Neulich war ich, ausnahmsweise mal auf einer Vernissage. Bumberlvoll war’s da, und alle so yeah und wow und hip und yolo und hastenochnemate und alterisdaskrassgeilerscheißhier. Inmitten dieser gesammelten Sachverständigkeit entdeckte ich ein Störelement. Nämlich eine Dame auf so einem Rindenmulchbeetbegrenzungspfostendingsi. Die war gar nicht mal so yolo, und swag auch nicht, sondern eher so doppelt so alt wie die meisten anderen Anwesenden. Das allein zog bereits mein Augenmerk auf sich. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass die Pfahlsitzerin bebte, bei noch näherer, dass es sie schier schüttelte, bei allernächster, dass das nicht vor Lachen geschah. Bitterlich schluchzte die Frau inmitten all der Happihappiness, die sich nicht weiter um das Störelement scherte. Ich hab da allerdings so eine Krankheit, die macht, dass ich unter keinen Umständen an einem akuten Elend vorbeigehen kann, ohne mich irgendwie als Helfer anzubiedern, was kurz zuvor erst zu einer unfreiwilligen mehrstündigen seelsorgerischen Streetworker-Sitzung auf offener Straße mit einem mir unbekannten Alkoholikerpärchen geführt hatte.
Höre ich mich also „Geht’s dir gut? Kann ich dir helfen?“ sagen und will mich gleichzeitig dafür ohrfeigen, weil dem rationalen Teil meines Gehirns sofort ein weiterer Abend Seelsorge statt Kultur schwante. Meinen Begleitern übrigens auch, weswegen die alsgleich augenverdrehend weitereilten. Ich derweil befürchtete schlimmstes: Vater verstorben, Hamster auch, unheilbare Krankheit, Scheidung, WLAN defekt. Solcherart gewappnet erfrug mein Helfersyndrom also gegen meinen Willen roboterartig den herzerreißenden Umstand. „Ich bin …“, schluchzte es hinter der Brille hervor, „also ich habe ... (beb) … ich meine … (schluchz) …“ Jöi, dachte ich mir, den Abend kannste knicken, und schickte mich an, es mir im Rindenmulch bequem zu machen. „Ich bin 47 Jahre alt und eine gestandene Frau, die ihr Leben im Griff hat“, schnäuzte die Dame ins dargebotene Tempo. „Und … jetzt … ist meine … Tochter … verrückt geworden!“
Au weh, nicht gut. Es folgte ein von Tränenschauern durchwobener Rapport, der sich sinngemäß um nächtliches Fernbleiben, Unwahrheiten, Alkohol, Nichtabmelden und ähnliches drehte, und so langsam lichtete sich ein Nebel. Während allerlei weitere Beweise für den desolaten Geisteszustand der Tochter erbracht worden, formulierte ich eine listige Frage. Nämlich: „Du, wie alt isn deine Tochter?“ – „FÜNFZEEEEEHEHEHEEEEN!“ Da hätt ich fast gelacht. Reichte der Dame die Tempopackung und einen Schulterklaps und versicherte ihr, es bestünde keinerlei Anlass zu ernsthafter Sorge, das mit der Psychose würde sich so in den kommenden zwei bis vier Jahren legen – grad dass ich ihr nicht die Nummer meiner Frau Mama gegeben hab – und entließ mich in den Abend. Mit diesem Gleichnis möchte ich allen Eigentümern Schwerpubertierender zauberhafte Sommerferien wünschen und diskret das Stichwort „Jugendfreizeit“ ins Feld führen.
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