedweder Art oder das heilige Versprechen auf die Durchführung des lang gehegten Wunschausfluges. Dass die meisten dieser Blanko-Schecks erst Jahre später wieder auftauchen und dann ideel oder monetär verfallen sind – sei’s drum. Was zählt, ist die Geste! Das denken sich wohl auch alle eigentlich postadoleszenten Personen, die finden: Ich bastle was! Das hat im Kindergarten auch immer gut funktioniert! Meine Lieblingsgeschichte dazu geht so: Freundin findet in einschlägigem Jungfrauen-Magazin superdupersimple Anleitung für „Schneekugeln – eine süße Idee für Weihnachten“.
Adrett hinter Glas positionierte Minifiguren zeigen Idyll und Seligkeit, zumindest auf dem Foto, nebst der investierten Zeit war viel Liebe in Rund und Glitter, und darum geht’s doch. Weisungsgemäß wurde jedoch erstmal sehr viel Geld hineingetan, weil das Liliput, das kostet halt, aber was tut man nicht alles, um die buckliebe Verwandtschaft zu Tränen zu rühren. Tränen vergoss am Ende vor allem ich. Vor Lachen. Nämlich, als mir mit unverhohlenem Stolz mehrere Glasgefäße präsentiert wurden, in denen samt schlammig-trüber Flüssigkeit ersoffene Minitiere traurig treibend durch die Scheibe glotzten. Das sei, so ähnlich sprach ich huldvoll, das schönste Selbstgebastelte, das ich, ach was!, die ganze Menschheit jemals gesehen hatte! Das ist jetzt locker zehn Jahre her, und trotz eines gewissen Krisencharakters hat uns die Episode nicht entzweit, ganz im Gegenteil. Und darum geht’s doch! Weltfrieden!

Freitag, 5. Dezember 2014

F43.2

Es ist und bleibt jedes Jahr das gleiche. Ich kann nichts dagegen tun, und wenn ich’s mir recht überlege, bildet sich in letzter Zeit, wohl dem fortschreitenden Alter geschuldet, eine Intensivierung dieser prekären Form des Elends heraus. Ich leide. An einer Anpassungsstörung. Dieser Ausdruck ist wichtig, zeigt er doch, dass es sich um einen Umstand handelt, der schulpsychologisch benannt und anerkannt ist und darob nienichtkeinesfallsvergisses mit einem saloppen „Stell dich mal nicht so an!“ abgetan werden kann. Nach ICD-10, also der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, als „F43.2“ getarnt, ist in der Diagnose zu lesen: „Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht außergewöhnlichen oder katastrophalem Ausmaß; Beginn der Symptome innerhalb eines Monats.” Katastrophales Ausmaß also.

Seit dem 26.10. nämlich, und damit dürfte auch der Zeitraum entsprechend abgedeckt sein, befinden wir uns in der vermaledeiten und in jedem Wortsinne verabscheuungswürdigen Winterzeit. Dessen schmerzlich bewusst wurde ich mir soeben, als ich nach mehrstündiger konzentrierter Schreibarbeit erstmals mein müdes Haupt zu Zwecken der Nackendehnung hob und erst nach links streckte, dann nach rechts, und dort sah ich: Schwärze. Düsternis. Von jetzt auf hopp war Nacht geworden, himmelwiediezeitvergeht, du hast aber auch wirklich genug geschafft heute, sprach ich milde zu mir selbst und begann, das Abendprogramm abzuspulen. Hinein in den Flanellschlafanzug, her mit den Kuschelsocken, Teewasser aufgesetzt und dann schnell ab auf die Couch, vielleicht schaffst du’s ja noch zum Sandmännchen oder wenigstens der Tagesschau. Zu meiner größten Verwunderung fand ich jedoch auch nach mehrmaliger, einer wachsenden Verzweiflung geschuldet gewissenhaftem Durchzappung aller Kabelkanäle weder das eine noch das andere, sondern lediglich schwierige Sendungen, die ein erschlagendes Indiz auf die Uhrzeit gaben.

Nanu?, blickte ich aus dem anderen Fenster, aus dessen Richtung deutliche Schneeschippgeräusche an mein Ohr drangen. Die stellten sich heraus als sehr viele Menschen, die auf einem Gerüst balancierend Putz an Wände anbrachten. Die Erkenntnis traf mich doppelt und gleichsam schwer: Es ist Nachmittag, andere Menschen tun Dinge, schlimmstenfalls solche mit Arbeit, und du Tageslichtlemming bist schon wieder auf die Winterzeit hereingefallen. Da jeder Mensch aber weiß: Ist der Joggers erstmal an, so lässt er sich so leicht nicht wieder entfernen, muss ich jetzt leider quasi unverschuldet auf der Couch verbleiben und mich weiter selbst bemitleiden, anstatt Dinge zu tun wie etwa einen Einkauf oder womöglich das andere böse A-Wort. Aber das gute F-Wort, das schaff ich noch. Feiern!

Freitag, 28. November 2014

Advent, Advent, der Kittel brennt!

Mit dem Beginn des Advents vollzieht sich mit vielen Menschen Wunderliches. Das ist in vielen Breiten so, im Hiesigen jedoch, so meine ich, ganz außerordentlich, weiß der Nürnberger doch, dass jetzt wieder die Fahnen dessen gehisst werden, wofür er auf der ganzen Welt gekannt, geliebt, vergöttert wird. Bratwurstlebkuchenglühwein, christkindliche Glückseligkeit. Doch wie jede Medaille auf der Welt hat auch unsere blankpolierte zwei Seiten, und die präparieren sich jeweils typisch für das Unvermeidliche. Seite eins lassen wir aus, daran befinden sich: Griesgrame, Zugezogene, Spaßbremsen, Bähmenschen. Pah. Seite zwei jedoch reibt sich seit Wochen die klammen Pfoten. Schmiedet Pläne, obwohl sie doch eh weiß, worauf’s hinaus läuft. Nennen wir es: fatalistisch. Neben wichtiger Oberpunkte wie „bester Treffpunkt“, „dickste Lammfellsohle“ und „schnell nochmal in den Prolog spicken“ ist der Casus Knacksus jedoch dieses Getränk, um das man einfach nicht herumkommt, und, wenn man ehrlich ist, auch nicht herumkommen will.  

Man spricht also weiter vom „Zwei-Minuten-Fenster“ und meint damit die Zeit, in der das da in den heiteren Tassen trinkbar ist, darüber hinaus von Flachmännern, Sauren Gurken und der Thermostasse, was unweigerlich zur Frage nach der Thermoskanne führt. Hier jedoch hält der kluge Eingeborene inne. Und erinnert sich: Hatte da nicht unlängst ein lustiger kleiner Freistaat scheu versucht, sich vom Stigma des ScheußlichsterdialektdesLandes freizumachen und sich die Sympathie der Nürnberger zu erbraten, indem er Wurst fürs Volk ankündigte? Sah der sich da nicht unversehens Aug in Aug mit Hunderten fränkischen Zerberussen, die die Grillzange schwangen, den andren Exil und sich selbst Verarmung kündend? Da war nämlich Schluss mit lustig.  

50 Jahre Mauerfall, Verbrüderung, tränenreiche Küsse, und dann kommt da plötzlich der Ossi und will Würze in unser Leben bringen, also nein wirklich, bei der Wurst, da hört die Freundschaft auf, dann lieber ein Extrasolizuschlag Senf. Von dieser Episode eingeschüchtert, fügt sich der Eingeborene also flugs in sein Schicksal, auch weiterhin Qualitätsware zu angemessenen Preisen in umsatzbegünstigenden Gefäßen zu degustieren, anstatt sich von daheim was mitzubringen und das Kommerzfeld gütig den Besuchern zu überlassen, liebevoll Selbstzubereitetes wird eh gemeinhin überschätzt. Wir freuen uns also überschwänglich auf Senfflecken, Kinderstiefel im Auge und darüber, dass wir alle so willkommen sind. Solang wir nichts verschenken.  

Freitag, 21. November 2014

Das Ding mit dem Sack

rne würde ich den heutigen Beitrag einleiten mit der Frage „Was haben Deutschland und asiatische Männer gemeinsam?“ Da das jedoch zu Missverständnissen führen könnte und darob zu (berechtigtem) Unmut in der Bevölkerung, mache ich das einzig richtige, was man mit Sparwitzen tun sollte (sie sich zu sparen, nämlich), und komme ohne Umschweife und Einleitung zum Pudelkern. Gelber Sack also. Wir führen eine komplizierte Beziehung miteinander. Nämlich kann ich nicht so gut ohne ihn, wegen Vorschrift und Moral und Erziehung und Umwelt und Obrigkeitshörigkeit und grünem Gewissen und Dasisthaltso. Jedoch kann ich auch nicht sonderlich gut mit ihm. Wegen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich noch kaum einen Menschen getroffen habe, der mit absoluter Bestimmtheit sagen kann, was genau in diesen Gelben Sack nun eigentlich hineingehört, dafür aber viele Menschen kenne, die das Ding so auf Verdacht befüllen und nochniemalsnicht im ganzen Leben sich die Mühe gemacht haben, den außen angebrachten Nutzungshinweis zu studieren (mich eingeschlossen).

Mal abgesehen davon, dass es mich erstaunt, dass ich immer wieder auf Menschen stoße, die Dinge egal welchen Materials vor der Hineintuung in den Gelben Sack einer gründlichen Reinigung unterziehen, so dass sich mir der umweltschonende Gedanke schon wieder so gar nicht mehr erschließen mag. Mal davon abgesehen, dass, lässt man an beliebigen Tagen die Blicke so durch die Straßen schweifen, sich die Vermutung aufdrängt, es herrsche eine gewisse Unsicherheit beim Bürger hinsichtlich der Abholtermine der zuständigen Entsorgungsagentur (was wiederum das muntere Krähenvolk rund um beispielsweise die Wöhrder Wiese freut, hat das doch stets was zu spielen und zu rupfen).

Und ein Gelbessäckchenrupfen tät ich gern mal mit dem Gelbesackerfinder, der mir erklären möge, wieso genau ein Beutel, in den man nicht nur weiche Plastikplauschen, sondern auch gern mal scharfe Dosenränder hineintut, schon zerfällt, weit bevor er den designierten Inhalt auch nur erblickt hat. Nachdem ich unlängst mehrere Gelbe Säcke mit sich selbst befüllt hatte, während ein Exemplar ums andere mich mit großer Kreativität in puncto Reißunfestigkeit zu beglücken strebte, befinden sich nunmehr in der dazugehörigen Tonne die Mistbeutel dreilagig, was bedeutet, ich produziere Müll, während ich ihn entsorge, und sehe freudig dem Moment entgegen, in dem ich verzweifelt versuche, die Zuknotlaschen aus der Öffnung zu pfriemeln, dabei große Wunden in den Sack zu reißen und dann doch wieder alles nochmal umzuschlichten, anstatt es einfach den Krähen zum Fraß vorzuwerfen.

Freitag, 14. November 2014

Rabimmelrabammel

„Ich geeeeeeh mit meiner La-teeeeeeeerne, und meeeeine Laterne mit miiiiir! Da voooorne kommt die Ta-veeeeeeeeeerne, da tausch‘ ich das Ding gegen Bieeeeer!“ Wie? Falsch? Sterne, Leuchten, Heiligkeit? Das mag ja sein, aber: Ist mir egal, denn ich bin heilfroh, wenn ich überhaupt einen Text in mir drin habe, der einigermaßen die metrischen Grundbedürfnisse befriedigt. Nachdem ich unlängst lernen musste, dass die jahrelang von mir inbrünstig jubilierten Zeilen „Das Licht geht aus, ich geh‘ nach Haus‘, rabimmel, rabammel, rabumm, bumm, bumm“ einem nicht mehr nachvollziehbaren Irrglauben zu verdanken sein und es eigentlich heißen soll „Ein Lichtermeer zu Martins Ehr, rabimmel, rabammel, rabumm, bumm, bumm“ bin ich ehrlich erschüttert, muss ich mich doch fragen, wie oft ich schon mit schockierten bis peinlich berührten Blicken ob dieses lyrischen Fauxpas bedacht worden bin. Also wo ich doch mindestens auf 17 Laternenumzügen pro Saison bin und da meine neuesten Bastelarbeiten präsentiere, lampionschwenkend. 

