Freitag, 15. Februar 2019

Verschleiß

Das Unwort des Jahres 2018 war „Anti-Abschiebe-Industrie“ und stammt wie so vieles, das einen an der Abschaffung der Lobotomie zweifeln lässt, aus dem Mund eines Politikers, der als kleines Kind vielleicht einmal in einen schwarzen Weißbiertopf gefallen ist. 2017 war es „Alternative Fakten“, was überraschenderweise seinen Ursprung nicht in Bayern hat, dafür aber in einem Land, von dem es neulich erst hieß „US-Army will künftig auf künstliche Intelligenz setzen“. Eine Entscheidung, wo man angesichts des obersten Befehlshabers nur sagen kann: gratuliere! Dann kommen „Volksverräter“, „Gutmensch“, „Lügenpresse“, „Sozialtourismus“, „Opfer-Abo“ und „Döner-Morde“, und so sehr ich auch weiter und weiter zurückgehe in den Jahren erscheint einfach nicht dasjenige Wort, von dem ich meine, es hat seinen Platz wirklich redlich verdient in dieser Liste: Verschleiß. Verschleiß ist mein persönliches Unwort. Wenn du hörst „Verschleiß“, dann weißt du: Jetzt ist alles zu spät. Aus Ende Äpfel. Totschlagargument. Die Sache ist kaputt, du kannst sie nicht wiederherstellen außer mit einem übermenschlichen Einsatz von Zeit und Geld und du kannst verdammtescheißenocheinmal niemanden dafür verantwortlich machen, niemanden anbrüllen, keinen Filialleiter heranzitieren, Meisterbriefe zerreißen oder mit wehenden Wutfahnen eine Firmenzentrale aufsuchen. Also ich mein: Kannst du schon, aber dann halt mildes Lächeln und Achselzucken und „Verschleiß.“ und schon fällst du Wutballon superschnell in dich zusammen und bleibst zurück als sehr unansehnlicher Haufen Schrumpel. Jetzt hab ich also grad Verschleißwochen. Andere haben Angebotswochen oder Gratiswochen oder Fitnesswochen oder Flitterwochen, ich hab Verschleißwochen. Das fing an mit so einem leichten vorweihnachtlichen Zwicken an der Rückseite, durch das man sich protestantisch hindurchgetapfert hat bis zu einem Vorfall mit Atemnot und Bewegungslosigkeit und dann Medizinalrat und Unwortsvortrag, bei dem ich oftmals so ein diffuses Zucken im Mittelfinger verspürt hab, da muss irgendwas auf einen Nerv gedrückt haben, und Spritzen und Krankengymnastik. So viel dazu, man ist nicht mehr 20 und Kummer gewohnt. Doch damit nicht genug. „Wenn du mich fragst“, hat noch am selben Tag eine zu größtem Mitleid verknitterte Miene zu mir gesprochen und es dabei geschafft, in die Grabesstimme Beerdigungsgeläut zu mischen, „schau, dass du das Ding loswirst.“ – „Aber es ist erst 15 Jahre alt, man wirft doch keine Kinder weg, nur weil sie ein bisschen Ärger machen!“ hab ich gerufen und wild Tränenrotz im Gesicht verschmiert. „Wenn sie 300 000 Kilometer auf dem Buckel haben, schon.“ Denn, so sprach man weiter in der Trauerrede zum Thema Wirtschaftlichkeit, Antriebsmanschette, Achsbruch und Lenkaufhängung: Verschleiß. Wenn ich da einmal kurz aus Versehen das Detoxen vergessen hätt, ich hätt’s mir nicht übelnehmen können. „Sozialverträgliches Frühableben“ war übrigens das Unwort 1998. Damit kann ich mich identifizieren. Immerhin. 

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