Freitag, 29. Juli 2016

Söderstrand

Seit einiger Zeit fahre ich mehrmals in der Woche frühmorgens zur Leibesertüchtigung mit dem Fahrrad. Das ist so doppelsinnig gemeint wie es geschrieben ist, schließlich erwarten mich am Ende der Reise viele fleißige Helfer, die mich darin unterstützen, zu einem vollwertigen Mitglied der arbeitenden Bevölkerung zu renaturieren und deren Anweisungen ich artig Folge leiste, derweil um mich herum viel ehemalige arbeitende Bevölkerung damit beschäftigt ist, ein Schwätzchen zu halten und soziale Kontakte zu pflegen. Jedenfalls beansprucht mich diese Fahrradreise nicht nur körperlich, sondern auch geistig, macht doch der zu beschreitende Pfad ein Höchstmaß an Konzentration erforderlich, da er sich als heiteres Labyrinth aus Vogeldefäkat präsentiert. Dieser Umstand ist seit längerem bekannt, doch äußerte sich der zuständige Obere unlängst dazu in einer Weise, dass ich nicht umhinkomme, ihm ein gewisses Talent zum Amateurkomödianten zuzugestehen. Das Gänseproblem am Söderstrand, verlautbarte er, habe man dank Umzäunung im Griff, einzig der Enten müsse man noch Herr werden, denn die zeichneten Verantwortlich für das großflächig camouflierte Erscheinungsbild der Gehwege. Während ich mir das in Erinnerung rufe, beobachte ich einen großen Gänseschwarm dabei, wie er gemächlich auf der Wiese weidet, die er angeblich nicht mehr erreichen kann, vorne Hellgrünes hinein tut und hinten Dunkelgrünes wieder hinaus, und sich angeregt darüber unterhält, wie praktisch es doch sei, jetzt ein eigenes Reservat zu haben, wo zwar zwischendurch Menschen die Idylle, im Großen und Ganzen aber nicht weiter stören, und man die Grenzen gegen verfeindete Schwärme durch gelegentliches patrouillieren entlang des Zaunes gemütlich verteidigen kann. Drei Enten lassen sich derweil auf dem Zaun nieder und finden es prima, von hier oben viel besser überblicken zu können, wo noch Platz ist zum Reviermarkieren zwischen all den Fladen, die die Vermutung nahelegen, der Söderstrand würde nächstens heimlich von wilden Kühen besucht. Doch da haben sie die Rechnung ohne eine bis dato anonyme mobile Einsatztruppe gemacht. Die nämlich macht sich Nacht für Nacht auf, um der bösen Schweineente Einhalt zu gebieten. Die angewandte und unübersehbarer Strategie lautet hierbei, jedes noch so kleine unbescholtene Fleckchen Weg und Wiese mit so großen Müll- und Scherbenhaufen zu verfüllen, dass der bösen Ente nichts anderes übrigbleibt, als ihre Notdurft anderswo zu verrichten. Beispielsweise in dem Tümpelwasser, in dem die Schweinekinder tagsüber planschen, um ihr Immunsystem zu stabilisieren. So schließt sich der biologische Kreis und alle sind zufrieden. Allen voran ich, wegen der ausgebauten Kompetenzen im Negativ-Twister und daraus resultierender neuer Formen des Diskotanzes. 