Gut, ich habe gewissermaßen eine Entschuldigung, entstamme ich doch altem katholischen Landadel, der nur aufgrund demographisch-historischer Wirrnisse in der protestantischen Ödnis gestrandet ist, um fürderhin ein Leben in innerer Zerrissenheit zu führen, insbesondere so in der Zeit um dieses Weihnachten, die durchsetzt ist von traditioneller („Mamamamamaaama heut kommt der Pelzmärtel ich freeeeeeeeeeu mich so!“ – „Du kannst so viele Stiefel rausstellen, wie du willst, mein Kind, der NIKOLAUS kommt erst am 6. Dezember! MIT dem Krampus!“) wie liturgischer („Papa wieso holt der Mann mit dem Kleid die Lebkuchen aus der Mikrowelle?“ – „Das heißt ‚Tabernakel‘, Kind, und ‚Hostie‘!“) Verunsicherung … 

Äh ja, worum ging’s? Textsicherheit, richtig. Weil ich gerne mag, wenn Menschen voller Hingabe Lieder mitsingen, ohne auch nur eine einzige Silbe des Textes zu beherrschen, was man ja ungefähr überhaupt gar nicht an den Lippenbewegungen erkennen kann, und selber zwar großmäulig die Prämisse „Nicht so gut, dafür schön laut!“ für Gesangsveranstaltungen jedweder Art ausgebe, mich dann aber nicht minder nachdrücklich vor Darbietungen drücke, die nicht von einer mindestens baustellenlauten und deswegen mich übertönenden Instrumentalbegleitung flankiert werden, bin ich hochsensibel, was Geschichten rund um die Reizworte „Gesang, Text, Lautstärke“ betrifft, halte mich für gewöhnlich sehr bedeckt und steige erst wieder ein, wenn ich mir ganz sicher bin. Also so: „Ich geeeeh mit meiner La-teeerne, und meine Laterne mit miiiir. Da oben leuchten die Steeerne, und unten lo-hoichten wiiir. Mhmmhmmmmhmh, mhmhmmmmhmhm, RABIMMELRBAMMELRABUMMBUMMBUMM!“

Freitag, 7. November 2014

Holterdipolter

i mir spukt es. Seit ein paar Monaten schon, und zwar nicht dergestalt, dass ein sphärischer Adonis nächtens um mein Bett wabert und mir uralte Geheimnisse und Schatzkarten anvertrauen möchte, sondern solcherart, dass irgendein grumpliges Wesen sich ausschließlich in Geräuschen manifestiert, mit denen es gleichzeitig versucht, mich dazu zu bringen, mich selbst einzuweisen. Es begann damit, dass aus dem Badezimmer ein Brummen ertönte, das ich erst auf einen Hubschrauber zurückführte, um dann festzustellen, dass der Hubschrauber im Zimmer nebenan nicht zu hören war, um dann rund um den Durchlauferhitzer eine mehrstündige Quellensuche am späten Sonntagabend zu vollziehen, inklusive Siemens-Notdienst, Kohlenmonoxidvergiftungsgefahrpaniktelefonaten und Fernwartung mit Elektriker. Es war dann ein gelockertes Wasserrohr, das von hinten an den Stromkasten wummerte. Da hilft’s freilich nicht, alle Sicherungen rauszudrehen und mit der Stirnlampe zu agieren.

Als nächstes piepte es bei mir. Von heut auf morgen, 24 Stunden am Tag, leise, aber vernehmlich, beständig, aber dabei in derart unregelmäßigen Abständen, dass eine Ortung schlichtweg unmöglich war. Fünf Minuten reglos auf dem Flur verharren, dann aufgeben, einen anderen Raum betreten und … pieep! Habe versucht, mir ein Haustier einzureden, ohne Erfolg. Nach mehrwöchigem extrinsischen Tinnitus gab es ein Gespräch über Rauchmelder in Wohnungen, in dessen Laufe ich einer Eingebung folgend aufsprang und zur Kammer des Schreckens (aka Rumpelkammer) rannte, um aus einer Schachtel ganz hinten unten einen Wasserstandsmelder zu bergen, der mir vor vielen Jahren aufgenötigt wurde und den ich sofort auf der Stelle statt wie befohlen ihn neben der Waschmaschine zu positionieren weit weg aufgeräumt hatte. Leider hatte der Aufnötiger umsichtigerweise die Batterie schon eingesetzt, und die stößt halt irgendwann an ihre Grenzen. Habe den Poltergeist dann in einer feierlichen Zeremonie seziert und entsorgt.

Der aktuelle Spuk: ein Zwergspecht. Der sitzt irgendwo in meinem Kleiderschrank und pockert. Irgendwas ist ja immer. Doch bevor ich jetzt langweiligerweise davon ausgehe, dass es sich um die locker gewordene Schranktüre handelt, die durch einen sich in der über mir liegenden Wohnung bewegenden Menschen in minimale Schwingung versetzt wird, erfreue ich mich lieber an der Vorstellung des Polterspechts und google ein bisschen nach „Exorzismus“. Kann man ja mal machen, jetzt, wo dieses Halloween vorbei ist und alle wieder ihre normale Schreckensgestalt angenommen haben, zumal in der Nacht.

Freitag, 31. Oktober 2014

Schranklawinen

„Die meisten Unfälle passieren in Haushalt und Freizeit!“ Welch ersprießliche Schlagzeile. Ich suche weiter: 2012 gab es im deutschen „Hausbereich“ 2,80 Millionen Unfallverletzte, davon beachtliche 8158 mit letalem Ausgang, weiß die zuständige Bundesanstalt, und eine Forsa-Umfrage entsetzt sich darüber, dass „jeder Dritte die Unfallgefahr im Haushalt unterschätzt“. Bin amüsiert. Unterschätze da gar nichts. Wäre soeben beinahe Opfer eines tödlichen Anschlags geworden, der von einer herabstürzenden, prallgefüllten Alufolienschachtel verübt wurde. Die lebt ganz oben auf einem Küchenschrank, und weil’s ihr da zu fad ist, sucht sie sich von Zeit zu Zeit einen Ausgleichssport und hat ihr Wohl im Basejump gefunden. Runterstürzen, Mensch erschlagen, fertig, juhu. Nein, nicht so ganz fertig, weil unten angekommen hält es die Alufolie gelegentlich und eben vorzugsweise dann, wenn sie sehr neu geöffnet ist, für dringend erforderlich, sich großflächig zu entrollen. 

In meiner Küche, deren Innenmaß so manchen Großgrundbesitzer erblassen ließe, jedoch nicht vor Neid, eine respektable Leistung, es zu schaffen, mehrere Meter Silberglanzpapier abzurollen. Hätte ich mich darüber früher gefreut und Elternschelte nicht verstanden. Heute bin ich eher missmutig gesinnt und finde es irgendwie nur so mittelerbaulich, jetzt keine hübschglatte Alufolienrolle sondern ein Alufolienknäuel in die Schachtel und die dann oben auf den Küchenschrank gestopft haben zu müssen. Was mich aber nicht davon abgehalten hat, wieder nicht einen Stuhl zur Hilfe zu nehmen, um das Unding zu verräumen, sondern mich zu recken und zu strecken und mit einem gezielten Basketballsprung die Schachtel nach oben einzulochen. Darin liegt nämlich des Pudels Kern: Weil ich sehr klein bin und ein bisschen faul (oder war’s umgekehrt?) schwebt über mir und meinem Haushalt stets ein Damoklesschwert in Form herabfallender Gegenstände. 

Anstatt mich auf den Stuhl zu stellen und Sachen von aufdemschrank zu holen, tu ich halt so lang umeinander, bis ich einen Zipfel von irgendwas erwische und mich dann überraschen lasse, was wohl herablawint. Ähnlich verhält es sich mit Dingen, die aus der Mikrowelle geholt werden wollen. Weil die steht nämlich oben auf dem mannshohen Kühlschrank, und weil es viel zu große Umstände bereitet, jedesmal den 20 Zentimeter entfernten Stuhl zu Hilfe zu ziehen, zupf ich lieber an dem Teller und versuche, den höchstmöglichen Neigungswinkel zu berechnen, bevor sich mir der Inhalt ins Gesicht ergießt. Funktioniert besonders gut bei: Suppen. Andere machen Extremsport, ich wärme Suppe auf. Im Sektor „Freizeit“ werden in besagter Statistik übrigens 3,11 Mio. Unfälle angegeben, davon 8237 tödliche. Wenn man’s so sieht, leb ich doch vielleicht ganz gut mit der Gefahr. Mazel tov!

Freitag, 24. Oktober 2014

Fußpils

Der lustige Duden kürt derzeit das alljährliche Wort der Jugend. Mal davon abgesehen, dass das allein schon ein Widerspruch in sich ist (Duden / Jugend), und fürderhin abgesehen davon, dass das Jugendwort 2014 mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit (aktuell im Voting führend mit über 50%) „fappieren“ werden könnte (was einer lustigen Spaßtruppe US-amerikanischer Hacker zu verdanken ist und dessen Bedeutung ich hier nicht aufschreiben darf, weil sonst der Medienjugendschutz bei mir klingelt ...); davon abgesehen jedenfalls finden sich unter den 30 Vorschlägen, auf Basis wessen Einreichung auch immer das geschieht, Ersprießlichkeiten wie (kenn ich schon, mag ich trotzdem) „tebartzen“ (sich etwas Teures leisten), „lass Haare wehen“ (beeil dich!), „Assistempel“ (Tätowierung, mutmaßlich logische Fortsetzung zum „Assitoaster“), und mein Highlight „Immatrikulationshintergrund“ (Person, die nicht richtig anpacken kann und ungeschickt ist und daher studiert hat). 

Der Rest liest sich ungefähr so, als hätten realitätsferne Akademiker in einem linguistischen Alchemielabor verzweifelt versucht, Buchstabendreck in hippes Wortgold zu transmutieren. Eins jedoch hat mich stutzen lassen: Fußpils, nämlich. Aus der Anwesenheit dieses wunderschönen Wortes, das nichts andres bedeutet als das herkömmliche „Wegbier“ (für die ganz Betagten unter euch: Das ist dasjenige Getränk, das der Ausgänger sich schnell für den Weg von daheim zur Party einsteckt, um den Aufbau des Blutalkoholspiegels keiner lästigen Unterbrechung auszusetzen), stellen sich mir Fragen und praktischerweise die dazugehörigen Antworten gleich mit.

