Freitag, 31. Januar 2020

Von Okeesos und Pfuideifis

Sagen wir mal so: Hätt ich ein Bier daheim, dann würd ich jetzt eins trinken. Ja, obwohl es erst kurz vor Mittag ist. Oder: grade deswegen. Einfach nur, weil ich’s kann. Seit gestern nämlich kuschelt sich in meinem Hauswirtschaftsraumarbeitszimmer mein Kühlschrank eng an mich. Ich verstehe das: Es ist kalt, wir alle brauchen Nähe und Liebe, auch so ein zwei Meter großes, zentnerschweres Trum. Jetzt ist es aber gar nicht so, dass er mir wegen Einsamkeit aus der Küche hierhergefolgt ist, sondern musste ich ihn verbannen – ein Grund mehr, ihn zu streicheln, weil wer schon einmal einfach abrupt aus seiner vertrauten Umgebung herausgerissen worden ist, der kennt das Gefühl von Verwirrung. Ich bin jedoch auch verwirrt, erstens wegen dieser ungewohnten körperlichen Nähe, will sagen: Enge, zweitens wegen des exorbitanten Saustalls, der um mich herumexplodiert ist. Grund für das Chaos ist ein neuer Küchenboden, den ein gewisses Traditionsunternehmen mir rotgesichtig spendiert als Friedensangebot, denn ich finde, es hat mir ein rechtes Glump angedreht, derweil die Firma findet, ich bin eh selbst schuld, wenn ich leichenfledderisch aus der Insolvenz schöpfe und muss mich jetzt nicht beklagen, dass der Wohnungsboden nunmehr gelb-gefleckt statt grau ist. Und auf der anderen Seite ein Vermieter die Hände sich in Unschuld wäscht, nicht aber erkennt, warum sich ein alter roter Drunterboden jetzt durch eine Gummischicht nach oben fressen sollte. Wenn ich einmal nicht mehr bin, dann wisst ihr, woran’s lag. Nämlich möglicherweise an meinem Kühlschrank. „Man soll seinen Kühlschrank mindestens zweimal jährlich putzen, sonst wird’s problematisch“, hat eine frisch vom Hygienekurs entlassene Kollegin gestern erst doziert, und ich hab gefunden, dass das wirklich also völlig übertrieben ist und auch gar nicht nötig bei meiner eh schon großen Grundsauberkeit. Karma und ich – ihr wisst, was kommt. „Den Kühlschrank müssen Sie komplett ausräumen, damit ich den rausschieben kann“, hat der Bodenmann gesprochen und ich selbstbewusst: „Das glaub ich aber nicht!“ und er: „Doch.“ und ich: „Na gut.“ Und jetzt kann ich verstehen, warum Menschen von der Archäologie so fasziniert sind. Denn so ein Kühlschrank ist tief, das Sediment folglich vielschichtig, vielschichtiger gar als so manche Person, und also hab ich mich einmal durch die letzten Jahre graben können, in denen aus den Leckers und Nochguts nach hinten weg langsam Okeesos und schließlich Pfuideifis werden. Von letzteren hab ich zahlreiche geborgen, jetzt weiß ich nicht ob ein Biologe informiert werden muss oder die Stadt wegen der Entdeckung oder einfach alles mir gehört. Ich glaub es ist lieber alles meins, die Stadt hat’s eh nicht so mit der Konservierung von Kulturgut. Und ich dafür einen ganzen Haufen leerer Gläser für meine aktuelle Obsession. Denn es muss immer noch gebastelt werden. Mehr dazu gibt es nach der nächsten: … Naaapfuideifi, hab ich gottlob keine gefunden im Kühlschrank! 

