Freitag, 26. Juli 2024

Festessen

Momentan wird sehr viel gefeiert. Wo man auch hinschaut, überall gibt’s ein kleines bis epochales Fest, und so empfinde ich es nur als stimmig, dass auch die Fruchtfliegen sich zu hunderten und abermillionen in meiner Küche eingefunden haben. Hier feiern sie eine rauschendes Fest, lassen die Füße fröhlich baumeln in den Pool aus feinstem Bio-Apfelessig, den die Veranstalterin (ich) ihnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt habe, nehmen zwischendurch eine kleine Abkühlung im Kühlschrank und tun sich am Buffet in Spülmaschine und Kompost gütlich und laben sich an der Restebar im Glasmüll. Wie seine unmittelbaren Verwandten ist auch der Mensch kein Kostverächter, und so, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, sei das Hauptauswahlkriterium für Besuch oder Fernbleibung eines Festes die vermutete Speisendarbietung. „Gehst du zum Dings?“ – „Naa ich denk nicht, seitdem die vor zwei Jahren bei diesem Ernährungsguru waren und Salzembargo herrscht, ist das nicht mehr auszuhalten.“ Oder „Sehen wir uns eigentlich am Wochenende beim Jubelheini?“ – „Boah nee bloß nicht, wenn ich noch einmal ‚veganer Rollbraten und Naturwein‘ hör kann ich für nichts garantieren!“ Es geht aber auch andersherum, nämlich die gezielte Aufsuchung einer Festivität ungeachtet der Mitgäste und Thematik einzig und allein des Essens wegen: „Pressesommerfest? Also die ganzen Nasen muss ich zwar eigentlich nicht sehen, aber was die Jungs und Mädels von der Kochschule da immer hinzaubern, lass ich mir nicht entgehen!“ ist ein Satz, der natürlich nie so gesagt worden, aber denkbar ist … Und so kam mir dieser Tage ein gar herrlicher Gedanke. Ich stand und wartete, und um mich herum strömten Menschen schwer bepackt mit großen Schüsseln, schweren Schalen und riesigen Platten. „Ach guck!“, sagte ich, „ein Schulfest, wie schön!“ und fragte den Mann, ob wir nicht dorthin zum Abendessen gehen wollen. Seine Frage, ob ich spönne, musste ich verneinen und stattdessen die Vorzüge ausufernder Mutti-Buffets zum schmalen Preis rühmen. „Das merken die doch, dass wir da nicht hingehören!“, so die Sorge, und ich halte das für Unfug. 600 Schüler*innen à 2 Eltern nebst Omaopapatentante – wer soll da schon den Überblick behalten? Und wird man doch angesprochen, antwortet man eben freundlich. Dass man die Mama sei vom kleinen Ludwig, der aufgrund seiner schweren Krätze leider nicht kommen könne. Ob man auch schon von den unhaltbaren hygienischen Zuständen in der Turnhalle gehört habe? Dass man gern wüsste, wer sich das mit der gestrichenen Nachmittagsbetreuung überlegt habe! Dass die Krapfen der Tombola wirklich ganz vorzüglich seien, man nur hoffe, die Schule nicht wie im letzten Jahr von einer Durchfall-Epidemie dahingerafft zu wissen … Ich denke, man kommt da gut durch. Wie viele Schulen gibt’s gleich wieder in der Stadt?

