Freitag, 29. April 2016

Weiße Weste

Ich bin vorhin mal wieder einem meiner Lieblingshobbys nachgegangen und hatte dabei Gelegenheit, über die Fragen des Lebens zu kontemplieren. Wie so oft habe ich jetzt das unstillbare Verlangen danach, dieses Sujet mit euch zu teilen. Also: Ist das bei euch eigentlich auch so, dass jedwedes weiße Wäschestück nachgerade danach zu dürsten scheint, sich dieses anscheinend lästigen Farbzustandes zu entledigen? Ich kam darauf, weil inmitten der Ladung Weißwäsche das jüngst erworbene Weißtextil lag und derart jungfräulich grell strahlte, dass die Umgebung aussah wie Gelbwäsche, was mich traurig stimmt, wollte ich doch eigentlich nicht in gelbem Bettzeug schlafen müssen fürderhin. Zu spät.

Jetzt muss Chemie ran – woraufhin man in den darauffolgenden Wochen für seine Umgebung als olfaktorisches Gesamterlebnis mit der Reinigungsanlage eines jedweden öffentlichen Schwimmbades konkurriert. Oder: der Müll. Oder: Friede mit dem Gilb. Das ist jetzt aber nur die eine Seite der Problematik, weil der Gilb, das ist so ein schleichender Prozess, und solcher ist man sich ja bekanntlich nicht so dauernd bewusst sondern ähnlich einer langwierigen Gewichtszunahme erst, wenn man unversehens einen Vergleich zum früheren Zustand vor Augen geführt bekommt. Das Phänomen, das mich eigentlich wesentlich mehr beschäftigt, ist dasjenige, das reinweiße Gewänder frischest gewaschener Natur gleichsam einer Spätpubertierenden nach Defloration trachten lässt: jedes Mittel ist ihm recht, sich von seiner Unbeflecktheit zu befreien.

Als hierfür besonders geeignet haben sich im Laufe der Jahre herausgestellt: morgens-oder-wann-auch-immer-im-Gehen-schnell-noch-hinuntergekippterKaffee, der; blau-rot-gestreifte-mit-grünen-Kügelchen-die-so-zerfisseln-wenn-man-sie-rausputzen-möchte Zahnpasta, die; ich-rüh-mir-nur-noch-schnell-eine-an Salatsauce, die; ich-ess-unterwegs-schnell-ein-Sandwich-weil-ich-komm-vor-23-Uhr-nicht-mehr-heim Tomate, die … und so weiter und so fort. Ich mein, jetzt könnt man sagen: Im Winter geht ja das, Jacke zu, Schal drauf, fertig. Aber bitte wer trägt denn im Winter weiße Klamotten? Niemand, richtig, man muss sich ja auch optisch der alljährlichen Weltuntergansstimmung anpassen und darf da keinesfalls als Kakadu herausstechen, am End fühlt sich eins bedroht von zu viel Farbe. Also machen wir das, reflexartig, im Frühjahr, und dann im Sommer eh, weil wir alle Raffaelo sind, und dann hab ich halt normal nicht grad einen Parka einstecken, mit dem sich das Malheur bedecken lässt. Trag ich künftig vielleicht nur noch Camouflage, die gibt’s ja auch in Sommeroptik. Und ist auch wieder voll en vogue.

Freitag, 22. April 2016

Uhrangst

Urangst. Laut Freud’scher Definition vermutlich irgendwas schweinisches, laut gängig-volksmundiger einfach was, das sautief sitzt, eine ursprüngliche oder auch kreatürliche Angst. Ich für meinen Teil habe deren viele: Verdurstungsurangst, Keinkloindernäheurangst, Zuwenigklamotteneingepackurangst, Liegestuhlzusammenbruchsurangst. Achselhaarübersehenurangst oder Inderrutschesteckenbleiburangst, um nur einen Bruchteil zu nennen. Zu diesen lapidaren Befindlichkeiten, die mich nachts nicht schlafen und bei Tag minütlich Checklisten abarbeiten lassen, gesellt sich aber noch ein weit größeres Ungetüm, nämlich eine ausgewachsene Uhrangst!