Freitag, 24. Januar 2020

Tabuthemen

Mit Tabus ist das so eine Sache. Auf der einen Seite gibt es Dinge oder Handlungen, die sind ganz sehr klar und deutlich und allgemein bekannt und aus sehr nachvollziehbaren Gründen nicht akzeptabel, zum Beispiel seine Notdurft einfach irgendwohin zu verrichten – gut, darüber setzt sich zwar ungefähr die Hälfte der Bevölkerung hinweg, aber ihr wisst schon. Auf der anderen Seite gibt es dann Zeug, da ist klar, das ist jetzt bei uns kein Tabu, zum Beispiel küssen oder Händchen, das kannst du locker machen überall, also halt so lange bis man hingehen möchte und Tipps geben für Hotelzimmer. Und dann ist aber noch so eine Zwischenzone, da wird’s schwammig und neblig und gern einmal wird man geschwind zum Hochseilakrobaten, der eilig übers Dunstgebiet hinwegtänzelt weil man vermutet zwar, das kennen viele, aber wissen tut man‘s nicht genau. Zum Beispiel nicht so gut sagen kann man „Du, mich zerreißt es grad vor unterdrückter Flatulenz, ich kann dir gar nicht so gut zuhören jetzt hier im Arbeitskontext und müsst einmal spazieren gehen.“, sondern man sagt „Möchte noch wer was vom Bäcker?“ Und man sagt nicht „Immer wenn ich mir die Bikinizone rasier krieg ich so einen Mordsausschlag dass alles aus ist und dann eitert und nässt das tagelang.“ Sondern man sagt „Ach Freibad, das gibt mir nichts.“ Und dann aber erst wenn man einmal mutig mit anderen drüber redet, merkt man, dass man gar nicht der einzige Mensch auf der Welt ist der Rücken hat und eingewachsene Zehennägel, der Nirvana immer schon schrecklich fand und frische Brezen auch, und dann ist man ganz erleichtert weil offensichtlich doch kein perverser Mutant. Ungefähr so ähnlich geht’s mir nämlich in letzter Zeit oft wenn es um Radio geht und um Musik und den geheimsten Tipp und die phatteste Playlist und so, und dann hol ich ganz tief Luft und versuch damit spezialviel Mut einzuatmen und eine kleine Stressgänsehaut überzieht mich eilig und dann schwell ich meine Brust und widme mich für Schimpf und Schande, und dann sag ich: „Ich hör saugern einfach Bayern 1.“ Weil das ist ja wohl der grausligste Großelternspießerlangweilergähneinschlafsender den jemals ein Mensch überhaupt gehört hat, überhaupt gar nicht cool sind die da und hip und fancy und phat und geheim erst recht nicht, wer das hört muss mindestens Ü50 sein und Häkeldeckchen Kaffeekränzchen und tu die Füße vom Sofa und um 19.30 ist Dahoam is Dahoam und danach muss ich ins Bett! Unerhört! Doch es vollzieht sich Wundersames. Immer öfter werd ich nicht sofort gesteinigt, sondern es jubelt „Jaaaa!“, jubelt es, „das ist der beste Sender, ich hör den auch ganz oft, da kommt tolles Zeug!“ und dann lacht man kurz verschämt, doch auch erleichtert. Doch kein perverser Mutant. Nur eins ist schwierig: „Der Sender hat sich aber auch voll verändert“, sagte eins, „die waren doch echt uncool früher.“ – „Tja“, hab ich schlau erwidert. „Da stellt dich jetzt aber schon eine andere Frage auch: Ist Bayern 1 wirklich cooler geworden – oder wir halt einfach furchtbar viel uncooler?“ 

Freitag, 17. Januar 2020

Kiesbett

Gestern fand ich einen Mann. Lang ausgestreckt lag er auf einem Boden, nämlich einer frischen Beetanlage, neben ihm ein Fahrrad. Ich eilte hin und frug, ob Hilfe man ihm leisten könne. Doch „nein“, lupfte er die portable HiFi-Anlage vom Ohr, „ich ruhe mich nur aus.“ Ich war’s zufrieden, ließ ihn ruhen und hätt mich gerne selbst dazu gelegt, denn müde war auch ich und nicht umsonst heißt es wohl „Kiesbett“. Deren gibt es immer mehr im ganzen Stadtgebiet, denn wann immer es eine Fläche neu zu dingsen gibt und zu gestalten, wird ein Kiesbett eingebastelt. Das ist schön, und niemals hat jemand behauptet „Freiraum“ habe unbedingt mit Umwelt, Natur und Grün zu tun, da kann der Plan noch so „Master“ heißen, der wahre Meister wird’s schon wissen. Besser jedenfalls als all die Nörgler. Denn Stein ist schön, da kann die wunderbare Webseite „Gärten des Grauens“ sagen was sie will, und hier durch die Seiten geblättert lässt es sich vorzüglich zu neuen Wohltaten für die Noris inspirieren. Weil 1. wärmt sich so ein Stein schön auf in der Sonne, nicht wie böses Gras, das kühlt und feuchtelt, das weiß man doch, wenn man mal unten abends in den Auen war, so ein Bett kann niemand wollen. Und dann 2. wächst durch den Stein durch nur die Pflanze, die wir wirklich wollen, höchstens vielleicht schafft sich mal ein Löwenzähnchen an die Luft nach oben durchzubeißen, ansonsten bleibt es da schön ordentlich, bloß nicht dieses Wildwuchs, von dem die Nörgler reden, schon gar nicht vor der eigenen Haustür, es reicht doch, wenn ein Rasengleis ein bisschen wuchern darf. Außerdem ist der einst’ge schwarze Prinz und Sohn der Stadt neuerdings ein Grüner, soll er sich doch um Insekten kümmern, wir hier bleiben Rot, und wenn’s nur auf der Landeshitzekarte ist. Dann 3. lässt sich so ein Kiesbett gleich wieder besser sauberhalten, denn anstatt nur lästig händisch mit dem Rechen rumzukratzen, trompetet man einmal per Blasgerät kräftig hinein und holt mit dem Laub auch sogleich den ganzen Unrat, pardon: Zierrat hinaus und tut dann einfach neuen rein. Das ist vielleicht ein bisschen doof und teuer eh, aber so ähnlich übt man’s auf der Insel Schütt seit Jahren erfolgreich en grosso. Und 4. ist der Kies sehr wohl gut für Tiere, zumal nämlich Hunde, denn so ein Malheur ist schnell passiert, und das kompakte Defäkat kommt aus dem Kies doch gleich viel besser raus anstatt im Rasen zu verfangen, es sei denn, das arme Vieh hat am Vorabend was falsches gege… naja. Und dem natürlichen Bedürfnis „Scharren nach Geschäftsverrichtung“ wird auch gleich viel besser stattgegeben, das ist so wie ähm kennt ihr offene Katzenklos und dann die Streu überall und so? Genau. Kiesbettklo, Kiesbettklo, ja das macht die Hunde froh! Naja. Wir haben ja aber grad auch wirklich wichtigere Probleme. Zum Beispiel: „Leben am Limit – Ist eine Existenz ohne Gelben Sack möglich?“ oder „Zu wenig Platz für zu viel Müll – Der Schredderaufsatz für die Gelbe Tonne“.

