Ich habe einen Comic in die Hände gekriegt. Eine kleine bunte Zeichnung, ganz simpel, aber sie erfreut mich sehr. Es gibt zwei Bildchen zu sehen. Auf dem oberen ist dreimal dieselbe Frau in unterschiedlichen Klamotten. Sie trägt zu roten Pumps wehende Kleider und neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Sommergarderobe – Erwartungen“. Auf dem zweiten Bild dieselbe Frau dreimal ganz anders: graues Shirt, schwarze Shorts, Schlappen. Überschrift: „Sommergarderobe – tatsächlich“. Seitdem ich diesen Comic entdeckt habe, verschicke ich ihn an nahestehende Personen mit dem Kommentar „ich“. Die Antworten sind deutlich: „Ja. Du.“ Und während ich mit einem Auge die Eindeutigkeit der Reaktionen bestaune, bestaune ich mit dem anderen den sehr großen Karton, der im Wohnzimmer steht und auf seine Öffnung wartet. Ich weiß, was drin ist. Aber nicht, warum. Denn es befinden sich darin wehende Kleider, neckische Shorts, farbenfrohe Shirts und bunte Röcke, die jemand online bestellt hat, nachdem er, also: sie bei strömendem Regen auf dem Kanapee lungernd vielleicht einmal zu oft eine Raffaello- oder Bacardi-Werbung gesehen und sich dabei gedacht hat „Hachz ja, irgendwann kommt er schon, der Sommer, und dann blickst du wieder neidisch auf all die schöne Sommergarderobe. Und dann beginnst du panisch, Klamotten zu suchen, doch leider gibt es dann keine mehr, denn im August, wenn dir auffällt, dass jetzt wirklich Sommer ist, hängt in den Läden schon der Herbst und dann bist du traurig.“ Leider kumuliert in mir drin dieses Unvermögen zum vorausschauenden Shopping höchst problematisch mit selektiver Farbblindheit und totaler Amnesie sowie der irrigen Annahme meines inneren Kindes, immer noch Ronja Räubertochter zu sein und als solche den ganzen Sommer gewappnet für das nächste große Abenteuer zu sein: Man könnte ein Dach erklimmen müssen, man könnte einen Schwimmbadzaun überwinden müssen, man könnte mit dem Fahrrad schnell zu einem Waldfest rasen müssen – alles Dinge, für die sich Kleider und Röcke nunmal nicht gut eignen, so wie Pastell und Weiß nicht, um damit in Fahrradketten hängen zu bleiben, an Flussufern zu sitzen oder sich in Heuberge fallen zu lassen. Dass ich all diese Raffaello- und Bacardi-Gewänder nebst Riemchen-Sandalen in allen erdenkbaren Farben und Formen besitze, vergesse ich schlichtweg immer, denn wenn ich meinen Kleiderschrank öffne, sehe ich: für sämtliche Eventualitäten praktisches Schwarzgrau sowie bequeme Schlappen, mit denen man notfalls auch eine zehn Stationen umfassende Biergartentour erlatschen könnte statt mit schmerzendem Fuß an einen Barhocker gefesselt zu sein … Was mach ich jetzt mit dem Karton? Ich weiß: öffnen! Vielleicht kommt er ja dieses Jahr, der Bacardi-Moment!
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