Entweder, es verhält sich tatsächlich so, dass die Duden-Jugendwörter von postmodernen Mittdreißigern konstruiert und als Erfindung der Heranwachsenden präsentiert werden. Oder aber die Jugend ist überhaupt gar nicht ach-so-sprachkreativ wie ihr immer nachgesagt wird. Ich jedenfalls spreche seit Jahr und Tag von Fußpilsen. Und ich berufe mich ja für gewöhnlich nicht gern darauf, aber in diesem Fall: Ich bin garantiert nicht jugendlich! Also wenn das so ist, liebe Jugend, dann erfindet doch bitte gefälligst ein eigenes Wort fürs Wegbier, und lasst uns alten Menschen unseren hippen Slang. Sonst könnt ihr nämlich auch gleich wieder anfangen, „mega“ und „ultra“ zu sagen. Da könnt ihr mich jetzt ruhig einen „Beta“ schimpfen oder „Senfautomat“ und „Therapier mich nicht!“ rufen und „Hängs!“, aber in dem Fall bin ich gerne „emoxif“. Und dann verrat ich euch eine taufrische Schöpfung aus den Untiefen der Südstadt, „Ihr Asylopfer!“, schnapp mir mein Fußpils und ziehe von dannen.

Freitag, 17. Oktober 2014

Senile Bettflucht

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Den frühen Vogel wurmt der Fang. Den frühen Vogel fängt der Wurm. Der frühe Fang wurmt den Vogel. Der frühe Fang vögelt den Wurm. Senile Bettflucht stinkt. „Es ist 6 Uhr 25“, sprach soeben das Radio. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits mein halbes Tagwerk verbracht und fühle mit den Rentnern. Wäre ich ein solcher, betrachtete ich es jetzt als angemessene Uhrzeit, Schnee zu schippen, so der denn läge. Die Geschäfte öffnen frühestens in drei Stunden, was mich auf eine großartige Idee bringt: bis dahin die restliche Pflicht absolvieren und mich dann geschwind in einschlägige Supermärkte begeben. Dort durch alle Reihen laufen, sehr viele Dinge in einen Wagen tun. Diese dann sehr langsam und sehr einzeln aufs Band an der Kasse legen. 

Dann den Sack mit dem dem Bauch des Sparschweins entwendeten Kleingeld bis maximal 50 Cent zücken. Münzen einzeln bis zum Betrag von 47,98 Euro abzählen. Mich hierbei mehrmals verrechnen. Nicht bemerken, dass hinter mir eine immer länger werdende Schlange „normal“ Berufstätiger eine immer größer werdende Ungeduld entwickelt. Mich umdrehen und laut über kein Verständnis für die Jugend heutzutage schimpfen (ungeachtet des Alters der Anstehenden), sobald eins der marodierenden Meute mir den Wagen in die Hacken fährt. Mit dem Einkaufsnetz dem Unhold schlagen. 

Von dannen ziehen, mich irgendwie beschäftigen. Abends kurz vor Ladenschluss bemerken, dass ich doch noch was vergessen habe. Großen Gefallen daran finden, die absolute Rush-Hour der gestressten „Schnell noch eine TK-Pizza“-Käufer abzuwarten. Gleiches Theater aufführen wie am Morgen. Hierbei Schlagzeile „Renitente Journalistin von aufgebrachtem Mob mit Zwiebelnetz erdrosselt“ formulieren. Verwerfe Idee und arbeite weiter. 

Freitag, 10. Oktober 2014

Steinleid

Immer dieses Genöle. Schreib doch mal was mit Kindern! Schreib doch mal was mit Tieren! Mit Pflanzen! Nö, sag ich. Die sind mir alle zu nervös, zu laut, und verlangen am Ende noch nach Lob. Ich schreib lieber mal was über: Pflastersteine, über die wird nämlich überhaupt viel zu wenig geschrieben, dabei sind’s doch akkurat hier so viele. Liegen da so rum, ein jeder latscht über sie hinweg, keiner hat sie lieb, die Pflastersteine, eher wird über sie geflucht, weil eins gestolpert und darniedergesegelt ist. Liegen sie da also rum. Große, kleine, dicke, dünne, alte und junge – sind ja auch nur Menschen, diese Pflastersteine. Kleine Pflastermänner. Pflänner. Liegen da so rum und denken sich „Och“, denken sie sich, „schon nett hier, aber halt auch irgendwie ein bisserl fad.“ Und „Jetzt kommt schon wieder so ein Stöckelschuh!“ und „Wieso müssen kleine Kinder eigentlich immer mit dem Gesicht auf mir landen?“ und „Zefix schon wieder ein Eis!“ Und dann hören sie so um sich herum und auf einmal hört der Pflann ein Stimmchen, das ruft und jammert und maunzt, und dann ist da plötzlich eine Pflau. 

Da freut er sich, der Pflann, juhu, ein Weiblein für mich, nur – wie soll er denn da jetzt hin, zu seiner Liebsten? Festgepfropft muss er liegen, eingekeilt zwischen seinesgleichen, „JACK! JACK!“ ruft die Pflau, „ROSE! HIER BIN ICH!“ ruft er zurück, und jetzt muss man sich vorstellen, das manchen ja jetzt ganz viele Pflauen und Pflänner, ein Meer von rufenden, sich reckenden und streckenden und sehnenden  Steinderln, die alle nicht zueinander dürfen. Und vielleicht hat’s auch Pflinder dabei, man weiß es nicht, sind getrennt worden im garstigen Steinbruch von der Pflama und dem Pflapa, und liegen fürderhin und immerdar auf dem Lorenzerplatz und dem Hauptmarkt, dabei würden sie viel lieber weiter zusammen sein dürfen und kuscheln und Maumau spielen. 

Und die Pfloma und der Pflopa liegen dann auch noch umeinander, da, ganz da hinten, und jetzt auf einmal weinen die alle miteinand‘. Nicht so schön, das. Aber was macht man jetzt mit diesem Elend aus Kopf, Granit und Schiefer? Ausgraben und zusammenmemoryien vielleicht lieber eher nicht, weil erstens dauert das wohl länger und zweitens schaut das dann ja erstmal nicht mehr aus und drittens galoppiert dann flugs die Straßenwacht in die Familienzusammenführungsarena. Wenn das Leiden nicht physisch zu beheben ist, so dann wohl psychisch, und da müssen wir also jetzt alle zusammenhelfen. Bleibt halt hier und da mal stehen und beugt euch hinab zum Pflasterstein. Sagt hallo und seid nett und lächelt. Das wird schön, und da freuen sich nicht nur die Pflastersteine, echtwahrversprochen. 

Freitag, 3. Oktober 2014

Duftteufel

Ich hab ein Souvenir bekommen. Souvenirs, also eine Erinnerung an einen Urlaub, gemeinhin „Mitbringsel“ genannt, erfüllen normalerweise den Zweck, Zurückgebliebene über ihre Nichtreise hinwegzutrösten („Bring mir bitte wenigstens was mit!“), oder … Ja, das war’s dann auch schon. Man hat dann gerne mal lumpige Shirts, Miniatursehenswürdigkeiten oder erdiges Muschelwerk, von dem ungefähr niemand irgendeinen Nutzen hat außer derjenige, der dem Reisenden das Andenken für teures Geld aufgeschwatzt hat. In einzelnen Fällen auch derjenige, der sich dadurch lästigen Devisentausch am Flughafen erspart. Man könnte „Souvenir“ an und für sich auch mit „Rausgeschmissenesgeld“ übersetzen. Das Mitbringsel, von dem die Mär heute handelt, geht aber in andere, mephistophelische Richtung. Nämlich macht es, dass ich ständig Hunger habe. 

„Indulge in baked pumpkin whipped with vanilla frosting and a hint of honey“ steht auf dem Ding, und auch des Englischen weniger mächtigen Bürgern dürfte da vielleicht ersichtig sein, dass eine relative Häufigkeit von Süßkram vorliegt. Und tatsächlich: Blicke ich das Mitbringsel an, so sehe ich Cupcakes, die von zuckriger Sahne umwölkt sind wie ich vom ebensolchen Duft, sobald ich das Geschenklein betätige. Dann kommt aus ihm ein weißer Schaum, den man sich am liebsten direkt so in den Schlund füllen möchte, gleichsam einer Sprühsahne, bei der man auch schon vorher weiß, dass einem hundselend wird, sobald man der Versuchung nachgibt, aber sie ist einfach zu groß, und zack hinein mit der Chemie, und dann eine Stunde Übelkeit für zwei Sekunden Glück. Insofern ist das Mitbringsel eigentlich das allergleiche. Teufel, sag ich doch! Nur: Es handelt sich hierbei um Handseife. Ich wasche mir also neuerdings die Hände mit sanftschäumenden Vanille-Honig-Sahne-Kürbis-Kuchen.

Erfunden hat’s, wie soll es anders sein, der Ami. Und wie das halt so ist mit den Düften, verhält es sich auch im vorliegenden Fall so, dass derjenige Geruch, der lieber nicht so lange vorhalten soll, am hartnäckigsten ist, während das, was man am liebsten den ganzen Tag um sich hätte, am raschesten verfliegt. Jetzt wird ja in einschlägigen Frauenzeitschriften gern mal behauptet, ein schier unstillbares Verlangen nach Schokolade sei allein dadurch zu bezwingen, dass man einen beherzten Atemzug tief ins Nutella-Glas hinein macht. Ich hab keine Ahnung, ob das stimmt. Im Seifen-Fall stimmt’s jedenfalls nicht, denn das einzige, was passiert, ist, dass ich permanent halluziniere, ich hätte grade vorhin eben irgendwas deliziöses gebacken, dessen Geruch mir noch an den Fingern haftet, und ich bräuchte nur nach Hause zu fahren und mich daran zu laben. Und dann ist da aber gar nichts, zu Hause. Die Conclusio muss also lauten: nächstes Mal dann doch lieber wieder die Miniaturfreiheitsstatue. BITTE! 

Freitag, 26. September 2014

Kassettensport

Diesen Beitrag darf nur lesen, wer folgende Aufgabe innerhalb einer Sekunde und ohne Joker lösen kann: Nimm eine Kassette und einen Bleistift. Verbinde beide Teile sinnvoll miteinander! Kannst du nicht? Tja, Pech gehabt. Oder auch nicht, sondern: Lies und lerne! Jeder Angehörige der frühen 80er Generation zögert nämlich nicht, den Stift in eins der Kassettenlöcher einzuführen und Schraubbewegungen auszuführen. In Erinnerungen schwelgend. Was waren das für Zeiten! Die des Tonbandsalates nämlich. Wenig erfreulich, zugegeben. Wie eigentlich alles andere auch, aber rückblickend betrachtet verklärt der Mensch ja gern (vgl. Geburt, die). Während ihr heut euer Smartphone nur noch in Richtung der Musikquelle haltet und euch den Titel shazamt, sah das bei uns so aus: Freitag für Freitag daheim vor dem Radio kauern, die „Schlager der Woche“ hören und im richtigen Moment auf „REC“ drücken. 

Ergebnis: lustige Mixtapes, bei denen Lieder prinzipiell mit der Anmoderation begannen und mit einem Werbejingle jäh endeten. Dann musste man in mühsamer Millimeterspularbeit Schadensbegrenzung leisten. Aber schnell, denn der nächste Schatz kommt bestimmt! Hatte man dessen Titel und Interpret nicht parat, so gab’s nicht etwa ein Google, in das man Textfetzen hineintippen und das Ergebnis soundclouden konnte, sondern man war gezwungen, so lange peinlich in der Öffentlichkeit vor Freunden und Bekannten zu singen und summen, bis die Lösung erarbeitet war, auf deren Ankündigung man wiederum vor dem Radio lauern konnte. Ich erinnere mich dunkel an etwas wie eine Osterspezialwunschsendung auf Gong: Vier Tage am Stück die Wünsche der Hörer. Dazugehörig gab es eine Playlist in Form eines kommunalwahlgroßen Papiers, dem die Reihenfolge zu entnehmen war. Es erfolgten vier Tage Stress und Arbeit, am Ende dann kilometerweise Glück auf Magnetband. 