Freitag, 10. Januar 2020

Detox-Galore

Wie üblich zu Jahresbeginn entdecken Menschen ihre schlechten Angewohnheiten, um sie sogleich in gute Vorsätze umzuwandeln. Oft bleibt’s dabei (Stichwort: Fitnessstudio Fördermitgliedschaft), manchmal aber auch nicht, und so hab ich also nach der erfolgreichen Bezwingung des großen steinigen Weges im Wald den aus dem letzten Jahr bereits bekannten zu erklimmen begonnen: Hello Detox, my old friend, I’ve come to talk to you again. „Ja also in der Vorweihnachtszeit, da war’s bei mir ja auch ganz schlimm!“, hat die Freundin zu Protokoll gegeben und im Sinn gehabt, mich zu beschwichtigen und im Selbstzorn einzufangen. „JA LUSTIG!“, hab ich mich wieder freigestrampelt, „Vorweihnachtszeit, Vorweihnachtszeit! Die hat aber früh angefangen, die Vorweihnachtszeit bei mir! Ungefähr nämlich im … März, glaub ich!“ und ein kleines Feuerchen entzündet aus aller schöner Kleidung, in die ich mich so stolz hineindiszipliniert hatte. Ja und dann eilig wieder gelöscht weil in Bälde passt ja wieder alles, gell. Gesamtsituativ betrachtet ist’s grad auch noch gar nicht schlimm mit dem Detox: Traditionell übt sich die Peer Group im Jänner und auch Februar in Enthaltsamkeit, man gesundet vor sich hin und freut sich über ein bisschen Bewegung und viel Couch – gut, was willst du anderes machen, wenn draußen die sibirische Eispeitsche durch die Winterstraßen wedelt. Leider tut sie das grad gar nicht, eher ist so ein bisschen Straßencaféwetter, aber wenigstens zeitig dunkel wird es, das kann uns der Klimawandel bis auf Weiteres auch nicht nehmen, also hinauf aufs Kanapee in Büßerhaltung. Zumindest innerer. Die gute Laune ungebrochen, das bisschen Detox macht sich von allein, sagt mein Mann, und ich bin zuversichtlich. Ist immerhin schon Tag 2. Von 30 bis 90. Naja. Nicht so zuversichtlich ist der diesjährige Mitstreiter. „Jetzt hab ich einen Tag geschafft. Morgen darf ich wieder Gummibärchen, gell?“ sprach’s und ich hab mild gelächelt und statt der bunten Zuckerware einen hübschen grauen Naturtofu über den Tisch geschoben. „Schau, der ist nicht so süß und auch nicht ganz so bunt, aber wenn du dich ein bisschen anstrengst, dann ist das Kaugefühl ganz ähnlich!“ und überhaupt müsse der Mitstreiter erst einmal seinen Kamelhöcker abbauen. Denn in einen solchen hat er mit großem Fleiß versucht, in der letzten Woche seines Lebens alles anzureichern, was ihm beim Detoxmogeln helfen kann, hat Aufpreis zahlen müssen im Wirtshaus wegen Salzfass geleert, hat morgens Kaffee in den Zucker mit der Pipette geträufelt und dauernd aus Versehen ein Weizenbier bestellt. „Ich glaube“, hab ich klug gewusst, „das funktioniert vielleicht nicht so gut, das mit dem Kamelhöcker. Ich glaube, es wird nur die Umstellung um so schlimmer.“ Allein es hat nicht geholfen. Dafür hat der Mitstreiterkollege hilfsbereit einen Salzleckstein auf den Bürotisch gestellt. Und ich freu mich jetzt schon auf die Vorweihnachtszeit.  