Freitag, 19. Juli 2024

Sommer für daheim

 „Drinnen ist das neue Draußen“ – ein Satz, für den ich früher Freundschaften gekündigt hätte. Ach was, ich hätte mir noch nicht mal die Mühe gemacht, zu kündigen. Ich wäre einfach verschwunden. Handynummer gelöscht, Facebook getrennt, Empfänger unbekannt verzogen, entschuldigen Sie bitte. Da drüben wo die Staubwolke weht, da war doch grad noch … hm, komisch. Tschüssikowski!, hätt ich geschrien, wir sehen uns im nächsten Leben wieder, du seltsamer Drinnenmensch, schönes langweiliges Dasein wünsche ich!, und wäre abgetaucht im Lavarot der flüssigen Straßenbeläge, der heißen Wüstenwinde zwischen glühenden Häuserschluchten und wäre wie der schönste Wüstenwurm hindurchgeglitten durch die Backofenglut. Doch zu meiner großen Überraschung wird der Mensch nicht jünger, so auch ich nicht, und so ertappe ich mich unversehens bei Sätzen wie diesen: „Ich wollte eigentlich ins Bad fahren, aber jetzt hab ich grad versehentlich kurz die Balkontür aufgemacht und hab dann überlegt dass ich lieber doch zu Hause bleiben möchte.“ „Drinnen ist das neue Draußen“ sagt also die Freundin, die mit mir zum Planschen gehen wollten, und beide sind wir erfüllt von gegenseitigem Verständnis und tiefer Verbundenheit: Statt gemeinsam im Freibad am Wüstenwind zu ersticken, sich die Füße auf dem Weg zum Pool am glühenden Beckenboden (haha, „glühender Beckenboden“ – das muss ich mir merken für wenn ich mal Sexromane schreib später!) zu verbrennen und gemeinsam mit 37 anderen Freibadbesuchenden im Schatten des einzigen Baumstammes zu drängen („Ähm, Ihr Fuß ist in meiner Kühltasche!“ – „Oh, und ich hab mich schon gefreut, Entschuldigung!“) verbrachten wir den Nachmittag räumlich getrennt, doch vereint im Messenger jede hübsch daheim auf dem kühlen Kanapee. Das war schön. „Aber das ist doch eh kein Sommer!“ jault man empört um mich herum und beklagt verregnete Biergärten, zerstochene Grillabende und zu kalte Pools. Nun, das ist richtig, und es tut mir freilich leid um die Sommertiere unter euch. Aber ich habe mir Gedanken gemacht und deswegen Tipps für das perfekte Summerfeeling: Setze dich auf dein Sofa. Stelle den Ventilator vor dein Gesicht und hänge den laufenden Föhn davor; versuche, tiefe Atemzüge zu nehmen. Öffne den Ofen, lege Grillfleisch und Käse auf den blanken Rost, stelle auf höchste Stufe und vergiss alles. Öffne die „Autohupen“-App, stelle auf Endlosschleife. Spüre die Aggression. Stelle Eiscreme in die Mikrowelle, beträufle dich damit, verreibe alles mit Sonnencreme. Klebe. Gehe nicht auf deine Toilette, sondern aufs Dixieklo der Baustelle nebenan. Trinke warmes Radler. Verdurste. Sammle Spülwasser, tunke die Füße hinein. Schnuppere am Chlorreiniger. Fühlst du’s schon? Dann noch Juckpulver wahllos verteilen – voilá! Hier ist er, den Hochsommertag für Zuhause. Gern geschehen! 