Freitag, 22. Juli 2016

Prepper

Prepper sind „Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten: durch Einlagerung von Lebensmittelvorräten, die Errichtung von Schutzbauten […] das Vorhalten von […] Werkzeug […] und anderem. Dabei ist es unwichtig, durch welches Ereignis oder wann eine Katastrophe ausgelöst wird.“ Diese Definition, auf die ich nach der Suche nach mir selbst gestoßen bin, erscheint mir vergleichsweise hart, und ich würde wirklich nicht so weit gehen wollen, mich als „Prepper“ zu bezeichnen, aber – ich bin ein Prepper. Zu dieser Erkenntnis führt mich der steinige Weg der Ausmisterei, über den ich mich gleichwohl gewissenhaft wie blutenden Herzens geißele, und der zu meinem aufrichtigen Bedauern ausgesprochen lückenhaft gesäumt ist von Bewunderern, die „Tapfer!“ rufen und „Weiter so!“-Transparente in die strenge Brise halten, durch die ich mich wühle. Um genau zu sein kreischen die sogenannten Unterstützer in der Tendenz eher ein entsetztes „WAAAS? DAS willst du WEGTUN?! Aber da kann man doch SO gut DINGE reinmachen!“ Kurzerhand dreh ich den Spieß um und binde den Saboteuren das Gerümpel ans Bein, auf dass sie selbst ganz viele Dinge so gut irgendwo reinmachen können. Edelmut tut Umzug gut. Aber darum geht’s eigentlich nicht. Sondern darum, dass ich mir selbst eingestehen muss, an irgendeiner obskuren Form der Hamsterei oder Hirnlosigkeit zu leiden, wobei mir letzteres eigentlich besser gefällt. Öffne ich zum Beispiel so diverse Schubladen vor mich hin und entdecke, dass ich in meinem ganzen Leben nie wieder Stifte (egal, welche) / Musterbeutelklammern (gold) / Tesa-Produkte (alle) zu kaufen brauche. Die Erklärungen hierfür sind mir durchaus bekannt: Magnetismus / „Oh, hab ich schon wieder falsch gedacht, dass so ein Postschalter für eine einzige kleine Büchersendung bestimmt eine einzelne Musterbeutelklammer bereitstellt, muss ich zum Vorzugspreis von 4,99 eine ganze Packung erwerben.“ / „Ui, der Feinkost Albrecht hat Kleber im Angebot, den nehm ich lieber mal mit weil den kann man immer brauchen.“ Weil ich so ein passionierter Hobbybastler bin und ständig irgendwas kleben muss. Nicht. Doch genau bei diesem Fallbeispiel zeigt sich der Prepper. Der Prepper nimmt auch lieber mal bei jedem Einkauf eine Packung Salz mit, weil es könnte ja sein, dass das alte grade ausgeht, und stellt das Salz dann in die (Vorrats-)Kammer des Schreckens zu den anderen fünf Packungen. Aber man weiß ja nie, ob nicht doch vielleicht mal eine Katastrophe … naja. 

Freitag, 15. Juli 2016

Bastelbiber

Es gibt viele Gemütszustände, die nicht zu meinen liebsten gehören. Durstig beispielsweise, frierend, eine Nahtoderfahrung absolviert. Muss nicht sein. Neuerdings hab ich aber einen weiteren auf dieser Liste, und zwar sehr, sehr weit oben. Der Zustand heißt „fachfremd und überberaten“. Ich hatte ja nicht gescherzt, als ich verlautbarte, mein Habitat zu wechseln, um fürderhin die Sperenzchen der Außenrumbewohner (FKKler, Bonzen, Terroristen) niederschreiben zu können, ohne um mein eigen Leib und Wohl fürchten zu müssen. Ist ja ein stetes Leben am Limit, so. Weiß man nie, wer mit einem Auge Zeitung und mit dem anderen Klingelschilder liest. Behält man die besten Geschichten vorsichtshalber mal für sich, hortet dabei also Stoff für 17 Jahre. Das geht aber auch schneller, lerne ich gerade, nämlich, indem man einer heiteren, spezialspeziellen Einrichtung den ein oder anderen Besuch abstattet: „Baumarkt“ heißt der lastregalgewordene Schrecken. Yippiejaja-yippie-yippie-jessasmariaundakloansstückerljosef, was hab ich nur getan? Als die magischen Worte „Entrümpeln“, „Kisten packen“ und vor allem „Renovieren“ fielen, reagierte mein Körper spontan und unkompliziert, indem er sich in Embryonalhaltung unters Bett warf, sich dort selbst im Arm hielt und mit aus Micky-Maus-Kopfhörern erklingenden Pumuckl-Mären darauf wartete, dass der Gottvater vom Olymp herabsteigen und alles regeln würde. Nach zwei Wochen in dieser gemütlichen Position musste der Körper jedoch einsehen, dass die Reaktion womöglich gewissermaßen realitätsfremd war, und so stieg statt des Vaters er selbst hinab in den Höllenschlund der Heimwerkerei, um sich dem Kampf der dort lauernden Kerberusse zu stellen. Und als genau so vielköpfig wie die mythologische Töle erweist sich dasjenige, was unter dem Tarnnamen „Fachberater“ in den Baumärkten der Region herumtrödelt. „Wie, wo, was“ weiß nämlich vielleicht der Bastelbieber, nicht aber seine Adlaten. Moment, ich korrigiere: Wissen sie schon, aber jeder halt was anderes. Eine gar nicht kurze, sondern in ihrer Dezidiertheit beeindruckende Umfrage zum Thema „PVC verlegen“ ergibt beispielsweise bei drei Versuchspersonen fünf unterschiedliche Aussagen, auf deren Zenit man sich dabei beobachtet, wie man den Fachberatungsauszubildenden im 1. Lehrjahr selbst in der Kunst der Verlegerei unterrichtet und ihm nebenbei noch charakterliche Grundzüge des Polyveniylchlorids und dessen Derivaten vermittelt. Plötzlich erscheinen einem 70 Jahre alte, leimverschmierte, braun-orange-karierte Plastikfließen aus einer trendigen Vintage-Perspektive gar nicht mehr so übel. „Freu dich doch“, sagte eins, „da sammelst du Stoff für locker drei Monate Glosse.“ So sei es! Und dann geht’s den Nachbarn an den Kragen. Halt – den Ex-Nachbarn! Darauf ein Prosit der Ungemütlichkeit! 

