Freitag, 26. Juni 2015

Seniorenwiese

Habe die vergangenen Stunden mit dem intensiven Studium der Religionen der Welt verbracht. Nicht, um Ernährungsgewohnheiten zu erforschen oder die Bestrafung von Versündigung bzw. Entlohnung heiliger Gebotskonformität, nein. Sondern um die mit den Glaubensrichtungen einhergehenden Bekleidungsmöglichkeiten zu sondieren, um im Anschluss die entsprechende Entscheidung fällen zu können, wohin zu konvertieren ich habe, um für den Rest meines Lebens in sakrosankter Legitimität möglichst ganzkörperverschleiert umherwandern zu können. Die zu dieser Überlegung führende Gedankenkette sah in etwa so aus: Wettervorhersage – Sommer – Freibad – Bikini – Shopping – Coaching oder Konvertieren. Letzteres ist glaube ich mit weniger Kosten verbunden. 

Also. Ich weiß wirklich überhaupt nicht, wie irgendein (weiblicher) Mensch ernsthaft in ein Geschäft gehen kann und sich in einer 17 Quadratzentimeter großen und mit weißem OP-Licht ausgeleuchteten Umkleide in einen auf einen holländischen Magermodelleib geschnittenen Bikini gewanden, im Spiegel anschauen und „Ja, geil, des mach ich!“ denken. Und nicht „Ich hab Freibäder und so eh immer schon gehasst, wegen Chlor im Speziellen und Wasser im Allgemeinen, und das mit der Sonne ist auch nicht zeitgemäß wegen Krebs und man sollte wirklich viel mehr Zeit im Keller und wie ging das gleich wieder mit dem Punktesystem von dieser Diätsekte?“ Wenn ich mich so im Freundinnenkreis umhöre, kann das aber auch keine. Sondern sind Badeanzüge wieder schwer en vogue, wegen „Pfeif auf nahtlose Bräune, wenn es doch nahtlose Verhüllung geben kann!“, und meinetwegen kann die verklärte Renaissance der 20er Jahre gern auch in der Bademode wieder Einzug halten – ja, auch männerseitig. Hie und da sieht man an einer Badestatt noch diese tonnigen, kleingeblümten portablen Umkleidekabinen, die man natürlich aus Stolzgründen nicht besitzen darf, insgeheim aber rasengrün vor Neid wird. 

Folgende Überlegungen also: katholische Nonne – monochrom, geht einher mit körperlicher Entsagung und Knien auf Holz; Buddhismus – orange korrespondiert nicht mit meinem Teint, Glatze nicht mit der Frisur; Zeugen Jehovas – anachronistische Gewandung, schweigend Wachttürme verkaufen, nö; Judentum – Schäufele- und Steaksemmelproblematik; Islam – siehe Judentum, dazu das mit dem Alkohol, sticht Vorzüge des Burkinis … Das geht jetzt so lang so weiter, bis ich eine Nischenreligion eines indigenen Amazonastamms gefunden habe, bei dem eh immer alle nackert sind, was entweder Emigration oder multiple Anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Folge hätte. Oder einfach die Weiterführung der weisen Entscheidung, im Freibad nicht auf der Teenager- und Anabalika-, sondern Seniorenwiese zu lagern. 

Freitag, 19. Juni 2015

Akalkulie

In Deutschland gab es 2011 laut einer Studie 7,5 Millionen funktionale Analphabeten. Also Menschen, die, arg kurz gesagt, nicht so lesen und schreiben können, wie sie es hierzulande sollten. Wollte ich wissen, wie viel Prozent das sind. Weil wegen Hochrechnens auf Nürnberg. Hab ich gemacht 80:7,5 und kam auf ein stolzes, doch einleuchtendes Ergebnis von circa 11%. Irgendwas in mir drin erhob zwar Einwand ob des Rechenwegs, doch was kümmerte es mich, in mir drin erhebt ja gern mal irgendwas einen Einwand. Wurde dann korrigiert und auf den rech(t)en Weg gebracht. Am Ergebnis ändert sich zwar nicht viel, wohl aber an der Kollateralerkenntnis: Dyskalkulatoren, also Rechenschwache, werden viel zu wenig beachtet!

