Freitag, 26. September 2014

Kassettensport

Diesen Beitrag darf nur lesen, wer folgende Aufgabe innerhalb einer Sekunde und ohne Joker lösen kann: Nimm eine Kassette und einen Bleistift. Verbinde beide Teile sinnvoll miteinander! Kannst du nicht? Tja, Pech gehabt. Oder auch nicht, sondern: Lies und lerne! Jeder Angehörige der frühen 80er Generation zögert nämlich nicht, den Stift in eins der Kassettenlöcher einzuführen und Schraubbewegungen auszuführen. In Erinnerungen schwelgend. Was waren das für Zeiten! Die des Tonbandsalates nämlich. Wenig erfreulich, zugegeben. Wie eigentlich alles andere auch, aber rückblickend betrachtet verklärt der Mensch ja gern (vgl. Geburt, die). Während ihr heut euer Smartphone nur noch in Richtung der Musikquelle haltet und euch den Titel shazamt, sah das bei uns so aus: Freitag für Freitag daheim vor dem Radio kauern, die „Schlager der Woche“ hören und im richtigen Moment auf „REC“ drücken. 

Ergebnis: lustige Mixtapes, bei denen Lieder prinzipiell mit der Anmoderation begannen und mit einem Werbejingle jäh endeten. Dann musste man in mühsamer Millimeterspularbeit Schadensbegrenzung leisten. Aber schnell, denn der nächste Schatz kommt bestimmt! Hatte man dessen Titel und Interpret nicht parat, so gab’s nicht etwa ein Google, in das man Textfetzen hineintippen und das Ergebnis soundclouden konnte, sondern man war gezwungen, so lange peinlich in der Öffentlichkeit vor Freunden und Bekannten zu singen und summen, bis die Lösung erarbeitet war, auf deren Ankündigung man wiederum vor dem Radio lauern konnte. Ich erinnere mich dunkel an etwas wie eine Osterspezialwunschsendung auf Gong: Vier Tage am Stück die Wünsche der Hörer. Dazugehörig gab es eine Playlist in Form eines kommunalwahlgroßen Papiers, dem die Reihenfolge zu entnehmen war. Es erfolgten vier Tage Stress und Arbeit, am Ende dann kilometerweise Glück auf Magnetband. 

Das konnte man sich dann selig anhören, immer und immer wieder, endlos beinahe, wäre da nicht dieses ärgerliche Klicken gewesen, mit dem das Abspielgerät nach (bestenfalls) 45 Minuten das Ende von Seite A mitteilte, was erforderlich machte, aufzustehen und auf Seite B zu wenden. Gesegnet war, wer eins der ersten Geräte besaß, die automatisch umdrehten! Weil gar so viel Mühsal drinsteckt, nenne ich noch kistenweise dieser Wunder mein Eigen, ein Œuvre aus bemalten und beklebten Kassettenschachteln, aus Widmungen und Erinnerungen, und dauernd nehme ich mir vor, die alten Dinger zu digitalisieren. Das sähe dann vermutlich so aus: Kassette an, Shazam hin, Youtube download, fertig. In Anbetracht der schieren Flut an Titeln eine Reminiszenz an alte Zeiten. Aber irgendwie auch … unwürdig. Ich glaub, ich lass es lieber. Und schau euch beim Sahazamen zu. Aber eigentlich fänd ich’s schöner, euch alle singen zu hören. 

Freitag, 19. September 2014

Sommernach(ts)herzschmerz

Es gibt so verschiedene Sachen, mit denen Eltern einen ein Leben lang aufziehen. Besonders hoch im Rennen stehen Pubertätsszenarien jedweder Art – vermutlich eine Art Traumabewältigung, die die Erzeuger dadurch leisten. Es sei ihnen gewissermaßen gegönnt, schließlich erkennt man mit zunehmender Altersweisheit, dass in der Tat hier und da ein Matrixfehler vorgelegen haben mag. Und wenn man ganz ehrlich zu sich ist, muss man eingestehen, dass man vermutlich an Elternstelle nichts anderes machen würde, als sich in jahrelangen, epischen Lästereien und Lachkrämpfen zu ergehen. Eine dieser Geschichten beginnt mit dem Satz „Das war doch der Sommerurlaub, bei dem du die komplette Heimreise über Rotz und Wasser geheult hast …“ Nun, dieser Versuch einer historischen Einordnung ist so gehässig wie vergebens, denn: Ich habe sehr, sehr viele Urlaubsheimreisen Rotz und Wasser heulend verbracht. Jedes Mal das gleiche Szenario.