Wie so viele Menschen trage ich am Handgelenk eine Uhr, weil man zwar alle drei Sekunden aufs Smartphone schaut, um die Likes beim letzten Facebookstatus zu checken, nicht aber in der Lage ist, im gleichen Zug auch einen Blick auf die Uhrzeitanzeige zu werfen. Ja naja, und aus modischen Gründen schon auch. Die Uhr ist eine solche, die ich, alter Nostalgiker, schon als Kind der 80er ums Handgelenk geschnallt bekam, sie inbrünstig hasste wegen unbunt, uncool, unerhört, recht bald einzutauschen erbettelt hatte gegen ein en-Vogue-Modell – saubunt, sauhässlich, das unhygienischste Gummiband der Welt, ABER mit aus- und deswegen unter der Freundinnenschar herumtauschbarem Zifferblatt – das ich stolz (er)trug und das pädagogisch auferzwungene ich-hab-da-doch-noch-eine-Uhr-daheim-rumliegen-Modell mit Effet in eine Ecke pfefferte.

Kaum 20 Jahre später wollte ich gerne wissen: „Du sag mal, hast du eigentlich noch diese Uhr da daheim rumliegen, die, die ich früher immer tragen sollte und nicht wollte?“ – „Ich glaub mein Schwein pfeift“, erklang es hilfsbereit, „ich hab ungefähr 17-mal gefragt, ob ihr die haben wollt, und jetzt hab ich sämtliche Exemplare entsorgt!“ – „Ja bist du des Wahnsinns?! Wenn du die alle aufgehoben hättest, dann könntest du jetzt endlich zum Ebay-Powerseller aufsteigen und mir einen Urlaub finanzieren!“ zog ich beleidigt von dannen und in ein Ladengeschäft hinein, um die einst Verschmähte für teures Neuauflagengeld zu erwerben. Kurze Zeit später begann es bei mir zu piepen. Nachts träumte ich von Vögeln, Pfeifen, Feueralarm, ich wachte auf und wusste nicht, warum. Bis ich dahinterkam, dass die böse Uhr scheints eigenmächtig einen Wecker auf 03:00 aktiviert hatte. Mit viel Not beseitigte ich diesen Missstand, nur um kurz darauf täglich um 11:30 zu piepen, später dann um 21:57. Es befindet sich nämlich ein seitlicher Miniknopf an diesem Ding, und sobald man, und das tue ich oft, irgendwo drankommt, aktiviert sich der Wecker, und dann sitz ich irgendwo in der Mucksmäuschenstille, und plötzlich piept’s, und ich weiß nicht, wie das weggeht! Das ist eine Uhrangst!

Freitag, 15. April 2016

Pfandzettelgate

Der Mensch, den ich öffentlich nicht mehr nennen darf, weil er Sorge trägt, dereinst als Rabenvater stigmatisiert und darob exkommuniziert zu werden, wenn ich weiterhin pausenlos meine schwere Kindheit in die Welt hinaustrompete, und den wir zum Zwecke der Anonymisierung fürderhin „Erbmassenverwalter“ nennen wollen, hat viel daran gesetzt, mich zu einer lauteren und seinem Beispiel folgend moralisch unfehlbaren Person zu erziehen. Seitdem tapse ich einigermaßen unbeholfen in seinen großen Fußstapfen umher und umgebe mich mit dem Nimbus absoluter Tadellosigkeit, von der niemals jemand auf die Idee kommen würde, sie diene lediglich einem einzigen Zweck: nie, nie, niemals in die höchst unangenehme Situation zu kommen, „erwischt zu werden“.

Während sich beispielsweise Freundinnen ihr studentisches Lotterleben durch konsequentes Schwarzfahren verdingten, löse, nein, wir erinnern uns: löste ich artig jedes noch so lächerliche Kurzstreckenticket einzig aus der übermächtigen Panik davor, beim illegalen Tun erwischt und unter dem Gejohle der Massen als Kleinkrimineller abgeführt zu werden. Ich schmuggle mich nicht auf Festivals, weil auf meiner schweißglänzenden Stirn ein weithin sichtbares „Betrüger“ steht, die Steuererklärung lasse ich dreimal kontrollieren, wegen mit einem Bein im Knast, und finde ich auf der Straße fünf Cent, lasse ich sie liegen, weil der Besitzer könnte ja in dem Moment zurückkommen und mich beim Klauen erwischen. Neulich bin ich vom Pfad der Tugend abgekommen, und seitdem weiß ich nicht nur wieder, wie sich „erröten“ anfühlt, sondern leuchte schon allein beim Gedanken an die Missetat erneut auf wie eine Ampel. Nein, nicht grün.

