Freitag, 25. Juli 2014

Psychofahrrad

Mein Fahrrad, diese Mistkröte, hat sich mal wieder was neues einfallen lassen, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Dieses Mal ist die Situation besonders diffizil, denn es täuscht eine psychische Störung vor, und da sind einem quasi die Hände gebunden, man will ja keinem Unrecht tun. Das durchtriebene Ding hat sich eine Form von ADHS zugelegt. Aufmerksamkeitsdefizit, dass ich nicht lache! Ich wüsste nicht, wer derzeit mehr Aufmerksamkeit von mir bekommt als diese alte Klapperschachtel, die andere schon längst dem Wertstoffhof übereignet hätten. Aber das ist ihm egal, dem undankbaren Biest, und so bereitet es ihm diebische Freude, mich auf Trab zu halten, indem es mit permanenten und immer neuen Geräuschen meine Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Mal ist es die Klingel, die entweder ständig oder dann wieder gar nicht tönt, mal die Kette, die lustig rattert oder springt, über Stock und Stein, hüpfhüpf, und dann kracht’s und scheppert’s und mir wird himmelangst und ich höre, wie das Fahrrad sich die Pedale reibt und freut, weil ich lieber stehenbleiben und nach dem Rechten sehen muss statt Gefahr zu laufen, bei vollem Antritt den Burgberg hinauf einen ungeplanten Abstieg zu vollziehen. 
Dann begleitet mich tagelang ein rhythmisches Klappern, und sobald ich dem Schutzblech auf die Schliche und mit Panzertape beigekommen bin, muss ich feststellen, dass es sich damit noch nicht hat, mit der Percussion, weil irgendwo anders noch was rasselt. Aber was, das bleibt mir dann verborgen, man soll’s ja auch nicht zu leicht haben. Versteh ich schon. Der Fahrraddoktor versteckt sich hinterm Tresen, wenn er mich sieht, weil er mich für gaga hält: Der subversive Mistesel versteht sich nämlich bestens darauf, seine ach-so-schweren Leiden geschwind im Griff zu haben, sobald Gefahr vom Profi lauert. Zu besonders großer Freude gereicht mir die Licht-Situation. Gefühlte 37 Mal allein im letzten Jahr repariert, ersinnt das Fahrrad immer neue Methoden, damit Schindluder zu treiben. Aktuell sieht das so aus: Betätigt man den Dynamo, so ist anschließend mein Auftritt nicht so hell (eher gar nicht), dafür schön laut. Gut, ich meine, das hat auch seine Vorteile. 
Wenn man mit der Lautstärke eines Nebelhorns durch die Stadt saust, dann kommt der Passant nicht drumherum, auszuweichen, schon aus Angst vorm apokalyptischen Reiter. Denen kann ich das mit dem ADHS wohl auch erklären. Nur, wie sieht das wohl die Polizei, die lieber mag, dass vorn und hinten ein Lichtlein meinen Weg weist statt der Posaune? „Ja, ich weiß, Herr Wachtmeister, aber das Rad hat grade einen psychotischen Schub, da kann man nichts machen.“ Solcherart um Verständnis werbend gelobe ich feierlich, dieses Wochenende als Zeichen meines Protestes und unbeugsamen Willens jedes Radler, das ich sehe, mit Verachtung zu strafen.

Freitag, 18. Juli 2014

Waldmeister!

Gut. Hätten wir das also auch wieder überstanden. Mein Puls hat sich dank eigenmächtig verdreifachter Dosis der Blutdrucktabletten wieder normalisiert. Nach dem kollektiven Dornröschenschlaf am Montag erklingen tatsächlich hier und da noch vereinzelt Hupkonzerte, bei denen man sich aber weitgehend sicher sein kann, dass es sich entweder um einen zu belärmenden Bund der Ehe handelt oder einen allerletzten Fan, der völlig entkräftet über dem Lenkrad zusammengebrochen ist. Und dank (gähn…) „Gauchogate“ fällt der Übergang vom Ausnahme(Freude!)- in den Normalzustand (Maulen!) bestimmt ganz leicht. Nur, normal – wie ging das gleich wieder? 

