Samstag, 26. Oktober 2013

Perspektivprobleme

Es gibt ein T-Shirt, auf dem steht „Ich bin voller Gedanken und äußere daher nicht immer den richten“. Ich muss jetzt aber ganz dringend was äußern. Nämlich: Mich treibt seit Tagen eine Fragestellung um, die zu beantworten ich bislang noch keine Möglichkeit gefunden habe – dahingegen aber sehr viele Gelegenheiten, Gesprächsrunden behutsam in eine diesbezüglich lösungsorientierte Debatte zu führen. Also. Man kennt das: Es richtet sich eine Kamera auf einen Menschen, und der Mensch, zumal weiblicher Natur, kreischt sofort laut „NICHT VON UNTEN!“ Ungefragt folgt die Erläuterung, die vermaledeite Perspektive verzerre die Leibesfülle des Abzulichtenden in unakzeptabler Weise, ließe Doppelkinne sprießen und Körbchengrößen explodieren. Man möge doch, bitteschön, das Gerät anheben und, so die Argumentation, den Menschen solcherart optisch strecken. Dieser Gedankengang ist durchaus nachvollziehbar und das Internet voller anschaulicher Beispiele.  

Und jetzt kommt mein Problem, das mir schlaflose Nächte bereitet und einen argen Denkschmerz. Gilt das mit der Leibesfülle und der Perspektive nur für Fotos? Oder ist es vielmehr so, dass auch ein Auge dieser arglistigen Täuschung anheimfällt? Hieße das dann folgerichtig, dass alle Menschen, die sich um eine sehr großgewachsene Person tummeln, entsprechend anders erscheinen als die, von denen ein eher klein geratener umgeben ist? Lebt der Große in einer Welt der Schlanken, der Kleine in einer der Pummligen? Kann ich meine eigene Wahrnehmung manipulieren, indem ich mich nur noch auf Stelzen fortbewege oder einer Liegekonstruktion? Um das herauszufinden, hilft vermutlich nur eines: Mich an frequentierter Stelle platzieren. Hochstuhl vom Waidmann meines Vertrauens leihen, Liegestuhl von irgendwem. Versuchsteilnehmer in großer Anzahl finden, die mehrfach an mir vorbeiflanieren. Ergebnisse gewissenhaft notieren. Möglicherweise vorher lieber doch noch Rücksprache mit Lehrstuhl für Soziologie über Validität des Versuchsaufbaus halten. Daraufhin von Feldforschung vielleicht besser doch Abstand nehmen. Enttäuscht Kopf zermartern, wie jetzt zum Wochenende überzuleiten sei. Wieder scheitern. Naja. Dann halt ohne.  

Wobei, vielleicht gibt’s noch eine Chance im 360° (Adlerstraße), da sind nämlich die „Girls on Top“ und im Mach (Kaiserstraße) immerhin die „Hands up for Arty“ (gute Foto-Perspektive!). In der Rakete (Vogelweiherstraße) wird – „Abrakadabra“ – gezaubert, das Parks (Berliner Platz) ist „Prüfungsgeil“, das Stereo (Klaragasse) im „Plattenrausch“ und der „Lui loves Hip Hop“ (Luitpoldgasse), derweil nebenan die Bar77 Jungvolk zu „Prinzessinnen & Superhelden“ lockt und die KK (Königstraße) Altvolk zu „Querbeat“. Am Samstag gibt’s zwei Möglichkeiten: Zu „Nürnberg.Pop“ (südl. Altstadt) zu gehen. Oder nicht. Dann aber am besten gleich weit weg. „80er/90er Party“ im Terminal (Flughafenstraße), „Hafenschänke“ in der MUZ (Fürther Straße), verschiedenste Kombinationen von „Club/Klub/Nacht/Night“ in Marquee (Klingenhofstraße), Mach und 360° oder „Tune in“ in der Desi (Brückenstraße) bieten Asyl. Oder ganz raus zu Charivaris „Discomania“ in die Westvorstadt (Fürther Stadthalle). Aber man muss es vielleicht auch nicht übertreiben. Egal aus welcher Perspektive. 