Das konnte man sich dann selig anhören, immer und immer wieder, endlos beinahe, wäre da nicht dieses ärgerliche Klicken gewesen, mit dem das Abspielgerät nach (bestenfalls) 45 Minuten das Ende von Seite A mitteilte, was erforderlich machte, aufzustehen und auf Seite B zu wenden. Gesegnet war, wer eins der ersten Geräte besaß, die automatisch umdrehten! Weil gar so viel Mühsal drinsteckt, nenne ich noch kistenweise dieser Wunder mein Eigen, ein Œuvre aus bemalten und beklebten Kassettenschachteln, aus Widmungen und Erinnerungen, und dauernd nehme ich mir vor, die alten Dinger zu digitalisieren. Das sähe dann vermutlich so aus: Kassette an, Shazam hin, Youtube download, fertig. In Anbetracht der schieren Flut an Titeln eine Reminiszenz an alte Zeiten. Aber irgendwie auch … unwürdig. Ich glaub, ich lass es lieber. Und schau euch beim Sahazamen zu. Aber eigentlich fänd ich’s schöner, euch alle singen zu hören. 

Freitag, 19. September 2014

Sommernach(ts)herzschmerz

Es gibt so verschiedene Sachen, mit denen Eltern einen ein Leben lang aufziehen. Besonders hoch im Rennen stehen Pubertätsszenarien jedweder Art – vermutlich eine Art Traumabewältigung, die die Erzeuger dadurch leisten. Es sei ihnen gewissermaßen gegönnt, schließlich erkennt man mit zunehmender Altersweisheit, dass in der Tat hier und da ein Matrixfehler vorgelegen haben mag. Und wenn man ganz ehrlich zu sich ist, muss man eingestehen, dass man vermutlich an Elternstelle nichts anderes machen würde, als sich in jahrelangen, epischen Lästereien und Lachkrämpfen zu ergehen. Eine dieser Geschichten beginnt mit dem Satz „Das war doch der Sommerurlaub, bei dem du die komplette Heimreise über Rotz und Wasser geheult hast …“ Nun, dieser Versuch einer historischen Einordnung ist so gehässig wie vergebens, denn: Ich habe sehr, sehr viele Urlaubsheimreisen Rotz und Wasser heulend verbracht. Jedes Mal das gleiche Szenario.

Völlig wurscht, ob sich ein Strand in Italien, Frankreich oder Kroatien befindet, ob Wasser und Nächte kalt oder warm sind, ob es nur Saft zu trinken gibt oder schon Sangria – mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit habe ich höchstens einen Tag ab Ankunft gebraucht, um die Liebe meines Lebens in Form eines pickligen Knaben zielsicher aufzuspüren wie ein Schweinderl einen Trüffel. Infolgedessen ist man im siebten Himmel statt an der Adria, durchleidet Ausflüge jedweder Art als Todesstrafe nicht allein, weil sie mit der Familie zu bestreiten sind, sondern weil das eine mehrstündige Trennung vom Zukünftigen (Iren, Franzosen, Deutschen, etc. pp.) bedeutet, und dann, irgendwann, wenn das Aufgebot gedanklich bestellt, die Hochzeitsreise geplant und die Kinder getauft sind, werden für alle Beteiligten vollkommen überraschend die Zelte abgebrochen.

Es erfolgen Suiziddrohungen, Sich-selbst-zur-Adoption-freigeben-Ankündigungen, dann hollywoodeske Abschiedsszenen und die unweigerliche Abreise. Die verbrachte mein gequältes Ich wie folgt: Walkman (das ist das mit den Kassetten, liebe Kinder, doch dazu ein andermal mehr) rein, Kuschelrock 1 bis 7 in Dauerschleife, und dann – ist es denn die Möglichkeit? – singen diese klugen Menschen nicht alles genau das, was man selber grade empfindet. Gebrochene Herzen, unstillbare Sehnsucht, einsam bis ans Lebensende, so Zeug. Das eignet sich wiederum hervorragend dafür, Textfragmente in verschiedenfarbiger Tinte zu einem großen Gesamtkunstwerksliebesbrief zu formen und solcherart die gesamte Fahrt zu bestreiten. Daheim angekommen litt man noch so ein, zwei Stunden Tantalusqualen, nur mit Herz statt Leber, woraufhin eine spontane Wunderheilung erfolgte und alles vergessen war. Bis zum nächsten Skilager.

Freitag, 12. September 2014

Joggerterror

Im September ist es traditionell üblich, bei jedem noch so kleinen Sonnenstrahl den „letzten schönen Tag des Jahres“ auszurufen, auf dass der Mensch sein Bündel schnüre und in den nächstgelegenen Park wallfahre. Dort angekommen wird ihm der letzte schöne Tag jedoch alsgleich vergällt von einer Spezies, die sich bereits seit dem ersten schönen Tag des Jahres anschickt, ihren Mitmenschen das Dolce Vita zu versauen. Dem Jogger. Der Jogger ist von Natur aus eine Nervensäge. Das gilt freilich auch für Anhänger des Arschgeweihs der Funsportarten, gemeinhin als Inlineskater bekannt, doch sind die bei weitem nicht so zahlreich vertreten wie der Jogger als solcher. Egal zu welcher Tageszeit man sich in einem Park, an einem Strand oder einem Biergarten niederlässt, um sich von Existenzstrapazen zu erholen, von der Muse oder sonstwem küssen zu lassen – man kann sich sicher sein, es dauert keine fünf Sekunden, und diese Ausgeburt der plakativen Fitness kommt herangazellt.

Manchmal auch herangenilpferdet, was aber unterm Strich egal ist. Ausgerüstet mit dem neuesten Highendschuhwerk, bepackt mit zig energydrinkbefüllten Leichtplastikfläschchen, um den Arm ein Pulsgerät, und die ganz Tollen telefonieren dann auch noch im Lauf, während sie niederträchtig und verächtlich auf den Kontemplierenden hinabblicken: „Ih, du Freizeitversager, sitzt da und vertodsündigst dich! Schau mich an, vital, fit, und nachher mach ich mir einen Sprossensalat ohne Dressing! Ätsch!“ Ich empfinde das als unerhört, als Belästigung sondersgleichen. Wozu gibt es Turnhallen, wozu gibt es Kellerräume, in denen man der Leibesertüchtigung nachgehen kann, ungestört von der Umwelt und vor allem die Umwelt ungestört vom Jogger?

So irre sexy schaut ihr nämlich auch gar nicht alle aus, mit eurer vitalen Gesichtsfarbe, und dann ist man auch noch beständig umgeben von dieser höchst vitalen Duftnote, die, so bin ich überzeugt, der einzige Grund für das exzessive Fliegenaufkommen beispielsweise am Wöhrder See ist. Ich möchte das nicht. Ich möchte im Biergarten und Park sein, ohne dass permanent das fleischgewordene schlechte Gewissen um mich herum japst, das mich vorwurfsvoll anschaut, weil es gar nicht weiß, dass ich natürlich längst bei der Morgengymnastik im Turnkeller war oder das zumindest fest vorhatte, und weil es auch nicht weiß, dass ich hier grade nur bin und vermeintlich entspannt in den Himmel gucke, weil ich eigentlich arbeite und krampfhaft darüber nachdenke, ob ich nicht was anderes schreiben kann außer über Jogger. Aber sagen wir mal so: Das habt ihr jetzt davon. Ihr habt euch mir nachgerade aufgedrängt.

Freitag, 5. September 2014

Veitstanz

Neulich berichtete eine Mutter von den Erlebnissen des vergangenen Wochenendes. Im Zuge des Referats fiel der Satz „… versuch du mal, einen Spreißel aus dem Fuß eines Vierjährigen zu entfernen, ohne dass die Polizei anrückt wegen des Geschreis!“ Sofort war ich von tiefem Verständnis und Mitgefühl ergriffen – für das Kind. Es ist nämlich so: Meine Schmerztoleranz verhält sich indirekt proportional zur Schmerzangst. Schon immer. Ich habe diverse, höchst eindrückliche Nahtoderfahrungen aus der Kindheit vor Augen, die entstanden, als die Erzieher beispielsweise versuchten, eben jenen vermaledeiten Spreißel aus irgendeiner Extremität zu entfernen. Wohlgemerkt lang bevor sie auch nur in dessen Nähe kommen konnten, habe ich mich in größter Panik vor dem dräuenden Schmerz auf dem Boden gewälzt und gebrüllt, als gäb’s kein Morgen. Und so rückblickend wundere ich mich, dass da nie jemand die Polizei gerufen zu haben scheint. 

Jetzt bringt die Zivilisation bedauerlicherweise mit sich, dass es gesellschaftlich nur so mittelakzeptiert ist, wenn man sich ab einem bestimmten Alter aus Angst vor einem vermeintlich lebensgefährdenden Schmerz in einem veritablen Veitstanz gebärdet. Deswegen habe ich im Laufe der Zeit eine Übersprungshandlung etabliert: Ich werde lustig. Sehr lustig. Das führt erstens zu halbwegs akzeptabler Stresskanalisation und zweitens, und das ist nicht unwichtig, zu dem Irrglauben, dass je unterhaltsamer man ist, desto länger kann man das drohende Leid hinauszögern. Natürlich ist es Unfug, zu glauben, ich könnte mich Possen reißend mit dem Rücken die Wand entlang unauffällig aus der Gefahrenzone stehlen, während die potentiellen Übeltäter sich vor Lachen auf dem Boden krümmen. Aber was ist schon Vernunft? Meine komödiantischen Höhepunkte erleide ich zuverlässig regelmäßig beim Besuch des Zahnarztes (der an dieser Stelle herzlich gegrüßt und für seine unermessliche Geduld gelobt sei!). 

Mensch, was haben wir da immer für einen Spaß, der zunimmt, umso näher das erste „Und jetzt machen wir mal ganz weit auf!“ rückt. Zu meinem großen Bedauern hält sich die Publikumszahl in überschaubaren Grenzen (zwei Teilnehmer), ich werde auch nicht bezahlt für meine humoristischen Glanzleistungen, sondern muss im Gegenteil selber zahlen, und zu allem Überfluss danken’s mir die Menschen mit dem Mundschutz nicht durch Applaus und Rosenwerfen, sondern mit dem stets irgendwann ertönenden Mundöffnungsbefehl. Gut, man könnte durchaus anführen, dass der nur erfolgt, damit ich endlich, endlich aufhöre zu quasseln. Aber das halte ich für unwahrscheinlich. Wenn ich mal den Wahn erleiden sollte, ein Bühnenprogramm auszuarbeiten, dann muss da der Zahnarzt mit. Ich ruf ihn gleich mal an und befrage ihn nach einem Berufswechsel. Findet der bestimmt klasse. 

Freitag, 29. August 2014

Stöckchenwerfen

„Schlechte Leut‘ geht’s immer gut.“ Mit diesem schönen Satz bin ich sozusagen aufgewachsen. Wann immer mein Opa, Gott hab ihn selig, auf sein Wohlbefinden angesprochen wurde, antwortete er auf diese Art. Ich konnte das nie verstehen. Mein lieber Opa, der mich vom Kindergarten abholt und zum Musikunterricht fährt, der mir heimlich fünf Mark zusteckt, mich auf dem Sofa herumturnen lässt und überhaupt alles durchgehen, was sonst strengstens verboten war? An dem konnte doch gar nichts schlecht sein. Andererseits schien er immer wohlgelaunt. Es ging ihm also gut, dem Opa. So hab ich den Satz mit mir herumgetragen, ihm keine weitere Bedeutung zumessend, und der Opa, der sagte ja auch manchmal „Unkraut vergeht nicht“, und das ergab für mich ähnlich wenig Sinn. Es wurde ja schließlich danach gefragt, wie es ihm gehe und nicht irgendeinem Löwenzahn, um den kümmerte sich doch die Oma, wenngleich ebenfalls mittlerweile im Himmel. Je älter ich jedoch werde, desto mehr befüllt sich der geheimnisvolle kleine Satz mit großem Sinn. 