In einem Pfandautomat hatte ich einen vergessenen Zettel gefunden, was mich gleichwohl besorgte (Tugend) wie erfreute (Gier), prangte doch darauf ein prächtiger einstelliger Betrag. Ich wartete ab, suchte nach dem Besitzer, aber, nein, ich bin nicht zum Infohäusel gegangen und habe ihn ausrufen lassen, das ist richtig, sondern dann gedacht: Ja, blöd jetzt, aber dann muss ich das Ding wohl behalten. Es erfolgte ein längerwieriger Einkauf, man hatte ja Zeit und jetzt auch Geld, dann ein heiteres Wechselspiel an der Kasse (Kasse 1 Schlange, Kasse 2 auf, Umverteilung, Kasse 3 auf, Umverteilung, Kasse 2 zu, Umverteilung), ich zahlte und sprach „Oh, das Pfand hab ich ganz vergessen!“, die Kassenfrau las den Betrag vor, und plötzlich fiel Damokles‘ Schwert herab. „FÜNF EURO? DES IS DOCH UNSRER!!“ brüllte es von hinten, und ab dann weiß ich nichts mehr, weil eine spontane Umschichtung allen Hirnbluts in die Ohren erfolgte. Während ich vor Scham halb von Sinnen aus dem Geschäft taumelte, keifte es „ALZO DA KÖNNERT MER JA MAANA DASS MER DES AN DER KASSN ABGIBT!!“ Mach ich sofort wieder, ich schwör! Alles, ich geb alles an allen Kassen ab! Auch Müll. Man weiß ja nie.

Freitag, 8. April 2016

Ekelshopping

Neulich so: shoppen. Ich hatte die Geschehnisse um mich herum ausgiebig studiert und war zu dem Schluss gekommen, dass mein seit langem pontifizierter Grundsatz „Safety first, beauty second“ nun endlich auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen war und Schuhwerk, das vormals einzig dazu diente, US-amerikanische Touristen als solche zu identifizieren und milde zu belächeln, auch von Hiesigen getragen werden konnte, ohne direkt als Modeopfer verlacht zu werden. Einwändi diversi, ich möge doch bitte erstmal in mein Schuhgrab hinabsteigen und alles reanimieren, was sich da im Laufe der letzten Dekaden angesammelt hätte, bevor ich neues anschaffte, ließ ich nicht gelten, schließlich waren die dort Begrabenen alle 90er Originale, und die sind gleich viel uncooler, wenn sie sich eindeutig als solche zu erkennen geben, als wenn sie um ein Vielfaches preiserhöht als exklusive Neuauflage in den Fachgeschäften der Region aufgebahrt stehen.
Verifiziert wurde diese Ahnung alsgleich im Zuge eines Gespräches, dessen Zeugin ich werden musste, als ein ungefähr 13-Jähriger Mensch, dessen adoleszenter Leib mehr schlecht als recht sich mit dem Umstand arrangierte, Weiblein wie Männlein trendbewusster Art habe sich heutzutage in lustige Hybriden aus Leggins und Haremshose zu kleiden, wobei letzterer Bestandteil die Vermutung nahelegt, die Kinder seien noch nicht ganz stubenrein, einer Dame ungefähr meines Alters wortreich erklärte, das Schuhmodell, auf das sie fassungslos deutete, sei in den 90er Jahren bereits aufgelegt worden, hier aber (aus sichtbaren Gründen) nicht erfolgreich gewesen, und im Revival der Modeära des Schreckens versuche das Unternehmen einen neuen Anlauf, dessen Verkaufserfolg, so dachte, nein: betete ich, es dem der damaligen Auflage gleichtun möge.
Mit Akribie suchte ich in den weitläufigen Regalen das schlichteste Modell, was gar nicht so einfach ist, denn wer’s im Kopf nicht so bunt hat, der muss das scheint’s am Fuße ausgleichen, und suchte nach Fachpersonal. Eine ältere Dame mit Langhaarperücke, Birkenstock, Strickmantel und Hornbrille kreuzte meinen Blick. Als sie sich umdrehte, war sie plötzlich 20 – ich war verwirrt und griff zum eingangs erwähnten Teenager, der mit schwer verhohlener Skepsis meinen Wunsch nach Schuhgröße XY entgegennahm. Kaum 17 Minuten später hatte er das Fußkleid angefleißt und verzog erneut das Gesicht, als ich mir die Vermutung erlaubte, der vietnamesische Schuster als solcher könne wohl nur bis Größe 38 nähen, man möge mir bitte die Ferse abheben oder ein Modell in 42 (ja, fand ich auch problematisch) bringen. Zuvor lobte ich ihn noch für die seit meinem Betreten des Ladens aufgelegte 90er Jahre Mukke. Er ging. „Das Kind hat scheint’s Ekel vor dem großen Fuß“, sagte ich zur Freundin. „Das Kind hat Ekel vor der alten Frau“, replikierte sie und zog einen Besuch im Orthopädiehaus unseres Vertrauens vor. Haben wir freilich nicht gemacht.

