Freitag, 24. Juli 2015

Sommerlebkuchen

Vor zwei Wochen war ich seit langem einmal wieder in meiner Eigenschaft als Praktikant der Wissenschaft auf den Straßen unterwegs. Es galt, sich unters touristische Volk zu werfen, um dieses durch geschickte, weil gänzlich unsubtile Fragestellung dazu zu verleiten, sich negativ über die Noris zu äußern. Die Sonne lachte, Nürnberg auch. Mich aus. Nach drei Stunden intensiver Feldforschung hatte ich erstens einen akkuraten Sonnenbrand und zweitens die unumstößliche Bestätigung meiner eigenen heimlichen Überzeugung, in der schönsten Stadt der Welt zu wohnen. Der Tourist, egal welcher Ethnie, überschlug sich förmlich in Lobgesängen. Allein, das war nicht Ziel der Aufgabe. Ein letztes Mal hob ich an und frug in ein Paar hinein, ob ihm nicht bitte irgendetwas aufgefallen sein, was dem Glanz der Metropole einen blinden Fleck verpassen könnte. Nun, sächselte es mir zu, sie seien ja mit dem Fahrrad hergetourt, und als man so nordwärts die Stadtgrenze passiert habe, da sei ihnen ja dieser Lebkuchengeruch … 

HA!b ich euch!, wollte ich in gehässigen Jubel ausbrechen, doch wurde darin jäh unterbrochen … aufgefallen, und das wäre ja besonders fein gewesen, da habe man direkt mal kurz angehalten, um ordentlich zu inhalieren. „Entschuldigen Sie“, wendete ich mich eilig ab, „mir kam gerade etwas Kotze hoch“, und nestelte an meinem initialbestickten Seidentaschentuch. Nebenan ward in eben diesem Moment von einem lustigen Marktschreier eine Wassermelone entzweit, das war mir wohl bei 30 Grad olfaktorisch ein zu erfrischendes Erlebnis, ich weiß auch nicht. Dieser Lebkuchengeruch. Natürlich hatte das Paar recht. Was kann es schöneres geben, als diesen nelkiggelben Dunst, der sich im höchsten Hochsommer mit dem Smog – den wir hier nicht haben, schon klar, aber so wegen metaphorisch – vereint und in sanfter Duftkorpulenz einem Brautschleier gleich anmutig über die Stadt legt, auf dass der Bewohner frei atmen und sich rechtzeitig auf den baldigen Winter zu freuen beginnen kann! Weil’s ja da eh noch nicht genug, äh, riecht. 

Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, bei 40 Grad im Schatten leichte Düfte wie Gaultier aufzulegen oder solche, die dem eines Vanille-Duftbaums nachempfunden sind, damit jeder andere im Umkreis von 500 Metern flugs das Gefühl bekommt, in eine Plastiktüte zu atmen. Weil der Mensch ja findet, es ist eine prima Idee, mittags schön einen Döner zu speisen, am besten im Bus oder so, dann wird das Mahl nicht so schnell kalt. Weil der Mensch ja findet, es sei für das ganzheitliche Geruchserlebnis förderlich, möglichst viel möglichst organischen Unrat links und rechts und hinter sich zu verstreuen, damit für Fliegen und Amöben auch mal was getan wird. Vor gut zwei Jahren ist es einem findigen Alchemisten gelungen, all diese Eindrücke und freilich noch viel mehr in einen Flacon zu verbannen. Äh Schmarrn, nachzubauen. Ich bin mir nicht sicher, ob er damit reich geworden ist. Wenn, dann mit Touristen. 

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