Freitag, 8. Juli 2016

Sonnenverbräunt

Ich bin ja immer bestrebt, das dunkle Tal des Unwissens, durch das meine Mitmenschen zu wandern verdammt sind, mit Fleiß und Hingabe zu erhellen. Mit wie großer Hingabe und unter welch großem Einsatz meines Lebens, das konnte ich jetzt erst wieder demonstrieren. Falsch: Kann ich immer noch. Seitdem ich denken kann, fühlen Menschen sich dazu animiert oder gar verpflichtet, mich auf meinen Teint anzusprechen. Bedauerlicherweise aber weniger in der Form „Ui, siehst du aber rosig, glatt und gesund aus!“ Ganz im Gegenteil. Was geistreich mit „Ich dachte, du warst im Urlaub. Wo denn? In Sibirien?“ beginnt,  geht über in ein besorgtes „Du, ich glaub, du musst dich mal einschmieren“ und endet gern in einem überzeugten „Boah hast du einen Sonnenbrand.“ Es gibt solche, die nennen mich „Pommes Schranke“, weil sie meinen, mein natürliches Platinblond konkurriere empfindlich mit meinem Hautton. Es gibt solche, die, wann immer sie mich sehen, mir auf dem Dekolleté herumpieken und sich über das Farbspiel diebisch zu freuen. Auch nach über zehn Jahren noch. Wie auch immer sich die Anteilnahme auch gestaltet – es gibt garantiert immer irgendwas zu kommentieren. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Mitteilungsbedürfnis in einem Drogeriefachgeschäft, dessen Kosmetikabteilungsfachverkaufsangestellte ich um eine Kriegsbemalungszutat ersuchte. Anstatt mir das gewünschte folgsam auszuhändigen, verzog sie im Übermaß erschrocken das Makeup und rief „Sie müssen aus der Sonne!“ Ich blickte aus dem Fenster: weit und breit ein dichter Wolkenteppich, aus dem Wasser sprudelte. Wie seit Wochen. „Das ist kein Sonnenbrand, das ist …“ wollte ich sagen, doch die Fachfrau wusste es besser, beriet sich absichernd mit der anderen Fachfrau in Gestalt irgendeiner Kundin und kam zu dem Schluss, ich habe schwere Verbrennungen erlitten und könne nur gerettet werden mit einer Spezialcreme. Schicksalsergeben nahm ich die entgegen, las „extended thirst relief“ und fühlte mich alsgleich befleißigt, mein knappes Überleben mit einer hübschen Weinschorle zu feiern. Wie es der Zufall will, war ich aber neulich mal in einer Freibadeanstalt. Nach drei Stunden Wind und Wolken durfte ich in einem Spiegel ein großes Ungemach in Form eines weißen Bikinioberteils auf karmesinrotem Grund entdecken. Seitdem trage ich stolz und weit ausgeschnitten meine Trophäe mit mir herum und sage jedem Menschen, dem ich begegne: „Sieh genau hin! DAS ist ein Sonnenbrand! Und NUR das!“ SO! Und ja, es tut schweineweh. Muss thirst und pain reliefen. 

