Freitag, 31. Oktober 2014

Schranklawinen

„Die meisten Unfälle passieren in Haushalt und Freizeit!“ Welch ersprießliche Schlagzeile. Ich suche weiter: 2012 gab es im deutschen „Hausbereich“ 2,80 Millionen Unfallverletzte, davon beachtliche 8158 mit letalem Ausgang, weiß die zuständige Bundesanstalt, und eine Forsa-Umfrage entsetzt sich darüber, dass „jeder Dritte die Unfallgefahr im Haushalt unterschätzt“. Bin amüsiert. Unterschätze da gar nichts. Wäre soeben beinahe Opfer eines tödlichen Anschlags geworden, der von einer herabstürzenden, prallgefüllten Alufolienschachtel verübt wurde. Die lebt ganz oben auf einem Küchenschrank, und weil’s ihr da zu fad ist, sucht sie sich von Zeit zu Zeit einen Ausgleichssport und hat ihr Wohl im Basejump gefunden. Runterstürzen, Mensch erschlagen, fertig, juhu. Nein, nicht so ganz fertig, weil unten angekommen hält es die Alufolie gelegentlich und eben vorzugsweise dann, wenn sie sehr neu geöffnet ist, für dringend erforderlich, sich großflächig zu entrollen. 

In meiner Küche, deren Innenmaß so manchen Großgrundbesitzer erblassen ließe, jedoch nicht vor Neid, eine respektable Leistung, es zu schaffen, mehrere Meter Silberglanzpapier abzurollen. Hätte ich mich darüber früher gefreut und Elternschelte nicht verstanden. Heute bin ich eher missmutig gesinnt und finde es irgendwie nur so mittelerbaulich, jetzt keine hübschglatte Alufolienrolle sondern ein Alufolienknäuel in die Schachtel und die dann oben auf den Küchenschrank gestopft haben zu müssen. Was mich aber nicht davon abgehalten hat, wieder nicht einen Stuhl zur Hilfe zu nehmen, um das Unding zu verräumen, sondern mich zu recken und zu strecken und mit einem gezielten Basketballsprung die Schachtel nach oben einzulochen. Darin liegt nämlich des Pudels Kern: Weil ich sehr klein bin und ein bisschen faul (oder war’s umgekehrt?) schwebt über mir und meinem Haushalt stets ein Damoklesschwert in Form herabfallender Gegenstände. 

Anstatt mich auf den Stuhl zu stellen und Sachen von aufdemschrank zu holen, tu ich halt so lang umeinander, bis ich einen Zipfel von irgendwas erwische und mich dann überraschen lasse, was wohl herablawint. Ähnlich verhält es sich mit Dingen, die aus der Mikrowelle geholt werden wollen. Weil die steht nämlich oben auf dem mannshohen Kühlschrank, und weil es viel zu große Umstände bereitet, jedesmal den 20 Zentimeter entfernten Stuhl zu Hilfe zu ziehen, zupf ich lieber an dem Teller und versuche, den höchstmöglichen Neigungswinkel zu berechnen, bevor sich mir der Inhalt ins Gesicht ergießt. Funktioniert besonders gut bei: Suppen. Andere machen Extremsport, ich wärme Suppe auf. Im Sektor „Freizeit“ werden in besagter Statistik übrigens 3,11 Mio. Unfälle angegeben, davon 8237 tödliche. Wenn man’s so sieht, leb ich doch vielleicht ganz gut mit der Gefahr. Mazel tov!

