Freitag, 29. August 2014

Stöckchenwerfen

„Schlechte Leut‘ geht’s immer gut.“ Mit diesem schönen Satz bin ich sozusagen aufgewachsen. Wann immer mein Opa, Gott hab ihn selig, auf sein Wohlbefinden angesprochen wurde, antwortete er auf diese Art. Ich konnte das nie verstehen. Mein lieber Opa, der mich vom Kindergarten abholt und zum Musikunterricht fährt, der mir heimlich fünf Mark zusteckt, mich auf dem Sofa herumturnen lässt und überhaupt alles durchgehen, was sonst strengstens verboten war? An dem konnte doch gar nichts schlecht sein. Andererseits schien er immer wohlgelaunt. Es ging ihm also gut, dem Opa. So hab ich den Satz mit mir herumgetragen, ihm keine weitere Bedeutung zumessend, und der Opa, der sagte ja auch manchmal „Unkraut vergeht nicht“, und das ergab für mich ähnlich wenig Sinn. Es wurde ja schließlich danach gefragt, wie es ihm gehe und nicht irgendeinem Löwenzahn, um den kümmerte sich doch die Oma, wenngleich ebenfalls mittlerweile im Himmel. Je älter ich jedoch werde, desto mehr befüllt sich der geheimnisvolle kleine Satz mit großem Sinn. 

Schlechte Leute, was ist das eigentlich? Leute, die sich um niemanden scheren als sich selbst? Leute, denen es vollkommen egal ist, welche Konsequenzen aus ihrem Tun für andere entstehen? Leute, die derart und ausschließlich auf ihren Vorteil bedacht sind, dass sie einen Nachteil gar nicht sehen, weil es ohnehin nur eine Option für sie gibt? Leute, die durchs Leben trampeln und boxen, nicht nachdenken oder nur sehr verschroben, die sich anderer Menschen Eigentum bemächtigen, die Dinge stehlen oder auch mal einen Menschen, weil schau, das ist aber schön, das will ich haben, jetzt, ich nehm’s mir einfach. Sind das schlechte Menschen? Wenn ja, dann ist mir heut schon klar, dass es denen immer gut geht. Die grämen sich ja nicht und überlegen nicht, die wägen nicht ab, ob das jetzt nett war, was sie da getan haben. 

Ein bisschen wie ein Hund sind diese Menschen, weil der Hund, der sieht auch nur die Wurstsemmel auf dem Frühstückstisch liegen, und wenn er das haben will, dann gibt’s kein Halten mehr, und es ist ihm herzlich egal, ob jemand anderes sich die Wurstsemmel vielleicht sorgsam vorbereitet hat und sich freut, und dann geht der Wurstsemmelmacher nochmal kurz aufs Klo und ZACK! hat der Hund in seinen Lefzen, was er wollte. Dann setzt er sich in seinen Korb und kaut und freut sich. Und dann schläft er seelenruhig ein. Auf den Hund ist man manchmal ein bisschen neidisch, das wär doch schon schön, wenn man niemals über was anderes als sein eigenes Begehr nachdenken müsste, ach was, nachdenken, einfach machen! Aber wenn ich’s mir recht überleg, dann bin ich eigentlich doch lieber kein Hund. Wie schaut das denn aus, immer nur an allen hochspringen und hecheln und jeden lieben, der einem ein Stöckchen wirft? Da nehm‘ ich doch lieber in Kauf, dass es mir manchmal nicht so gut geht. Aber mit dem Opa-Satz antworte ich trotzdem gerne. Wegen Andenken und so. 

Freitag, 22. August 2014

Zaubertür

Könnt ihr euch noch an die „Rudi Carrell Show“ erinnern? „Eben noch im Tante-Emma-Laden, und jetzt schon auf unserer Showbühne!“ Ja, echt? Oh weia, seid ihr alt. Ich kann mich an die ja nicht erinnern. Ätsch. Dafür aber an die „Mini Playback Show“ (unter anderem deswegen, weil es mir aus unerfindlichen Gründen von den Erziehungsberechtigten nicht gestattet wurde, mich dort mit einer Madonna-Imitation zu bewerben. Hart!), und das ist auch viel besser, weil: Da ging’s auch auf die Showbühne, allerdings durch eine Zaubertür. Wer soeben noch in Karotten-Jeans und Nicki-Plüsch im Turnverein herumhampelte, schritt geschwind durch den Glitzibitziwitzi-Tunnel, um unversehens auf der anderen Seite als David Hasselhoff verkleidet wieder herauszukommen und in Slimfit-Jeans und Lederweste auf der Showbühne herumzuhampeln. Mir geht’s gerade sehr ähnlich.