Freitag, 12. Juli 2024

Fussi ade, Fairplay tut weh

 Da geht sie hin, die Fußballsause, und ich blicke ihr wehmütig hinterher. Ade, sichere Abendbeschäftigung, ciao ciao, garantiertes Gesprächsthema – lass uns nur zurück in unserem schnöden Alltag voller Leere und nurmehr Lamentieren übers Wetter, wo Abende wieder mit Filmen oder gar Gesprächen gefüllt werden müssen und Tage nicht mehr selbstverständlich aufs 18- bzw 21-Uhr-Ziel hin verlebt werden, Haushalte vernachlässigt und Ernährung sowieso. Während es also jetzt nur noch zwei verbliebene Länder gibt, die zur Familienspaltung beitragen („EVIIIIVA ESPANA!!“ – „Ich glaub du spinnst! IT’S COMING HOME, IT’S COMING HOME – FOOTBALL’S COMING HOME!!“ – „Ok, der Verlierer macht den Abwasch!“ – „Und der Gewinner bestimmt das Fernsehprogramm den restlichen Monat. Deal?“ – „Deal!“) bleiben mir persönlich ganz unnationale Fragen und ein Gefühl höggschder Unzufriedenheit zurück. Fragen: Hat es jemals ein Turnier gegeben, bei dem es mehr geregnet hat? Warum schneiden sich mange Kicker Lochmuster in die Socken? Und: Seit wann werden Spielfeldrandinterviews ausschließlich von Models geführt, gibt es da eine eigene Klasse in der Journalist*innenschule oder zieht man die extra aus der Gala ab oder gibt es da ein Casting „Germanys next Topspielerfrau“? Der Mann schimpft mich, diese Frage sei antifeministische Nestbeschmutzung, womit er recht haben könnte. Wende ich mich also den anderen Fragen zu, nämlich: Wo soll das alles eigentlich noch hinführen mit diesem Fußball? Am wahrscheinlichsten erscheint mir nämlich aktuell ein virtuelles Turnier, in dem KI-generierte Gentleman-Spieler regelkonform etwas machen, das so brav ist wie stricken und sich auch höchstens noch als Hintergrundrauschen zu dieser Entspannungstätigkeit eignet. Wo bleibt denn da die Emotion? Nichts passiert mehr. Statt Prügelei auf dem Spielfeld – herrlich: erwachsene Männer schreien und schubsen sich wie beim schönsten Pausenhof-Gerangel – gibt’s höfliche Klassensprecher-Beschwerde und Shakehands. Statt im Taumel der Gefühle vom Leib gerissene Trikots gibt’s verschämt hinter Stoff versteckte Vitalsign-BHs – ob David Beckham derjenige wäre, der er heute ist, wenn wir ihn nicht so oft halbnackt gesehen hätten? Ich weiß es nicht. Statt Handgemenge noch in der fünften Nachspielgeneration über Torlinien- und Abseitsentscheidung gibt’s Fußbälle mit Pulssensor, und statt losbrechendem Torjubelgeschrei, Samba auf dem Rasen und Umarmungen Wildfremder gibt’s lieber erstmal ängstliche Blicke zum Video-Schiri. Statt Flitzer Nahaufnahmen vom Rasen. „Aber dafür konzentriert man sich jetzt auf schönen, technischen Fußball!“, sagt der Mann, und ich gähne herzhaft. Will ich nicht. Ich will Tränen, Blut und Ruud Gullit, der vor meinem inneren Auge Rudi Völler in die Frisur spotzt, als wär es gestern gewesen.

