Freitag, 26. Februar 2021

Der gewisse Eifer

 In Wahrheit war natürlich auch die letztwöchentliche Glosse erstunken und erlogen so wie die meisten und besonders diejenigen, in denen es beispielsweise um nahe Anverwandte geht. (Sie sagen, das soll ich jetzt mal schreiben, dann nehmen sie auch das Testament vom Schredder wieder weg.) Langweilig ist immer nur den anderen, ich hingegen bin ein Ausbund an Beschäftigungstherapeutik, da tätest du Augen machen! Nur langsam hab ich wirklich alle Hobbys durchprobiert. Zum Jahresende mitgerissen hatte mich der Sog all derer, die jetzt plötzlich groß an der Gitarre werden. Da ist mir nämlich eingefallen, dass ich früher mal groß an der Gitarre war, bis das Leben, sprich Jungs, Party, Sachen, unsere Wege trennte (liebe Grüße an meinen guten alten Lehrer Winfried. Es tut mir leid!). Eine archäologische Ausgrabung führte flugs das Instrument zutage, und fortan beglückte ich den Haushalt mit meinem vergangenen Talent. Nach zwei Tagen intensiven Übens konnte ich alle gängigen Weihnachtslieder, nicht aber mehr meine Fingerkuppen spüren. In der Folge habe ich große Mengen Beton, Holz und Tüddelkram zu Kunstwerken komponiert, die tiefe Bedeutung für die Kunst, noch tiefere aber für den Hausfrieden zu entwickeln drohten, und weil der Ausbau des Balkons zum Atelier leider nicht möglich ist, sah ich mich gezwungen, diese Tätigkeit einzustellen und mich kleineren Arbeiten zu widmen: ein kurzes Intermezzo an der Punch Needle, mittels derer sich sehr schöne, teure Wollfäden zu winzigen Flokatis wirklich abscheulichster Hässlichkeit kombinieren lassen, die nichts mit der feingeistigen Kreuzsticharbeit zu tun haben, die mir eigentlich vorschwebte. Zornig hab ich das Projekt also entsorgt und mich dem nächsten zugewendet: Beim Aufräumkruschen war mir meine alte Häkelnadel in die Hände gefallen, und angespornt von den herzerwärmenden Erzeugnissen, die eine Freundin neuerdings aus Fäden knüpft und schnöde Knäuel zu niedlichsten Tierchen knotet, hab ich mich frivol in die Luftmasche gestürzt und von dort in schöne grade Reihen, aus denen binnen kurzer Zeit ein kreisartiges Gebilde und dieses sich zu einer Schale aufgetürmt hatte. Sagen wir mal so: Die Häkelkarriere hat jetzt erstmal Pause. Dafür hab ich bei der Wollsuche anderes gefunden, nämlich das gute alte Perlgarn, das ich schon vor 30 Jahren, samt Sicherheitsnadel am Hosenbein befestigt, zu den schönsten Geschmeiden gewunden und mir einen großen Ruf als Freundschaftsbändchenknüpferin beschert hab. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, und wer schonmal nach zehn Minuten Autotelefonat aufgewacht ist und sich gewundert hat, wo die letzten 20 Kilometer nur geblieben sind, der versteht vielleicht auch meine Ahnung, worin der Umstand begründet sein könnte, dass meine Schulkarriere dann gar nicht so glänzend verlaufen ist wie im Geburtshoroskop vorausgesagt. Der Zug ist gottlob abgefahren. Freundschaftsbändchen für alle! 