Was nicht daran liegt, dass ich ein „The Hoff forever“-Shirt trage und mir auch keine Cher-Gedächtnis-Lippen habe modellieren lassen, sondern schlichtweg aufgrund des Umstandes, dass ich mich nicht erinnern kann, an welchem Punkt genau diese Metamorphose stattgefunden hat, in dessen Ergebniszustand ich mich jetzt befinde. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit großem Applaus Katharina Wasmeier! Gerade noch schwitzend im Freibad, durch die Zaubertür, und jetzt frierend auf unserer Herbstbühne!“ Also nicht, dass ich’s nicht prinzipiell gewohnt wäre, schließlich wohne ich in der vermutlich einzigen Stadt der Welt, in der man innerhalb weniger Minuten drei verschiedene Klimazonen durchwandern kann (zum Überprüfen empfehle ich einen flotten Spaziergang an einem beliebigen Sommerabend von der Wöhrder Wiese durch die Innenstadt hinauf zur Burg). Trotzdem.

Auf einmal ist es erforderlich, geschlossenes Schuhwerk (was sich ähnlich anfühlt wie Skistiefel) zu tragen und Socken, die ich erstmal suchen musste. Bei den diesbezüglichen Grabungen im Kleiderschrank habe ich allerlei Schätze gefunden. Tops, die, extra für die Saison erworben, einmal getragen vor sich hin modern, ungetragene Sommerkleider, bei denen ich mich fragen muss, für welche repräsentative Garten-Feier ich die gleich wieder gedacht hatte, leichte Schals und zisselige Überwürfe für laue Sommernächte, an denen sich noch die Preisschilder befinden. An deren Stelle trägt der Superstar von heute Pullis, Boots und Lederjacken.

Ich finde, da bekommt der Ausdruck „Hundstage“ doch gleich eine ganz neue Bedeutung. Immerhin kann man dem aktuellen Umstand zugutehalten, dass uns dereinst die Umstellung auf den Herbst, also, den echten dann, meine ich, nicht allzu schwer fallen dürfte. Bei der Miniplaybackshow hieß es „Alle werden siegen, auch wenn einer nur gewinnen kann!“ Gut. Wir werden auch dieses Jahr wieder alle den Herbst vorläufig besiegen. Durch Spätsommer und so. Aber wer aus dem Ganzen letztlich als Gewinner hervorgeht, wissen wir ja aus leidvoller Erfahrung. Dagegen hilft nur: tanzen!

Freitag, 15. August 2014

Zuckerauge

Ich steh kurz vorm Wahnsinn. Weil: Mein linkes Auge zuckt. Seit grob geschätzt 17 Monaten, das kann einen schon mal aufregen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vermutlich weil ich so gestresst bin (Regieanweisung: Legt sich Handrücken auf Stirn und blickt dramatisch gen Himmel). Jetzt könnte man meinen, dass mein Hauptärgernis ist, dass mein Blickfeld permanent in Stroboskopblitze getaucht ist. Stimmt, ist doof, aber daran gewöhnt man sich. Auch daran, dass ich ständig befürchte, völlig unbeabsichtigt auf offener Straße wildfremden Menschen aufreizend zuzuzwinkern. Freuen die sich ja drüber. Also, im besten Fall. Hoffe ich. Nein nein, es ist so: Ich meine, gelernt zu haben, dass Muskeln durch Beanspruchung wachsen. Deswegen gehen Menschen doch ins Fitnessstudio, damit sie dann als Stiernacken durchs Freibad hatschen können, die Arme weit vom Körper gespreizt, als hätten sie grade ein zweistündiges Training nach Jacobson absolviert. 

