Freitag, 23. Oktober 2020

Kulturhaupstatt

 Als ich vor einigermaßen langer Zeit in die weiterführende Schule gekommen bin, war das Hallo groß. Neben der sonst üblichen aufgeregten Eltern, die das Wunder kaum fassen können, tatsächlich etwas wie ein schulfähiges Kind auf die Welt gepresst zu haben, wunde Tränen verdrücken vor Ergriffenheit und Stolz weniger auf des Sprossens Leistung als vielmehr auf die eigene und darum den Nachwuchs in Position und Pose zwingen, die später gern als Teil der Diashow zu 18. Geburtstag oder Hochzeit wieder auftauchen, hat es bei mir damals zum Anfang von der 5. Klasse vor allem professionell blitzlichtgewittert: Horden von Pressemenschen waren angereist, Bürgermeister, Minister, Staats- und Ehrenvolk, Champagnerkorken und Olé, um Zeuge und Teil zu sein dieses historischen Tages. Und während die feierten und wichtig in Mikrofone sprachen, stand ich in feinem Nikisweater, Karottencord und auftoupiertem Igelpony, vor allem aber im Abseits und blinzelte tapfer in Vaters Filmspule. Denn leider wurde weniger der Beginn meiner gymnasialen Karriere gefeiert als vielmehr der Umstand, mit meinem Jahrgang eine Feldstudie nie dagewesenen Ausmaßes zu starten: den europäischen Schulzweig. Ein Experiment, das so erfolgreich war, dass man es heute grad noch so und mit viel gutem Willen googeln kann und sich im gebetsmühlartigen Direktorenspruch manifestierte, man sei jetzt „die Elite“ und hielte bald ein „Abitur Deluxe“ in Händen. Die Elite durfte in der Folge ein Jahr früher als alle andere an der zweiten Fremdsprache scheitern, dieses Defizit dafür in dreimal so viel Nachmittagspflichtunterricht kompensieren, sich ungeliebter Fächer nicht durch Abwahl entledigen, sondern der Kompetenz im musisch-künstlerischen Bereich ungeachtet in Mathe auch im Abiturfach dilettieren und sich, ebenfalls am bekanntlich produktiven Nachmittag, durch eine vierte Fremdsprache pubertieren. Ich sag mal so: Zu „Voy en bici al aeropuerto!“ hat’s noch gereicht, dafür schreit der Humanist in mir jede Nacht um 3.33 Uhr „BEI ISSOS KEILEREI!“ und morgens um 7.53 Uhr macht der Wecker nicht „piepiep“ sondern „ROM SCHLÜPFT AUS DEM EI!“  Als Lohn erhielt „die Elite Europas“ von der „Schule mit Herz“ zum „Abitur Deluxe“ einen grobkörnigen Zettel, der hinters eigentliche Zeugnis gesteckt quasi die Teilnahme bestätigte und den ich seit nunmehr bald 20 Jahre nicht mehr aus der Klarsichtfolie rausgezogen hab. Das ändert sich ab kommender Woche gefälligst! Denn dort steht, dass Nürnberg seit 20 Jahren mindestens ein europäisches Kulturhaupt hat. Dieses Kulturhaupt braucht endlich eine Statt, also einen Ort oder Platz. Und wenn man dann schon eine Kulturhauptstatt bereitstellt, kommt es auf diese eine winzige Buchstabenverdingsung auch nicht mehr an. Also: Wenn selbst dieses Argument die Jury nicht überzeugt, dann ist denen wirklich nicht zu helfen. Bis dahin: Abwarten und Tee trinken. Oder Grog.

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