Donnerstag, 24. Dezember 2015

Ich hab 'ne Zitrone auf'm Kopf ...

„Dieses Gebaren“, versuchte man milde eine List, „ist einem Familienoberhaupt nicht würdig.“ „DAS IST MIR EGAL!“ schrie ich mit einer Stimme, die nicht minder blutete als mein Herz, erhob mich vom Boden, auf dem ich mich zuvor minutenlang in waidwundem Schmerz gewälzt hatte, und rückte die Zitrone zurecht, die ich versuchsweise auf dem Kopf trug, seitdem ich, als im diesjährigen Weihnachtsländermenürennen die Wahl ein- weil lautstimmig auf eben jenen südasiatischen Staat gefallen war, in Erfahrung gebracht hatte, dass in christlichen indischen Familien das Oberhaupt eine solche Frucht symbolisch überreicht bekäme, zum Zeichen der Verehrung. Würdevoll zog ich literweise Rotz, das Elixier des Seelenleides, nach oben, und rief aus: „Dann mach ich das eben ganz alleine!“ „Dann“, sprach das Familienoberhaupt a. D., „machst du das eben ganz alleine.“

Zuvor hatte eben jene Person, die vielleicht nicht ganz zu Unrecht neuerdings den Titelappendix „a. D.“ trägt, verkündet, es gäbe in diesem Jahr keinen Weihnachtsbaum. Wegen langgenugnurfürdieKinder, wegen nadeltdochnurallesvoll, wegen wersolldenndasallesschleppen und wegen ausPrinzipVerweigerung. Und wegen Boshaftigkeit: „Willst du mir sagen, du möchtest unter dem Baum liegen und mit der Krippen spielen?“ Nein, freilich will ich das nicht, UND SELBST WENN! Zog ich also los, weil selbst ist der Spätadoleszente, und stellte mich der Mission Christbaumkauf. Dachte, das kann doch nicht so schwer sein, dachte ich, und wurde eines besseren belehrt. „Halt nich so einen großen“, war das einzig zu erfüllende Kriterium. Darüber, dass es da aber noch 17 weitere gibt, von denen Existenz ich nicht mal ahnte, klärte mich der Christbaumverkaufsmann episch und mit großer Geduld dann auf.

Der eine sei grüner, dafür auch stachliger, weswegen gut für Katzenhalter, der eine dufte, nadle dafür schneller, und welche Art von Halterung ich besäße, denn entsprechend müsse der Stamm präpariert werden, und so weiter und so fort. „Das wird jetzt schon so passen“, beschloss ich forsch, „und wenn nicht, dann kommen Sie halt wieder“, versicherte der Baumbeauftragte und schmiss wenig zärtlich meine Beute in den Kofferraum, auf dass ich sie in die Familienzentrale verbrächte. Mit konquistadorischem Stolz verkündete ich die frohe Botschaft – und sehe mich seitdem größter Häme ausgesetzt: Man habe den Baum auf der Terrasse kaum gefunden. Ob ich es verantworten könne, ein Christbaumbaby so früh seiner Baumschule zu entreißen. Woher man jetzt auf die Schnelle noch Puppenschmuck bekommen solle? Dass das Junge unter der Lichterkette doch ersticken werde. Ob ich den Baum als Tischdeko gedacht hätte?

Mir als frischgebackenem Würdenträger macht das freilich nichts! Ich poliere meine Zitrone und denke mir: die Familie vereint – in Häme zwar, aber was soll’s, diese Last schultere ich gern. Weil so muss das doch sein, an Weihnachten. Also vereint. In diesem Sinne wünsche ich allen [passendes Adjektiv bitte hier einfügen] Weihnachten inklusive Wochenende mit viel Freude, Freunden, Gesundheit, Glück, einer tapferen Peristaltik und einer Partyauswahl, die dermaßen groß ist, dass ich gar nicht erst anfange, Highlights rauszupopeln. Hauptsache: Liebe!

Freitag, 18. Dezember 2015

Geschenkmeinnicht

Also das mit dieser Weihnachtsschenkerei. Das läuft bei mir seit Jahrzehnten nach dem gleichen Muster ab: Ich referiere circa 364 Tage im Jahr landauf, landab, dass ich diesen punktuell erzwungenen Konsum- und Zwangsbeglückungszwang für völlig daneben halte und es für sehr viel erstrebens- und wünschenswerter halte, sich lieber so unterm Jahr hier und da mal eine Freude zu bereiten, wenn grad eine in Sichtweite kommt. Gleichzeitig verweigere ich die Erstellung eigener Wunschzettel, seitdem ich aus dem Alter raus bin, in dem man die gesamte Spielwarenabteilung des XY-Katalogs ausschneiden und feinsäuberlich auf ein zehnseitiges Wunschbuch aufkleben muss in dem festen Glauben, nicht mehr leben zu können, wenn nicht mindestens die Hälfte des Abgebildeten hernach unterm Weihnachtsbaum drapiert darauf wartet, vom Christkindglöckchenklingeln zur Entpackung freigegeben zu werden, und erzähle unermüdlich die Mär vom Ich, das alles hat, nichts braucht, das Geld lieber in eine Spendenquittung investiert sähe und Hauptsache, wir sehen uns alle an Weihnachten und haben uns lieb. Hab ich Mär gesagt? Oh. Naja also.