Samstag, 19. Oktober 2013

Freisprechanlagen

Man hat sich an so vieles gewöhnt. An Menschen, die in ihrem Auto brüllen, ohne dass darin sich ein Kollege, Nachwuchs oder Eheweib befände. An Menschen, die in der Gegend umherspazieren und mit starrem Blick ins Nichts hineinsprechen. Auch an Menschen, die die feierabendliche Leibesertüchtigung damit zubringen, rotschwitzig Sozialpflege zu betreiben und in ihren Walkman hineinzuschnaufen. Alles wichtig, gewiss. Immerhin: Sie kommunizieren. Denn so weit ist’s noch nicht, dass ich an dieser Stelle Simulantentum unterstellen möchte. Hierfür gibt’s nämlich eine ganz andere Spezies, der man das nicht nur unterstellen, sondern dringend urkundlich bestätigen möchte. 

Früher, als Handys noch so groß waren wie Autobatterien (gut, das sind sie jetzt wieder, aber das ist ein anderes Thema), da gab’s so eine Sorte Mensch, die sehr dringend diese Last am Gürtel befestigt mit sich führen musste. Vermutlich aufgrund eines Haltungsschadens, der ihnen irgendwie verbot, das Gerät in einer Tasche zu verstauen, war’s wichtig, es gut sichtbar mit sich zu führen. Als gänzlich unbeabsichtigter Nebeneffekt erzeugte der Mensch einen Eindruck der Wichtigkeit mindestens im Range eines Feuerwehrhauptmanns, der stets einsatzbereit und für jedermann erreichbar durch die Welt patrouillierte. Der Mensch trug’s mit Fassung und einem Hauch von Stolz ob der Bewunderung, die ihm (vermeintlich) entgegenschlug. 

Diese Zeiten sind beinahe vorbei, und wie sich die Technik fortentwickelt, so senken sich die dafür zu berappenden Preise, und das ist gut, denn nun können sich die Haltungsgeschädigten einer Neuerung bemächtigen, die ihnen die Last des Geräts und der Verantwortung vom Gürtel weg direkt ans Ohr pappt: die Bluetooth-Freisprechanlage. Einem Virus gleich scheint sie mit dem Träger Tag und Nacht verwachsen. Ob morgens beim Bäcker, nachmittags beim Tanken, abends beim TK-Pizza-und-Sixpack-Kauf, immer klebt die kleine schwarze Krake am Ohrwaschel, und dabei wird der arme Mensch nie, niemals angerufen außer Sonntagmittag von der Mama, die fragt, wie’s dem Haltungsschaden geht, aber der Wirt weiß sich seines Virus‘ nicht zu erwehren, und so trägt er mit einer von Außenstehenden nur zu leicht mit unverhohlenem Stolz zu verwechselnden Tapferkeit den Draht zu Außenwelt mit sich herum, weil es könnt ja immer sein, dass seine Superheldenkräfte benötigt werden, um Kinder aus lodernden Flammen zu retten oder Burgfräulein vor dem Drachen. 

Man hat’s nicht leicht als vielgefragte Person, und weil ich das freilich nicht verstehen kann, muss ich mir die Häme auch verkneifen. Im Diskothekenbetrieb ist die Spezies gottseidank noch eher kaum verbreitet, und deswegen flücht‘ ich mich geschwind dorthin.  Zum Semesterstart steigt „Prüfungsgeil“ in der Indabahn (Bahnhofsplatz), zum Geburtstag „5 Jahre Tonkonzum“ in der KK (Königstraße). Der Lui (Luitpoldstraße) ruft „We tone“, das Terminal (Flughafenstraße) „Get on board“, die Muz (Fürther Straße) in die „Muckibude“ und das Stereo (Klaragasse) hebt die Hände zum „Clap!“. Am Samstag ist lange Nacht der Wissenschaften, aber Studienobjekte hat’s ja auch im Ausgang mehr als genug, deswegen ab zur Feldforschung: „W.H.M.C.“ im Zwinger Keller (Lorenzer Straße), „Jockey Club Ibiza“ in der Mitte (Hallplatz), „Jazzboutique“ im Opera (Ostermayerpassage) und „Bassbot“ im Nano (Königstraße). Wenn irgendwo ein Burgfräulein in Flammen stehen sollte – sagt Bescheid! 