Völlig wurscht, ob sich ein Strand in Italien, Frankreich oder Kroatien befindet, ob Wasser und Nächte kalt oder warm sind, ob es nur Saft zu trinken gibt oder schon Sangria – mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit habe ich höchstens einen Tag ab Ankunft gebraucht, um die Liebe meines Lebens in Form eines pickligen Knaben zielsicher aufzuspüren wie ein Schweinderl einen Trüffel. Infolgedessen ist man im siebten Himmel statt an der Adria, durchleidet Ausflüge jedweder Art als Todesstrafe nicht allein, weil sie mit der Familie zu bestreiten sind, sondern weil das eine mehrstündige Trennung vom Zukünftigen (Iren, Franzosen, Deutschen, etc. pp.) bedeutet, und dann, irgendwann, wenn das Aufgebot gedanklich bestellt, die Hochzeitsreise geplant und die Kinder getauft sind, werden für alle Beteiligten vollkommen überraschend die Zelte abgebrochen.

Es erfolgen Suiziddrohungen, Sich-selbst-zur-Adoption-freigeben-Ankündigungen, dann hollywoodeske Abschiedsszenen und die unweigerliche Abreise. Die verbrachte mein gequältes Ich wie folgt: Walkman (das ist das mit den Kassetten, liebe Kinder, doch dazu ein andermal mehr) rein, Kuschelrock 1 bis 7 in Dauerschleife, und dann – ist es denn die Möglichkeit? – singen diese klugen Menschen nicht alles genau das, was man selber grade empfindet. Gebrochene Herzen, unstillbare Sehnsucht, einsam bis ans Lebensende, so Zeug. Das eignet sich wiederum hervorragend dafür, Textfragmente in verschiedenfarbiger Tinte zu einem großen Gesamtkunstwerksliebesbrief zu formen und solcherart die gesamte Fahrt zu bestreiten. Daheim angekommen litt man noch so ein, zwei Stunden Tantalusqualen, nur mit Herz statt Leber, woraufhin eine spontane Wunderheilung erfolgte und alles vergessen war. Bis zum nächsten Skilager.

Freitag, 12. September 2014

Joggerterror

Im September ist es traditionell üblich, bei jedem noch so kleinen Sonnenstrahl den „letzten schönen Tag des Jahres“ auszurufen, auf dass der Mensch sein Bündel schnüre und in den nächstgelegenen Park wallfahre. Dort angekommen wird ihm der letzte schöne Tag jedoch alsgleich vergällt von einer Spezies, die sich bereits seit dem ersten schönen Tag des Jahres anschickt, ihren Mitmenschen das Dolce Vita zu versauen. Dem Jogger. Der Jogger ist von Natur aus eine Nervensäge. Das gilt freilich auch für Anhänger des Arschgeweihs der Funsportarten, gemeinhin als Inlineskater bekannt, doch sind die bei weitem nicht so zahlreich vertreten wie der Jogger als solcher. Egal zu welcher Tageszeit man sich in einem Park, an einem Strand oder einem Biergarten niederlässt, um sich von Existenzstrapazen zu erholen, von der Muse oder sonstwem küssen zu lassen – man kann sich sicher sein, es dauert keine fünf Sekunden, und diese Ausgeburt der plakativen Fitness kommt herangazellt.

Manchmal auch herangenilpferdet, was aber unterm Strich egal ist. Ausgerüstet mit dem neuesten Highendschuhwerk, bepackt mit zig energydrinkbefüllten Leichtplastikfläschchen, um den Arm ein Pulsgerät, und die ganz Tollen telefonieren dann auch noch im Lauf, während sie niederträchtig und verächtlich auf den Kontemplierenden hinabblicken: „Ih, du Freizeitversager, sitzt da und vertodsündigst dich! Schau mich an, vital, fit, und nachher mach ich mir einen Sprossensalat ohne Dressing! Ätsch!“ Ich empfinde das als unerhört, als Belästigung sondersgleichen. Wozu gibt es Turnhallen, wozu gibt es Kellerräume, in denen man der Leibesertüchtigung nachgehen kann, ungestört von der Umwelt und vor allem die Umwelt ungestört vom Jogger?