Schlechte Leute, was ist das eigentlich? Leute, die sich um niemanden scheren als sich selbst? Leute, denen es vollkommen egal ist, welche Konsequenzen aus ihrem Tun für andere entstehen? Leute, die derart und ausschließlich auf ihren Vorteil bedacht sind, dass sie einen Nachteil gar nicht sehen, weil es ohnehin nur eine Option für sie gibt? Leute, die durchs Leben trampeln und boxen, nicht nachdenken oder nur sehr verschroben, die sich anderer Menschen Eigentum bemächtigen, die Dinge stehlen oder auch mal einen Menschen, weil schau, das ist aber schön, das will ich haben, jetzt, ich nehm’s mir einfach. Sind das schlechte Menschen? Wenn ja, dann ist mir heut schon klar, dass es denen immer gut geht. Die grämen sich ja nicht und überlegen nicht, die wägen nicht ab, ob das jetzt nett war, was sie da getan haben. 

Ein bisschen wie ein Hund sind diese Menschen, weil der Hund, der sieht auch nur die Wurstsemmel auf dem Frühstückstisch liegen, und wenn er das haben will, dann gibt’s kein Halten mehr, und es ist ihm herzlich egal, ob jemand anderes sich die Wurstsemmel vielleicht sorgsam vorbereitet hat und sich freut, und dann geht der Wurstsemmelmacher nochmal kurz aufs Klo und ZACK! hat der Hund in seinen Lefzen, was er wollte. Dann setzt er sich in seinen Korb und kaut und freut sich. Und dann schläft er seelenruhig ein. Auf den Hund ist man manchmal ein bisschen neidisch, das wär doch schon schön, wenn man niemals über was anderes als sein eigenes Begehr nachdenken müsste, ach was, nachdenken, einfach machen! Aber wenn ich’s mir recht überleg, dann bin ich eigentlich doch lieber kein Hund. Wie schaut das denn aus, immer nur an allen hochspringen und hecheln und jeden lieben, der einem ein Stöckchen wirft? Da nehm‘ ich doch lieber in Kauf, dass es mir manchmal nicht so gut geht. Aber mit dem Opa-Satz antworte ich trotzdem gerne. Wegen Andenken und so. 

Freitag, 22. August 2014

Zaubertür

Könnt ihr euch noch an die „Rudi Carrell Show“ erinnern? „Eben noch im Tante-Emma-Laden, und jetzt schon auf unserer Showbühne!“ Ja, echt? Oh weia, seid ihr alt. Ich kann mich an die ja nicht erinnern. Ätsch. Dafür aber an die „Mini Playback Show“ (unter anderem deswegen, weil es mir aus unerfindlichen Gründen von den Erziehungsberechtigten nicht gestattet wurde, mich dort mit einer Madonna-Imitation zu bewerben. Hart!), und das ist auch viel besser, weil: Da ging’s auch auf die Showbühne, allerdings durch eine Zaubertür. Wer soeben noch in Karotten-Jeans und Nicki-Plüsch im Turnverein herumhampelte, schritt geschwind durch den Glitzibitziwitzi-Tunnel, um unversehens auf der anderen Seite als David Hasselhoff verkleidet wieder herauszukommen und in Slimfit-Jeans und Lederweste auf der Showbühne herumzuhampeln. Mir geht’s gerade sehr ähnlich.

Was nicht daran liegt, dass ich ein „The Hoff forever“-Shirt trage und mir auch keine Cher-Gedächtnis-Lippen habe modellieren lassen, sondern schlichtweg aufgrund des Umstandes, dass ich mich nicht erinnern kann, an welchem Punkt genau diese Metamorphose stattgefunden hat, in dessen Ergebniszustand ich mich jetzt befinde. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit großem Applaus Katharina Wasmeier! Gerade noch schwitzend im Freibad, durch die Zaubertür, und jetzt frierend auf unserer Herbstbühne!“ Also nicht, dass ich’s nicht prinzipiell gewohnt wäre, schließlich wohne ich in der vermutlich einzigen Stadt der Welt, in der man innerhalb weniger Minuten drei verschiedene Klimazonen durchwandern kann (zum Überprüfen empfehle ich einen flotten Spaziergang an einem beliebigen Sommerabend von der Wöhrder Wiese durch die Innenstadt hinauf zur Burg). Trotzdem.

Auf einmal ist es erforderlich, geschlossenes Schuhwerk (was sich ähnlich anfühlt wie Skistiefel) zu tragen und Socken, die ich erstmal suchen musste. Bei den diesbezüglichen Grabungen im Kleiderschrank habe ich allerlei Schätze gefunden. Tops, die, extra für die Saison erworben, einmal getragen vor sich hin modern, ungetragene Sommerkleider, bei denen ich mich fragen muss, für welche repräsentative Garten-Feier ich die gleich wieder gedacht hatte, leichte Schals und zisselige Überwürfe für laue Sommernächte, an denen sich noch die Preisschilder befinden. An deren Stelle trägt der Superstar von heute Pullis, Boots und Lederjacken.

Ich finde, da bekommt der Ausdruck „Hundstage“ doch gleich eine ganz neue Bedeutung. Immerhin kann man dem aktuellen Umstand zugutehalten, dass uns dereinst die Umstellung auf den Herbst, also, den echten dann, meine ich, nicht allzu schwer fallen dürfte. Bei der Miniplaybackshow hieß es „Alle werden siegen, auch wenn einer nur gewinnen kann!“ Gut. Wir werden auch dieses Jahr wieder alle den Herbst vorläufig besiegen. Durch Spätsommer und so. Aber wer aus dem Ganzen letztlich als Gewinner hervorgeht, wissen wir ja aus leidvoller Erfahrung. Dagegen hilft nur: tanzen!

Freitag, 15. August 2014

Zuckerauge

Ich steh kurz vorm Wahnsinn. Weil: Mein linkes Auge zuckt. Seit grob geschätzt 17 Monaten, das kann einen schon mal aufregen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vermutlich weil ich so gestresst bin (Regieanweisung: Legt sich Handrücken auf Stirn und blickt dramatisch gen Himmel). Jetzt könnte man meinen, dass mein Hauptärgernis ist, dass mein Blickfeld permanent in Stroboskopblitze getaucht ist. Stimmt, ist doof, aber daran gewöhnt man sich. Auch daran, dass ich ständig befürchte, völlig unbeabsichtigt auf offener Straße wildfremden Menschen aufreizend zuzuzwinkern. Freuen die sich ja drüber. Also, im besten Fall. Hoffe ich. Nein nein, es ist so: Ich meine, gelernt zu haben, dass Muskeln durch Beanspruchung wachsen. Deswegen gehen Menschen doch ins Fitnessstudio, damit sie dann als Stiernacken durchs Freibad hatschen können, die Arme weit vom Körper gespreizt, als hätten sie grade ein zweistündiges Training nach Jacobson absolviert. 

Wenn jetzt also, so meine kluge Schlussfolgerung, der Augenmuskel einer unablässigen Kontraktion unterliegt, dann muss der sich doch ergo unablässig trainieren. Und da setzt meine Angst ein: Was, wenn ich in Bälde unterm linken Auge eine nie wieder abklingende Schwellung tragen werde? Wie sieht das denn aus? Muss ich mir dann, weil offensiver statt defensiver Umgang und so, einen schwarzen Balken unters Auge malen und fürderhin als Katharina „Left Eye“ durchs Leben gehen? Oder mir, wegen Symmetrie, allmorgendlich mit Spezialtheaterschminke rechts auch einen Batzen hinzimmern, jeden Morgen? Ich hatte diese Zuckerei auch schon mal für lang am Bein und auch am Arm, und irgendwann hatte auch ein Daumen ein solches Eigenleben entwickelt, das war auch ganz schwierig. Damals kam mir dann noch ein ganz anderer Gedanke: Was können wir nicht alle froh sein, dass letztlich der gute Darwins Charly mit seiner Evolutionstheorie rechtbehalten hat und nicht sein Vorgänger Lamarck. 

Der hat ja nämlich gemeint, dass der Körper (Daumen) sich an die Anforderungen der Umwelt anpasst (häufiger Gebrauch) und das dann so weitervererbt wird. Um mal beim Daumen zu bleiben: Das würde bedeuten, dass diese Jugend von heute die Daumen-Muskulatur bei all der Smartphone-Benutzung übermäßig ausbildet und dann von Generation zu Generation immer größere Daumenmuskeln hervorträten. MUAHAHA! Wie das ausschaut! Popeye, aber an den Händen! Großartig! So aber machen ganz darwinistisch diejenigen das Rennen, die halt qua Tipp-Affinität die meisten sozialen Kontakte knüpfen und aufrechterhalten können, also theoretisch. Besteht doch noch Hoffnung, zumindest ästhetische. Was das jetzt mit meinem Auge zu tun hat, weiß ich übrigens auch nicht. Bin wohl doch irgendwie einigermaßen beeinträchtigt. 

Freitag, 8. August 2014

Kapernmütter

Zum beinahe täglichen Ritual meines Frühstücks gehören Bananen. Und beinahe täglich muss ich mich vor denen ganz furchtbar ekeln. In Abhängigkeit von deren Reifegrad mal mehr, mal weniger. Ich meine, es geht schon damit los, dass die, wenn man sie schälen will, nicht einfach aus ihrer Schale schlüpfen können, sondern zaudernd und sich zierend Federn lassen müssen, in Form dieser scheußlichen Fäden, die da immer noch so drankleben. Die muss ich dann akribisch hinfortoperieren – nicht auszudenken, es verliebe ein Fadenrest an dem Ding, da könnte ja sonstwas passieren. Je reifer die Banane wird, desto größer die Gefahr des Ekelhaftigkeitsnonplusultras. Nämlich: der Moment, in dem sich das Palmengemüse unten von der Schale löst. Wo „unten“ ist, ist eh klar, oder? 

Da kommt nämlich, wenn man alles richtig macht, plötzlich so ein Stachel aus der Banane. Dazu vorstellen kann man sich so ein „Plopp!“ Wenn man nicht alles richtig macht, bleibt der Stachel in der Frucht und mir nur die Möglichkeit, den Bananenarsch großflächig zu guillotinieren. Wi-der-lich! Warum ich’s nicht einfach lasse? Keine Ahnung. Vielleicht ist das meine tägliche Portion Grusel, weil der Rest meines Lebens sonst so eintönig Regenbogen-Einhorn-mäßig wär. Äh wobei … nein, eher nicht. Ich bin sonst auch eigentlich nicht sonderlich, wie sagt man, ziepfig. Gut, manche Dinge (Schäufele, Spaghetti alle putanesca, Romanesco) sind optisch attraktiver als andere (Schweinskopfsülze, Spaghetti al nero di seppia, Blumenkohl), stimmt schon. Aber da sollte ich wohl ergänzend erwähnen, dass mein persönlicher Aggressor sich in der Kaper manifestiert hat. 