Samstag, 12. Oktober 2013

Anflutungsphase

Salvete, discipuli! Wir sind ja hier nicht zum Spaß, sondern um was zu lernen. Deswegen nehmen wir heute das Wort „Anflutungsphase“ durch. Das habt ihr jetzt bestenfalls noch nie gehört. Und damit das noch besterenfalls auch so bleibt, erklär ich euch, was es damit auf sich hat. Eine kurze Sprechstunde bei Dr. Google ergibt, dass sich dieses Wort ausschließlich in Verbindung mit juristischen Nachschlagewerken im Allgemeinen und den möglichen Folgen unsachgemäßen Alkoholkonsums und damit einhergehenden noch viel unsachgemäßeren Verhaltensweisen im Speziellen findet. Die Anflutungsphase bezeichnet die Zeit, die der Körper braucht, um vom Magen ins Blut und damit ins Gehirn zu kommen. Das dauert ein bisschen. Und darin liegt die Tücke, der, wie aufwww.muenchenkotzt.de eindrücklich dargestellt ist, beispielsweise Wiesn-Besucher gern zum Opfer fallen. 
Man muss ja morgens um neun in so ein Zelt hinein gehen und dann alsgleich die erste Maß frühstücken, um den Geruch zu ertragen. Und dann muss gleich die zweite hinterher und am besten auch die dritte, weil der Herr Ober grad am Tisch steht. Zwischendurch ein Schnapserl, links, rechts, vor, zurück, alles prima, ich bin der König der Welt, und von einer Minute auf die andere gehen die Lichter aus. Weil: In dem Moment, in dem das Teufelszeug im Blut angelangt ist, leitet der Körper die Resporptionsphase ein und beginnt mit dem Abbau. Wer langsam und gemütlich vor sich hin trinkt, bei dem halten sich die beiden Phasen halbwegs die Waage. Wer aber mit einem großen Durst die Literflasche Berentzen Apfeltraum in die ewigen Jagdgründe überführt, der sollte auch sich selbst eine Münze für den Fährmann in den Nike Air zur Verwahrung stecken. Die wird er spätestens dann brauchen, wenn am tags darauf der Herr Papa aufs Revier gefahren kommt, um den Nachwuchs aus der Zelle auszulösen. 
Wer sich nämlich sturzbetrinkt und dann ans Steuer setzt, der ist zwar während der Fahrt noch völlig nüchtern, könnte aber unter Umständen je nach Dauer der Reise gegen deren Ende von einem überraschend einsetzenden Suff eingeholt werden, der ihn in weniger eleganter Manier einparken und in noch weniger eleganter in die Arme des nächsten Polizeibeamten tänzeln lässt. Und das BVG vertritt hierzu eine dezidierte Meinung. Ich auch. So. Was ihr mit diesem Wahnsinnswissen anfangt, sei euch selbst überlassen. Aber denkt dran, wenn ihr beim dritten Gin Tonic aller Welt verkündet, es liefe heute ganz besonders gut. Anflutungsphase! Wenn ihr die wohlbehalten übersteht, kann’s ja losgehen. 
In der Rakete (Vogelweiherstraße) die Veranstaltung mit dem unaussprechlichsten Namen des Wochenendes (kurz: „Take Over“). Im Marquee (Klingenhofstraße) die mit dem meistmissverstandenen („Get Lucky“), im Zentralcafé (Königstraße) die mit dem nervigsten („Carpe Yolo!“), in der Bar77 (Luitpoldstraße) die mit dem femininsten („Mädelsabend“) und im Terminal (Flughafenstraße) die mit dem unaufgeregtesten („Soul Flight“). Am Samstag gehen wir schon nachmittags zum „1. St. Leonharder Kneipenfestival“ und tauschen das hierfür eingesteckte Pfefferspray später gegen die Glitterkanone, um zum „Loving Heads Festival“ in die MUZ (Fürther Straße) zu fahren. Wer sich nicht sicher über den aktuellen Wochentag ist, der schaue bitte zu Indabahn (Bahnhofsplatz) und 360° (Adlerstraße), und wer eine „Bassdusche“ benötigt, in die KK (Königsstraße). Und jetzt, liebe Kinder, einfach mal: abschalten. 

