Freitag, 28. Juli 2023

Kamelseide

 Als ich heute Morgen die Betten aufschüttelte – das Personal befindet sich auf Sommerfrische, guter Ersatz ist derzeit wahnsinnig schwer zu finden – kam mir im schlafvernebelten Gehirn ein wichtiger Gedanke: Kamelseide, dachte ich. Was soll das eigentlich sein? Soweit ich weiß, ist Seide was, das aus Raupenhintern gepresst wird, zu Kokons gedrechselt, anschließend wieder aufgezwirbelt, gewaschen und zu Unterhemden gewalkt wird. Sollte es etwa sein, dass die alten Berber, die ja allerlei aus dem Dung der Tiere anzufertigen wussten oder wissen, eine Möglichkeiten gefunden hatten, aus Kamelen Seide und die dann zu Bettdecken … ? Nein, hab ich den Gedanken dann doch als zu rigoros am frühen Morgen verworfen und mir eine Notiz gemacht, den Mann zu befragen, ob er sich eigentlich ganz sicher sei mit dem Material seiner wichtigen Sommerdecke oder ob wir das ins Reich der Legenden verweisen müssen. Ganz sicher kann man sich allerdings nie sein, die deutsche Sprache produziert da ja immer wieder Unklarheiten hinsichtlich der Herkunft oder des Inhalts vieler Produkte. Zum Beispiel Kuhmilch oder Hafer, ganz egal, wir sind uns weitestgehend einig, dass das so heißt, weil halt Hafer drin oder Kuh, gewissermaßen, Ziegenmilch auch ganz ähnliche Argumentation und Mandelmilch und Bananenmilch eh. Jetzt aber – Katzenmilch? Genau. Hab ich mangels Katze nicht so viel damit zu tun, aber alle Besitzer von süßen Flauschpfoten sollten sich doch vielleicht einmal Gedanken machen. Auch sicher bin ich mir, dass Hirsebrei aus Hirse gemacht wird, im Schokoladenbrei Schokolade wenigstens anteilig verarbeitet worden ist, aber – BABYBREI? Verunsichert mich schon immer wieder ein wenig, zum Glück kauf ich das nicht so oft und bin insofern des Kannibalismus‘ unverdächtig. Aber man ist ja da eh nicht besonders kinderlieb in der Branche, sonst gäbe es ja neben Shampoo gegen Schuppen kaum auch eines gegen Kinder. Apropos Shampoo: Wenn manche „für seidiges Haar“ sind, warum sind dann andere „für trockenes Haar“ oder gar „für fettiges Haar“? Formulierungen, die mich zutiefst verunsichern, denn weder das eine noch das andere möchte ich gerne haben. Und ist dann „Tropical Fruits Shampoo“ für Tropfenfrüchte, gegen sie oder aus ihnen gemacht – und wer möchte denn bitte Obstsalat auf seinen Kopf schmieren? Und dann jetzt diese Bettdecke des Mannes: Ist die aus Kamel, gegen Kamel oder gar, was ich zu glauben gerne geneigt bin und dann auch verstehe, warum sich das uralte Textil überhaupt in unserem Haushalt befindet: FÜR ein Kamel? Mit dieser Erklärung könnte ich leben. Zum Glück ist jetzt Herbst, da kann man sich das Leben einfacher und für ins Bett eine Wärmflasche machen: Wärme rein, Wärme drin, Wärme raus – fertig. 

