Freitag, 12. Juli 2024

Fussi ade, Fairplay tut weh

 Da geht sie hin, die Fußballsause, und ich blicke ihr wehmütig hinterher. Ade, sichere Abendbeschäftigung, ciao ciao, garantiertes Gesprächsthema – lass uns nur zurück in unserem schnöden Alltag voller Leere und nurmehr Lamentieren übers Wetter, wo Abende wieder mit Filmen oder gar Gesprächen gefüllt werden müssen und Tage nicht mehr selbstverständlich aufs 18- bzw 21-Uhr-Ziel hin verlebt werden, Haushalte vernachlässigt und Ernährung sowieso. Während es also jetzt nur noch zwei verbliebene Länder gibt, die zur Familienspaltung beitragen („EVIIIIVA ESPANA!!“ – „Ich glaub du spinnst! IT’S COMING HOME, IT’S COMING HOME – FOOTBALL’S COMING HOME!!“ – „Ok, der Verlierer macht den Abwasch!“ – „Und der Gewinner bestimmt das Fernsehprogramm den restlichen Monat. Deal?“ – „Deal!“) bleiben mir persönlich ganz unnationale Fragen und ein Gefühl höggschder Unzufriedenheit zurück. Fragen: Hat es jemals ein Turnier gegeben, bei dem es mehr geregnet hat? Warum schneiden sich mange Kicker Lochmuster in die Socken? Und: Seit wann werden Spielfeldrandinterviews ausschließlich von Models geführt, gibt es da eine eigene Klasse in der Journalist*innenschule oder zieht man die extra aus der Gala ab oder gibt es da ein Casting „Germanys next Topspielerfrau“? Der Mann schimpft mich, diese Frage sei antifeministische Nestbeschmutzung, womit er recht haben könnte. Wende ich mich also den anderen Fragen zu, nämlich: Wo soll das alles eigentlich noch hinführen mit diesem Fußball? Am wahrscheinlichsten erscheint mir nämlich aktuell ein virtuelles Turnier, in dem KI-generierte Gentleman-Spieler regelkonform etwas machen, das so brav ist wie stricken und sich auch höchstens noch als Hintergrundrauschen zu dieser Entspannungstätigkeit eignet. Wo bleibt denn da die Emotion? Nichts passiert mehr. Statt Prügelei auf dem Spielfeld – herrlich: erwachsene Männer schreien und schubsen sich wie beim schönsten Pausenhof-Gerangel – gibt’s höfliche Klassensprecher-Beschwerde und Shakehands. Statt im Taumel der Gefühle vom Leib gerissene Trikots gibt’s verschämt hinter Stoff versteckte Vitalsign-BHs – ob David Beckham derjenige wäre, der er heute ist, wenn wir ihn nicht so oft halbnackt gesehen hätten? Ich weiß es nicht. Statt Handgemenge noch in der fünften Nachspielgeneration über Torlinien- und Abseitsentscheidung gibt’s Fußbälle mit Pulssensor, und statt losbrechendem Torjubelgeschrei, Samba auf dem Rasen und Umarmungen Wildfremder gibt’s lieber erstmal ängstliche Blicke zum Video-Schiri. Statt Flitzer Nahaufnahmen vom Rasen. „Aber dafür konzentriert man sich jetzt auf schönen, technischen Fußball!“, sagt der Mann, und ich gähne herzhaft. Will ich nicht. Ich will Tränen, Blut und Ruud Gullit, der vor meinem inneren Auge Rudi Völler in die Frisur spotzt, als wär es gestern gewesen.

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