Wir erinnern uns: Es ist durchaus gängig, zum Abendessen einen knackigen Salat oder sonstige Mahlzeiten selbst zuzubereiten, anstatt „vor dem Spiel noch schnell eine Bratwurstsemmel“ zu dinieren. Es ist üblich, sich im Gespräch mit Freunden nach deren Befinden zu erkunden, mögliche Treffen in gemütlichem Ambiente anzuberaumen und sich darauf zu freuen, anstatt einzig und allein die Frage „Wo schaustn du heut Abend?“ zu stellen. Es ist völlig akzeptabel, an einem Montagabend gegen 23 Uhr auf der Couch oder gar im Bett zu liegen und irgendwas, völlig egal was, zu machen, anstatt im Friesennerz im Biergarten zu sitzen und sich schlotternd das siebte Bier einzuschenken, weil „sonst hält man das ja alles nicht mehr aus.“ Man gewöhne sich wieder daran, dass diejenigen Männer, die man vornehmlich in der Öffentlichkeit sieht, einen (akzeptabel) durchschnittlichen Körperbau haben und nicht den hochtrainierter Athleten (erst recht nicht den gewisser Algerier) und die (meisten) Frauen Fußball für ein ungebührliches Gesprächsthema halten. 

Wer sich über irgendetwas aufregen möchte, der tue das ab sofort gerne wieder über Politik, das Wetter oder „den Deppen auf der Mittelspur“ statt über den unfähigen Schiri der dritten Begegnung. A propos Wetter: Vielleicht hält’s noch ein bisschen vor, aber über kurz oder lang werden als Themen für den Smalltalk statt der von bekoksten Künstlern designten Kickerschuhe wieder die wichtigen Dinge des Lebens herhalten müssen. Wetter, zum Beispiel. Barkeeper, denen ein sprühendes „Waldmeister!“ ins Gesicht getrötet wird, dürfen getrost ein solchhaltiges Getränk zubereiten, statt sich nur mit undeutlich artikuliertem Jubel konfrontiert zu sehen glauben. Abende müssen ab sofort wieder aktiv gestaltet werden. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass nicht mehr als irgendwie sozial vernarbt gilt, wer einen Abend einfach mal allein daheim zu verbringen beschließt. Vielleicht wird’s ja doch nur halb so wild mit der Post-WM-Depression … 

Freitag, 11. Juli 2014

Hundsgrübbl, verregder!

Im Jahre 2003 n. Chr. kam es in einer mittelalterlichen Innenstadt zu einem folgenschweren Ereignis. Die verschlungenen Wege meines Schicksals und dem eines älteren Bürgers kreuzten sich unvermittelt, und nur durch eine geschickte Kombination flink-graziler Ausfallschritte konnte ich das Schlimmste vermeiden. Meine Erleichterung war grenzenlos, die des Bürgers nicht. Er drehte sich um und sprach die magischen Worte, mit denen sich meine bis dato unbeschwerte Welt plötzlich verdunkelte. Seitdem wanderte ich durch das tiefe Tal der Trübnis, grämte mich, wachte nächtens auf und frug mich ohne Unterlass: „Warum nur hat der Mann mich eine ‚bläide Sunna‘ genannt?“ Unlängst fand die Qual ein jähes Ende. Eine Freundin, sprachlich sozialisiert im fränkischen Umland, klärte mich auf. „Blöde Sonnenblume“, lernte ich staunend, sei eine gängige Beschimpfung der hiesigen Lexik. Seitdem bin ich erleichtert, das Leben hat wieder einen Sinn, ich hüpfe singend durch die Wiesen und trage Käfer über die Straßen. Schimpfwort! Toll! Und viel zu selten bemüht! 

Dabei erstreckt sich doch gerade die fränkische Beschimpfungslandschaft beinahe endlos bis zum Horizont: Doldi, Dulln, Bridschn – wie viel klangvoller kann man einem Menschen denn seine ganze Verachtung ins Gesicht speien? Mit „Du, ich find dich eigentlich nur so mitteldufte, weißte“ eher nicht. Lieber so: Ruuzlöffl! Grampfbeudl! Keeszibfl! Hundsfregger! Laggl! Blousoarsch! Brunzkübl! Rahmsau! Hundsgnochn! Blunsn! Oarschmannskoarla! Dreegschleider! Hiernheiner! Bimerlaswichtig! Dullnramer! Gsichdsgrapfn! Bauernzwedschgn! Diddlergrabscher! Greinmeicherla! Graddler! Blooßoarsch! Simbl! Bridschlerbadscher! oder mein persönlicher Favorit: „Du elendiche Rechimendssau!“ Wer das aus dem Effeff beherrscht, der weiß auch, wo der Barthel den Most holt. 