Dass diese Anklage einen nicht ganz uneigennützigen Hintersinn hat, könnte sich dem aufmerksamen Leser bereits weiter oben erschlossen haben. Weil: Ich kann’s einfach nicht. So sehr nicht, dass einzelne Personen gerne liebevoll von „Akalkulie“ (i.S.v. „völliges Unvermögen“) sprechen. Das ist natürlich völlig übertrieben. Ich finde nur, dass Zahlen – oder wie ich neuerdings weiß: Ziffern – ausgesprochen unsympathische Teile sind. Und je größer und vielschichtiger sie werden, desto weniger mag ich sie. Die Zahlen, also nicht die Ziffern, weil … Ach, lasst mich doch in Ruh! Jedenfalls war das schon immer so. Ich erinnere mich mit einer Träne der Rührung, wie einst ein gewisser Erziehungsgenötigter Stunden, Wochen und Jahre damit verbracht hat, mir die Grundzüge der Mathematik einzutrichtern. Je abstrakter, desto schlimmer, und das mit dem Bruchrechnen hab ich erst ansatzweise begriffen, als dazu übergegangen wurde, hübsche Gemälde von Torten anzufertigen.

Das hat der Erziehungsgenötigte bis heute beibehalten: Versucht er mir einen simplen mathematischen Sachverhalt (2m² Schreibtisch von 18m² Zimmer sind …?) darzulegen, tut er das erst verbal, um dann nach einem kurzen Blick in mein Mondkalbgesicht wortlos zu Stift und Zettel zu greifen. Gilt es im Freundeskreis eine Abrechnung zu machen, bin ich im „du hast da so viel und ich so viel und sie so viel deswegen musst du ihr so viel und ich dir so viel“ völlig aufgeschmissen und gezwungen, darauf zu vertrauen, von den Liebsten nicht über den Tisch gezogen zu werden – was ihnen wirklich ein leichtes wäre. Je mehr ZifferzahlenlasstmichdochinRuhe in einem Satz vorkommen, desto schneller schaltet mein Gehirn ins Standby und erst wieder ein, wenn das Verhältnis „Buchstaben-Ziffern“ sich zugunsten erstgenannter gewandelt hat. Jetzt könnte man meinen, ich sei ein Crack in puncto „Textaufgaben“, doch das ist 1. weit gefehlt und wird 2. dereinst erläutert, wenn’s hier mal um Betriebsanleitungen und Formulare jedweder Art geht. Mein privater Abakus hat mir übrigens verraten, so rein theorechnerisch wären das für Nürnberg rund 46500 funktionale Analphabeten. Hoffentlich hat der sich da verrechnet …

Freitag, 12. Juni 2015

Ästhetik des Wartens

Neulich hab ich mal ein bisschen gewartet. Weil das Wetter war ja nich so, und das Warten an sich wird gemeinhin völlig unterschätzt, also, dacht ich mir, wartest du mal ein bisschen. Die Erkenntnis dieser kühnen Tat möchte ich direkt vorwegstellen, befinde ich mich damit doch in einer Reihe mit den großen Forschern dieser Zeit. Weil: Der Mensch sollte viel, viel mehr warten. Und zwar dringend ohne sich dabei mit einer dieser neumodischen Erfindungen wie Büchern und dergleichen zu beschäftigen, da verpasst man nämlich alles. Um der Warterei den richtigen Rahmen zu geben, hab ich mir selber die Bedingung verpasst, es müsse sich um solche Örtlichkeiten handeln, die sich eines Schalters und darob oktroyierter Zeitvertändelung erfreuen. Wohin genau ich mich begeben habe, kann ich aus Rufmordgefahrgründen nicht en detail angeben, ebensowenig, ob es sich da um meinen Ruf oder … naja. 

Warten macht zum einen, dass man viele Menschen sieht. Und viele Menschen machen viele lustige Dinge, die sich garantiert nicht im Candy Crush abspielen, und im Quizduell auch nicht. Sitzstehe ich da beispielsweise in so einem Fahrgastunternehmen und gucke und muss laut in mich hineinlachen. Guck ich, wie eine Kindergärtnerin sich als Löwenbändigerin betätigt. Erst verbal. Dann mit Bonbon-Bestechung. Guck ich wieder hin, weil’s plötzlich so still ist. Sitzen alle Welpen schweigend vor einem Bildschirm und glotzen selig Urlaubswerbung. Lernen kann man auch was, nämlich „Beliebtmachen für Profis“ von den Schaltermenschen: „Geschlossen“-Schild auf den Tresen stellen und dann offenkundig gelangweilt mit verschränkten Armen abhängen, während auf der anderen Seite des Gatters die Massen kurz vor der Schlägerei stehen kommt mindestens so gut, wie hinter selbigem Schild lautvergnügt ins Facebook hineinzulachen. 