Freitag, 19. Februar 2021

Coronic Fatigue Syndrome

 Letzthin mit problematischem Vorwurf konfrontiert worden. Das kam so ganz unerwartet, quasi während du superentspannt bist, einatmen, ausatmen, herabschauender Hund, links nach vorne, rechts dazu, Vorwärtsbeuge, langsam aufrichten, einatmen und jetzt das linke Bein nach vorne strecken bis es dein rechtes Ohr berührt und du mit dem rechten Arm von hinten unten an deine linke Pobacke greifen und dich dann damit entspannt für drei Atemzüge auf dem rechten Schienbein ablegst, einatmen, auspfhrruuuuut … Und ich war wirklich zwar sehr angestrengt aber auch sehr entspannt, während ich der Dame im Bildschirm zugeschaut beim Morning Flow und dabei am Kanapee mein Morgengetränk genossen hab. Genau, und also dahinein Konfrontation mit Unterstellung übelsten Ausmaßes, wo du sagst: Das wenn die Leute mitkriegen, Exkommunikation gar nichts dagegen! Deswegen jetzt gleich Gegendarstellung. Also hat nicht einfach jemand zu mir gesagt: „Ja ist wirklich blöd grad alles, weil man kann ja nichts machen außer spazierengehen, und dem Vernehmen nach hast du’s ja nicht so mit Spazieren!“ Also erlaube mal! Das ist ja wie wenn du dich auf den Hauptmarkt stellst und sagst: Ja du, ich hab’s nicht so mit dem Lebkuchen / der Bratwurst / dem Ruhmreichen / der SÖR!, da geht subito über dir ein Himmelstor auf und pfeilgrad so schnell schaust du gar nicht bist du geteert und gefedert und hinaus aus den Toren der Stadt und kannst du am Plärrer weiterplärren, Abtrünnige!, und schon crowdsurfst du auf dem Mob raus aus der Cité. Also hey: Ho, ho, ho, gell! Ich LIEBE Spaziergang. Wenn ich könnt, dann tät ich den Spaziergang feste an mich drücken wie der dicke Damenbaum vom letzten Einhorn den kleinen Schmendrick, und sagen: „Ich liebe dich! Ich liebe liebe liebe dich!“ Aber schau, nur weil ich Pizza auch sehr lieb oder Double Cheese Extra Meat Superdouble Bacon Chillicheese Jalapeno Burger, deswegen kann ich das auch nicht immer haben. Und so ist das auch mit dem Spazier, es ist auch der schönste Gang einmal vorbei und spätestens jetzt, wo dir die sibirische Eispeitsche die Tränen aus den Augen schnalzt und den Rotz aus der Nase gleich dazu und dann genüsslich zuschaut, wie letztgenannter zu hübschen Stalaktiten sich erhärtet, verstehst du: Da MUSST du manchmal einfach hineingehen ins Daheim. Und da hockst du dann und kaust dir auf dem tannenzweigbreit aufgefächerten Spliss umeinander und windest dir hübsche Strähnen aus bunten Garnen in die Unfrisur und wunderst dich, dass du so erschöpft bist schon den ganzen Tag seitdem du auf bist also einer halben Stunde. Coronic Fatigue Syndrome, wie der Experte sagt. Aber gut, zwei Wochen halten wir noch durch, dann können wir alle wenigstens die Haare schön haben und damit, Dank sei dem Großen Vorsitzenden, auch unsre Würde zurück. Schöner Nebeneffekt: Die vielen leeren Schaufenster haben dann auch wieder einen Sinn, wenn sich darin mein frisch onduliertes Selbst beim Spaziergang spiegelt.

Freitag, 12. Februar 2021

Nürnberg - aha?

 Hollaradidudeldö, jetzt wär mir doch vor lauter Freude über sibirische Eispeitschen und Nürnberger Langlaufloipen fast beinahe ein unverzeihliches Malheur passiert, dabei hat sich doch dank einer unbedeutenden kleinen Handwerksbäckerei mit Sitz in Tennenlohe das wichtigste Thema dieser Tage erst empfindlich in den Vordergrund gedrängt: Krapfen. Und Krapfen ist – naaa Leute? Ja hallo? Es ist Fasching, hellau alaaaf und hoch die Tassen, eine Mordsgaudi, fünf Tage fünfte Jahreszeit, Konfetti, Stimmung, wir ziehen los, mit ganz großen Schritten und Peter fasst der Heidi von hinten an … Wie, ist nicht dieses Jahr? Ich finde, da müssen wir uns jetzt mal nicht so anstellen. Weil abgesehen von ein, zwei karnevalistisch-gallischen Dörfern ist um genau zu sein alles exakt so wie in jedem Jahr. Nämlich: nichts. Während im Rheinland vermutlich selbst zu diesen spaßfreien Sauertopfzeiten die Radiomoderatoren seit Montagmorgen sturzbetrunken die Ode an die Freude singen und die Jecken aus Jux, Dollerei und Prinzip als Wärmflasche, Einhorn oder Riesenspritze verkleidet den Müll runterbringen, gähnt die fränkische Leere gelassen wie eh und je über die vereisten Straßen – und das, wo doch dieses „Maske“ dem kleinen Kostümfreund, der in uns allen schlummert, Türen und Tore öffnet. Und hey, mit so einem netten roten Clownsgesichtsmund aufgemalt aufs FFP2 holt man doch sein Kind aus der Kita gleich viel lie… ach nee, ist ja nich, sorry. Aber die dollste Nebenwirkung dieser Zeit, nämlich das Schlimme mit der Unfrisur, das könnte man doch wenigstens jetzt nutzen: „Ach Helmut, dir fehlt der Frisör schon auch recht, gell?“ – „Nein wieso, Herlinde? Ich geh als Alice Cooper dieses Jahr. Du doch auch?“ – „Buhuuuhuhuhuääääh!“ In der ganzen grauen Grütze glitzern bunte Faschingsinseln als Leuchttürme der Hoffnung, so beispielsweise der Metzger meines Vertrauens hier um die Ecke. Wacker wie eh und je hat der sein Geschäft mit Girlanden, Luftballons und Luftschlangen vollgehängt, dass es eine wahre Freude und der Laden ein Labyrinth der guten Laune ist, weil um dich durchs schlingpflanzende Dekor zu arbeiten, dabei aber rechtzeitig vorm großzügig ausgelegten Spuckschutz Halt zu machen, durch Maske (Atem, nicht Löwenkopf und Zorro!) und Konfettikanone eine Bestellung korrekt abzuliefern und auch zu erhalten sowie unfallfrei  wieder hinauszupolonaisen bedarf gewisser Skills, die der Exit-Game-Liebhaber als „fortgeschritten“ bezeichnet. Darauf gleich ein Sektchen! Man muss das positiv sehen. Weil hey: Spaß ist, was ihr draus macht. Und wer sagt denn, dass man nicht allein daheim im Homeoffice sitzen und sich dabei als Miss Piggy, Hotzenplotz oder Gollum verkleiden darf? Das Schöne ist: Ihr müsst euch nicht schämen, weil ihr in der U-Bahn die einzigen in Verkleidung seid. Also. Spaß ist, was ihr draus macht. Nürnberg – aha?