Freitag, 1. Juli 2016

Apokalypse

Die Zeichen der Apokalypse zu erkennen , ist eine Sache. Sie auch richtig zu deuten, eine ganze andere. Doch wie schon Janet Jackson, oder für die (noch) älteren Semester unter euch, Joni Mitchell sang: „Don’t it always seem to go that you don’t know what you got till it’s gone” In diesem Fall ist sie aber nicht gegangen, die Situation, sondern da. Hörbar. Sie kam auf chromglänzenden Rappen und sagte: „Hallo, hier bin ich, die Welt gehört mir, und ihr Narren, ihr unterwerft euch, und wenn nicht, dann werd ich euch schon Mores lehren. Das haben mir mein Papa und meine Mama nämlich so beigebracht, dass ich mich immer durchsetzen soll und ausleben und nur so komm ich da hin, wo ich möchte, nämlich ganz nach oben.“ Dieses „Oben“ stellt beispielsweise eine repräsentative Dachterrasse dar. Die eignet sich, befindet der Survival-of-the-Fittest-Sproß, zum einen freilich ganz vorzüglich für spätabendliche Konferenzen, und weil der Nachwuchs zwar scheint’s in BWL, nicht aber in Physik gut aufgepasst hat, lässt er allsämtliche Menschen außenrum an seinen erkenntnisschwangeren Diskursen werktagnachts gleich teilhaben. Wie auch an den Leibesertüchtigungen, die sonntagmorgens um acht stattzufinden haben, und die erst dann richtig Spaß machen, wenn dazu die Mukke, die grad noch in der After Hour lief, ertönt (und über die hinweg man sich mit dem drei Stockwerke drunter schräg gegenüber befindlichen Kompagnon über den Fortschritt des Erfolgs auszutauschen hat). Die aber auch gut klingt, wenn man nicht grade damit beschäftigt ist, lautschreiende Telefonate zum Thema „Weh und Ach der (weiblichen) Adoleszenz“ zu führen und sich dabei regelmäßig seines Expektorats zu entledigen. It’s good to own land, und Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz. Die nachdrückliche Besetzung der ökologischen Nische verdeutlichte sich unlängst in einer ersprießlichen Situation, in der ich mich unversehens im alltäglichen Abenteuer „Prekäre Parksituation und ich“ befand. Nämlich empfing mich die Heimstraße mit einer Autophalanx, in der ich eine Lücke just vor meinem Haus erspähte. Jedoch befand sich hierin ein Platzhalterchen in Gestalt einer Jungfrau, welche mein erst freundliches und dann aufforderndes Hupen mit einem weltmännischen Fortwinken bedachte. Auf meine interessierte Nachfrage, ob man taub sei oder lahm, erfuhr ich, es sei ja so problematisch mit Parken, deswegen sitze man nach Art des deutschen Urlaubers jetzt hier und warte auf den Freund, der „demnächst“ nach Hause käme. Auf das nachfolgende „Pech gehabt!“ unterdrückte ich mein Angebot, ihr bei ihrem offenkundigen Todeswunsch gerne behilflich zu sein, und dachte mir, der Darwin wird’s schon richten, und er richtete in Form eines Alteingesessenen, der das Kind kurzerhand aus seiner Handtuchhaltung aufscheuchte und in den Parkplatz fuhr. Survival of the Fittest eben. Oder: Der Klügere gibt nach – ich zieh aus.