Ein anderer Ort, an dem sich der gesellschaftliche, wie sag ich’s denn jetzt am besten, also das, was in den Glasflaschen vom naturtrüben Apfelsaft am Ende übrig bleibt, also wo sich das da jedenfalls sammelt, ist ebenfalls ein ersprießlicher Quell an Menscheleien. Abgesehen davon, dass ein Klima herrscht, das den Verdacht nahelegt, das Personal zöge heimlich Tomaten in den Schränken, machen Kinder in Lycra Schlafyoga auf dem Boden und unsichtbare Männer um die Ecke Angst vor TBC, nachdem eine ausschließlich tschechisch sprechende Großfamilie sich für eine Stunde geweigert hatte, das Wort „Dolmetscher“ zu verstehen und ergo eine Schlange Unmut produziert. Highlight: Zwei Prachtexemplare besagten Flaschenbodenbewohners betreten den Raum, um potentiell lange Wartezeiten zu monieren, man hätte ja schließlich sonst nichts zu tun … 

Freitag, 5. Juni 2015

Langeweilestress

„Und wisst ihr, was das schlimmste ist?“ frug einst ein Mensch in eine Runde. „Es hat noch nicht mal richtig angefangen.“ Als Antwort erklang Wolfsgeheul, wenngleich leise, schließlich waren die Angesprochenen in einem nicht minder schweren Zustand völliger Gestrigkeit, ermattet, gezeichnet vom Leben, zumal dem, was man gemeinhin als Freizeit und darob der Entspannung und Rekonvaleszenz förderlich verkennt. Es war Anfang April, und an diesem Sonntagabend baumelte fröhlich-damoklesisch im Frühlingswind der Veranstaltungskalender über der desolaten Gruppe. Man wusste: Die spätwinterliche und jahresanfängliche Schonfrist war vorbei, aber jetzt würden einem die Freizeitangebote wieder um die Ohren tanzen, dompteurgleich mit der Peitsche knallen und einen Stillstand augenbrauenlupfend höchstens dann akzeptieren, wenn der Freizeitler sich auf dem Weg von einem Ding zum anderen auf dem Fahrradlenker schnurrend zu einem Schläfchen zusammenrollt oder es sich ohnmächtig in der nächstbesten Rabatte bequem macht. 

Hartnäckig hält sich das von irgendeinem nichtsnutzigen, vom Smog geblendeten, zu- oder gar nur durchgereisten Molochbewohner in die Welt gesetzte Gerücht, unsre Stadt sei ein Schnarchzapfen, der so derart wenig zu bieten habe, dass nur das Zählen von den Kanal entlangplanschenden Ratten ein gerüttelt Maß an Zerstreuung böte. Aus mir weiterhin schleierhaften Gründen gibt es Menschen, die dieses Gerücht am Leben erhalten, indem sie unreflektiert scheubeklappt nachplappern, was da mal behauptet wurde. Diese Menschen würde ich ganz sehr arg gerne einen Monat, ach was sag ich, ein beliebiges Wochenende zwischen März und Dezember an den fisseligen Kleingeisthaaren durch die Stadt zerren, nachdem ich ihnen die Lider mit Panzertape einmal oben und einmal unten entlang am Schädel fixiert und sie eine Nacht lang fürsorglich vor dem entsprechenden, kommunalwahlzettelgroßen Eventkalender platziert habe und sie anschließend hundertmal in Rot darüber habe schreiben lassen „Es ist nicht alles Volksfest“. 

Witzigerweise stehen diesen Kulturblinden diejenigen gegenüber, die bei allem, was eine möglichst bewegungslose weil lauffreie Erreichbarkeit der eigenen vier Wände, in denen es nun mal am schönsten ist, erschwert, sich als Bürgerwehr formieren und in antiimperialem Chor „Panem et circenses!“ jaulen, aber das sollen die nur machen. Ich für meinen Teil blicke mit einem zu vernachlässigend kleinen Anflug von Furcht um meiner selbst Willen ins kulturelle Jahr hinaus, verspüre einen ebenfalls ignorierbaren Hauch von Panik darüber, wieindreiteufelsnamen ich das alles schaffen soll, was aber buntglucksend von einer strahlenden Vorfreude überlagert wird auf alles, was da jetzt so auf 187km²geboten und zu tun ist, bevor ich mich mit dem Schlag des letzten Inselbierfassöffnens erschöpft auf eine Bahre sinken lassen kann. Zumindest für die paar Wochen, bis dann auf der Kirchenempore dieser blonde Luzifer erscheint.