So irre sexy schaut ihr nämlich auch gar nicht alle aus, mit eurer vitalen Gesichtsfarbe, und dann ist man auch noch beständig umgeben von dieser höchst vitalen Duftnote, die, so bin ich überzeugt, der einzige Grund für das exzessive Fliegenaufkommen beispielsweise am Wöhrder See ist. Ich möchte das nicht. Ich möchte im Biergarten und Park sein, ohne dass permanent das fleischgewordene schlechte Gewissen um mich herum japst, das mich vorwurfsvoll anschaut, weil es gar nicht weiß, dass ich natürlich längst bei der Morgengymnastik im Turnkeller war oder das zumindest fest vorhatte, und weil es auch nicht weiß, dass ich hier grade nur bin und vermeintlich entspannt in den Himmel gucke, weil ich eigentlich arbeite und krampfhaft darüber nachdenke, ob ich nicht was anderes schreiben kann außer über Jogger. Aber sagen wir mal so: Das habt ihr jetzt davon. Ihr habt euch mir nachgerade aufgedrängt.

Freitag, 5. September 2014

Veitstanz

Neulich berichtete eine Mutter von den Erlebnissen des vergangenen Wochenendes. Im Zuge des Referats fiel der Satz „… versuch du mal, einen Spreißel aus dem Fuß eines Vierjährigen zu entfernen, ohne dass die Polizei anrückt wegen des Geschreis!“ Sofort war ich von tiefem Verständnis und Mitgefühl ergriffen – für das Kind. Es ist nämlich so: Meine Schmerztoleranz verhält sich indirekt proportional zur Schmerzangst. Schon immer. Ich habe diverse, höchst eindrückliche Nahtoderfahrungen aus der Kindheit vor Augen, die entstanden, als die Erzieher beispielsweise versuchten, eben jenen vermaledeiten Spreißel aus irgendeiner Extremität zu entfernen. Wohlgemerkt lang bevor sie auch nur in dessen Nähe kommen konnten, habe ich mich in größter Panik vor dem dräuenden Schmerz auf dem Boden gewälzt und gebrüllt, als gäb’s kein Morgen. Und so rückblickend wundere ich mich, dass da nie jemand die Polizei gerufen zu haben scheint. 

Jetzt bringt die Zivilisation bedauerlicherweise mit sich, dass es gesellschaftlich nur so mittelakzeptiert ist, wenn man sich ab einem bestimmten Alter aus Angst vor einem vermeintlich lebensgefährdenden Schmerz in einem veritablen Veitstanz gebärdet. Deswegen habe ich im Laufe der Zeit eine Übersprungshandlung etabliert: Ich werde lustig. Sehr lustig. Das führt erstens zu halbwegs akzeptabler Stresskanalisation und zweitens, und das ist nicht unwichtig, zu dem Irrglauben, dass je unterhaltsamer man ist, desto länger kann man das drohende Leid hinauszögern. Natürlich ist es Unfug, zu glauben, ich könnte mich Possen reißend mit dem Rücken die Wand entlang unauffällig aus der Gefahrenzone stehlen, während die potentiellen Übeltäter sich vor Lachen auf dem Boden krümmen. Aber was ist schon Vernunft? Meine komödiantischen Höhepunkte erleide ich zuverlässig regelmäßig beim Besuch des Zahnarztes (der an dieser Stelle herzlich gegrüßt und für seine unermessliche Geduld gelobt sei!). 

Mensch, was haben wir da immer für einen Spaß, der zunimmt, umso näher das erste „Und jetzt machen wir mal ganz weit auf!“ rückt. Zu meinem großen Bedauern hält sich die Publikumszahl in überschaubaren Grenzen (zwei Teilnehmer), ich werde auch nicht bezahlt für meine humoristischen Glanzleistungen, sondern muss im Gegenteil selber zahlen, und zu allem Überfluss danken’s mir die Menschen mit dem Mundschutz nicht durch Applaus und Rosenwerfen, sondern mit dem stets irgendwann ertönenden Mundöffnungsbefehl. Gut, man könnte durchaus anführen, dass der nur erfolgt, damit ich endlich, endlich aufhöre zu quasseln. Aber das halte ich für unwahrscheinlich. Wenn ich mal den Wahn erleiden sollte, ein Bühnenprogramm auszuarbeiten, dann muss da der Zahnarzt mit. Ich ruf ihn gleich mal an und befrage ihn nach einem Berufswechsel. Findet der bestimmt klasse.