Es gibt zahlreiche wunderbare Elternsprüche, die über Generationen hinweg weitervererbt werden und ihre Aktualität niemals absolut verlieren, sondern sich lediglich die Bedeutsamkeit gemäß des Hermeneutischen Zirkels über den individuellen Verlauf des Lebens hinweg ändert: Der Spruch bleibt der selbe, nur ich versteh ihn je nach zurückgelegtem Lebensweg und dabei angeeigneten Erfahrungen anders. Zu diesen Sprüchen gehört „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, womit Elternpersonen seit mutmaßlich Jahrhunderten ihren Unmut über die Klamottenwahl des Nachwuchses zum Ausdruck bringen und finden, dass extravagantes Beinkleid und Frisur höchstens Mittel karnevalistischen und darob saisonal beschränkten Gebarens sein sollte statt Alltagskleidung. Je nach Alter frustriert einen dieser Satz, um später zu erbosen („Jetzt erst recht!“), woraufhin eine lange Phase folgt, in der man den Ausspruch gänzlich vergisst bis zu exakt dem Tag, an dem man Menschen in badewannenförmigen Gummistiefeln mit Plateau-Absatz und Strasssteinchen nebst Hochwasser-Schlaghose, Puffärmelchen aus Pannesamt und „Wir hatten ja nüscht“-Topffrisur erst auf der Straße und später als Schwarm im einschlägigen Café entdeckt. Dann hört man jemanden verächtlich brummeln „Manchmal scheint es, als wär' das ganze Jahr lang Fasching“, um kurz darauf zu erkennen, dass dieser jemand man selbst war, um sich fortan in Schmerzen zu winden und nicht zu wissen, ob diese Schmerzen herrühren von einem schier unerträglichen Maß an Fremdscham, dem gnadenlosen Bewusstsein der eigenen Unmode oder schlicht dem Umstand geschuldet sind, ganz offenbar um 25 Jahre gealtert zu sein und unversehens im genau richtigen Lebensabschnitt gelandet zu sein, um den vormals so verhassten Elternspruch höchstselbst voll Inbrunst vergleichsweise laut auszusprechen. Nach diesem literaturwissenschaftlich-philosophischen Exkurs kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema der Woche, nämlich „Flanking“. „Nicht schon wieder, das ist doch wirklich seit Jahren durchgeömmelt“? Ist es nicht, denn just vergangene Woche habe ich, dem Puls der Zeit stets zuverlässig um einen Herzschlag hinterherjuckelnd, erfahren, was der wahre Grund fürs Eisbein ist. Ich (bis zur Nase verhüllte Daunenraupe, dicker Schal, lange Unterhose, Jeans und gefütterte Stiefel leider ohne Heizsohlen) traf die Freundin, die zum leichten Wollmäntelchen modische Sneaker und eine Hose trug, die den Gesetzen der Physik trotzte und für die man vor 30 Jahren oder so wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eingesperrt worden wäre: durch Nähte zusammengehaltene Löcher, mehr Netz als Jeans. Ich: „Sag mal, bist du irr?“ Sie: „Na wieso, das ist gut fürs Immunsystem.“ Da saß ich baff im Eiswind und grüble seitdem. Ein Ergebnis steht bislang noch aus. Entschuldigung!
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