Freitag, 24. Oktober 2014

Fußpils

Der lustige Duden kürt derzeit das alljährliche Wort der Jugend. Mal davon abgesehen, dass das allein schon ein Widerspruch in sich ist (Duden / Jugend), und fürderhin abgesehen davon, dass das Jugendwort 2014 mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit (aktuell im Voting führend mit über 50%) „fappieren“ werden könnte (was einer lustigen Spaßtruppe US-amerikanischer Hacker zu verdanken ist und dessen Bedeutung ich hier nicht aufschreiben darf, weil sonst der Medienjugendschutz bei mir klingelt ...); davon abgesehen jedenfalls finden sich unter den 30 Vorschlägen, auf Basis wessen Einreichung auch immer das geschieht, Ersprießlichkeiten wie (kenn ich schon, mag ich trotzdem) „tebartzen“ (sich etwas Teures leisten), „lass Haare wehen“ (beeil dich!), „Assistempel“ (Tätowierung, mutmaßlich logische Fortsetzung zum „Assitoaster“), und mein Highlight „Immatrikulationshintergrund“ (Person, die nicht richtig anpacken kann und ungeschickt ist und daher studiert hat). 

Der Rest liest sich ungefähr so, als hätten realitätsferne Akademiker in einem linguistischen Alchemielabor verzweifelt versucht, Buchstabendreck in hippes Wortgold zu transmutieren. Eins jedoch hat mich stutzen lassen: Fußpils, nämlich. Aus der Anwesenheit dieses wunderschönen Wortes, das nichts andres bedeutet als das herkömmliche „Wegbier“ (für die ganz Betagten unter euch: Das ist dasjenige Getränk, das der Ausgänger sich schnell für den Weg von daheim zur Party einsteckt, um den Aufbau des Blutalkoholspiegels keiner lästigen Unterbrechung auszusetzen), stellen sich mir Fragen und praktischerweise die dazugehörigen Antworten gleich mit.

Entweder, es verhält sich tatsächlich so, dass die Duden-Jugendwörter von postmodernen Mittdreißigern konstruiert und als Erfindung der Heranwachsenden präsentiert werden. Oder aber die Jugend ist überhaupt gar nicht ach-so-sprachkreativ wie ihr immer nachgesagt wird. Ich jedenfalls spreche seit Jahr und Tag von Fußpilsen. Und ich berufe mich ja für gewöhnlich nicht gern darauf, aber in diesem Fall: Ich bin garantiert nicht jugendlich! Also wenn das so ist, liebe Jugend, dann erfindet doch bitte gefälligst ein eigenes Wort fürs Wegbier, und lasst uns alten Menschen unseren hippen Slang. Sonst könnt ihr nämlich auch gleich wieder anfangen, „mega“ und „ultra“ zu sagen. Da könnt ihr mich jetzt ruhig einen „Beta“ schimpfen oder „Senfautomat“ und „Therapier mich nicht!“ rufen und „Hängs!“, aber in dem Fall bin ich gerne „emoxif“. Und dann verrat ich euch eine taufrische Schöpfung aus den Untiefen der Südstadt, „Ihr Asylopfer!“, schnapp mir mein Fußpils und ziehe von dannen.

Freitag, 17. Oktober 2014

Senile Bettflucht

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Den frühen Vogel wurmt der Fang. Den frühen Vogel fängt der Wurm. Der frühe Fang wurmt den Vogel. Der frühe Fang vögelt den Wurm. Senile Bettflucht stinkt. „Es ist 6 Uhr 25“, sprach soeben das Radio. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits mein halbes Tagwerk verbracht und fühle mit den Rentnern. Wäre ich ein solcher, betrachtete ich es jetzt als angemessene Uhrzeit, Schnee zu schippen, so der denn läge. Die Geschäfte öffnen frühestens in drei Stunden, was mich auf eine großartige Idee bringt: bis dahin die restliche Pflicht absolvieren und mich dann geschwind in einschlägige Supermärkte begeben. Dort durch alle Reihen laufen, sehr viele Dinge in einen Wagen tun. Diese dann sehr langsam und sehr einzeln aufs Band an der Kasse legen. 