Freitag, 3. Januar 2020

Patina!

Vorbereitungen Silvester 2019. Circa zwanzig Jahre wenn nicht mehr war die wichtigste Party des Jahres im ähnlichen Trott verlaufen (Eckpunkte: In Schale werfen, Primaessen, befreundete Menschen, lustig, mehr Getränke, fremde Menschen, noch lustiger, Mitternacht, Sektflasche, Überschwemmung, Gsundsneues, BöllerscheißeaberRaketeschonschönirgendwie … etc. pp., Neujahrsproblematik). Dieses Jahr sollte es etwas wirklich Besonderes sein. Etwas Außergewöhnliches. Nämlich: nichts. „Party? Na!“ hatte ich ausgerufen und stattdessen „Patina!“ postuliert, mir in Windeseile eine sehr letzte Chance auf eine sehr winzige Bude in einem sehr bayerischen Wald organisiert und mich beim dortigen Hauswirt versichert, dass hier nichts, aber auch wirklich gar nichts an Silvesterbohei geboten sein wird. „Auch nicht macht die Dorffeuerwehr ein mittelheimliches Spanferkelgrillen, zufällig?“ hab ich besorgt gefragt und solches mehr, und aber „Naa!“ war die Antwort und es blieb sie auch. Sehr beruhigt bin ich einen Berg hinaufgegondelt, nur um oben keine Aussicht vorzufinden „Bestes Omen für das neue Jahr!“ hat mir das gefallen, und bin ich noch um einen See herumgekrautert und in Vorfreude aufs heimelige Couchsilvester verfallen. Und dann hab ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Den nämlich, bei dem man Einkehr halten musste, weil wegen der vielen Wanderschaft und großer Durst und eh schon im Ort und keine Gefahr weil das größte Remmidemmi findet vor der Dorfkirche statt, da machen die Dorffrauen nämlich Plätzchenausverkauf mit Glühwein und einer schönen Auswahl un- oder wenn dann höchstens kirschgeweihtem Wasser, so ein Silvestergottesdienst, da musst du dich schon stärken vorher oder vielleicht auch hinternach, aber die Bude ist jetzt zu, „Aber du!“, hat der kirschbegeisterte Teufel hilfsbereit souffliert, „beim Wastl-Gasthaus-Pension-mit-Hausmetzgerei ist heut Silvesterspezial mit DJ Musik, da gehen wir jetzt geschwind vorbei und erfragen was da später noch geboten ist.“ Es war 17 Uhr und ich zögernd einverstanden, und so bin ich also den Berg wieder hinuntergetapst, im Outfit hat’s an der Festlichkeit eher gemangelt, und so gelangte man zum Wastl, der zwar spärlich besetzt, jedoch vollauf reserviert und im wahrsten Sinne hochdekoriert war. „Drinnen saßen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft“, nämlich eine erkleckliche Ansammlung von Menschengut, das mit wenig oder sichtbar zu hohen Erwartungen Platz genommen hatte. Der bestgekleidete Gast trug Nadelstreif und Fliege, es handelte sich um einen Säugling, DJ Musik trat alle Viertelstund aus den Gemächern und legte schmissiges aus der Schlagersammlung auf. Vereinzelt wippten Schultern. Ich war hingerissen. Träumte von Schieber mit dem Hausmetzger und Pogo mit der Kellnerin, vom Flipperduell mit Wastl und Entern der DJ Musik-Anlage, von Begegnung und Verbrüderung und … „Wir haben noch 7 Euro. Und außerdem dreckstehende Wanderklamotten an. Möchtest du fragen, ob wir Klamotten leihen und anschreiben lassen können?“ hat die kirschentgeisterte Stimme der Vernunft mich dann geweckt und das Halali geblasen. „ICH KOMME WIEDER!“ hab ich der Kellnerin versprochen und also das alte Jahr mit einer großen Lüge abgeschlossen. Kam ich gar nicht wieder. Dafür selig couchend im neuen Jahr an. Mach’mers gemeinsam? Dann hiev ich mich für euch wieder: runter vom Sofa!