Samstag, 5. Oktober 2013

Pflasterversuche

Liebe Kinder, ihr müsst jetzt ganz stark sein. Ich habe in den vergangenen Monaten in selbstloser Aufopferungsbereitschaft eine großangelegte Feldstudie zum Thema „Pflaster“ durchgeführt. Im Zuge dessen gelang es mir, zweifelsfrei zu belegen, dass Pflaster die schlechtestentwickelte Erfindung seit Menschengedenken sind. Ich habe z.B. quer durch Europa Blasenpflaster getestet. Das sind die, die man behutsam auf die leidende Stelle klebt, dann in einen Schuh schlüpft und das Haus verlässt, nur um die Plastikschicht drei Minuten später sonstwo wieder zu finden. Wasserfeste Wundpflaster sind die, die sich bereits beim bloßen Aufdrehen des Duschhahns vom Acker machen oder nach einer Minute Abspülen an der Untertasse kleben – dort jedoch ganz ausgezeichnet, was auch für großflächige, extra stark haftende Schutzpflaster gilt, die man übers Knie legt und über kurz oder lang aus irgendwo in der Hose herauszureißen versucht, wo sie fälschlicherweise, dafür sehr hartnäckig verbleiben.

Über „absolut unsichtbare Herpes-Pads“ und den damit erlangten Anschein einer Lepra-Erkrankung wollen wir gar nicht erst sprechen. Gesprochen werden muss aber dringend über Fingerpflaster. Hierfür habe ich mir extra die Kuppe des linken Daumens entfernt. Das ging ganz schnell, und nebenbei war auch noch der erste Kürbis der Saison gescheibelt. Während der vor sich hin köchelte, begann die letzte Etappe meiner Studien, nach deren Abschluss eindeutig bewiesen war, dass egal welche Art Pflaster in egal welcher Konstruktion angebracht für Daumen nicht geeignet und einzig ein mordsmäßig eindrucksvoller Verband halbwegs akzeptabel ist. Da hab ich ganz zufällig, und jetzt kommt eingangs erwähnte Jugend ins Spiel, noch einen Beweis erbracht. 

Nämlich: So ein Daumen IST gar nicht nur zum SMS-Schreiben und PS3-Zocken da! Das muss man sich mal vorstellen! Mit so einem Daumen macht der Mensch permanent irgendwas, dessen er sich rein gar nicht bewusst ist; nachgerade ignoriert wird dieser Finger, der treu ergeben seine Aufgaben verrichtet, einem kleinen Dackel gleich, der nur das Herrchen froh machen will und sich über unter den Tisch fallende Essensreste als größte Liebesbekundung schier kringeln könnte vor Glück. Das nimmt mich aber nicht weiter Wunder, wird doch dem Daumen schon im Kinderreim mit den Pflaumen als einzigem keine Aufgabe zuteil. Das müssen wir ändern! Wir läuten das Daumen-Wochenende ein, und wer mir jetzt nicht glauben mag, der geht direkt auf die Fürther Kärwa und versucht, ohne Daumen einen Maßkrug zu heben. Jawoll! 

Oder im 360° (Adlerstraße) das „Studentenfutter“ zu greifen. Oder im King Lui (Luitpoldstraße) den „Lipstick“ nachzuziehen, das Alter von „Einfach einfach“ im Nano (Königstraße) zu zeigen, die Ausgabe vom „Dubtings Special“ im K4 (edb.) oder den Raketen-Gast (Vogelweiherstraße) bei „Kabbala ft. A.N.A.L.“. Am Samstag dürfen wieder alle Finger ran. Bei der „Maximum Rock Night“ im Hirsch (Vogelweiherstraße) zum Metal-Gruß, bei der „Disko2000“ im Stereo (Klaragasse) zum Musik-Wunsch-Betteln, bei „Beats & Style“ im Marquee (Klingenhofstraße) zum gucken, ob Föhnwelle und Push-Up noch sitzen, in der Mitte (Hallplatz), um bei „You & Me“ beständig auf Menschen und sich selbst zu zeigen und in der Indabahn (Bahnhofplatz) bei der „Lovenight“ … Ach, das will ich gar nicht wissen. Studien sind eh beendet.