Dann den Sack mit dem dem Bauch des Sparschweins entwendeten Kleingeld bis maximal 50 Cent zücken. Münzen einzeln bis zum Betrag von 47,98 Euro abzählen. Mich hierbei mehrmals verrechnen. Nicht bemerken, dass hinter mir eine immer länger werdende Schlange „normal“ Berufstätiger eine immer größer werdende Ungeduld entwickelt. Mich umdrehen und laut über kein Verständnis für die Jugend heutzutage schimpfen (ungeachtet des Alters der Anstehenden), sobald eins der marodierenden Meute mir den Wagen in die Hacken fährt. Mit dem Einkaufsnetz dem Unhold schlagen. 

Von dannen ziehen, mich irgendwie beschäftigen. Abends kurz vor Ladenschluss bemerken, dass ich doch noch was vergessen habe. Großen Gefallen daran finden, die absolute Rush-Hour der gestressten „Schnell noch eine TK-Pizza“-Käufer abzuwarten. Gleiches Theater aufführen wie am Morgen. Hierbei Schlagzeile „Renitente Journalistin von aufgebrachtem Mob mit Zwiebelnetz erdrosselt“ formulieren. Verwerfe Idee und arbeite weiter. 

Freitag, 10. Oktober 2014

Steinleid

Immer dieses Genöle. Schreib doch mal was mit Kindern! Schreib doch mal was mit Tieren! Mit Pflanzen! Nö, sag ich. Die sind mir alle zu nervös, zu laut, und verlangen am Ende noch nach Lob. Ich schreib lieber mal was über: Pflastersteine, über die wird nämlich überhaupt viel zu wenig geschrieben, dabei sind’s doch akkurat hier so viele. Liegen da so rum, ein jeder latscht über sie hinweg, keiner hat sie lieb, die Pflastersteine, eher wird über sie geflucht, weil eins gestolpert und darniedergesegelt ist. Liegen sie da also rum. Große, kleine, dicke, dünne, alte und junge – sind ja auch nur Menschen, diese Pflastersteine. Kleine Pflastermänner. Pflänner. Liegen da so rum und denken sich „Och“, denken sie sich, „schon nett hier, aber halt auch irgendwie ein bisserl fad.“ Und „Jetzt kommt schon wieder so ein Stöckelschuh!“ und „Wieso müssen kleine Kinder eigentlich immer mit dem Gesicht auf mir landen?“ und „Zefix schon wieder ein Eis!“ Und dann hören sie so um sich herum und auf einmal hört der Pflann ein Stimmchen, das ruft und jammert und maunzt, und dann ist da plötzlich eine Pflau. 

Da freut er sich, der Pflann, juhu, ein Weiblein für mich, nur – wie soll er denn da jetzt hin, zu seiner Liebsten? Festgepfropft muss er liegen, eingekeilt zwischen seinesgleichen, „JACK! JACK!“ ruft die Pflau, „ROSE! HIER BIN ICH!“ ruft er zurück, und jetzt muss man sich vorstellen, das manchen ja jetzt ganz viele Pflauen und Pflänner, ein Meer von rufenden, sich reckenden und streckenden und sehnenden  Steinderln, die alle nicht zueinander dürfen. Und vielleicht hat’s auch Pflinder dabei, man weiß es nicht, sind getrennt worden im garstigen Steinbruch von der Pflama und dem Pflapa, und liegen fürderhin und immerdar auf dem Lorenzerplatz und dem Hauptmarkt, dabei würden sie viel lieber weiter zusammen sein dürfen und kuscheln und Maumau spielen. 

Und die Pfloma und der Pflopa liegen dann auch noch umeinander, da, ganz da hinten, und jetzt auf einmal weinen die alle miteinand‘. Nicht so schön, das. Aber was macht man jetzt mit diesem Elend aus Kopf, Granit und Schiefer? Ausgraben und zusammenmemoryien vielleicht lieber eher nicht, weil erstens dauert das wohl länger und zweitens schaut das dann ja erstmal nicht mehr aus und drittens galoppiert dann flugs die Straßenwacht in die Familienzusammenführungsarena. Wenn das Leiden nicht physisch zu beheben ist, so dann wohl psychisch, und da müssen wir also jetzt alle zusammenhelfen. Bleibt halt hier und da mal stehen und beugt euch hinab zum Pflasterstein. Sagt hallo und seid nett und lächelt. Das wird schön, und da freuen sich nicht nur die Pflastersteine, echtwahrversprochen. 

