Wir sind heute hier zusammengekommen, um gemeinsam Abschied zu nehmen. Nicht von Anstand und Moral, das haben wir in den vergangenen Tagen bereits getan. Sondern vielmehr von einer alten Freundin. Vor 15 Jahren kam sie in mein Leben und besaß alles, was ich damals schon nicht hatte: Erfahrung, wahre Größe, echte Stärke, ein breites Kreuz und die erotischen Kurven der gütig gealterten. Es war Liebe auf den ersten Blick, ich warf mich in ihren weichen Schoß, wo sie mich freundlich aufnahm und fortan mit unerschütterlicher Treue durchs Leben trug, mir Verlässlichkeit gab, wo dieses sich anschickte, mich auf Achterbahnen zu jagen. Bei der Freundin war ich stets ich selbst. Ich habe brüllend gelacht mir ihr und jämmerlich geweint, wir haben Freunde herumgetragen und Umzugskartons, haben uns in große Gefahr begeben und windbeutelleichten Urlaub, manchmal auch beides gleichzeitig. Wir sind gealtert. Die eine mehr, die andere weniger, und je älter meine Freundin wurde, desto mehr Pflege ließ ich ihr zuteil, scheute weder Kosten noch Mühen, dafür zunehmend große Ausflüge. Bis dann eines schönen Morgens, der Himmel grau, der Regen salzig, die schlimmsten Worte fielen. „Kommense ma her, Frollein!“ sprach ein Herr in blauem Latz mit vorsorglich angelegten Trauerrändern an den Fingerspitzen, aus denen er eine Schriftrolle zauberte, diese zu Kommunalwahlzettelgröße entfaltete und mit strengem Blick behauptete, es handle sich hierbei um eine sogenannte Mängelliste. „WAS?!“ hab ich aufgejault, „das kann doch gar nicht sein! Wir haben doch vor ein paar Tagen erst gemeinsam die 300 000 Kilometer-Marke geknackt! Da ging alles wie geschmiert, ich schwör! Wir sind im Kreis gefahren bis der Tacho umgeblättert hat, dann Feuerwerk und Torte, da gings doch allen noch ganz wunderbar! Man kann doch nicht nur weil ein Auto vielleicht nicht mehr ganz taufrisch und fabrikneu ist einfach sagen: das gehört zum alten Eisen, nur weil vielleicht die ein oder andere Tür nicht mehr richtig gut aufgeht oder halt nur wenn sie Lust dazu hat, da muss man halt geduldig sein!, die Klimaanlage ungeachtet der Außentemperatur ausschließlich heizt, wozu gibt es Fenster?, die Kiste beim Rückwärtsfahren hupt, ich mein, andere lassen sich sowas für viel teures Geld extra einbauen!!, und niemand braucht einen Turboantrieb, wenn er eh nur noch gemütlich 100 fahren möcht auf der Autobahn wegen der ähm Entspannung!!! isdochwahr!“ – „Vier Wochen!“, hat die Latzhose gesagt und heftige schwarze Tippser auf der Mängeltapete hinterlassen. „In vier Wochen muss das alles repariert sein, sonst ist Schicht. Und unter uns: Ich würd gleich zum Abdecker.“ Das kommt natürlich nicht in Frage. Ich suche einen Gnadenhof. Ade, geliebter Kombi!
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