Freitag, 1. April 2016

Fancy Sonntag

Sonntag, Feiertag, Freiertag! Wie wunderschön! Insbesondere Menschen, die sich sonst gern mal dadurch hervortun, dass sie stets nur geschniegelt und gebügelt, mindestens jedoch ordentlich gescheitelt und bemalt die Öffentlichkeit betreten und dabei laut Aphorismen weißbezopfter Modemumien deklamieren („Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“), geraten schier aus dem Häuschen, wenn dann auch noch die Witterung stimmt: kalt, grau, Regen – geiler Scheiß, ein Tag auf der Couch. Und dann schafft man’s vielleicht noch in die Schlumpelhose, und das war’s. Frisur? Drauf gepfiffen, Out of Bed heißt die Devise! Und so, denkt man sich, darf mich nie, nie, niemals jemand sehen. Niemals! Eine lustige Gruppe Menschen jedoch kennen einen, und das muss man sich mal vorstellen, ausschließlich so. Paketboten beispielsweise, denen man nur die Tür öffnet, wenn man untertags krank oder faul zu Hause rumschimmelt.
Oder, und ich glaub, das ist fast schlimmer, also für die, Pizzaboten. 

Weil wann bestellt man Pizza? Doch nur, wenn man daheim in Scherben liegt, im besten Fall mit Pandaaugen, auf dem Haupte Mopp statt Frisur und umwölkt vom Odem der vorangegangenen Nacht. Eine Zeit lang ist einem das peinlich, doch irgendwann denkt man sich: Och, ich altere erstens eh prinzipiell in Würde, und zweitens wird der so ein Wrack heut schon noch öfter gesehen haben. Tür auf, Pizza rein, Tür zu. Eine Ausnahme von dieser Regel gibt’s jedoch, die mich nachdrücklich beschäftigt, und das war so: Vor Jahren hatte ich mal zu tun mit einer Künstlerin. Neben dem Verzieren von allerlei Gegenständen sah sie aus, als habe sie vor allem Freude daran, sich selbst zu verzieren, zuweilen auch mit allerlei Gegenständen. Fancy, trendy, schick – so lernte ich sie kennen, und ohne mir jetzt „Modequeen“ auf die Fahne schreiben zu wollen, denke ich mal, auch einen recht ordentlichen Eindruck abgeliefert zu haben.

An so einem besonders desolaten Sonntag war dann als lebenserhaltende Maßnahme eben eine Pizza nötig, und als ich die klingelnde Tür öffnete, erstarrte ich wie der Analogkäse auf dem erkaltenden Gebäck. Vor mir stand die Galeriefrau, gar nicht fancy ins CI-Gewand gehüllt, und bot mir den Karton dar. Ich war der- und gleicherart verdattert wie peinlich berührt, dass ich nicht mehr zustande brachte, als die Zahlung vorzunehmen und hurtig mitsamt meinem Gammel wieder nach innen zu verschwinden. Ich glaube bis heute, dass die Galeriefrau nicht minder peinlich berührt war. Damals fasste ich den festen Entschluss, nie wieder einen Lieferservice zu bemühen, und wenn doch, dann dem mindestens mit Mütze die Tür zu öffnen. Keins von beidem ist eingetreten. Hoffentlich kommt mal wieder jemand, den ich kenn. Dann lad ich ihn auf ein Konterbier ein.