Wenn jetzt also, so meine kluge Schlussfolgerung, der Augenmuskel einer unablässigen Kontraktion unterliegt, dann muss der sich doch ergo unablässig trainieren. Und da setzt meine Angst ein: Was, wenn ich in Bälde unterm linken Auge eine nie wieder abklingende Schwellung tragen werde? Wie sieht das denn aus? Muss ich mir dann, weil offensiver statt defensiver Umgang und so, einen schwarzen Balken unters Auge malen und fürderhin als Katharina „Left Eye“ durchs Leben gehen? Oder mir, wegen Symmetrie, allmorgendlich mit Spezialtheaterschminke rechts auch einen Batzen hinzimmern, jeden Morgen? Ich hatte diese Zuckerei auch schon mal für lang am Bein und auch am Arm, und irgendwann hatte auch ein Daumen ein solches Eigenleben entwickelt, das war auch ganz schwierig. Damals kam mir dann noch ein ganz anderer Gedanke: Was können wir nicht alle froh sein, dass letztlich der gute Darwins Charly mit seiner Evolutionstheorie rechtbehalten hat und nicht sein Vorgänger Lamarck. 

Der hat ja nämlich gemeint, dass der Körper (Daumen) sich an die Anforderungen der Umwelt anpasst (häufiger Gebrauch) und das dann so weitervererbt wird. Um mal beim Daumen zu bleiben: Das würde bedeuten, dass diese Jugend von heute die Daumen-Muskulatur bei all der Smartphone-Benutzung übermäßig ausbildet und dann von Generation zu Generation immer größere Daumenmuskeln hervorträten. MUAHAHA! Wie das ausschaut! Popeye, aber an den Händen! Großartig! So aber machen ganz darwinistisch diejenigen das Rennen, die halt qua Tipp-Affinität die meisten sozialen Kontakte knüpfen und aufrechterhalten können, also theoretisch. Besteht doch noch Hoffnung, zumindest ästhetische. Was das jetzt mit meinem Auge zu tun hat, weiß ich übrigens auch nicht. Bin wohl doch irgendwie einigermaßen beeinträchtigt. 

Freitag, 8. August 2014

Kapernmütter

Zum beinahe täglichen Ritual meines Frühstücks gehören Bananen. Und beinahe täglich muss ich mich vor denen ganz furchtbar ekeln. In Abhängigkeit von deren Reifegrad mal mehr, mal weniger. Ich meine, es geht schon damit los, dass die, wenn man sie schälen will, nicht einfach aus ihrer Schale schlüpfen können, sondern zaudernd und sich zierend Federn lassen müssen, in Form dieser scheußlichen Fäden, die da immer noch so drankleben. Die muss ich dann akribisch hinfortoperieren – nicht auszudenken, es verliebe ein Fadenrest an dem Ding, da könnte ja sonstwas passieren. Je reifer die Banane wird, desto größer die Gefahr des Ekelhaftigkeitsnonplusultras. Nämlich: der Moment, in dem sich das Palmengemüse unten von der Schale löst. Wo „unten“ ist, ist eh klar, oder? 

Da kommt nämlich, wenn man alles richtig macht, plötzlich so ein Stachel aus der Banane. Dazu vorstellen kann man sich so ein „Plopp!“ Wenn man nicht alles richtig macht, bleibt der Stachel in der Frucht und mir nur die Möglichkeit, den Bananenarsch großflächig zu guillotinieren. Wi-der-lich! Warum ich’s nicht einfach lasse? Keine Ahnung. Vielleicht ist das meine tägliche Portion Grusel, weil der Rest meines Lebens sonst so eintönig Regenbogen-Einhorn-mäßig wär. Äh wobei … nein, eher nicht. Ich bin sonst auch eigentlich nicht sonderlich, wie sagt man, ziepfig. Gut, manche Dinge (Schäufele, Spaghetti alle putanesca, Romanesco) sind optisch attraktiver als andere (Schweinskopfsülze, Spaghetti al nero di seppia, Blumenkohl), stimmt schon. Aber da sollte ich wohl ergänzend erwähnen, dass mein persönlicher Aggressor sich in der Kaper manifestiert hat. 

Da muss man gar nicht mal allzu genau hinschauen, muss man da. Kapern sind ganz eindeutig kleine, widerwärtige Asseln, die sich ihres natürlichen Lebensraums (stehende, stinkige Gewässer; vgl. Wöhrder See, der) beraubt ähnlich einem Gürteltier sofort zu einer Kugel zusammenrollen und in dieser Stellung verharrend auf ihre Erlösung hoffen. Die tritt dann zumeist in Form eines Vitello Tonnatos oder Königsberger Klopse ein. Wenn man da also hineinbeißt, kann man die Viecher quieken hören. Dagegen hilft scheints lautes Schmatzen (hab ich zumindest so beobachtet). Das Muttertier, das die Kapernbabys legt, heißt im hiesigen Sprachraum euphemistischerweise „Kapernapfel“. Nja genau. Apfel. Wie Granatapfel, und wenn man den aufmacht, dann sind da auch unzählige Knirpse drin, nur das die nicht schreiend auseinanderstieben, wenn man sie herausholt. Wann immer ich so ein Glas voll Asseln sehe, verspüre ich den dringenden Drang, damit das nächstbeste Gewässer aufzusuchen und die Tierchen zu befreien. Was zuweilen zu Unmut der Kapern-Besitzer führt, aber da kann man nichts machen. Free Kaper! 