Freitag, 5. Juli 2024

Sommergarderobe

 Ich habe einen Comic in die Hände gekriegt. Eine kleine bunte Zeichnung, ganz simpel, aber sie erfreut mich sehr. Es gibt zwei Bildchen zu sehen. Auf dem oberen ist dreimal dieselbe Frau in unterschiedlichen Klamotten. Sie trägt zu roten Pumps wehende Kleider und neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Sommergarderobe – Erwartungen“. Auf dem zweiten Bild dieselbe Frau dreimal ganz anders: graues Shirt, schwarze Shorts, Schlappen. Überschrift: „Sommergarderobe – tatsächlich“. Seitdem ich diesen Comic entdeckt habe, verschicke ich ihn an nahestehende Personen mit dem Kommentar „ich“. Die Antworten sind deutlich: „Ja. Du.“ Und während ich mit einem Auge die Eindeutigkeit der Reaktionen bestaune, bestaune ich mit dem anderen den sehr großen Karton, der im Wohnzimmer steht und auf seine Öffnung wartet. Ich weiß, was drin ist. Aber nicht, warum. Denn es befinden sich darin wehende Kleider, neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke, die jemand online bestellt hat, nachdem er, also: sie bei strömendem Regen auf dem Kanapee lungernd vielleicht einmal zu oft eine Raffaello- oder Bacardi-Werbung gesehen und sich dabei gedacht hat „Hachz ja, irgendwann kommt er schon, der Sommer, und dann blickst du wieder neidisch auf all die schöne Sommergarderobe. Und dann beginnst du panisch, Klamotten zu suchen, doch leider gibt es dann keine mehr, denn im August, wenn dir auffällt, dass jetzt wirklich Sommer ist, hängt in den Läden schon der Herbst und dann bist du traurig.“ Leider kumuliert in mir drin dieses Unvermögen zum vorausschauenden Shopping höchst problematisch mit selektiver Farbblindheit und totaler Amnesie sowie der irrigen Annahme meines inneren Kindes, immer noch Ronja Räubertochter zu sein und als solche den ganzen Sommer gewappnet für das nächste große Abenteuer zu sein: Man könnte ein Dach erklimmen müssen, man könnte einen Schwimmbadzaun überwinden müssen, man könnte mit dem Fahrrad schnell zu einem Waldfest rasen müssen – alles Dinge, für die sich Kleider und Röcke nunmal nicht gut eignen, so wie Pastell und Weiß nicht, um damit in Fahrradketten hängen zu bleiben, an Flussufern zu sitzen oder sich in Heuberge fallen zu lassen. Dass ich all diese Raffaello- und Bacardi-Gewänder nebst Riemchen-Sandalen in allen erdenkbaren Farben und Formen besitze, vergesse ich schlichtweg immer, denn wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, sehe ich: für sämtliche Eventualitäten praktisches Schwarzgrau sowie bequeme Schlappen, mit denen man notfalls auch eine zehn Stationen umfassende Biergartentour erlatschen könnte statt mit schmerzendem Fuß an einen Barhocker gefesselt zu sein … Was mach ich jetzt mit dem Karton? Ich weiß: öffnen! Vielleicht kommt er ja dieses Jahr, der Bacardi-Moment!

Freitag, 28. Juni 2024

Bibliophilie

Hallo Hilfe! Situation! Ich muss meine Privatbibliothek auflösen, weil „jemand“, der hier einen gewissen Anteil der Miete bezahlt und deswegen gelegentlich Ansprüche auf die bezahlte Fläche erhebt, findet, es sei unzeitgemäß und lebensfeindlich, 20 Kubikmeter Wohnung mit ausgelesenem Papier aus 35 Jahren Leseleben zu besetzen. Und ich finde, dass da vielleicht ein Fünkchen Wahrheit drin ist. In meinem sogenannten Arbeitszimmer, das eigentlich Wasch- und Trockenraum, (deswegen auch) Gewächshaus für Anzuchtsaaten, Werkstatt, Museum, Lager und Transitzone (Dinge, die die Wohnung verlassen sollen, aber das aus irgendwelchen Gründen nicht zeitnah tun) ist, befindet sich eine Bücherwand. Die wäre gerne einmal ein Bücherraum geworden mit meterhohen Decken, Leitern zum lustigen Herumsausen zwischen den Abteilungen und einem rotsamtenen Lesesessel, ist aber aus Gründen auf dem Entwicklungsstatus „Ansammlung von Billys“ stehengeblieben und sammelt dennoch unbefangen weiter und weiter Bücher an, die spätestens seit der letzten Verdichtungsmaßnahme (200 Bücher raus, Effekt = 0) gänzlich unsortiert sind, sich mir aber in luzider Klarheit als papierne Zeitzeugen meines Lebens darstellen: Bei diesem Buch ging es mir gut, bei diesem schlecht, bei diesem war ich in Kroatien, bei jenem im Elternhaus, und hierbei hab ich immer dieses Lied gehört. Doch ich sehe ein, es muss etwas passieren, denn es kommt die Wand bedrohlich näher und der Mitbewohner auch. Jetzt Situation: Aus vier Regalmetern energischen Aussortierens habe ich dank mehrreihiger Aufbewahrung sechs Kubikmeter Bücherstapel generiert, was i.e. einem Zehntel dessen entspricht, was noch bevorsteht, und wenn ich das alles aus der Wohnung entferne, wüsst ich noch nicht einmal, wohin. Man hatte bereits Ideen, von denen mir diejenige am besten gefiel, die einen eigenen Bücherschrank vor dem Haus vorschlug: Da ich oft das Gelesene eilig wieder vergesse, könnte ich mich mit dem Inhalt dieses Schrankes immer wieder selbst neu überraschen und mich freuen über die fremde Person mit dem ausgezeichneten Buchgeschmack. Aber ist das zielführend? Nein. Vielleicht ein Privatflohmarkt? Vorbeikommen und bestens erhaltene Leseware jeglichen Umfangs und Genres durchstöbern und ihr gegen schmales Geld ein neues Zuhause geben, um dort selbst zu lesen oder dem kargen Heim einen intellektuellen Anstrich zu verpassen (individuelle Beratung inklusive, von Fitzek würd ich in dem Fall eher abraten)? „Langenscheidts Handwörterbuch Englisch-Deutsch mit rund 220 000 Stichwörtern auf 1528 Seiten in 20,04kg“ ist aus mir unerfindlichen Gründen offiziell überhaupt nicht mehr zum Kauf verfügbar – für Liebhaber hätt ich's aber hier in garantiert unbenutzt zum Vorzugspreis.