Freitag, 3. Oktober 2014

Duftteufel

Ich hab ein Souvenir bekommen. Souvenirs, also eine Erinnerung an einen Urlaub, gemeinhin „Mitbringsel“ genannt, erfüllen normalerweise den Zweck, Zurückgebliebene über ihre Nichtreise hinwegzutrösten („Bring mir bitte wenigstens was mit!“), oder … Ja, das war’s dann auch schon. Man hat dann gerne mal lumpige Shirts, Miniatursehenswürdigkeiten oder erdiges Muschelwerk, von dem ungefähr niemand irgendeinen Nutzen hat außer derjenige, der dem Reisenden das Andenken für teures Geld aufgeschwatzt hat. In einzelnen Fällen auch derjenige, der sich dadurch lästigen Devisentausch am Flughafen erspart. Man könnte „Souvenir“ an und für sich auch mit „Rausgeschmissenesgeld“ übersetzen. Das Mitbringsel, von dem die Mär heute handelt, geht aber in andere, mephistophelische Richtung. Nämlich macht es, dass ich ständig Hunger habe. 

„Indulge in baked pumpkin whipped with vanilla frosting and a hint of honey“ steht auf dem Ding, und auch des Englischen weniger mächtigen Bürgern dürfte da vielleicht ersichtig sein, dass eine relative Häufigkeit von Süßkram vorliegt. Und tatsächlich: Blicke ich das Mitbringsel an, so sehe ich Cupcakes, die von zuckriger Sahne umwölkt sind wie ich vom ebensolchen Duft, sobald ich das Geschenklein betätige. Dann kommt aus ihm ein weißer Schaum, den man sich am liebsten direkt so in den Schlund füllen möchte, gleichsam einer Sprühsahne, bei der man auch schon vorher weiß, dass einem hundselend wird, sobald man der Versuchung nachgibt, aber sie ist einfach zu groß, und zack hinein mit der Chemie, und dann eine Stunde Übelkeit für zwei Sekunden Glück. Insofern ist das Mitbringsel eigentlich das allergleiche. Teufel, sag ich doch! Nur: Es handelt sich hierbei um Handseife. Ich wasche mir also neuerdings die Hände mit sanftschäumenden Vanille-Honig-Sahne-Kürbis-Kuchen.

Erfunden hat’s, wie soll es anders sein, der Ami. Und wie das halt so ist mit den Düften, verhält es sich auch im vorliegenden Fall so, dass derjenige Geruch, der lieber nicht so lange vorhalten soll, am hartnäckigsten ist, während das, was man am liebsten den ganzen Tag um sich hätte, am raschesten verfliegt. Jetzt wird ja in einschlägigen Frauenzeitschriften gern mal behauptet, ein schier unstillbares Verlangen nach Schokolade sei allein dadurch zu bezwingen, dass man einen beherzten Atemzug tief ins Nutella-Glas hinein macht. Ich hab keine Ahnung, ob das stimmt. Im Seifen-Fall stimmt’s jedenfalls nicht, denn das einzige, was passiert, ist, dass ich permanent halluziniere, ich hätte grade vorhin eben irgendwas deliziöses gebacken, dessen Geruch mir noch an den Fingern haftet, und ich bräuchte nur nach Hause zu fahren und mich daran zu laben. Und dann ist da aber gar nichts, zu Hause. Die Conclusio muss also lauten: nächstes Mal dann doch lieber wieder die Miniaturfreiheitsstatue. BITTE!