Altern ist eine für mich äußerst undurchsichtige Angelegenheit aus Zahlen, Gefühlen und Eierlikör. Vor einigen Wochen durfte ich ein lehrreiches Gespräch mit einem Herren führen, der als japanischer Kulturbotschafter seit vielen Jahren in Deutschland lebt und wirkt und sich in dieser Position nicht nur um Völkerverständigung bemüht (erfolgreich) als auch unversehens mir die vom Zen Buddhismus geprägte japanische Mentalität nahezubringen versuchte (geduldig). Hierbei lernte ich: Der Mensch kommt als fehlerhaftes Wesen voller Leid zur Welt, was unschwer zu erkennen sei am zornigen Geschrei, mit dem Neugeborene uns begrüßen und fortan durch das Leben schreitet im Bestreben, nicht nur die eigene Vergänglichkeit und Makelhaftigkeit zu akzeptieren, sondern auch die der anderen. Was sich sich beispielhaft manifestiere in einer japanischen Entschuldigungsformel, welche frei übersetzt „Ich habe keine Ausrede“ bedeute, also: Ich hab dich zwar angerempelt, bin aber doch auch nur ein Mensch wie du und mache Fehler – bitte vergib mir. Und damit denkbar weit weg ist vom deutschen „Entschuldigung“, das sich anschaulich im typischen Armehochreißens auf deutschen Sportplätzen materialisiert, mit dem Fußballspieler anzeigen, dass sie zwar gerade möglicherweise versehentlich eine Blutgrätsche verübt haben, für den darauffolgenden Gegnersturz jedoch unmöglich verantwortlich sein können, im vogelzeigenden und scheibenwischenden Vorbeilichthupen auf der linken oder alternativ auch Standspur deutscher Autobahnen, das anzeigt „Ich fahre zwar möglicherweise 68 km/h zu schnell und damit 53 schneller als du und hab dich grad geschnitten, aber du müsstest ja auch nur schneller fahren.“ oder die zauberhafte Geste in Supermarktschlangen, bei denen dir die Hinterperson mehrfach liebevoll mit dem Einkaufswagen über die Fersen streichelt und damit nichts anderes sagen will als „Ich hab’s wirklich irre eilig, es tut mir wirklich leid.“ und dem ganzen mit einem weiteren Hieb in die Hacken zärtlich Ausdruck verleiht. Anstatt anstandshalber eine dreifache Pirouette zu drehen und sich somit erdwurmgleich vor dem Angerempelten in den Staub zu werfen, um mit dunkelrotem Schamgesicht um Verzeihung zu flehen, ist das höchste der Gefühle auf hierzuländigem Anstandsparkett ein hingeschnoddertes „Tschullo“, dem meist eine eilige Flucht folgt ... Es sei der Mensch also sein Leben lang danach bestrebt, seine eigene Fehlerhaftigkeit zu korrigieren und die Vergänglichkeit in Balance zu bringen, in Einsicht, Würde und Demut zu altern, auf dass er nach dem Tode das Nirvana und hierin die Erlösung finde. Das mit der Einsicht und Demut hab ich verstanden. Über die Würde – muss ich nachdenken. Am besten mit einem Gläschen Eierlikör.
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