Um ehrlich zu sein … gibt es da vielleicht noch eine andere Medaillenseite. Die sieht so aus, dass ich in sehrpostinfantilem und deswegen völlig unverschuldetem Verhalten mir nichts sehnlicher wünsche als einen Riesenhaufen glitzerbeschleifter Päckchen egalwelchenInhaltsHauptsacheichkannwasauspacken und mein inneres Kind bitter enttäuscht ist, wenn meinen monatelangen Referaten stattgegeben worden und der Gaben- zu einem Spendenquittungstisch umfunktioniert worden ist. Einerseits. Andererseits befällt mich ab dem ungefähr 21. Dezember das dringende Bedürfnis, selbst zu beschenken. Ich renne also in höchster Panik durch Innenstädte und Einkaufszentren, um zumindest für den engsten Kreis glitzerbeschleifte Päckchen egalwelchenInhaltsHauptsachediekönnenwasauspacken zu ergattern. Diese Panikkäufe gehen dann in 99% aller Fälle so aus, dass ich nichts für andere gefunden, dafür aber mich selbst reich beschenkt habe und mit der Situation befriedet heimkehre.

Ich bekomm ja schließlich auch nichts. So geht das also seit Jahren. Jetzt jedoch ist irgendwas passiert. War ich in der Stadt. Nicht nur einmal, sondern mehrfach, nicht nur der hiesigen, sondern auch in anderen, und wollte nichts sehnlicher, als mich zu beschenken. Handtaschen wollt ich, Schuhe, Schmuck, was man halt so braucht. „Ich hab große Lust, Geld für mich auszugeben!“, hatte ich ausgerufen und war losgezogen. Und jetzt steh ich da mit der Beute und bin höchst irritiert. Mehr noch: bestürzt. Nichts, nämlich, hab ich für mich erlegt. Rein gar nichts. Dafür einen Riesenhaufen Geschenke für nachgerade Hinz und Kunz! Ich weiß gar nicht, was das soll. Wohl aber, dass die Niederschrift dieser spannenden Gegebenheit eine Unruhe in meinem sozialen Umfeld auszulösen intendiert ist. Wenn ich Geschenke habe, panikt man jetzt hoffentlich, dann müssen sie wohl auch. Und schawupps hab ich wieder alles richtig gemacht. Keine Bange, meine Lieben: Ihr habt noch fast ne Woche.

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Advent, Advent, ein Flüchtling brennt

Ach, was haben wir nicht gelacht neulich, bei der „Anstalt“, bei der Talkrunde. Der dumme Nazi, es werden immer mehr, wohin nur mit denen, wie soll Deutschland damit fertig werden, haben wir ja aber schon mal geschafft, damals als der Ossi die Republik erstürmte, barfuß und mit nichts am Leib als eine Bananenschale, jetzt ist er integriert, der Ossi, und schreit am lautesten, als Nazi. Wie undankbar. Wie empörend, schüttelt der Bildungs- oder wenigstens Wohlstandsbürger des, sagen wir mal, östlichen Speckgürtels das Haupt und nimmt einen tiefen, doch gar nicht so schlechten Schluck vom Beaujolais.

Man hat jetzt aber auch nicht weiter Zeit, man muss doch nächstenlieben. Advent ist, Zeit der Barmherzigkeit, Zeit der Spenden, die alten Schuhe von Opa, die schon ewig im Weg stehen, hat man schon in den Kleidercontainer geworfen, eine mottenlöchrige, doch warme Jacke auch, wird schon an die richtigen Stellen kommen, ist ja kalt jetzt, und die armen Schweine da in ihren Zelten, schlimm, wirklich schlimm, und das Fernsehen, das mag man gar nicht mehr anmachen, immer diese Bilder, dieses Elend, wie soll man sich da konzentrieren auf die wirklich wichtigen Dinge, Weihnachtsmenüsitzordnung beispielsweise, oder ob Oma nicht vielleicht an Heilig Abend doch besser in der Demenzstation bleiben sollte, das tut der ja auch nicht gut, mit dem Ortswechsel. Ins Theater, da kann man hingehen, toll wie diese Kabarettisten mit der Krise umgehen, was haben wir gelacht, auf dem Heimweg im sitzbeheizten Q7.

Und Recht haben sie, Mensch, dieser Pöbel da auf der Straße immer, was sind denn das für Leute? Ossis, alles Ossis, Arbeiter, Pack. Wie undankbar. Fünf Euro für UNICEF, Spendenquittungen kann man von der Steuer absetzen, man kann ja schließlich nicht allen helfen, und nachher bin ich mit Brigitte verabredet bei Nespresso, ach, der George, der ist schon so einer. Aber wirklich schlimm, das alles. Da braucht man schon mal seine Ruhe, das muss man doch verstehen. Bayern 1 spielt „Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all“, das ist schön. Aber irgendwo muss doch mal Schluss sein. 35 Kinder, das Elend vorm Haus haben, jeden Tag sehen, wo soll denn das hinführen, wenn ich im Problembezirk wohnen wollte, würde ich das tun, und plötzlich brennen nicht nur die Mülltonnen sondern auch der SUV, ganz sicher, die haben doch alle einen Hau, das müssen die ja wohl über kurz oder lang mal rauslassen.

