Montag, 16. August 2021

Nicenstein

 Was passiert einmal jährlich zu den Hundstagen, versetzt Menschen und Medien gleichermaßen in Aufregung, sorgt für Gesprächsstoff, aber wenig Handfestes, tönt als lautes Wunschkonzert und die, um die es eigentlich geht, sind weitestgehend unbehelligt vom Bohei und machen halt einfach ihr Ding weiter? Sternschnuppenregen, richtig. Aber während zum Perseidenschauer zumindest die Romantiker („Ach Schatz, es ist so wundervoll, dass du mit mir hier raus gefahren bist, es ist so zauberhaft und kuschlig, nur wir zu zweit auf der Decke, ich liebe dich!“ – „Mir ist kalt.“), die Nüchternen („O Gott SCHAU MAL so viele Sternschnuppen hintereinander hab ich ja NOCH NIE gesehen das MUSS ein Zeichen sein!!“ – „Das heißt Starlink und sind Satelliten.“) und die Geduldigen („Papa du weißt, dass du auf dem Handy eine Astronomie-App hast?“ – „Ja, Sohn, doch glaube mir: Nichts geht über die heilige Präzision von Zirkel, Dierke Weltatlas und Lebenserfahrung.“) beschäftigt sind, ist man sich über Zielgruppe des zweiten Ereignisses eher uneinig. „Könnt ihr mir bitte diese Wörter erklären?“ hab ich vermeintliche Angehörige derselben befragt und die Antwort kam prompt, klug und erschütternd: „Äh nee?!“ Das ist schade, weil ich als Berufsjugendliche, die mit der sorgfältig in Gespräche eingestreuten Verwendung jugendlichen Idioms zu punkten, Vertrauen und Nähe herzustellen weiß („Ich hab das Schuljahr geschafft!“ – „Nicenstein!“ / „Kannst du bitte für mich anrufen und nachfragen?“ – „Kümmre dich selbst um deinen Shizzle!“), bin da auf zeitgemäße Sprache angewiesen. Weil ich denke, dass es noch vielen anderen so geht, versuche ich mich kraft meines linguistischen Genies hilfsbereit an Übersetzung zur Vereinfachung der später korrekten Verwendung. Als Jugendwort des Jahres 2021 stehen also zur Wahl: „sus“ (Abschiedsformel, vorzugsweise nach Genuss von ein, zwei Diskoschorlen), „akkurat“ (wohlmeinender Hinweis zur Schonung der Telefonbatterie, weshalb auf Groß- und Kleinschreibung verzichtet wird), „same“ (Angehöriger eines indigenen Volkes der nördlichen Hemisphäre, Ausdruck der Bewunderung für Resistenz gegen Kälte oder allgemein Anforderungen des Lebens, vgl. Müll runterbringen), „wild“ (fremd, verdächtig), „sheesh“ (erschöpfend, ermüdend, onomatopoetische Darstellung des Luftentweichens), „papatastisch“ (Ausdruck der Wertschätzung für reformatorische Bestrebungen innerhalb verkrustet-patriarchaler Strukturen, i.e. „pubertär“). „Digga“ (Ausdruck inniger Verbundenheit & Verständnis füreinander, nachdem man monatelang daheim gesessen und der Körper die Form des Kinderzimmersofas angenommen hat, vgl. „Schatz“), „Cringe“ (gefährliches Geräusch unsachgemäßen Gebrauchs von Zahnspangen & Kronkorken), „Geringverdiener“ (Angehöriger des kunstschaffenden Milieus; Sammelbegriff). Und „Mittwoch“. 

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