Freitag, 21. Juli 2023

One music, one love

 Sommerzeit ist Festivalzeit. Seit Wochen schon findet sich die musikaffine Bevölkerung an einschlägigen Orten zusammen, um dort zu schwofen, shuffeln, kopfnicken und headbangen, was das Zeug hält. In vielen Fällen weiß man vorher, was einen erwartet, in anderen nicht und geht grad darum noch viel lieber hin, um lebensbereichernde Entdeckungen zu machen und fortan seine Mitmenschen mit „der einen Band, die so dermaßen alles abgerissen hat“ zu beglücken. Fremde werden zu Freunden, in deren Armen wir singen, grölen, weinen, vielleicht gar die große Liebe entdecken, und um den inklusiven Aspekt nicht außer Acht zu lassen, werden selbst die geruhsamsten Schrebergärten noch mit hartem Techno missioniert – wer weiß, vielleicht entdeckt das Kaffeekränzchen unterm Kirschbaum ja noch eine späte Liebe zu Schranz oder Micky Krause. Alles ist möglich. One Summer, one music – one love! Musik vereint die People, was auch sendungsbewusste Mitbürger wissen und mit missionarischem Fleiß unters Volk zu bringen wissen. Seit ungefähr dem ersten Tag, an dem es uns vergönnt ist, draußen zu sein oder mindestens das Fenster zu öffnen, hat sich mein musikalischer Horizont signifikant erweitert. Dank unzähliger umsichtiger Mitmenschen entdecke ich neue Musik, die jemals zu hören ich nicht zu träumen gewagt habe. Sei’s im Straßenverkehr, wo ich mit vielen anderen Autos und Radlern von A nach B eile, sei’s im Park, wo ich mich von der vielen Eile zu erholen versuche: Immer ist eins zur Stelle, mich mit dem Wohlklang seines exquisiten Musikgeschmacks zu beglücken und mir aus scheppernden bis dröhnenden Lautsprechern zu erhellen und mir die einzig wahre Melodie zu bringen (auch wenn von einer Melodie oftmals nicht viel zu hören, dafür vernehmlich ein Bass heftig eine kleine oder große Box zu sprengen droht). Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken bei all denen, die sich aufopfernd um die Erhaltung und Verbreitung von Kulturgut bemühen, und mein ganz besonderes Merci geht an dieser Stelle an den jungen Mann fortgeschrittenen Alters, der unlängst ein geruhsames öffentliches Tischtennismatch aufsuchte, dort einen Klappstuhl aufstellte, seinen Wanst und sich hinsinken ließ, um sodann in die rechte Armlehne des Stuhls eine feine Dosenware hineinzustellen und in die linke einen Lautsprecher (von mir liebevoll „Brüllwürfel“ genannt), aus dem fortan die besten Hits der 90er ertönten. Saturday night, yeah I like the way you move – das sorgt doch erst für den richtigen Drive beim Ballwechsel. Dadada damm di di dadada da damm! Mein außer Konkurrenz laufender Favorit: Der süße Dachdecker, der neulich bei einer Gegenüberbaustelle aus vollem Hals „1, 2, 3 im Sauseschritt“ gehört, gesungen UND performt hat. Ich hör das jetzt auch immer. One Love! 


Freitag, 14. Juli 2023

Panta rhei - alles zerfließt

 Letztes Wochenende saß ein winziger Zwerg auf meinem Schoß. Nicht irgendein Zwerg, sondern der entzückendste, süßeste und niedlichste ungefähr im ganzen Universum. Während reichlich Schwimmbadwasser aus dem kleinen Zwergenneoprenanzug in meine vormals trockene Shorts diffundierte, hielt er in seiner winzigen Hand mit großer Kraftanstrengung festumklammert ein winziges Eis. Nicht irgendein Eis, sondern das erste und darum weltallerbeste Freibadeis, das ein Zwerg je auf einem Tantenschoß genießen durfte. Entsprechend andächtig wurde geschleckt und mit einer winzigen rosa Zunge homöopathische Portionen Milcheis abgetragen, das zugleich köstlich und erschreckend kalt war, weswegen der Zwerg nach jedem Schlecker innehalten und überlegen musste, ob die Süße die Kälte wirklich wert ist. „Beiß doch einfach mal ab.“ – „Nein. Lecken!“ So ging’s dahin, und während der eine versunken schleckte, wurde die andere zunehmend nervös. Nämlich konnte ich zusehen, wie das Eis sich aus dem erwünschten Zustand „halbgefrorenes“ bei 36 Grad Außentemperatur in den unerwünschten Zustand „Suppe“ verwandelte und mich, die Hose, das Bein in höchstem Maße bedrohte. Ein Unheil konnte nur abgewendet werden, indem ich beherzt das Eis im Ganzen abbiss und das zweite, indem ich dem Zwerg in der selben Sekunde meine gut gefüllte Waffel in die Hand drückte, in deren Endstück sich, Überraschung, ungefähr ein Liter flüssige Schokolade befand. Aber hey – man soll ja viel trinken bei dem Wetter, und das Wetter macht es einem nachgerade leicht, denn: alles fließt. Wahrscheinlich hat Heraklit auch nur seinem Eis hinterhergeweint, als er sein berühmtes und letzte Woche schon zitiertes „panta rhei“ in die Welt setzte. Möglicherweise hat er aber auch einen schönen Käse betrauert, der eben noch als prächtiges Stück auf seinem Teller lag und im nächsten Moment als glänzender See unter der türkischen Sonne gleißte. Vielleicht sprach er auch von seinem Labello, den er in der Tasche als nurmehr das komplette Gewand mit flüssigem Fett durchwirkende Katastrophe fand. Womöglich auch nur vom Schweiß, der ihm die Klamotten an den Leib und die Haare formschön an den Schädel drückte und der in Strömen floss, sobald er sich nur minimal bewegte, von einem Stück Obst, das er nicht sofort nach Kauf verzehrte, sondern noch eine Minute in die Obstschale legte oder vom Asphalt, in den er bei der Kontemplation lustige Muster mit seinen Schlappen presste … Ich weiß es nicht. Mit patschnassem Schritt, der aussah, als würde bei mir noch was ganz anderes unkontrolliert fließen, durchschritt ich stolzen Hauptes den Badeort, an meiner Hand ein schokolierter, klebriger, aber glücklicher Zwerg. So muss das. Das weiß ich!

