Freitag, 5. Juni 2015

Langeweilestress

„Und wisst ihr, was das schlimmste ist?“ frug einst ein Mensch in eine Runde. „Es hat noch nicht mal richtig angefangen.“ Als Antwort erklang Wolfsgeheul, wenngleich leise, schließlich waren die Angesprochenen in einem nicht minder schweren Zustand völliger Gestrigkeit, ermattet, gezeichnet vom Leben, zumal dem, was man gemeinhin als Freizeit und darob der Entspannung und Rekonvaleszenz förderlich verkennt. Es war Anfang April, und an diesem Sonntagabend baumelte fröhlich-damoklesisch im Frühlingswind der Veranstaltungskalender über der desolaten Gruppe. Man wusste: Die spätwinterliche und jahresanfängliche Schonfrist war vorbei, aber jetzt würden einem die Freizeitangebote wieder um die Ohren tanzen, dompteurgleich mit der Peitsche knallen und einen Stillstand augenbrauenlupfend höchstens dann akzeptieren, wenn der Freizeitler sich auf dem Weg von einem Ding zum anderen auf dem Fahrradlenker schnurrend zu einem Schläfchen zusammenrollt oder es sich ohnmächtig in der nächstbesten Rabatte bequem macht. 

Hartnäckig hält sich das von irgendeinem nichtsnutzigen, vom Smog geblendeten, zu- oder gar nur durchgereisten Molochbewohner in die Welt gesetzte Gerücht, unsre Stadt sei ein Schnarchzapfen, der so derart wenig zu bieten habe, dass nur das Zählen von den Kanal entlangplanschenden Ratten ein gerüttelt Maß an Zerstreuung böte. Aus mir weiterhin schleierhaften Gründen gibt es Menschen, die dieses Gerücht am Leben erhalten, indem sie unreflektiert scheubeklappt nachplappern, was da mal behauptet wurde. Diese Menschen würde ich ganz sehr arg gerne einen Monat, ach was sag ich, ein beliebiges Wochenende zwischen März und Dezember an den fisseligen Kleingeisthaaren durch die Stadt zerren, nachdem ich ihnen die Lider mit Panzertape einmal oben und einmal unten entlang am Schädel fixiert und sie eine Nacht lang fürsorglich vor dem entsprechenden, kommunalwahlzettelgroßen Eventkalender platziert habe und sie anschließend hundertmal in Rot darüber habe schreiben lassen „Es ist nicht alles Volksfest“. 

Witzigerweise stehen diesen Kulturblinden diejenigen gegenüber, die bei allem, was eine möglichst bewegungslose weil lauffreie Erreichbarkeit der eigenen vier Wände, in denen es nun mal am schönsten ist, erschwert, sich als Bürgerwehr formieren und in antiimperialem Chor „Panem et circenses!“ jaulen, aber das sollen die nur machen. Ich für meinen Teil blicke mit einem zu vernachlässigend kleinen Anflug von Furcht um meiner selbst Willen ins kulturelle Jahr hinaus, verspüre einen ebenfalls ignorierbaren Hauch von Panik darüber, wieindreiteufelsnamen ich das alles schaffen soll, was aber buntglucksend von einer strahlenden Vorfreude überlagert wird auf alles, was da jetzt so auf 187km²geboten und zu tun ist, bevor ich mich mit dem Schlag des letzten Inselbierfassöffnens erschöpft auf eine Bahre sinken lassen kann. Zumindest für die paar Wochen, bis dann auf der Kirchenempore dieser blonde Luzifer erscheint. 

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