Jetzt müsste man nur noch wissen, was diese ganzen phonetischen Schönheiten wohl zu bedeuten haben. Meine nachdrückliche Empfehlung lautet: Feldversuch! Gehet hinaus und widmet euch den Exerzitien! Mit ein bisschen Glück findet ihr direkt jemanden, der euch dann schon erklärt, was ihr ihm fröhlich ins Gesicht gebelfert habt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass infolgedessen sehr viele Menschen ins gleiche Elend gestürzt werden wie ich seinerzeit. Das wird prima, und deswegen erweitere ich, freilich südlich der Benrather Linie bleibend, nicht dass mir jetzt einer mit „Dösbaddel“ kommt, die Königsklasse um zwei Beschimpfungen, denen ich mich biographisch sehr verbunden fühle: Zwiderwurzn und Bißgurn! So! Auf auf, und dass mir hinterher keine Klagen kommen von wegen es wär wieder nur der böse Alkohol schuld an der Schlägerei! Nein, ab heut wird sich geprügelt mit fränkischem Stil! Ui, aber sagt mal: Was heißt „HUNDSGRÜBBL, VERREGDER!“ eigentlich auf Argentinisch? 

Freitag, 4. Juli 2014

Der Untergang des Abendschlandes

Als eine gewisse zahngesichtige Allzweckwaffe eines gewissen privaten Fernsehsenders im Sommermärchen 2006 deduktiv erarbeitete, der Schlachtruf eines gewissen im Nationalstolz bis dato empfindlich gestörten Volkes habe ab sofort der phonetischen Einfachheit halber „SCHLAND!“ zu lauten (was dem im Fan-Choral vermehrt anzutreffenden erhöhten Alkoholpegel und damit einhergehenden Problemen in puncto lautlicher Synchronität geschuldet ist, aber das sei nur gemutmaßt), hätte der sich wohl kaum träumen lassen, welch wortschöpferische Inspiration diese Verhunzung für uns (uns! Das ist wichtig, weil wir grade alle „wir“ sind, Torabschluss und WM-Titel couchcoachend im Visier) darstellen sollte. Aber so geht’s halt oft, und eh man sich’s versieht, ist ganz Deutschland „geschlandet“. „Geschlandet“, so lernte ich in den vergangenen Tagen, sind Menschen, die sich im Vollornat des „echten“ Fans zu schmücken wissen. 

Derweil der echte Fan frei von Nationalfarbe zurückgezogen im stillen Kämmerlein konzentriert dem Ereignis beiwohnt, um Fallrückzieher, Glanzparaden und Beißattacken zu analysieren, geht’s dem „echten“ Fan darum, möglichst kreativ dreifarbig aufzutreten, um, nachdem er mäßig spielinteressiert die Vorzüge der Fan-Meile genossen hat, die frohe Botschaft eines Sieges in die Welt hinauszuautokorsieren. So trägt beispielsweise der modebewusste Opel von heute einen „Schlandini“, der in seiner Freizügigkeit die ästhetische Verfehlung des Designs nur schwer zu verhüllen weiß, doch da birgt die Kombination Rot-Gelb ja die Tücke schon in sich, stand die doch bislang eher selten für echte Qualität und großen Geist (vgl. McDonald, Ronald). 

Zur ordnungsgemäßen „Schlandung“ gehören neben Flaggen in Saunatuchgröße außerdem Brillen, lustige Perücken, Nagel-Design und freilich die obligatorische Gesichtskreide, die den Schland-Depp gnadenlos als solchen identifiziert ab dem Moment, in dem der sich versehentlich zum Belgien-Sympathisanten kriegsbemalt hat (vgl. Becker, Boris) und außerdem erst so richtig gut ist, nachdem sie von mindestens drei schwitzigen Alt-Fans über deren haarigen Arm geschmiert wurde. 

Aber das macht nichts, wir teilen grade alles, Freud und über kurz oder lang auch Leid, spätestens dann, wenn freiwillig (vgl. Feierliches Küren des Siegerschlandes, das) oder unfreiwillig (vgl. Untergang des Abendschlandes, der) auch diese WM ein Ende findet, und „Schland“ aus dem kollektiven Rausch erwacht und sich wundert, an welchem Punkt genau man es für dringend erforderlich befand, sich die Nationalfarben ins Rückenhaar zu färben, im Discounter-Trikot zur Arbeit zu erscheinen und warum zur Hölle hängt mir eigentlich dieser wildfremde Mensch um den Hals?! Egal ob wegen Siegestaumel oder „trinken, um zu ertragen“, irgendwas is‘ immer.