Freitag, 5. Februar 2021

In Active Wear durchs Habitat

 Schönen guten Morgen, ihr lieben Liebenden, kaum ist eine Woche absoluten Nichtstuns, wettergewordener Depression und hauptberuflichen Spazierengehens vorbei, schon kommen wir zur Optik. Fühle mich sehr zuverlässig, möchte Sofa fortan in grünem Sweatshirt schreiben. Also, wir erinnern uns: Spaziergang ist nicht gleich Spaziergang, der Profi unterscheidet Disziplinen, darunter: Schlendern, das oder: Powerwalk, der. Je nach Vorliebe gilt es, sich angemessen zu gewanden, was den meisten leidlich gelingt, weswegen versehentliche Disziplinflüchtlinge sogleich aus der Ferne leicht erkannt und darob verspottet werden können. Eine kleine Typologie zur Übersicht:

1. Active Wear, tritt bevorzugt in Kombination mit bzw. an gestylten Jungfrauen und Getränk-to-go-Bechern sowie in Rudelgröße gemäß aktueller Gesetzeslage auf, legt Verdacht nahe, dass im sportlichen Gewand der Prosecco-Früh- bis Spätschoppen daherkommt. Wichtig sind Leggings und Auken-Make-Up in harmonierend raffinierter Farbgebung. Schatz, ich geh Fitness! 2. Der Schlurf, wollte eigentlich, ungewaschen und in Fleckenjoggers, nur kurz Kippen holen, wurde von Spaziergängerwelle erfasst und mitgerissen, von deren Sog er sich erst im Pegnitzgrund befreien kann und dort nicht weiß, wie ihm geschah und er mit seinen ausgelatschten Lederslippern wieder heimkommen soll. 3. Die Unbedarfte, hat sich zum besonderen Ereignis „Höhle verlassen zwengs Müllentsorgung“ in zivile Kleidung gequält und nun befunden, das Ereignis zu nutzen für ein bisschen Beine vertreten; stellt nach 500 Metern im Eisgegenwind fest, dass Ideen schonmal besser waren, tapfert sich hakenschlagend weitere 3,5 Kilometer durch die Unwirtlichkeit, weil irgendwo muss doch dieser Gegenwind einmal vorbei sein; rettet sich in Drogeriefachmarkt, wo sie um 20.03 rausgeschmissen wird. 4. Die Ausgerüsteten, verlassen das Haus standardmäßig nur in Hardshelljacke (Wassersäule 50 000), Berghose (mit Zippern!), Wanderstiefeln samt Gamaschen sowie mit Notproviant zum Bersten gefülltem Rucksack. Lassen mögliche Blicke in der Stadt mit geübter Imprägnierung abperlen, sind auf großer Mission. Im natürlichen Habitat (Wald, der) angekommen sind sie es, die den Stümpern (s. 1, 2, 3) mitleidig-spöttische Blicke zuwerfen und sie mittels Teleskopwanderstab auf Abstand halten. Merken nicht oder nur sehr spät, dass sie nicht wie gedacht mittendrin sind im wilden Urwald, sondern sich am Siedlungsrand entlanghangeln. 5. Der Widerborstige, wird nie, wollte nie und überhaupt hasst Spaziergang, hat „zieh dich bitte anständig an!“ schon aus Protest missachtet. Zelebriert Übellaunigkeit erst ohne, schließlich mit Grund, denn kein Mensch hat vorher gesagt, man müsse sich angemessen anziehen. Balanciert mit Eleganz und Panik einer Katze über metertiefe Schlammpfützen im Versuch, Leder und Wolle zu beschützen; fällt aus Gründen weit hinter der Gruppe zurück, ist darob leicht erkennbar; kombiniert besonders problematisch mit Powerwalker, der (s. letzte Woche). So. Noch Fragen? Die beantworte ich dann nach der nächsten: Maus.