Also gut. Fussi. Man (ich) kommt ja doch nicht drum herum. „Bis Donnerstag hat mich das ja alles ziemlich kalt gelassen“, fiebert der Mann mit kugelrunden Fußballaugen, „aber seit dem Eröffnungsspiel am Freitag muss ich sagen: Ich bin EM!“ Somit bin ich leider auch EM, da Tätigkeiten jedweder Art ausschließlich nur noch in den sensiblen Zeiträumen 17 bis 18 Uhr sowie 20 bis 21 Uhr stattfinden können und entsprechend um mich herum eine gewisse hektische Betriebsamkeit herrscht. Kehrt der Mann vom Job nach Hause, stürze ich mich auf ihn und erzähle sprudelnd von meinem ereignisreichen Tag und bemerke mal früher, mal später diesen starren und irgendwie nach innen gekehrten Blick, der hier und da von einem „Mhm“ oder „aha“ unterbrochen wird bis ich merke, dass die Aufmerksamkeit mitnichten auf meinen Bericht sondern den des Sportkommentators im Ohrstöpsel gerichtet ist. Sitzt der Mann still auf dem Balkon und freu ich mich, dass er auch einmal zur Ruhe kommt und schön in einem Buch versinkt, entdecke ich zwischen dem Grün aus Blumenkübeln und Basilikum ein kleines Rechteck mit Rasengrün, auf dem ein Ball herumgezwirbelt wird. Abendessen, Körperpflege, Serie – gerne, aber alles bitte nur bis in der Stunde bis zum dritten Spiel, wenn da nicht längst gerast werden muss zu einem Public Viewing, von dem wir freilich alle wissen, dass es das falsche Wording ist, aber uns doch in den letzten Jahren so wunderbar dran gewöhnt haben und aus unerfindlichen Gründen nur allzu gern in Kauf nehmen, von einem wichtigen Spiel höchstens nur die Hälfte, dafür sehr viel Sonnenschirm, Spaßhüte und Klogänger durchs Bild latschen zu sehen und das viel besser finden als auf dem Kanapee zu fläzen und aufs Klo gehen zu können, wann immer es beliebt und nicht dann, wenn die Warteschlange es erlaubt, um sich so ganz darauf konzentrieren zu können, Männern beim Ballspiel zuzusehen, was im viel beschworenen Sommermärchen 2006 noch den netten Nebeneffekt hatte, in alle Spieler nebst Ersatzbank und Linienrichter verliebt sein zu können, man heute aber nicht umhinkommt sich zu fragen, ob die Knaben denn nicht wenigstens eingeschult sein sollten, bevor sie über Weh und Ach einer Nation entscheiden dürfen. Die sich aber, so scheint es mir, ohnehin grad noch in relativer Zurückhaltung übt. Zumindest hält sich die Zahl der Autos mit lustigen Deutschland-Kostümierungen noch einigermaßen in Grenzen und die sonst um keine Feierlaune verlegene Nachbarschaft hat es bislang geschafft, noch keinen Polizeieinsatz mit Schland-Gesängen und Pyrotechnik auszulösen. Aber das kann ja alles noch kommen. Am Ende bin dann ich selbst EM und führe als an einen LKW geheftete Galionsfigur den „Immerhin erst nach der Vorrunde ausgeschieden, man muss für alles dankbar sein“-Autokorso an. Schallalalalaaa!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen