Freitag, 27. Januar 2023

Außenwirkung

Spätestens, als der nette Fahrradverkäufer mir mit unschuldiger Miene neulich zur Testfahrt ein massives Tiefeinsteiger-Fahrrad zuschob, hätte mir aufgehen können, dass zwischen meinem Innendringefühl und meiner Außenwirkung eine gewisse Diskrepanz besteht … Älter werden geht mit vielen gewöhnungsbedürftigen Dingen einher, beispielweise, dass man irgendwann irritiert feststellt, dass einen zwar nicht mehr alle Kneipiers der Stadt mit Namen ansprechen können, dafür aber die Sprechstundenhilfen aller Arztpraxen. Vor allem aber wird die Schere zwischen Außenwirkungen und Innendringefühl von einem selbst unbemerkt immer größer, was zu verwirrenden Situationen führt, über die wir mehr reden sollten, da ich ahne, dass es sich hierbei nicht um mein persönliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt. Also ähm … hoffentlich. Zum Beispiel, wenn einem im Bus ein Knabe den Platz anbietet. Dann ist das innere Ich (Mitte 20, vital, in shape, flippig) ehrlich empört, derweil der junge Mensch sich verblüfft wundert, was er der alten Frau (irgendwas zwischen 40 und 80, mit Rucksack, Daunenmantel, Chelsea Boots und Golddekor in der typischen Uniform aller Hängegebliebenen) wohl angetan hat. Man wird zornig, wenn 20-jährige vermeintlich Gleichaltrige einen auf der Straße siezen und möchte dennoch ebenso alten Polizeibeamten vor Entzücken liebevoll in die Wange kneifen, wenn sie einen Tadel aussprechen, beansprucht wie seit hundert Jahren im Lieblingsclub die erste Reihe für sich und lacht gleichzeitig „den Vaddi da hinten“ aus, der „wohl seine Tochter sucht“. Und so wird aus einem eigentlich unverdächtigen Akt wie „Fahrradkauf“ plötzlich eine heikle Angelegenheit. „Das war die schlimmste ,20-Jähriger berät 50-Jährige-Situation‘ in der ich jemals war“, sprach der Mann, ebenfalls forever young, und kleidete in Worte, was mir knapp zwei Stunden unerklärliches Unwohlsein bereitet hatte: eine sagenhafte Diskrepanz zwischen Innen und Außen. Von innen gesehen hatten zwei hippe, witzige Junggebliebene mit einem ungefähr gleichalten Verkäufer nicht nur geschäkert, sondern auch überaus klug gefachsimpelt, Erfahrungen ausgetauscht und ironische Blicke, derweil eine ältere Kundin nebenan Radldomino spielte und mittels ungebändigtem Ebike unablässig in die ausgestellte Ware fiel, hihi, die Dumme, dabei weiß man doch dass der Boden hier so rutschig ist. Und dann der Tiefpunkt, äh: Tiefeinsteiger, den ich mir („so ein Altfrauenrad!“) empört verbat und mich nebenbei bemühte, ein weiteres Mal meine eigentliche Liebe zum rohen Mountainbiken zu betonen und die schlichte, weil alltagspraktische Notwendigkeit eines Damenrads mit Korb, mit dem ich dynamisch, doch kontrolliert (der Boden) Proberunden zog und mich dabei insgeheim über den bequemen Breitarschsattel freute … Sagt mal, ihr da draußen: Bleibt das so? Mir wär’s eigentlich recht.