Da muss man gar nicht mal allzu genau hinschauen, muss man da. Kapern sind ganz eindeutig kleine, widerwärtige Asseln, die sich ihres natürlichen Lebensraums (stehende, stinkige Gewässer; vgl. Wöhrder See, der) beraubt ähnlich einem Gürteltier sofort zu einer Kugel zusammenrollen und in dieser Stellung verharrend auf ihre Erlösung hoffen. Die tritt dann zumeist in Form eines Vitello Tonnatos oder Königsberger Klopse ein. Wenn man da also hineinbeißt, kann man die Viecher quieken hören. Dagegen hilft scheints lautes Schmatzen (hab ich zumindest so beobachtet). Das Muttertier, das die Kapernbabys legt, heißt im hiesigen Sprachraum euphemistischerweise „Kapernapfel“. Nja genau. Apfel. Wie Granatapfel, und wenn man den aufmacht, dann sind da auch unzählige Knirpse drin, nur das die nicht schreiend auseinanderstieben, wenn man sie herausholt. Wann immer ich so ein Glas voll Asseln sehe, verspüre ich den dringenden Drang, damit das nächstbeste Gewässer aufzusuchen und die Tierchen zu befreien. Was zuweilen zu Unmut der Kapern-Besitzer führt, aber da kann man nichts machen. Free Kaper! 

Freitag, 1. August 2014

Hirnstau

Manchmal hab ich schlimmen Hirnstau. Das funktioniert ungefähr so: Ich habe ein Thema (Ziel) im Kopf, aber ich komm nicht auf den Weg (Text), weil viel Konfetti mir die Sicht versperrt. Da denk ich dann und hirne und beginne und breche wieder ab und bin unzufrieden, aber ich kann auch nicht ablassen von dem Ziel, das muss dann unbedingt. Ständig tun sich neue Abzweigungen auf, die ignoriere ich gekonnt und geißele mich selbst. Weil ich mir das jetzt eben so in den Kopf gesetzt habe. Ganz schlimm. Wenn ich mir ein praxisnahes Bild zur Veranschaulichung suchen müsste, wüsste ich auch sofort, welches, denn das drängt sich an diesem Wochenende nachgerade auf. Nämlich: Die Autoschlange, die sich vor einer gewissen Tiefgarage unter einer bestimmten Spielstätte eines gewissen Innenstadtfestivals bildet. Den Leuten da, denen geht es ähnlich wie mir. Die haben sich was in den Kopf gesetzt, was sie für eine Primaidee halten: Veranstaltung! Auto! Parkhaus! Zentrum! Supi! Darüberhinaus vermute ich, dass sich hier auch noch das Wort „Geheimtipp“ einreiht, aber was weiß ich schon. 

Dann setzen die sich in ihr Auto und ignorieren die weithin sichtbare Anzeige „Freie Parkplätze: Null“. Weil: „Da gehen bestimmt gleich ganz viele, Heiner, das machen wir jetzt.“ Auf dem Weg dorthin wurden zudem bereits allsämtliche Angebote zu Abzweigung und Rettungsweg geflissentlich ignoriert. Was ich gewissermaßen verstehen kann bei Trägern dreibuchstabiger KFZ-Kennzeichen, weil die sehen vielleicht so ein „P+R“ und sagen sich „Nein also wirklich!“, sagen die sich, „Potacken und Rüben haben wir daheim genug, da halten wir jetzt nicht an.“ Flugs vorbeigesaust. Beim Innenstädter bin ich mir nicht so schlüssig. Aber vielleicht denkt der sich: „Mei also, bei diesem Fest da, da ist’s dann eh so laut, da tut uns ein bisschen Ruhe zu zweit / fünft im Auto vorher ganz gut, da muss man jetzt nicht auch noch den Trouble in der U-Bahn … Gell, Cindy?“ Und alle nicken und freuen sich und schmieren Brote und … ach nein halt, tun sie nicht, weil sie denken ja „Geheimtipp“ und so.

Dann finden sich also alle in dieser hunderte Meter langen Schlange wieder. Und statt auszuscheren und den vermeintlichen Gemüsemarkt (P+R!) aufzusuchen bleiben die da stehen. Deswegen muss ich auch immer so freudig lächeln, wenn ich da vorbeikomme, weil ich mich so verbunden fühle. Ziel vor Augen, und dann beherzt ans Werk und bloß nicht abbringen lassen! Kann ich nur bewundern. So sehr, dass ich schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt habe, mit einem Bauchladen hindurch zu schlendern und Erfrischungen anzupreisen, weil ich jedesmal die Gelben Engel vermisse, die sich kümmern. Ist ja schon heiß da, manchmal, und nach ein paar Stunden wird’s vielleicht auch ein bissl eng mit Klo. Aber wer weiß, wie die sich helfen, die tapferen Recken. Vielleicht aber verfolgen die auch nur einen viel höheren Plan, nämlich: So lange stehen zu bleiben, bis das Fest vorbei ist, um im richtigen Moment synchron umzudrehen und allen, die aus der Garage hinaus wollen, den Weg zu versperren. Fänd ich schon wieder lustig. Mal gucken, wie ich das auf meinen Hirnstau ummünzen kann. 

Freitag, 25. Juli 2014

Psychofahrrad

Mein Fahrrad, diese Mistkröte, hat sich mal wieder was neues einfallen lassen, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Dieses Mal ist die Situation besonders diffizil, denn es täuscht eine psychische Störung vor, und da sind einem quasi die Hände gebunden, man will ja keinem Unrecht tun. Das durchtriebene Ding hat sich eine Form von ADHS zugelegt. Aufmerksamkeitsdefizit, dass ich nicht lache! Ich wüsste nicht, wer derzeit mehr Aufmerksamkeit von mir bekommt als diese alte Klapperschachtel, die andere schon längst dem Wertstoffhof übereignet hätten. Aber das ist ihm egal, dem undankbaren Biest, und so bereitet es ihm diebische Freude, mich auf Trab zu halten, indem es mit permanenten und immer neuen Geräuschen meine Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Mal ist es die Klingel, die entweder ständig oder dann wieder gar nicht tönt, mal die Kette, die lustig rattert oder springt, über Stock und Stein, hüpfhüpf, und dann kracht’s und scheppert’s und mir wird himmelangst und ich höre, wie das Fahrrad sich die Pedale reibt und freut, weil ich lieber stehenbleiben und nach dem Rechten sehen muss statt Gefahr zu laufen, bei vollem Antritt den Burgberg hinauf einen ungeplanten Abstieg zu vollziehen. 
Dann begleitet mich tagelang ein rhythmisches Klappern, und sobald ich dem Schutzblech auf die Schliche und mit Panzertape beigekommen bin, muss ich feststellen, dass es sich damit noch nicht hat, mit der Percussion, weil irgendwo anders noch was rasselt. Aber was, das bleibt mir dann verborgen, man soll’s ja auch nicht zu leicht haben. Versteh ich schon. Der Fahrraddoktor versteckt sich hinterm Tresen, wenn er mich sieht, weil er mich für gaga hält: Der subversive Mistesel versteht sich nämlich bestens darauf, seine ach-so-schweren Leiden geschwind im Griff zu haben, sobald Gefahr vom Profi lauert. Zu besonders großer Freude gereicht mir die Licht-Situation. Gefühlte 37 Mal allein im letzten Jahr repariert, ersinnt das Fahrrad immer neue Methoden, damit Schindluder zu treiben. Aktuell sieht das so aus: Betätigt man den Dynamo, so ist anschließend mein Auftritt nicht so hell (eher gar nicht), dafür schön laut. Gut, ich meine, das hat auch seine Vorteile. 
Wenn man mit der Lautstärke eines Nebelhorns durch die Stadt saust, dann kommt der Passant nicht drumherum, auszuweichen, schon aus Angst vorm apokalyptischen Reiter. Denen kann ich das mit dem ADHS wohl auch erklären. Nur, wie sieht das wohl die Polizei, die lieber mag, dass vorn und hinten ein Lichtlein meinen Weg weist statt der Posaune? „Ja, ich weiß, Herr Wachtmeister, aber das Rad hat grade einen psychotischen Schub, da kann man nichts machen.“ Solcherart um Verständnis werbend gelobe ich feierlich, dieses Wochenende als Zeichen meines Protestes und unbeugsamen Willens jedes Radler, das ich sehe, mit Verachtung zu strafen.

Freitag, 18. Juli 2014

Waldmeister!

Gut. Hätten wir das also auch wieder überstanden. Mein Puls hat sich dank eigenmächtig verdreifachter Dosis der Blutdrucktabletten wieder normalisiert. Nach dem kollektiven Dornröschenschlaf am Montag erklingen tatsächlich hier und da noch vereinzelt Hupkonzerte, bei denen man sich aber weitgehend sicher sein kann, dass es sich entweder um einen zu belärmenden Bund der Ehe handelt oder einen allerletzten Fan, der völlig entkräftet über dem Lenkrad zusammengebrochen ist. Und dank (gähn…) „Gauchogate“ fällt der Übergang vom Ausnahme(Freude!)- in den Normalzustand (Maulen!) bestimmt ganz leicht. Nur, normal – wie ging das gleich wieder? 

Wir erinnern uns: Es ist durchaus gängig, zum Abendessen einen knackigen Salat oder sonstige Mahlzeiten selbst zuzubereiten, anstatt „vor dem Spiel noch schnell eine Bratwurstsemmel“ zu dinieren. Es ist üblich, sich im Gespräch mit Freunden nach deren Befinden zu erkunden, mögliche Treffen in gemütlichem Ambiente anzuberaumen und sich darauf zu freuen, anstatt einzig und allein die Frage „Wo schaustn du heut Abend?“ zu stellen. Es ist völlig akzeptabel, an einem Montagabend gegen 23 Uhr auf der Couch oder gar im Bett zu liegen und irgendwas, völlig egal was, zu machen, anstatt im Friesennerz im Biergarten zu sitzen und sich schlotternd das siebte Bier einzuschenken, weil „sonst hält man das ja alles nicht mehr aus.“ Man gewöhne sich wieder daran, dass diejenigen Männer, die man vornehmlich in der Öffentlichkeit sieht, einen (akzeptabel) durchschnittlichen Körperbau haben und nicht den hochtrainierter Athleten (erst recht nicht den gewisser Algerier) und die (meisten) Frauen Fußball für ein ungebührliches Gesprächsthema halten. 

Wer sich über irgendetwas aufregen möchte, der tue das ab sofort gerne wieder über Politik, das Wetter oder „den Deppen auf der Mittelspur“ statt über den unfähigen Schiri der dritten Begegnung. A propos Wetter: Vielleicht hält’s noch ein bisschen vor, aber über kurz oder lang werden als Themen für den Smalltalk statt der von bekoksten Künstlern designten Kickerschuhe wieder die wichtigen Dinge des Lebens herhalten müssen. Wetter, zum Beispiel. Barkeeper, denen ein sprühendes „Waldmeister!“ ins Gesicht getrötet wird, dürfen getrost ein solchhaltiges Getränk zubereiten, statt sich nur mit undeutlich artikuliertem Jubel konfrontiert zu sehen glauben. Abende müssen ab sofort wieder aktiv gestaltet werden. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass nicht mehr als irgendwie sozial vernarbt gilt, wer einen Abend einfach mal allein daheim zu verbringen beschließt. Vielleicht wird’s ja doch nur halb so wild mit der Post-WM-Depression … 

Freitag, 11. Juli 2014

Hundsgrübbl, verregder!

Im Jahre 2003 n. Chr. kam es in einer mittelalterlichen Innenstadt zu einem folgenschweren Ereignis. Die verschlungenen Wege meines Schicksals und dem eines älteren Bürgers kreuzten sich unvermittelt, und nur durch eine geschickte Kombination flink-graziler Ausfallschritte konnte ich das Schlimmste vermeiden. Meine Erleichterung war grenzenlos, die des Bürgers nicht. Er drehte sich um und sprach die magischen Worte, mit denen sich meine bis dato unbeschwerte Welt plötzlich verdunkelte. Seitdem wanderte ich durch das tiefe Tal der Trübnis, grämte mich, wachte nächtens auf und frug mich ohne Unterlass: „Warum nur hat der Mann mich eine ‚bläide Sunna‘ genannt?“ Unlängst fand die Qual ein jähes Ende. Eine Freundin, sprachlich sozialisiert im fränkischen Umland, klärte mich auf. „Blöde Sonnenblume“, lernte ich staunend, sei eine gängige Beschimpfung der hiesigen Lexik. Seitdem bin ich erleichtert, das Leben hat wieder einen Sinn, ich hüpfe singend durch die Wiesen und trage Käfer über die Straßen. Schimpfwort! Toll! Und viel zu selten bemüht! 