Freitag, 21. Juni 2024

EM? Welche EM?

 Also gut. Fussi. Man (ich) kommt ja doch nicht drum herum. „Bis Donnerstag hat mich das ja alles ziemlich kalt gelassen“, fiebert der Mann mit kugelrunden Fußballaugen, „aber seit dem Eröffnungsspiel am Freitag muss ich sagen: Ich bin EM!“ Somit bin ich leider auch EM, da Tätigkeiten jedweder Art ausschließlich nur noch in den sensiblen Zeiträumen 17 bis 18 Uhr sowie 20 bis 21 Uhr stattfinden können und entsprechend um mich herum eine gewisse hektische Betriebsamkeit herrscht. Kehrt der Mann vom Job nach Hause, stürze ich mich auf ihn und erzähle sprudelnd von meinem ereignisreichen Tag und bemerke mal früher, mal später diesen starren und irgendwie nach innen gekehrten Blick, der hier und da von einem „Mhm“ oder „aha“ unterbrochen wird bis ich merke, dass die Aufmerksamkeit mitnichten auf meinen Bericht sondern den des Sportkommentators im Ohrstöpsel gerichtet ist. Sitzt der Mann still auf dem Balkon und freu ich mich, dass er auch einmal zur Ruhe kommt und schön in einem Buch versinkt, entdecke ich zwischen dem Grün aus Blumenkübeln und Basilikum ein kleines Rechteck mit Rasengrün, auf dem ein Ball herumgezwirbelt wird. Abendessen, Körperpflege, Serie – gerne, aber alles bitte nur bis in der Stunde bis zum dritten Spiel, wenn da nicht längst gerast werden muss zu einem Public Viewing, von dem wir freilich alle wissen, dass es das falsche Wording ist, aber uns doch in den letzten Jahren so wunderbar dran gewöhnt haben und aus unerfindlichen Gründen nur allzu gern in Kauf nehmen, von einem wichtigen Spiel höchstens nur die Hälfte, dafür sehr viel Sonnenschirm, Spaßhüte und Klogänger durchs Bild latschen zu sehen und das viel besser finden als auf dem Kanapee zu fläzen und aufs Klo gehen zu können, wann immer es beliebt und nicht dann, wenn die Warteschlange es erlaubt, um sich so ganz darauf konzentrieren zu können, Männern beim Ballspiel zuzusehen, was im viel beschworenen Sommermärchen 2006 noch den netten Nebeneffekt hatte, in alle Spieler nebst Ersatzbank und Linienrichter verliebt sein zu können, man heute aber nicht umhinkommt sich zu fragen, ob die Knaben denn nicht wenigstens eingeschult sein sollten, bevor sie über Weh und Ach einer Nation entscheiden dürfen. Die sich aber, so scheint es mir, ohnehin grad noch in relativer Zurückhaltung übt. Zumindest hält sich die Zahl der Autos mit lustigen Deutschland-Kostümierungen noch einigermaßen in Grenzen und die sonst um keine Feierlaune verlegene Nachbarschaft hat es bislang geschafft, noch keinen Polizeieinsatz mit Schland-Gesängen und Pyrotechnik auszulösen. Aber das kann ja alles noch kommen. Am Ende bin dann ich selbst EM und führe als an einen LKW geheftete Galionsfigur den „Immerhin erst nach der Vorrunde ausgeschieden, man muss für alles dankbar sein“-Autokorso an. Schallalalalaaa! 

