Freitag, 3. November 2017

Die große Plage

Es war einmal eine edle Jungfrau, die beging einen schlimmen Fehler: Sie sandte eine Depesche aus. In der war zu lesen, welch garstige Kreaturen Spinnentiere doch seien, und wie viel schöner die Welt wäre ohne das achtbeinige Gezücht. Selbstsüchtig und hochmütig war die edle Jungfrau, und so verbreitete sie die Kunde im ganzen Land, schlug sie an schwarze Bretter und Kirchtore und wollte nichts lieber, als dass die Nachricht einen jeden erreiche. So auch den lieben Gott, der wie immer freitags freudig nach seiner Lieblingslektüre blätterte, wohlwissend, dass er sich von seinem wolkig-weichen Kanapee eh nicht wegbewegen würde. Heute aber sprang er auf. „WAS?“, zürnte der liebe Gott, und die Englein stoben furchtvoll auseinander. „Wie kann sie es wagen, dieses Weib? Jedes meiner Geschöpfe hat seine Existenzberechtigung!“ und der liebe Gott schwor sich, der edlen Jungfrau eine Lektion zu erteilen. Arglos spazierte diese in die Welt, durchwanderte die schöne Schöpfung, zählte Bienchen, pflückte Blümchen, aß Kirschen und las Pilze. „O seht nur, ein Fuchs!“, rief sie aus und verharrte leise, um das scheue Tier nicht zu vertreiben. Das aber ruhte still. „Nanu, du liebes Füchslein, schläfst du wohl?“ schlich die Maid ans Tier heran und verstummte im Schreck. Nicht der sanfte Schlaf war es, der den Fuchs in seiner Umarmung hielt, sondern der Tod, mit dem das Tierchen tanzte und rang, von Zuckungen gebeutelt. Dicke Fliegen umschwirrten den Sterbenden, lauernd sich im Pelz festkrallend, auf dass endlich die Eier hineingelegt werden und die madige Brut sich am Fleische laben könne. Tränenblind stob die Jungfrau davon, zu schwach, um das Tier zu erlösen. Zu dumm, um das Zeichen zu erkennen. Der liebe Gott aber lehnte sich bequem zurück und wartete ab. „Du wirst schon sehen …“ grummelte er in seine Kuschelwolke hinein. Und die Maid sah. Eine Spinne erst, die wurde sorgsam hinaus getragen, eine weitere dann, und noch eine. Dann eine Fliege. Winzigklein, und doch so lästig, und die Maid zerschlug das Vieh und vergaß es. Bald aber kamen immer mehr Fliegen. In der Küche erst, dann in der Kemenate, in der guten Stube und unterm Waschzuber. Bald lag eine Fliege im Honig, bald eine im Wein. Bald fand sich eine unter dem Bettfell, bald kroch eine andere aus einem Buch hervor. „Fliegen, Fliegen, überall Fliegen!“, wunderte sich die Jungfrau und zerquetschte sorgfältig eine nach der anderen. Doch der Strom riss nicht ab. Fortan war die Jungfrau begleitet von Fliegen. Die gingen mit ihr zur Arbeit, die kauften mit ihr Schuhe. Die winkten bald, aus dem Gasthausmahl, bald wechselten sie den Fernsehsender. Und Gott lachte. „Bitte!“, rief die Jungfrau endlich aus. „Wo sind denn all die Spinnen? Ich brauche Spinnen, die sich laben an den Fliegen und fett und rund werden und mich bewahren vor dem Schwarm!“ Und Gott legte schmunzelnd die Füße hoch, schickte Spinnen, und alle waren’s zufrieden. Fortan lebten die edle Jungfrau und die vielbeinigen Tierchen in Eintracht und geteiltem Glück. Ob sich die vielen Füße jedoch auch als von Vorteil beim Bodenwischen herausgestellt hat oder es zu Krawallen am Schuhregal kam, ist bislang nicht überliefert. 

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