Freitag, 7. Juli 2023

Ich hab doch 'ne Meise

 „Du hast eine Meise!“ ist ein zärtliches Kompliment, das mir durchaus hier und da schon gemacht worden ist, vor wenigen Stunden aber unversehens Wirklichkeit wurde. Nämlich tat es, als ich gerade im dreibeinigen herabschauenden Hund angekommen meinen Körper mit sanfter Gewalt in die Position des Kindes wuchten wollte, einen großen Schlag. Nachdem ich mich eingehend auf gebrochene Rippen, herausragende Schienbeinknochen oder gerissene Achillessehnen untersucht hatte, war ich besorgt. Eigentlich hatte ich diese Woche schreiben wollen über meinen sehr naturnahen Haushalt, in dem Spinnen vergnügt von der Zimmerecke baumelnd mit mir gemeinsam abends Tagesschau gucken, aus dem Nichts kommend kleine niedliche Schnecken ihre geruhsamen Pfade über den Küchenboden ziehen, Wespen sich so wohlfühlen, dass sie ihr schönes Nest inmitten meines Wohnzimmers erbauen, auch schon einmal eine Raupe sich am Esstischbein verpuppte, Tauben auf dem Fensterbrett vor meinem Schlafzimmer Unzucht treiben und Fruchtfliegen entspannt auf dem Rand des kleinen, gläsernen Pools sitzen, den ich ihnen in der Küche gebaut habe, und mit den Füßlein fröhlich in der Apfelessig-Spüli-Mischung baumeln, die ich ihnen zur Erfrischung gereiche. So viel Natur inmitten der großen Stadt – ich fühle mich grün, klimaneutral und vom erhabenen Nimbus der Weltrettung umwabert. Und auch, dass mein nagelneues Fahrrad dank der Krähen im Baum vor dem Haus nach der ersten Nacht im Freien statt mattschwarz nurmehr weiß-schwarz-gescheckt ist, habe ich mit nur einem winzigkleinen, nachgerade buddhistischen Wutanfall zur Kenntnis genommen. Ommm, panta rhei, alles fließt … Und dann aber dieser Schlag. In Anbetracht meiner aktuellen Wohnsituation, bei der es gut möglich ist, dass ich morgens unversehens von einem über Nacht gewachsenen Gerüst, vor allem aber vor einem darauf stehenden Handwerker begrüßt werde, habe ich als Auslöser erst einmal das nächstliegende angenommen: Ein Ziegel ist vom Dach gefallen, ein Dämmstoffwürfel, ein Werkzeug oder gleich ein ganzer Handwerker. Ich bin auf alles vorbereitet. Nicht vorbereitet war ich hingegen auf die sanft im Baustellenlärm wehende Daunenfeder, die an der Scheibe der Balkontür klebte, und auf das kleine aufgepuschelte blaue Etwas, das mich im Blumentopf erwartete und aus dösbaddeligen Knopfäuglein ängstlich anblickte. „EIN MEISENBABY!“, rief das innere Kind hocherfreut aus. „Nimm es mit rein und tu es in ein Gurkenglas, dann haben wir endlich ein echtes Haustier!!“ Eine formidable Idee, die ich nach reiflicher Überlegung doch besser verwarf und das Vöglein, das nach einem weiteren Zusammenstoß mit der Fensterscheibe schwer schnaufend im Fliegengitter hing, in eine Schachtel tat – von wo aus es eine Stunde später fidel von dannen sauste. Panta rhei, alles fließt. Like ice in the sunshine.