Freitag, 20. Juni 2014

Wohnerei

Neulich beim Sonntagsspaziergang. Nachdem ich bei schönstem Wetter auf dem Weg vom Bad einen kurzen Abstecher zum Fernseher gemacht und eine frivole, aber nicht wenig anstrengende Ehrenrunde über den Kühlschrank gedreht hatte, kam ich auf meiner Flanage an einer wunderlichen Türe vorbei. Neugierig wie ich bin konnte ich freilich nicht an mich halten, diese alsgleich zu öffnen, und siehe da! Dahinter befand sich ein Wohnzimmer! Vor Schreck musste ich die Tür geschwind wieder schließen, ins Bett eilen und mich kurz erholen von den Strapazen und absonderlichen Wendungen, die der Spaziergang so mit sich gebracht hatte. Wohnzimmer. Was war das gleich nochmal? In Anbetracht anderer Räumenamen dürfen wir wohl annehmen, es handle sich hierbei um ein Zimmer, in dem man wohnt. Aber wer hat denn grade Zeit, zu wohnen? Seit Wochen ich jedenfalls nicht mehr. Wohnen, das hat was mit geschlossenen Räumen zu tun, mit Fernsehen und womöglich Bügelwäsche, schlimmstenfalls in Kombination. Wohnen ist Herbst und Winter, Serien gucken, Stollen backen, lesen, Nussknacker hören, Draußen scheiße finden.

Das hört auf, sobald das Thermometer erstmals die magische 20-Grad-Marke ächzend überwunden hat. Dann ist Schluss mit der Wohnerei, wir schließen die Kiste, versiegeln den Raum, wünschen ihm eine gute Zeit, bis bald, Wohnzimmer, es war wie immer schön mit dir, aber jetzt müssen wir uns trennen. Um dem Nachdruck zu verleihen, wird der Raum zweckentfremdet. Als Picknickdecken-großflächig-zum-Trocknen-Ausbreit-Zimmer, beispielsweise, oder als Dauer-Wasch-Salon, weil man irgendwie feststellt, dass man wegen Aktionismus einen inflationären Klamottenverbrauch hat, ergo: Viel Wäsche waschen und dann feststellen, dass das Abnehmen derselben eigentlich nicht lohnt, also warum nicht das Wohn- zum Ankleidezimmer umfunktionieren, das man nur noch betritt, um sauberes Gewand direkt vom Leifheit zu pflücken. Alle anderen Räume dürfen ihren Namen behalten.

Geschlafen (oder sich schwitzend herumgewälzt, weil die Idee mit dem leichten Leintuch stets mit Verzögerung aufkommt) wird im Schlafzimmer, kalt geduscht (gerne mehrfach täglich) im Duschzimmer, und im Kochzimmer bereiten wir maximal den Morgenkaffee und dann irgendwelche schnellen und leichten Gerichte zu, die vorzugsweise im Stehen (bloß keine Zeit verlieren!) verschlungen oder in Tupperware suppdicht verstaut zu Grillfesten, auf Wiesen oder an Seen getragen werden. Eigentlich sind alle Räume ungeliebt, das liegt in der Natur der Sache der Geschlossenheit, aber das Wohnzimmer trifft’s am härtesten. Das Wohnzimmer ist wie eine Mutter: Geduldig muss es warten, bis der Nestbewohner sich ausgetobt und die Sommerhörner abgestoßen hat und sich auf die, ja, inneren Werte besinnt, um dann zutiefst erleichtert in den Schoß der Couch zurückkehren zu können und tief durchatmen und sich ins wohnzimmerliche Ladegerät legen, um das leergeräuberte Selbst wieder zu befüllen.

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