Freitag, 20. Januar 2023

Dörrautomat

Da sitzt du nun eine Woche später und leistest Abbitte, hast du doch vor nichtmal sieben Tagen was vom Januar-Frühling fantasiert und dich nach Sauwetter, Eingeschneitsein und innerer Einkehr gesehnt und schon schüttelt Frau Holle die dicksten Flocken vor deinem beschlagenen Fenster aus, derweil ein zapfiger Eiswind dich nicht nur daran erinnert, was „frieren“ eigentlich gleich wieder war, sondern auch, warum du alle Menschen hasst, die seit Wochen dich mit Strandfotos aus Asien belästigen oder, ungleich besser, von Reiseplänen schwadronieren. Und dir im ganzen Grant so langsam schwant, wozu der Januar ordnungsgemäß eigentlich gedacht ist: Körperpflege, unbedingter Veränderungswille und – Steuererklärung. Derweil ich also auf einer dicken Isolierschicht aus Quittungen, Rechnungen und Kilometeraufstellungen auf dem eiskalten Boden liege und mir schwer geschwächt zum x-ten Mal die Frage stelle, ob „also ich hefte ja immer alles gleich ab“-Menschen eigentlich nervige Streber oder bewundernswerte Organisationtalente sind, erhellen Freunde und Bekannte mein trauriges Gemüt mit regelmäßigen Meldungen zum Erfolgsstand ihrer aktuellen Fasten- (Ich starte jetzt mit Almased! – Bitte nicht, du weinst nur wieder zwei Wochen, betrinkst dich dann und beschließt, dass Frustfressen irgendwie geiler ist. – Diesmal wieder alles anders!) oder Sportperiode (… und dann komm ich dahin und frag: Wo ist denn der Spinning-Kurs? Und er so: Welcher Spinning-Kurs? Du stell dir vor: War ich im falschen Fitnessstudio. Bin ich wieder heimgefahren!) derweil ich gekonnt die subtilen Botschaften des Vorabendprogramms (Diät, Urlaub, Diät) ignoriere und mir stattdessen lieber Fotos vom Bergwandern neulich anschaue, wo ich jung, dynamisch und voller Leben mal eben schnell ein paar hundert Höhenmeter heruntergerissen habe. Auf diesen Fotos zu sehen: Eine wohlbeleibte ältere Frau, die mit hochrotem Kopf und schweißgebadet auf allen Vieren einen steinigen Hügel erklimmt. Das gab mir zu denken. Auf der Suche nach Sinn und Spuren, die meine doch so gesunde Lebensweise offenbar an meinem Körper hinterlassen haben, bin ich unvermittelt bei der Abendkosmetik auf die Lösung gestoßen: „48h Feuchtigkeit – zieht schnell ein“ hat mich ein Cremetopf angeschrien, aus dem ich mich seit Jahren körperflächig üppig bediene ... Heureka! Natürlich! „ICH HAB’S! Die Creme wirkt 48h! Nach 24h ist die Hälfte also noch in mir drin. Aber weil ich jeden Tag neu creme, hab ich mittlerweile viele tausend Stunden Feuchtigkeit in mir angereichert, das zieht ja so schnell ein! Also ist ja wohl logo, dass man das sieht! Wie Kamel!“ hab ich schlau vorgerechnet. Und mir nicht minder schlau eine Lösung ersonnen: Weg mit Hometrainer und Low Carb-Diät! Was ich brauche, ist ein Dörrautomat! Und schon ist auch der große Erfolg der Solariumsbranche erklärt. Sowie meine künftige Hautfarbe. Ciao!

Freitag, 13. Januar 2023

Schmunzelmomente

Ein quietschfideles und gesundes neues Jahr voller kleiner glücklicher Schmunzelmomente allerseits! Ja, ich weiß, dass 2023 schon fast wieder vorbei und es mit den Neujahrswünschen entsprechend spät ist, aber in kleinteiliger Abstimmung mit meinem sozialen Umfeld über die wiederholte Frage „Darf ich jetzt noch a xunds nois wünschen?“ bin ich mit mir darin übereingekommen, dass es absolut zulässig ist, sich so lange mit Neujahrglückwünschen zu bewerfen, wie man sich eben zum ersten Mal im neuen Jahr so trifft – und wenn’s bis Fasching ist. Wenn man dann die Periode des „Hab ich dir eigentlich schon ein gutes neues Jahr gewünscht?“ auch noch hinter sich gebracht hat, darf man sich wohl weitestgehend in Sicherheit wähnen. Worin ich mich ganz sicher wähne, ist, dass der Januar sehr zuverlässig der Monat ist, der die großen Träume gebiert, die im Laufe der folgenden Wochen zu immer kleineren Ideen zusammenschrumpeln um am Ende des Jahres in der „Realitätscheck“-Kiste wiedergefunden und entweder sogleich ausgemistet oder gelegentlich auch abgestaubt und wieder mitten im Wohnzimmer hübsch beleuchtet in die „Jetzt aber wirklich!“-Vitrine gestellt werden. Andere nennen das auch „guter Vorsatz“, und ich freu mich aufrichtig für alle, die sich solche gar nicht erst stellen. Als leuchtendes Beispiel dient hier eine Freundin, die inmitten der proseccogetragenen Stimmung beim Adventsbrunch voller ehrenwerter Ankündigungen und heiliger Schwüre der Selbstoptimierung und des Entsagungswillen laut ausrief: „Kein Alkohol? Ohne mich, da macht ja gar nichts mehr Spaß! Ich verzichte lieber auf Schoki oder so.“ Ich für meinen Teil detoxe. Aber eher so … ähm … großmütterlich: Ich weiß, ich sollte streng sein, doch die Lebenserfahrung hilft mir zu Nachsicht und Milde mit mir selbst. Eine Strategie, mit der ich vollumfänglich einverstanden bin. Weit weniger einverstanden bin ich mit einer anderen Januar-Erscheinung, nämlich der absoluten Abwesenheit von Winter – was den Entsagungsmonat nach meinem Dafürhalten besonders diffizil gestaltet, hör ich mich doch stets vergnügt ausrufen: „Januar und Februar sind doch super zum Detoxen, weil da ist es eh nur schweinekalt scheußlich und du kannst nichts machen außer daheim sitzen, dich vom Advent erholen, dabei gruselnd aus dem Fenster schauen und widerwillig, aber leicht entsagen, schließlich gibt’s ja kaum Verlockungen!“ Jetzt hat’s leider durchgängig nicht nur Biergartenwetter, sondern auch eines, das hervorragend geeignet ist für körperliche Draußenaktivitäten – und inneren Zerriss. Biken oder Yoga? Socializen oder innere Einkehr? Was ist besser für mich? Wer bin ich überhaupt? Und wann? Und wenn ich alles bin – wer verdient in der Zwischenzeit das Geld? Es ist nicht leicht, wir alle müssen Opfer bringen. Auch wenn es 16:8 heißt.