Freitag, 14. Juni 2024

Schlafen wie die Tiere

 Pferde und Giraffen schlafen im Stehen. Pottwale aufrecht im Meer, Nilpferde am Grund ihres Schlammgewässers. Fledermäuse hängen kopfüber, manche Vögel schlafen im Flug und Robben treiben auf dem Wasser. Tiere haben die unterschiedlichsten Gewohnheiten, was ihre Schlafposition angeht und ich gehöre momentan dazu: Ich schlafe im Sitzen, und das ist gar nicht mal so schön. Prinzipiell finde ich Menschen beneidenswert, die immer und überall schlafen können. Opa war so einer: Kaum hingestreckt auf Kanapee oder Picknickdecke erklang aus dem großen Opaleib ein vernehmliches Röcheln, und weder die tobenden Enkel noch die zankende Brut konnte daran etwas ändern. Schreiende Fernseher, ratternde Züge oder gar ein Festival außenrum – auch der Mann ist sehr gut darin, sich seinen Schlaf dann zu holen, wenn er ihn grad nötig hat, und so schnarcht es selig neben mir, derweil ich mit weit aufgerissenen Augen in die Glotze oder durch die Gegend starre. Statt sehr gut zu schlafen kann ich also sehr gut wach sein, und momentan kann ich das besonders gut, weil eine gewisse orthopädische Befindlichkeit in meinem Schulter-Nacken-Bereich es mir schier unmöglich macht, mich hinzulegen – geschweige denn wieder aufzustehen. Um irgendwie zu Schlaf zu kommen habe ich mir also einen Sessel aus Kissen im Bett gebaut, in dem ich nun throne wie die Prinzessin auf der Erbse und gebe ein ganz und gar jämmerliches Bild ab – was ich zufällig genau weiß, da dieses Bild auch den Mann schier zu Tränen rührt, doch nicht so sehr, als dass er nicht auch noch hämisch kichern und ein Foto machen könnte. Gestern im Arztwartezimmer hat es dann plötzlich neben mir geschnarcht: Eine Frau schlief, den Kopf auf die Brust gelegt, den Schlaf der Gerechten, und wieder war ich neidisch, denn trotz dessen sich mein Hirn anfühlte wie frisch lobotomiert war es freilich hellwach. Wie schön wäre es doch, dachte ich, wenn ich bin bisschen mehr Rindvieh sein könnt oder Katze, meinethalben auch die Fledermaus. Dann könnt ich mich in der Tram an die Haltestange hängen und dort baumelnd schlafen bis zur Endstation. Ich könnte mich beim Einkaufen hinabsinken lassen aufs Warenband und erst aufwachen, wenn ich durch den Scanner gezogen werde und dabei piepe. Ich könnte mich in die Pegnitz legen und dort treibend die Stadt durchqueren, bis es mich am Wehr verwirbelt. So aber geht es mir nur wie dem Faultier: Vor Übermüdung bewege ich mich so langsam, dass es nur so aussieht, als schliefe ich beim Gehen und Stehen. Am liebsten wär mir der Westafrikanische Lungenfisch: Der gräbt sich einfach ein, wenn sein Gewässer austrocknet, erstarrt dabei selbst und kehrt mitunter nach Jahren erst wieder ins Leben zurück, wenn außenrum alles gut ist.