Schreiben wir also einen Brief, wenn schon kein Bürgerentscheid ausgelobt worden ist von der Stadt. „Neben einer eventuellen Einschränkung der Lebensqualität und Ruhe […], Gefährdung der Sicherheitslage etc. werden wir durch sinkende Grundstückspreise teilenteignet.“ Das muss man doch mal sagen dürfen, da ist man doch noch kein Nazi. Minderjährig und unbegleitet? Dafür gibt es Lager, da sollen die hin, da sind sie unter sich, ist ja auch nur gut für diese Syrer oder Afrikaner, Schwarze halt. Hauptsache, die verstehen das mit unseren christlichen Werten. Advent, Advent, ein Flüchtling brennt, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Krampus vor der Tür.

Wochenende? Keine Zeit. Muss deutsche Krippe aufbauen. Ein Ochse und ein Esel. Auch hübsch.

Freitag, 4. Dezember 2015

Zeitfensterregel

„Glühwein ist ein alkoholisches Heißgetränk, das in Mitteleuropa traditionell in der Adventszeit, häufig auf Weihnachtsmärkten getrunken wird.“ (Wikipedia, 2.12.15, 9.48 Uhr [die weltallerbeste Uhrzeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, übrigens. Mir ist jetzt schon ganz blümerant]). So weit, so gut. Ich persönlich würde den interaktiven Enzyklopädie-Eintrag nach einer aufopferungsvollen Feldrecherche jedoch wie folgt bearbeiten: „[…] auf Weihnachtsmärkten häufig getrunken wird.“ Insbesondere auf dem hiesigen, weltallerschönsten. „Wer alles hat, der braucht nichts geschenkt“, sprach das Christkind unlängst und wie immer vom Balkon zum Volke herab, und wenn man sich dann da so umschaut, in der Stadt aus Holz und Tuch, erkennt man schnell: Das lässt sich der an- und umsässige Händler nicht zweimal sagen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt die herrliche Ausschankzeit! Was zum Tresen umgebaut werden kann, wird zum Tresen umgebaut. Eisdielen, Steakhäuser, Bäckereien, Optiker, Apotheken – sie alle wissen, was der geneigte Glühmarktbesucher wirklich will. Strohsterne, Fußbettschuhe? Pah! Her mit dem Gesöff, das zu 90 Prozent aus Zucker, zu 50 Prozent aus Gewürzmischung und 17 Prozent aus Alkohol besteht! Da nimmt es doch kaum Wunder, dass hier und da Beschwerden laut werden, es fehle nun aber wirklich die adäquate musikalische Untermalung auf diesem fränkischen Zuballermann, wosnjezzhieriparti? Haben wir hier nicht, weiß der Heimatpflichtverbundene zu bestellen, und nippt distinguiert am Heidelbeer. Weiß aber etwas anderes zu beherzigen: die Glühweinzeitfensterregel. Die hat er sich in mühsamer Forschung erarbeitet, im Zuge derer er jährlich Investitionen getätigt hat im Gegenwert eines Kleinwagens. Eines vollgetankten. Die Glühweinzeitfensterregel besagt: Du hast exakt zwei Minuten, in denen Glühwein genießbar ist. Zu Beginn nämlich verbrennt man sich veritabel die Gosch. Also warten.

Doch bloß nicht zu lange, denn heute kann es regnen, stürmen oder schnei‘n, er kühlt stets zu schnell ab, deheer Glüühüüwein! Zwei große Schlucke also, dann Tasse leer, dann Hände kalt, dann alles doof, dann schnell nächste Runde. Easy. Eine daran anknüpfende Subregel lautet: Meide den Stiefel! Mal davon abgesehen, dass der unter hygienischen Gesichtspunkten höchst suspekt daherkommt, weil wer bitte spült denn den Schlonz, der da vorne in der Kappe drinhängt, fleißig aus?, verbirgt sich hinter der Schnellabkühlerei noch eine besonders fiese Überraschung. Hat man nämlich das Zweiminutenfenster verpasst, versucht man für gewöhnlich, den ekelkalten Rest möglichst schnell in einem Zug zu eliminieren. Aufgrund der förmlichen Beschaffenheit des Trinkschuhs aber befindet sich in Sohlennähe naturgemäß mehr Weihnachtselixier als in der herkömmlichen Tasse, weswegen der Ungeübte sich geschwind eine Glühweindusche ins Gesicht schüttet. Das sieht halt einfach nicht aus. Nachdem wir das jetzt gelernt haben, husch husch ins Feld und üben! In der nächsten Folge dann: „Lust auf Kopfschmerzen? Glühweinsorten im Test“.