Dabei erstreckt sich doch gerade die fränkische Beschimpfungslandschaft beinahe endlos bis zum Horizont: Doldi, Dulln, Bridschn – wie viel klangvoller kann man einem Menschen denn seine ganze Verachtung ins Gesicht speien? Mit „Du, ich find dich eigentlich nur so mitteldufte, weißte“ eher nicht. Lieber so: Ruuzlöffl! Grampfbeudl! Keeszibfl! Hundsfregger! Laggl! Blousoarsch! Brunzkübl! Rahmsau! Hundsgnochn! Blunsn! Oarschmannskoarla! Dreegschleider! Hiernheiner! Bimerlaswichtig! Dullnramer! Gsichdsgrapfn! Bauernzwedschgn! Diddlergrabscher! Greinmeicherla! Graddler! Blooßoarsch! Simbl! Bridschlerbadscher! oder mein persönlicher Favorit: „Du elendiche Rechimendssau!“ Wer das aus dem Effeff beherrscht, der weiß auch, wo der Barthel den Most holt. 

Jetzt müsste man nur noch wissen, was diese ganzen phonetischen Schönheiten wohl zu bedeuten haben. Meine nachdrückliche Empfehlung lautet: Feldversuch! Gehet hinaus und widmet euch den Exerzitien! Mit ein bisschen Glück findet ihr direkt jemanden, der euch dann schon erklärt, was ihr ihm fröhlich ins Gesicht gebelfert habt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass infolgedessen sehr viele Menschen ins gleiche Elend gestürzt werden wie ich seinerzeit. Das wird prima, und deswegen erweitere ich, freilich südlich der Benrather Linie bleibend, nicht dass mir jetzt einer mit „Dösbaddel“ kommt, die Königsklasse um zwei Beschimpfungen, denen ich mich biographisch sehr verbunden fühle: Zwiderwurzn und Bißgurn! So! Auf auf, und dass mir hinterher keine Klagen kommen von wegen es wär wieder nur der böse Alkohol schuld an der Schlägerei! Nein, ab heut wird sich geprügelt mit fränkischem Stil! Ui, aber sagt mal: Was heißt „HUNDSGRÜBBL, VERREGDER!“ eigentlich auf Argentinisch? 

Freitag, 4. Juli 2014

Der Untergang des Abendschlandes

Als eine gewisse zahngesichtige Allzweckwaffe eines gewissen privaten Fernsehsenders im Sommermärchen 2006 deduktiv erarbeitete, der Schlachtruf eines gewissen im Nationalstolz bis dato empfindlich gestörten Volkes habe ab sofort der phonetischen Einfachheit halber „SCHLAND!“ zu lauten (was dem im Fan-Choral vermehrt anzutreffenden erhöhten Alkoholpegel und damit einhergehenden Problemen in puncto lautlicher Synchronität geschuldet ist, aber das sei nur gemutmaßt), hätte der sich wohl kaum träumen lassen, welch wortschöpferische Inspiration diese Verhunzung für uns (uns! Das ist wichtig, weil wir grade alle „wir“ sind, Torabschluss und WM-Titel couchcoachend im Visier) darstellen sollte. Aber so geht’s halt oft, und eh man sich’s versieht, ist ganz Deutschland „geschlandet“. „Geschlandet“, so lernte ich in den vergangenen Tagen, sind Menschen, die sich im Vollornat des „echten“ Fans zu schmücken wissen. 

Derweil der echte Fan frei von Nationalfarbe zurückgezogen im stillen Kämmerlein konzentriert dem Ereignis beiwohnt, um Fallrückzieher, Glanzparaden und Beißattacken zu analysieren, geht’s dem „echten“ Fan darum, möglichst kreativ dreifarbig aufzutreten, um, nachdem er mäßig spielinteressiert die Vorzüge der Fan-Meile genossen hat, die frohe Botschaft eines Sieges in die Welt hinauszuautokorsieren. So trägt beispielsweise der modebewusste Opel von heute einen „Schlandini“, der in seiner Freizügigkeit die ästhetische Verfehlung des Designs nur schwer zu verhüllen weiß, doch da birgt die Kombination Rot-Gelb ja die Tücke schon in sich, stand die doch bislang eher selten für echte Qualität und großen Geist (vgl. McDonald, Ronald). 

Zur ordnungsgemäßen „Schlandung“ gehören neben Flaggen in Saunatuchgröße außerdem Brillen, lustige Perücken, Nagel-Design und freilich die obligatorische Gesichtskreide, die den Schland-Depp gnadenlos als solchen identifiziert ab dem Moment, in dem der sich versehentlich zum Belgien-Sympathisanten kriegsbemalt hat (vgl. Becker, Boris) und außerdem erst so richtig gut ist, nachdem sie von mindestens drei schwitzigen Alt-Fans über deren haarigen Arm geschmiert wurde. 

Aber das macht nichts, wir teilen grade alles, Freud und über kurz oder lang auch Leid, spätestens dann, wenn freiwillig (vgl. Feierliches Küren des Siegerschlandes, das) oder unfreiwillig (vgl. Untergang des Abendschlandes, der) auch diese WM ein Ende findet, und „Schland“ aus dem kollektiven Rausch erwacht und sich wundert, an welchem Punkt genau man es für dringend erforderlich befand, sich die Nationalfarben ins Rückenhaar zu färben, im Discounter-Trikot zur Arbeit zu erscheinen und warum zur Hölle hängt mir eigentlich dieser wildfremde Mensch um den Hals?! Egal ob wegen Siegestaumel oder „trinken, um zu ertragen“, irgendwas is‘ immer.

Freitag, 27. Juni 2014

Ehrenamt: kommunale Gehsteigüberwachung

Ich habe großen Respekt vor allen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Das hält die Gesellschaft nicht nur zusammen, sondern ist ihr dabei auch noch von außerordentlichem Nutzen. Deswegen erfährt derlei Tätigkeit von mir größte Wertschätzung. Besonders verneigen muss ich mich vor Menschen, die sich ehrenamtlich als Verkehrspolizisten engagieren, insbesondere auf dem Spezialgebiet „kommunale Gehsteigüberwachung“. Wenn es die nicht gäbe – mein Gott, wo kämen wir denn da hin? Solche Helfer machen zum Beispiel sowas: Wenn man mit einem Fahrrad von einem Gebäude weg und dann auf eine irgendwo gegenüberliegende Straße möchte, wofür erforderlich ist, zweikommafünf Meter Gehweg zu missbrauchen, setzt der Ehrenamtliche den weltstrafendsten Blick auf um dem Rowdy mitzuteilen: Du böses, böses Ding du! Siehst du, wie sehr ich um mein Leben bange! Soweit so gut. Blicke können (noch) nicht töten, es sei denn, man ist ein „X-Men“. 
Der freiwillige Ordner geht zudem selbstverständlich stets mit gutem Beispiel voran: Auf einem Gehweg von circa einskommafünf Metern Breite wird das Fahrrad selbstverständlich geschoben. Um zu zeigen, wie ernst es einem mit der Vorsicht ist, geschieht das mit dem gebührenden Tempo einer, sagen wir, mittelfränkischen Weinbergschnecke, was dazu führt, dass sich hinter dem Vorbild ein prächtiger Stau (eigentlich) eiliger Passanten bildet, die am Fahrrad-Schieb-Gespann nicht vorbeigelangen, aber schon hat der Ehrenamtliche einen positiven Nebeneffekt für sich gefunden, denn schließlich ist die Gesellschaft heutzutage eh zu hektisch und man kann sich ja wohl mal in Geduld üben, kann man sich. Wenn ein Rowdy dann die Unverfrorenheit besitzt, aus der entgegenkommenden Richtung in gemäßigter Geschwindigkeit verkehrsbeflüssigend Rad zu fahren statt zu schieben, so muss der Ordnungshüter mit einem gezielten Gebell („ABSTEIGNA!“) einschreiten. 
Andere gehen da mit noch größerer Hingabe vor und nehmen den verabscheuungswürdigen Raser, der sich ganz außen auf einem fünf Meter breiten Weg nähert, gezielt ins Visier, um sich dann rechtzeitig, nämlich im Moment des Passierens, dem Radler in die Fahrt zu werfen und dabei „DES IS DOCH A BÜRCHERSTEIG!“ zu brüllen. Danke, sage ich da demütig, ich wusste nicht, dass der „Bürcher“ nicht Fahrrad fahren, sondern nur laufen darf. Die maximale Stufe der gesellschaftlichen Schassung und Maßregelung stellt die grenzenlose Verachtung dar, mit der der Profi-Überwacher dem Fahrradfahrer sein Vergehen vor Augen zu führen weiß: Man fährt in gemäßigtem Tempo (Angst!) von hinten an den Inkognito-Streifling heran, klingelt zaghaft-schüchtern, um seinem Begehr Ausdruck zu verleihen, woraufhin der Ordnungshüter sich ohne Umschauen reflexhaft über den kompletten Weg breitzumachen weiß (also doch „X-Men“?) und dann stehenbleibt. Dass er sich eigentlich selbst auf einem gemischten Gehradweg befindet, ist ihm dabei herzlich egal. Aufs Wohl des Ehrenamtes muss ich jetzt direkt ein Radler trinken.

Freitag, 20. Juni 2014

Wohnerei

Neulich beim Sonntagsspaziergang. Nachdem ich bei schönstem Wetter auf dem Weg vom Bad einen kurzen Abstecher zum Fernseher gemacht und eine frivole, aber nicht wenig anstrengende Ehrenrunde über den Kühlschrank gedreht hatte, kam ich auf meiner Flanage an einer wunderlichen Türe vorbei. Neugierig wie ich bin konnte ich freilich nicht an mich halten, diese alsgleich zu öffnen, und siehe da! Dahinter befand sich ein Wohnzimmer! Vor Schreck musste ich die Tür geschwind wieder schließen, ins Bett eilen und mich kurz erholen von den Strapazen und absonderlichen Wendungen, die der Spaziergang so mit sich gebracht hatte. Wohnzimmer. Was war das gleich nochmal? In Anbetracht anderer Räumenamen dürfen wir wohl annehmen, es handle sich hierbei um ein Zimmer, in dem man wohnt. Aber wer hat denn grade Zeit, zu wohnen? Seit Wochen ich jedenfalls nicht mehr. Wohnen, das hat was mit geschlossenen Räumen zu tun, mit Fernsehen und womöglich Bügelwäsche, schlimmstenfalls in Kombination. Wohnen ist Herbst und Winter, Serien gucken, Stollen backen, lesen, Nussknacker hören, Draußen scheiße finden.