Freitag, 1. August 2014

Hirnstau

Manchmal hab ich schlimmen Hirnstau. Das funktioniert ungefähr so: Ich habe ein Thema (Ziel) im Kopf, aber ich komm nicht auf den Weg (Text), weil viel Konfetti mir die Sicht versperrt. Da denk ich dann und hirne und beginne und breche wieder ab und bin unzufrieden, aber ich kann auch nicht ablassen von dem Ziel, das muss dann unbedingt. Ständig tun sich neue Abzweigungen auf, die ignoriere ich gekonnt und geißele mich selbst. Weil ich mir das jetzt eben so in den Kopf gesetzt habe. Ganz schlimm. Wenn ich mir ein praxisnahes Bild zur Veranschaulichung suchen müsste, wüsste ich auch sofort, welches, denn das drängt sich an diesem Wochenende nachgerade auf. Nämlich: Die Autoschlange, die sich vor einer gewissen Tiefgarage unter einer bestimmten Spielstätte eines gewissen Innenstadtfestivals bildet. Den Leuten da, denen geht es ähnlich wie mir. Die haben sich was in den Kopf gesetzt, was sie für eine Primaidee halten: Veranstaltung! Auto! Parkhaus! Zentrum! Supi! Darüberhinaus vermute ich, dass sich hier auch noch das Wort „Geheimtipp“ einreiht, aber was weiß ich schon. 

Dann setzen die sich in ihr Auto und ignorieren die weithin sichtbare Anzeige „Freie Parkplätze: Null“. Weil: „Da gehen bestimmt gleich ganz viele, Heiner, das machen wir jetzt.“ Auf dem Weg dorthin wurden zudem bereits allsämtliche Angebote zu Abzweigung und Rettungsweg geflissentlich ignoriert. Was ich gewissermaßen verstehen kann bei Trägern dreibuchstabiger KFZ-Kennzeichen, weil die sehen vielleicht so ein „P+R“ und sagen sich „Nein also wirklich!“, sagen die sich, „Potacken und Rüben haben wir daheim genug, da halten wir jetzt nicht an.“ Flugs vorbeigesaust. Beim Innenstädter bin ich mir nicht so schlüssig. Aber vielleicht denkt der sich: „Mei also, bei diesem Fest da, da ist’s dann eh so laut, da tut uns ein bisschen Ruhe zu zweit / fünft im Auto vorher ganz gut, da muss man jetzt nicht auch noch den Trouble in der U-Bahn … Gell, Cindy?“ Und alle nicken und freuen sich und schmieren Brote und … ach nein halt, tun sie nicht, weil sie denken ja „Geheimtipp“ und so.

Dann finden sich also alle in dieser hunderte Meter langen Schlange wieder. Und statt auszuscheren und den vermeintlichen Gemüsemarkt (P+R!) aufzusuchen bleiben die da stehen. Deswegen muss ich auch immer so freudig lächeln, wenn ich da vorbeikomme, weil ich mich so verbunden fühle. Ziel vor Augen, und dann beherzt ans Werk und bloß nicht abbringen lassen! Kann ich nur bewundern. So sehr, dass ich schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt habe, mit einem Bauchladen hindurch zu schlendern und Erfrischungen anzupreisen, weil ich jedesmal die Gelben Engel vermisse, die sich kümmern. Ist ja schon heiß da, manchmal, und nach ein paar Stunden wird’s vielleicht auch ein bissl eng mit Klo. Aber wer weiß, wie die sich helfen, die tapferen Recken. Vielleicht aber verfolgen die auch nur einen viel höheren Plan, nämlich: So lange stehen zu bleiben, bis das Fest vorbei ist, um im richtigen Moment synchron umzudrehen und allen, die aus der Garage hinaus wollen, den Weg zu versperren. Fänd ich schon wieder lustig. Mal gucken, wie ich das auf meinen Hirnstau ummünzen kann.