Das hört auf, sobald das Thermometer erstmals die magische 20-Grad-Marke ächzend überwunden hat. Dann ist Schluss mit der Wohnerei, wir schließen die Kiste, versiegeln den Raum, wünschen ihm eine gute Zeit, bis bald, Wohnzimmer, es war wie immer schön mit dir, aber jetzt müssen wir uns trennen. Um dem Nachdruck zu verleihen, wird der Raum zweckentfremdet. Als Picknickdecken-großflächig-zum-Trocknen-Ausbreit-Zimmer, beispielsweise, oder als Dauer-Wasch-Salon, weil man irgendwie feststellt, dass man wegen Aktionismus einen inflationären Klamottenverbrauch hat, ergo: Viel Wäsche waschen und dann feststellen, dass das Abnehmen derselben eigentlich nicht lohnt, also warum nicht das Wohn- zum Ankleidezimmer umfunktionieren, das man nur noch betritt, um sauberes Gewand direkt vom Leifheit zu pflücken. Alle anderen Räume dürfen ihren Namen behalten.

Geschlafen (oder sich schwitzend herumgewälzt, weil die Idee mit dem leichten Leintuch stets mit Verzögerung aufkommt) wird im Schlafzimmer, kalt geduscht (gerne mehrfach täglich) im Duschzimmer, und im Kochzimmer bereiten wir maximal den Morgenkaffee und dann irgendwelche schnellen und leichten Gerichte zu, die vorzugsweise im Stehen (bloß keine Zeit verlieren!) verschlungen oder in Tupperware suppdicht verstaut zu Grillfesten, auf Wiesen oder an Seen getragen werden. Eigentlich sind alle Räume ungeliebt, das liegt in der Natur der Sache der Geschlossenheit, aber das Wohnzimmer trifft’s am härtesten. Das Wohnzimmer ist wie eine Mutter: Geduldig muss es warten, bis der Nestbewohner sich ausgetobt und die Sommerhörner abgestoßen hat und sich auf die, ja, inneren Werte besinnt, um dann zutiefst erleichtert in den Schoß der Couch zurückkehren zu können und tief durchatmen und sich ins wohnzimmerliche Ladegerät legen, um das leergeräuberte Selbst wieder zu befüllen.

Freitag, 13. Juni 2014

Freibadstress

Ich bin fix und fertig. Entspannter Tag am See? Im Freibad? Dass ich nicht lache. Contradictio in adiecto, meine Lieben. Um das bewerkstelligen zu können, bedarf es eines logistischen Dauerbetriebs, der der Organisation einer mittelgroßen Hochzeit, ach was sag ich: eines Festivals alle Ehre macht! Was man da alles beachten, organisieren, vorausdenken muss, Möglichkeiten abwägen, Zeiten einteilen und Abläufe! Es beginnt bereits am Vortag. Wenn man da nicht so klug ist, daran zu denken, mindestens eine Flasche Wasser ins Gefrierfach zu legen, hat man vor Ort nach fünf Minuten nämlich warme Suppe. Nichts gegen ayurvedisch, aber erfrischend geht anders. Dann gilt es, eine Tasche zu packen, die jedem Biwak standhielte. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit hat man hinterher trotzdem zwei Hefte Kreuzworträtsel, aber keinen Kulli, drei Schüsseln Melonenschnitzen und Salat, aber keine Gabel, und statt der Sonnencreme LSF 20 die Après-Lotion eingepackt, weswegen man das benachbarte Gelage um Hilfe ersuchen und sich dann mit der blickdichten LSF 50-Penaten aus der Wickeltasche zufriedengeben muss. 

Ist man angekommen und hat sich entweder mit sich selbst oder der Gruppe (und ich weiß nicht, was schlimmer ist) mit sextantischem Augenmaß darauf verständigt, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Wanderung von Sonne und Schatten über den Lauf des Tages hinweg zu erwarten ist (um garantiert falsch zu liegen!) und entsprechend großflächig sämtliches Utensil auf einer Fläche von 30m² verteilt, könnte man meinen, es kehre Ruhe ein. Weit gefehlt, denn nun beginnt der Orga-Stress erst richtig! Und zwar damit, in den folgenden Stunden die Tagespunkte Sonne, Schatten, Toilette, Wasser, Eincremen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Wenn man das dritte Mal den frisch aufgetragenen Sonnenschutz direkt in den Pool getragen hat, um aus diesem sofort wieder rauszuspringen, weil einem einfällt, was man zuvor dringend noch tun wollte (Toilette!), um das dann mit triefnasser Klamotte nachzuholen, kommt man langsam, aber sicher dahinter, wie das alles zu gehen hat.

Die optimale Reihenfolge (ab Lager-Aufschlagung): Entblättern. Eincremen! Sonnen. Schwitzen. Trinken. Lesen (in Gruppe: Ratschen). Trinken! Toilette. Wasser (in Abstimmung mit Gruppe). Sonne. Trinken!! Trocknen. Eincremen!! Trinken!! Schatten. Lesen. Sonne. Trinken!!! Toilette. … So kann man so einen Tag prima herumbekommen, ohne sich auch nur eine Minute nicht bewegt zu haben, weil sich das ganze Dilemma potenziert, wenn man mit mehreren Menschen anwesend ist und allsämtliche Tagesordnungspunkte auf zehn weitere Befindlichkeiten abstimmen muss. Ach, wisst ihr was? Macht einfach! Sich treiben lassen ist eh am schönsten. Auch außerhalb eines Gewässers. 

Freitag, 6. Juni 2014

Solegrotte

Tja Mädels, ich sag’s nur ungern, aber wir können hier ja ganz offen sprechen. So von Frau zu Frau. Ins Gesicht schauen muss man der Wahrheit, und die lautet: Das erste Mal tut immer weh. Da kann man sich drauf vorbereiten, so viel man will, sowohl körperlich als auch rein mental, vorher drüber sprechen mit anderen Betroffenen und sich der Unbill (vermeintlich) völlig im Klaren sein. Es. Gibt. Schmerzen. Aber muss es einen wundern? Nö, eigentlich nicht. Ich mein, was hat denn so ein Fuß schon für Möglichkeiten? 

Da wird er monatelang dick eingepackt, in Watte und Polster und Lammfell gehüllt, mit Gummi umgeben, warm gebadet und eingesalbt und führt ein Dasein sozusagen als Neugeborenes. Nein falsch. Als Fötus. Nomnom, schön kuschlig warm hier, um nichts muss ich mich kümmern, alles so hübsch schallgedämmt hier, ein ewiges Treiben in der Solegrotte. Bleiben wir doch in der Analogie. Eines Tages tut es einen Schlag. Und der Fuß wird hinausgerissen aus dem GoreTex, entfernt aus der Stricksocke und hineingehalten in die (mutmaßlich noch zu) kalte, (auf jeden Fall) grausame und (insbesondere) sehr helle Welt. Da ist der Fuß freilich erschrocken, einem Gürteltier gleich möcht‘ er sich zusammenrollen und einen Panzer bilden. Was er tun würde, wenn man ihn ließe. 

Lässt man aber (hoffentlich, bittebitte!) meistens eher doch nicht. Stattdessen muss der rosige, zarte – und irgendwie hab ich da grade das Wort „gepökelte“ im Kopf, warum auch immer – Fuß als nächstes hinein in ein Mieder, ein Korsett aus Riemchen und Bändchen und Nähtchen. Plötzlich soll er Stege mögen, die zwischen den Zehen reiben, und Lederstränge, die ihn einschnüren, und vorne zwickt der Ballen und hinten die Ferse und alles ist ganz scheußlich. 

Hilft aber nichts. Alle Jahre wieder das gleiche Theater. Kolleginnen suchen verzweifelt nach Blasenpflaster, weil der Ballerina sich über den Winter wundersamerweise um eine Größe verkleinert hat, Freundinnen müssen den Stadtbummel abbrechen, weil das mit den Riemchen-Wedges irgendwie im letzten September noch besser geklappt hatte, und dass selbst der bequemste Schlappen nach fünf Stunden Städtetourismus die äußerste Hautschicht vollständig abgeschliffen hat – eigentlich müsste man’s wissen. Tun wir aber halt nicht. So ist die Stadt jedes Jahr aufs Neue erfüllt vom Ächzen und Stöhnen und Leiden, und nur ein bisschen lindern können den Schmerz die verständnisvollen Blicke, die durch die Prärie geschickt werden und einander aufmunternd zu verstehen geben „Ich kenn das. Erstes Mal. Schlimm.“, während man versucht, sich die Muster der Zehensandale aus dem Fuß zu massieren. Bis zu den Hundstagen herrscht aber noch weitgehend sandalenfreie Zone, und ansonsten: Lasst euch bloß nicht einreden, irgendwo die Füße stillzuhalten. Tänzeln, immer schön tänzeln!

Donnerstag, 29. Mai 2014

Herrentage

Hab grad mal nachgelesen: „Die heutige Form des Vatertagsfeierns ist Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin und Umgebung aufgekommen […] Kernelement war die Einweihung der Jüngeren in die Sitten und Unsitten der Männlichkeit.“ Und weiter unten: „Aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums […] gibt es […] erheblich mehr Schlägereien als an gewöhnlichen anderen Tagen.“ Aha. Nun gut, Jungs. Jetzt, wo ich dezidierte Informationen über diesen althergebrachten Initiationsritus habe, möchte ich euch, ohne dass das vorher der Fall gewesen wäre, keinesfalls im Wege stehen. Gottlob gibt es mit „Herrentag“ einen Alternativnamen für dieses Datum, der auch die bislang fortungepflanzten Knäblein autorisiert, ihr Dasein qua Geschlechtszugehörigkeit zu feiern. Dass irgendwer mal auf die unsinnige Idee gekommen ist, den 29. Mai in irgendwas mit Christi und Himmelfahrtskommando zu umzubenennen, muss euch dabei ja nicht stören.
Es gibt wichtigeres zu erledigen: Hackordnungen durch niedliche Rangkämpfe bestimmen(„Ey, der Theo pennt jetzt schon seit zwei Stunden im Bollerwagen, ich will auch!“ – „Halt die Klappe, Kevin, und zieh weiter!“), Feinmotorik tunen („Iff muff glaub iff umkehren, daff mit dem Bierflaffen öffnen und den Pfähnen ging früher beffer!“), Grobmotorik auch („Fünf Peso, dass du’s nicht schaffst, einen Kreis um dich zu pinkeln!“) und dem Minnegesang noch den letzten Schliff verleihen („Öööööi Aaaalter Tittenaaaaaaaaarsch WUHUUUU!“). Das kann man freilich am besten, wenn man unter sich bleibt, weil da ist die soziale Kontrolle hoch und die Schamgrenze … ähm … nicht so. Aber, liebe Knaben – das passt schon. Lasst euch bloß nicht von progressiver Rewe- oder Nivea-Werbung einreden, der Vatertag sei in irgendeiner Weise dazu angedacht, sich auf Familie zu besinnen. Radltouren zum Jazzfrühschoppen ist was für Spießer, ihr seid ja heutzutage eurer althergebrachten Rollen ohnehin gänzlich beraubt, was euch zutiefst verstört und zum Therapeuten treibt, da müsst ihr euch einmal im Jahr schon rückbesinnen dürfen.
Ganz arg wichtig ist allerdings, dass ihr euch hierfür möglichst weit von der Innenstadt entfernt, was den unbestreitbaren Vorteil mit sich bringt, sich im Zweifel in einem exquisiten Dauerfunkloch zu befinden. Wir Mädchen sitzen derweil einsam und verlassen und zu Tode betrübt in der männerfreien Stadt, in Parks und Biergärten und vermissen euch, ich schwör, ganz fürchterlich. Aber wir sollen ja auch ab und an mal wissen, was wir an euch haben, und deswegen empfehle ich euch dringend und mütterlich, erst wieder in Erscheinung zu treten, wenn ihr eurer Muttersprache wieder fähig seid. Und am Freitagabend haben wir uns dann überall wieder lieb. Fast überall … Ich persönlich mach’s ganz anders und trink jetzt aufs Wohl meines Papas. Prosit, Väterchen!